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Als im Frühsommer 1984 49 Gemälde des berühmten Malers Lyonel Feininger aus der DDR in die USA verschifft wurden, löste diese Überführung ein internationales Presse-Echo aus. Was war geschehen? Bei seiner Flucht aus Deutschland 1937 hatte Feininger 64 Ölgemälde zurücklassen müssen, die er in die Hände eines Freundes übergab. Dieser Mann bewahrte die Bilder über 30 Jahre lang in Quedlinburg auf, vor dem Fachpublikum und der interessierten Öffentlichkeit verborgen, bis er 1970 von den Söhnen Feiningers auf Herausgabe verklagt wurde. 14 Jahre dauerten der Prozess und weitere schwierige…mehr

Produktbeschreibung
Als im Frühsommer 1984 49 Gemälde des berühmten Malers Lyonel Feininger aus der DDR in die USA verschifft wurden, löste diese Überführung ein internationales Presse-Echo aus. Was war geschehen? Bei seiner Flucht aus Deutschland 1937 hatte Feininger 64 Ölgemälde zurücklassen müssen, die er in die Hände eines Freundes übergab. Dieser Mann bewahrte die Bilder über 30 Jahre lang in Quedlinburg auf, vor dem Fachpublikum und der interessierten Öffentlichkeit verborgen, bis er 1970 von den Söhnen Feiningers auf Herausgabe verklagt wurde. 14 Jahre dauerten der Prozess und weitere schwierige Verhandlungen, bis die Gemälde ihre Reise in die USA antreten konnten. Die Autorin Petra Werner schildert aufgrund der Gerichtsakten und zahlreicher persönlicher Zeugnisse einen der spektakulärsten Kunstprozesse im 20. Jahrhundert, in dem bedeutende Werke der Klassischen Moderne zum Mittel der Politik und zum Gegenstand des Kalten Krieges wurden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2006

List und Liebe in der DDR
Petra Werners spannende Recherche im „Fall Feininger”
In der von Deutschen und durch Deutsche bestimmten Geschichte des vergangenen Jahrhunderts, das unzählige Vertreibungen, Fluchten und Reisen ins Nirgendwo sehen musste, ergab sich naturgemäß besonders häufig die Konstellation der gefährlichen und gefährdeten, der verratenen und der listig geretteten Verwahrung von Gütern. Eine dieser vielen bitteren, manchmal tragischen, gelegentlich auch komischen Geschichten wird von Petra Werner erzählt. Wobei die Eigenheit ihrer Geschichte darin besteht, dass die individuellen Aspekte von Vertrauen und Treue durch das brutale Zusammentreffen mit dem politischen Ost-West-Konflikt kontaminiert und verschärft wurden. Und dass Gegenstand der Verwahrung kostbare Arbeiten eines der größten Maler der Moderne waren.
1937 verließen Lyonel und Julia Feininger, der „entartete” geniale Maler und seine jüdische Frau, Deutschland mit dem Ziel Amerika. Vieles konnte bei der Ausreise mitgenommen werden, aber vieles blieb auch zurück. Vor allem ein bedeutsamer Teil des Lebenswerks des Malers, der damals schon 66 Jahre alt war, Bilder aus den Jahren 1907 bis 1932, aber auch Grafiken, Mobiliar und anderes.
Sie wurden einem Freund in Verwahrung gegeben. Dieser Freund hieß Dr. Herrmann Klumpp, war promovierter Jurist, Sohn eines Wäschereibesitzers, Kunstliebhaber, Autor eines schwülstigen Buches über abstrakte Kunst, Bauhaus-Student, der Unterricht bei Kandinsky und Klee genommen hatte, jugendlicher Verehrer der attraktiven Julia Feininger, Bürger von Quedlinburg, Chef des dortigen Gesundheitsamtes, inbrünstiger Bewunderer der Kunst Feiningers und nach 1945 in der DDR auch ein aufgeblasener „Aktivist der ersten Stunde”. Er lebte von 1902 bis 1987 und wird im Buch von Petra Werner von allen Akteuren am häufigsten erwähnt. Das ist kein Zufall, denn er ist der eigentliche „Held” des Falles Feininger.
Gleichwohl hat die Autorin kein vollständiges Porträt dieser schillernden, verlogenen, unangenehmen und dann doch wieder achtbaren und verstehbaren Persönlichkeit gezeichnet. Dass sie den sorgfältig recherchierten umfangreichen Briefwechsel, den Klumpp mit den Feiningers, deren Söhnen und zahlreichen anderen Beteiligten nicht intensiver ausgewertet hat, hat seinen Grund vermutlich nicht zuletzt darin, dass Petra Werner in diesem Werk (durchaus im Gegensatz zu anderen ihrer Bücher) das Biographische an ihrem Sujet bewusst zurückgestellt hat: Weder Lebensgeschichte noch Kunstgeschichte lagen in der Absicht der Autorin; sie wollte eine Rechtsgeschichte schreiben. Diese Prozessgeschichte entwickelt sich langsam und eher zufällig. Am Ende gerät sie zu einem Spiegelbild der Rechts- und Politikgeschichte der beiden deutschen Staaten in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts.
Der Bilderschützer verliebt sich
Zu Beginn ist der Verwahrer damit beschäftigt, die Bilder vor dem drohenden Zugriff der Nationalsozialisten zu bewahren. Dann schützt er sie mit der Sorgfalt und Liebe einer Pflegemutter vor den Verwüstungen des Bombenkrieges. Und schließlich rettet er sie über die faktischen und rechtlichen Wirren der Nachkriegszeit in die einigermaßen geordneten Verhältnisse der DDR. Dazu müssen viel Mut, Versteckspiel, Desinformation, List und Liebe aufgebracht werden.
Die Flüchtlinge von 1937 melden sich 1946 wieder. Man hat überlebt, und damit wäre der Zeitpunkt gekommen gewesen, das anvertraute Gut dem Eigentümer zurückzugeben.
Aber es tauchen Schwierigkeiten auf. Tatsächliche, eingebildete, vorgeschobene. Der Verwahrer Klumpp, das ist alsbald evident, hat sich in seine Schützlinge unsterblich verliebt und kann sich einen Abschied von ihnen eigentlich nicht mehr vorstellen. Von Bereicherungssucht kann keine Rede sein. Vielleicht sollte man vom Nichtwillen zur Trennung sprechen. Technisch wäre angesichts der armseligen äußeren Lage ein Versenden der Bilder allerdings kaum möglich. Amerikanisches Eigentum ist obendrein objektiv gefährdet. Es zu verwahren, macht den Verwahrer verdächtig. Nach einer Seite zu sagen, dass überhaupt nichts vorhanden sei, nach der anderen, dass man als Treuhänder fungiere, und nach der dritten, dass alles das zweifelsfreie Eigentum von Herrmann Klumpp sei, war seinerzeit weit weniger ungewöhnlich, als es dem heutigen Beobachter glaubwürdig scheinen wird.
Die Autorin hat diese Nachkriegs-Gemengelage detailgetreu und doch zurückhaltend geschildert. Man zweifelt mit ihr keine Sekunde daran, dass die Feiningers niemals daran dachten, ihr Eigentum aufzugeben. Dass nur eine Mischung aus Infantilität und Unverfrorenheit fragen kann, ob aus der Nichtmitnahme der Gemälde auf Verzicht zu schließen sei. Dass Julia und Lyonel aber auch Freund Klumpp vor jeder persönlichen und politischen Bedrängnis bewahren wollten und ihn gern (auch mit Bildern) entschädigt hätten. Dass sie nichts dagegen hatten, dass er, um die Bilder zu schützen, diese verleugnete oder als sein Eigentum ausgab. Dass sie schließlich ahnten, dass der Freund die Gemälde nicht mehr herausgeben wollte, und dass sie sie wohl nicht wieder sehen würden.
So kam es. 1956 starb Lyonel Feininger, 1970 Julia. Die Erben traten an. Erben sind nüchtern. Die Sentimentalitäten der Verstorbenen übertragen sich nicht. Die ererbten Mobilien, Immobilien und Rechte werden prosaisch sondiert, Forderungen teilnahmslos geltend gemacht und bei Zweifel oder Widerstand umstandslos eingeklagt. Schon 1971 gingen bei Klumpp die ersten Rückforderungen ein, und 1974 war es dann soweit: Vor dem Bezirksgericht in Halle wurde Klage gegen den Verwahrer Klumpp erhoben.
Die Erbengemeinschaft bestand aus den drei Feiningersöhnen, die persönlich in verschiedener Weise engagiert waren. Am energischsten Theodor Lucas Feininger, selbst Maler, wenn auch ohne Fortune und am originellsten noch in der Umformung seines Namens (T. Lux Feininger); weniger nachdrücklich Laurence Feininger, der katholische Priester, und am distanziertesten Andreas Feininger, der große und erfolgreiche Fotograf. Auf amerikanischer Seite wurden die Erben von Ralph Colin senior vertreten, auf deutscher Seite vom Anwaltsbüro Ingeburg Gentz. Jürgen Gentz, dem geschickten und klassisch agierenden Anwalt aus der DDR, stand auf der Seite von Klumpp mit dem gerissenen Friedrich Karl Kaul der politische Großadvokat der DDR gegenüber.
Die Erbengemeinschaft siegte. Klumpp verlor – trotz aller erdenklicher juristischer Finessen und auch aus heutiger juristischer Sicht völlig zu Recht. Damit hätte die Sache unter normalen Umständen ein Ende gefunden. Aber die Umstände waren nicht normal.
Kunstkuhhandel für Devisen
Ungewöhnlich war schon der Umstand, dass der verklagte Klumpp überhaupt nicht mehr im Besitz der Bilder war. Das Urteil, welches feststellte, dass die amerikanische Erbengemeinschaft Eigentümer der Bilder geworden sei, war nämlich keineswegs die erste Entscheidung, die das Bezirksgericht in Sachen Feininger gefällt hatte. Nicht nur die Erben hatten sich sofort 1971 gemeldet. Auch der Staat der DDR bekundete Interesse und kam, wie das bei derlei Staatsaktionen der Fall zu sein pflegt, allen Beteiligten zuvor. Das DDR-Kulturministerium erwirkte in Halle eine einstweilige Verfügung, die Herrmann Klumpp aufgab, die verwahrten Gemälde an das Ministerium „zwecks Sicherstellung” herauszugeben. Was auch geschah. Schon im August 1972 wurde der fast vier Jahrzehnte währende Besitz des inzwischen auch seiner Freundin Julia entfremdeten Verwahrers beendet.
Aber der kämpfte weiter. Jetzt nicht mehr für sich, sondern für seinen Staat und mit diesem. Dieser Staat sah sich unverhofft im Besitz eines wertvollen Faustpfandes. Man konnte über den Schatz verhandeln. Auf Regierungsebene, denn die Erben hatten sich natürlich der Hilfe ihrer Regierung versichert. Und schon Verhandeln allein brachte Anerkennung für die anerkennungssüchtige DDR. Man konnte aber auch die Herausgabe amerikanischen Eigentums davon abhängig machen, dass im Gegenzug deutsches Eigentum herausgegeben wurde. Schließlich hatten sich amerikanische Soldaten nicht zimperlich mit deutschen Kunstschätzen bedient. Man konnte Rechnungen für Verwahrung, Restaurierung und Pflege aufmachen, um stattliche Summen der begehrten Dollars in die Staatskasse zu schwemmen.
All das geschah. Zwischen 1976, als das Endurteil erging, und 1984, als die Bilder an die Beauftragten der Erbengemeinschaft ausgehändigt wurden, entwickelte sich ein vorwiegend politischer, aber auch juristischer und ökonomischer Kuhhandel, hinter dem die Kunstwerke als solche fast unsichtbar wurden, und in dem der Kalte Krieg eine kaum geringere Rolle spielte als die persönlichen und finanziellen Ambitionen der Beteiligten.
„Sicherstellung”, „Prozess” und nachfolgender „Kuhhandel” wurden von der Autorin akribisch recherchiert und erschöpfend geschildert. Das war in dieser vollständigen und doch niemals langweiligen Weise wohl nur der literarisch und wissenschaftshistorisch gewieften Privatdozentin Gentz-Werner möglich. Der Umstand, dass sie mit dem deutschen Anwalt Jürgen Gentz bis zu dessen Tode verheiratet war, hat ihr zweifellos den Zugang nicht nur zu der Sache und einigen (noch lebenden) Personen, sondern auch zu manchen in den Fußnoten als „privat” ausgewiesenen Dokumenten wesentlich erleichtert. Der casus belli, die streitgegenständlichen Gemälde, sind in dem Buch übrigens in hervorragenden Reproduktionen wiedergegeben.
Wo sind die Gemälde?
Wer den spannenden Text genau studiert, wird sich manche Frage stellen, die von der Autorin, wohl kaum durchgängig unabsichtlich, nicht aufgeworfen oder nicht beantwortet wurde. Etwa: Wer hat die DDR-Regierung auf Klumpp und seinen Schatz aufmerksam gemacht und so instruiert, dass sie sich kurz nach dem Tode von Julia Feininger in den Besitz der Gemälde versetzte? Die Erben? Wo sind die großartigen Bilder heute? Die Erben haben sie (bezeichnenderweise) alsbald veräußert, das erfährt man. Von einigen wird gesagt, sie seien (irgendwo) im Privatbesitz. Wo sind die anderen? Klumpp, liest man, sei als Stifter aufgetreten und habe eine „umfangreiche Grafiksammlung” für eine Galerie in Quedlinburg zur Verfügung gestellt. Waren das Geschenke (wessen?), oder wo hatte er diese Sammlung her? Andere Fragen stecken zwischen den Zeilen und seien dem Scharfsinn des Lesers empfohlen. Jedenfalls gewinnt man den Eindruck, dass im „Fall Feininger” die Akten noch nicht wirklich geschlossen sind. DIETER SIMON
PETRA WERNER: Der Fall Feininger. Koehler & Amelang Verlag, Leipzig 2006. 256 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Petra Werner hat eine spannende Fall- und Rechtsgeschichte geschrieben, findet Dieter Simon. Diese schildert die Chronologie der Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar Feininger und ihrem Freund Dr. Herrmann Klumpp um diejenigen Werke Lyonel Feiningers, die dieser vor seiner Flucht in die USA in die Obhut seines Freundes Klumpp gegeben hatte. Nach dem Krieg hatte Klumpp diese Bilder nicht herausgeben wollen. "Akribisch recherchiert", "detailgetreu und doch zurückhaltend" schildere die Autorin, wie sich Klumpp, die Feiningers und schließlich das DDR-Kultusministerium um das Eigentum an den Bildern stritten. Der Streitgegenstand, die Bilder Feiningers, seien in dem Buch in "hervorragenden" Reproduktionen enthalten. Kritisch vermerkt Simon, dass der Text allerdings auch Fragen aufwirft, die die Autorin nicht beantwortet, zum Beispiel, wo die Bilder heute sind.

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