Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 23,00 €
  • Gebundenes Buch

Ein Topos der musikalischen "Philosophie" besagt, dass Musik und Liebe in einem besonders innigen Verhältnis zueinander stehen. Komponisten haben daher für Liebesszenen in den Opern Musik von besonderer Schönheit und Wirkung geschaffen. Doch verändern sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Vorstellungen von der Liebe - und mit ihr ihre musikalische Darstellung in der Oper. Die Liebe verliert die Kraft zu harmonisieren und zu verbinden. "Schöne" Liebesduette oder -szenen zu komponieren, wird beinahe unmöglich.Mit der Beschreibung von acht Werken, von Mozarts " Cosi fan tutte " über Wagners…mehr

Produktbeschreibung
Ein Topos der musikalischen "Philosophie" besagt, dass Musik und Liebe in einem besonders innigen Verhältnis zueinander stehen. Komponisten haben daher für Liebesszenen in den Opern Musik von besonderer Schönheit und Wirkung geschaffen. Doch verändern sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Vorstellungen von der Liebe - und mit ihr ihre musikalische Darstellung in der Oper. Die Liebe verliert die Kraft zu harmonisieren und zu verbinden. "Schöne" Liebesduette oder -szenen zu komponieren, wird beinahe unmöglich.Mit der Beschreibung von acht Werken, von Mozarts " Cosi fan tutte " über Wagners "Tristan und Isolde" bis hin zu Leos Janaceks " Kat'a Kabanova " und Alban Bergs "Lulu", schlägt Marion Recknagel einen Bogen über das 19. Jahrhundert hinweg bis ins 20. Jahrhundert hinein, um die Veränderungen in der Liebeskonzeption der Oper darzustellen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2010

Vom Ende der musikalischen Erotik
Zerfall des Duetts: Marion Recknagel hat eine eindringliche Studie über die Liebe in der Oper geschrieben
Gegen Ende von Leoš Janáceks 1921 uraufgeführter Oper „Katja Kabanowa”, nach Ostrowskijs „Gewitter”, singen Sopran und Tenor unisono in Oktaven. Doch Janácek gönnt Katja und Boris dafür nur einen Takt. Es ist der einzige Takt in der ganzen Oper, in dem zwei Sänger wirklich duettieren, und nicht lediglich zwei Stimmen einander überschneiden. Dieser eine Takt ist ein Rest, ein Überbleibsel, das Produkt eines Zerfalls – des historischen Zerfalls der wohl aufregendsten, überwältigendsten Manifestation musikalischer Erotik, des Opernduetts.
Weniges an der Musikgeschichte dürfte fesselnder sein, als dieser Zerfall, der sich in wenig mehr als einem Jahrhundert vollzog. Marion Recknagel hat diesem Kapitel Musikgeschichte nun eine eindringliche Studie gewidmet. Sie beginnt – wie könnte es anders sein? – bei Mozart. Lehrreich ist Mozart indes nicht, weil er der Liebe musikalisch klassische Grazie angedeihen ließ, sondern weil bei ihm die Dinge schon so vertrackt liegen, wie es sonst nur ganze Jahrhunderte erreichen. Im „Don Giovanni” (1787), nach Kierkegaard die Oper schlechthin, der Inbegriff musikalischer Erotik, gibt es nur ein einziges Liebesduett – dieses ist ein „Duettino”, ein Duettchen, das „Là ci darem la mano”.
Verwirrender noch, ja paradox geriet „Così fan tutte” (1789). Was Mozart im zweiten Akt für Fiordiligi und Ferrando erfindet, nennt Recknagel triftig „das Urbild eines Liebesduetts”. Aber es erscheint in einer Oper, welche die Unterscheidung echter und falscher Gefühl systematisch durcheinander bringt und in der am Ende alle Illusionen über die Liebe bereits in Trümmern liegen, auf welche die Romantik dann neuerlich baute.
Die Romantik: An Wagners „Tristan” (1859) führt bei Musik und Liebe kein Weg vorbei. „Höre ich nur / diese Weise, / die so wunder- / voll und leise / in mich dringet?” – in Isoldes Schlussgesang, der das Liebesduett des zweiten Aktes vollendet, wird Liebe selbst Musik – und Wahnsinn. So also kann man der Welt bei diesem Thema abhanden kommen. Man kann sich ihr aber auch aussetzen. In den vergangenen Jahrzehnten sind Giacomo Meyerbeers „Les Huguenots” (1836) als ein Hauptwerk der Oper des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt worden. „Die Hugenotten” sind ein solches, wie Recknagel zeigt, auch für das Thema Musik und Liebe. Denn keine Oper jener Zeit hat wohl Liebe und politische Gewalt musikalisch so direkt konfrontiert. Das „Grand Duo” Raouls und Valentines im vierten Akt ist ein Zwiegesang, dessen Folge darum nicht Vereinigung sein kann, sondern Trennung der Liebenden sein muss.
Schule gemacht hat wohl eher Wagner als Meyerbeer, und einer seiner größten Schüler erwuchs Wagner im ihm verhasst gewordenen Frankreich: Claude Debussy. Aus den Skizzen zu „Pelléas und Melisande” (1902) wissen wir, dass und wie der Komponist planmäßig offensichtliche Parallelen zum „Tristan” aus seiner Partitur entfernte. Was bei Wagner Emphase war, wird bei Debussy Andeutung. „Vom einstigen seligen Liebesjubel bleiben nur vier gemeinsame Töne im Oktavunisono übrig”, schreibt Recknagel. „Selbst wenn Golaud dann nicht zuschlagen würde, würden es wohl nicht mehr”.
Derjenige Zeitgenosse Debussys, den wir am gewissesten einer Ästhetik der Emphase statt der Andeutung zuordnen, war Giacomo Puccini. Die Überheblichkeit, die gerade deutsche Musikwissenschaftler diesem Komponisten so lange angemessen fanden, erspart Recknagel ihren Lesern, wenn sie die substantielle dramatische – tragische – Ironie von „Madama Butterfly” (1904) herausarbeitet. Puccini lässt Cio-Cio-San und Pinkerton ein Liebesduett singen, an dem alles zu stimmen scheint und nichts stimmt. Es ist darum eines der stärksten Kunststücke dieser Gattung.
In der komischen Oper des 18. Jahrhunderts stand die Hochzeit am Ende der Oper – als Beginn gesicherten Glücks der Liebenden. In der Ehe wird die Liebe Institution; so kann die Gesellschaft sie vertragen. In Puccinis „Madama Butterfly” aber fängt mit der Hochzeit das Elend an, ein für Cio-Cio-San tödliches. Der Zerfall, dem Puccini scheinbar mit schönen Melodien widersteht, vollzieht sich bei ihm als Umkehrung. Die Musik als Kunstform hat so im 20. Jahrhundert nicht nur dem Optimismus des 18. Jahrhunderts die Gefolgschaft gekündigt, sondern einer weit älteren Tradition. Im Mythos von Orpheus, des Sängers, in dessen Liebe die Musik eine Macht gewinnt, die selbst den Tod besiegt, war seit der Antike die Einheit beider beschworen. Sie scheint unwiderruflich dahin. Und dies belegt nicht nur ein Werk wie Bergs „Lulu”, die Oper, mit der Marion Recknagel ihr Buch schließt. Wo wären die Liebesduette etwa in Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk” (1934) oder Benjamin Brittens „The Turn of the Screw” (1954)?
Denkwürdig ist der Umstand, dass auf der Bühne, die sich der Musik als großer Kunst verbunden hat, seit Jahrzehnten nicht mehr die Liebe gefeiert wird. Denn gefeiert wird sie nur in Gestalt jener Banalitäten, von denen Andrew Lloyd Webbersche Musicals und dergleichen dröhnen. Mit dem Nachdenken darüber, warum das so ist, sind wir noch nicht sehr weit. Doch da Marion Recknagel, statt als akademische Mitläuferin Genderkompetenz zu beweisen, vielmehr etwas zu sagen hat über die Frauen und Männer auf der Opernbühne, bietet sie eine gute Anleitung zum fälligen Nachdenken über Musik, Liebe, Theater und was aus ihnen geworden ist. ANDREAS DORSCHEL
MARION RECKNAGEL: Truggeweihtes Glück. Die Liebe in Opern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bärenreiter Verlag, Kassel, Basel, London 2009. 245 Seiten, 29,95 Euro.
„Vom einstigen seligen Liebesjubel bleiben nur vier gemeinsame Töne im Oktavunisono übrig.”
So machen es alle, aber nicht alle Zeiten singen so schön davon: „Così fan tutte” in der Regie von Hans Neuenfels, Salzburg 2000. Foto:AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In Lloyd-Webber-Zeiten steht's um die Liebe auf der Musiktheaterbühne eher schlecht, findet Andreas Dorschel. Gut, dass Marion Recknagel dem Rezensenten einmal in Erinnerung ruft, was im Opernduett von Mozart bis Alban Berg so alles möglich war. Bemerkenswert findet Dorschel diese Studie, weil sie ihm unter anderem eindringlich erläutert, wie Debussy sich von Wagners Emphase befreite, wie substantiell tragisch Puccinis Ironie in "Madame Butterfly" sich äußert und wie wenig opportune Genderkompetenz eine Autorin benötigt, um den Leser zum Nachdenken anzuregen über Frauen und Männer auf der Oper.

© Perlentaucher Medien GmbH