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Produktdetails
  • Verlag: Koehler & Amelang
  • Seitenzahl: 303
  • Abmessung: 22mm x 181mm x 246mm
  • Gewicht: 1000g
  • ISBN-13: 9783733803346
  • ISBN-10: 3733803345
  • Artikelnr.: 14093185
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2006

Hirsch beißt antike Schlange
Zwei wundersame Tierbücher erzählen von Himmel und Hölle

Es muß ein schöner Tag gewesen sein, als sich Schlange und Muräne am Strand trafen. Die Sonne stand hoch, freundlich schwappten die Wellen ans Ufer, als die Muräne dem Wasser entglitt und die Schlange die Klippen Richtung Strand hinunterkroch. Ihr Gift ließ die Schlange in einem Felsloch zurück, erreichte den Strand und paarte sich dort mit der Muräne. Auf dem Rückweg aber fand die Schlange ihr Gift nicht mehr. Sie suchte lange vergeblich. Und da starb sie vor Scham. Denn wenn die Schlangen ihr Gift verlieren, dann sterben sie vor Scham.

So erzählt es der Dichter Oppian im zweiten Jahrhundert nach Christus in einem Lehrgedicht, das vom Fischfang handelt und Kaiser Marc Aurel gewidmet war. Ob oder wie dem Kaiser die Geschichte einleuchtete, wissen wir nicht. Uns heute aber lassen solche Geschichten einsam zurück. Oder anders gesagt: daß ihnen ein Geheimnis innewohnt, ist offensichtlich. Wir können sie nicht als Beschreibung von Tierverhalten verstehen, und auch die moderne Vorstellung, Tiergeschichten seien putzige Unterhaltung für Kinder, zerschellt daran. Die Tiergeschichten der Antike handeln von etwas, dessen Sinn sich uns kaum erschließt, eine verlorene Realität, die mit der Kultur vergangen sein muß, deren Teil sie war. Diese Beobachtung beschäftigt immer wieder Historiker und Philosophen, von Foucault über Kittler bis Agamben. Für die historische Forschung ist die Geschichte der Tiere eine der größten Herausforderungen geblieben.

Zwei Bücher haben nun viele dieser Geschichten gesammelt und die Bilder dazu ausgewertet. Schon beim Durchblättern begegnet dem Leser ein faszinierendes und bizarres Museum: der Archäologe Harald Mielsch führt einen entlang von Mosaiken, Reliefs, Buchminiaturen, Teppichen und Fresken durch "Griechische Tiergeschichten in der antiken Kunst". Jedes Kapitel widmet sich dabei einem Tier - Schlange, Elefant, Leopard, Biber, Affe oder Vogel. Der Archäologe und Orientalist Heinz Mode behandelt dagegen das große Reich der Mischwesen: vom elefantenköpfigen Gott Ganesha in Indien über die Kentauren der Griechen zur fischschwänzigen Melusine Mitteleuropas. "Fabeltiere und Dämonen" ist dabei die Neuauflage eines Klassikers des 1992 verstorbenen Heinz Mode. Das Buch erschien zuerst 1977, erlebte seither mehrere Auflagen und wurde nun vom Leipziger Verlag Koehler & Amelang neu ausgestattet. Modes Spektrum ist weit: Geographisch reicht es von China bis Nürnberg, historisch von den Ägyptern bis 1900.

Mielschs und Modes Bücher eint, von Lebewesen zu handeln, die für uns aus der Wirklichkeit gefallen sind: entweder weil sie wundersame Eigenschaften haben oder ein wundersames Aussehen. In der historischen Analyse kommen beide zudem zu demselben überraschenden Schluß: Sowohl die sonderlichen Tieranekdoten als auch die sonderbaren Mischwesen sind ein relativ spätes Produkt der Kultur. Die Spätantike, so Mielsch, schildert in Wort und Bild das Tierverhalten aus unserer Sicht wunderlicher als der Hellenismus. Vielgestaltige Tiere, so Mode, erscheinen vermehrt in entwickelten Hochkulturen, selten in den Frühphasen von Gesellschaften.

Nun gibt es grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, wie Historiker die bizarren Überlieferungen erklären. Mielsch führt überzeugend an einigen Stellen die bekannteste Variante an: die Annahme, die Tierbilder oder Geschichten seien symbolisch. Hirsch und Schlange sind zum Beispiel deshalb Erzfeinde, weil der Hirsch das Gottestier ist, die Schlange - siehe Vertreibung aus dem Paradies - das Höllentier. Wenn der Hirsch die Schlange mit seinem Atem aus dem Loch zieht und zerbeißt, handelt es sich also um ein Gleichnis mit vielen symbolischen Ebenen.

Verwirrung entsteht nur dann, wenn man diese Tradition nicht kennt und die Erzählung für eine Verhaltensbeobachtung hält. Den Verwirrungspegel senken auch folgende Erklärungsmuster: Man erklärt die Geschichten als Produkt von stiller Post - Jahrhunderte der Überlieferung haben sie demnach immer weiter verzerrt. Oder: Sie beruhen auf Mißverständnissen - Eigenschaften wurden von einem Tier auf ein anderes übertragen oder Beobachtungen fehlgedeutet. So kann Mielsch immer wieder sagenhafte Eigenschaften von Tieren auf Jagdmethoden in der Antike zurückführen. Im Fall der Mischwesen gibt es noch eine Spezialtheorie: Ihre Existenz wurde von Medizinern auch auf Mißbildungen zurückgeführt. Der einäugige Zyklop wäre demnach ein biologischer Ausnahmefall.

Daß alle diese Faktoren auch eine Rolle gespielt haben können, will niemand bestreiten. Nur - und darin sind sich Mielsch und Mode ebenso einig - ausreichende Erklärungen liefern sie nicht. Zu vielgestaltig und zu verbreitet sind die alten Lebewesen. Die für den modernen Betrachter bestürzendste Eigenschaft ist dabei ihre Normalität. Was uns am schwersten in den Kopf will, ist, daß die wunderlichen Kreaturen kein Sonder-, sondern der Normalfall waren. Zudem lassen die genannten Erklärungsmuster offen, warum sich diese Tiere zu bestimmten Zeiten häufen. Warum gibt es mehr Fabelwesen in Hochkulturen? Warum häufen sich die Wundergeschichten in der Spätantike?

Modes Antwort lautet: Die Sichtbarmachung von Mischwesen im Bild interpretiert er als "Prozeß der Rationalisierung, des Greifbarmachens, des Sichtbarmachens". Die Gestalt, die in der sprachlichen Beschreibung oft verschwommen bleibt und um so beunruhigender wirkt, malt das Bild in allen Details aus. Mischwesenabbildungen sind demnach gerade nicht okkult, sondern das Endstadium kurz vor der Entzauberung. Die Theorie hat den Charme, daß sie den Bogen bis ins neunzehnte Jahrhundert spannen kann, wo Mode sie auf Karikaturen anwendet. Die polypenartig auskrakende Macht des Monarchen wird dann faßbarer, wenn man sie eben als solche ins Bild setzt - in der Karikatur des Königs als Polyp.

Als neue These formuliert Mielsch dagegen unter anderem einen ökonomischen Erklärungsansatz. Die Wundergeschichten könnten zur Wertsteigerung von Waren gedient haben. Die Tiersymbolik wäre damit eine erweiterte Form des Marketings und ihr gehäuftes Auftreten in der Spätantike eine Folge des Ausbaus von Verkehr und Handel. Leider läßt Mielsch diese These spekulativ, anstatt sie mit der Fülle seiner so kenntnisreich vorgetragenen Beispiele zu verbinden. Und Mode bleibt häufig beim Klassifizieren von Mischwesentypen stehen, ohne diese in den Kontext seiner Entzauberungsthese zu stellen oder lebensweltlich an die Zeit anzubinden, der sie entstammen. Verübeln mag man es diesen Büchern nicht, die es mehr mit Linné als mit Darwin halten. Linné klassifizierte das Tierreich und verschaffte Übersicht. Darwin jedoch erklärte, wie sie wurden, was sie sind, und warum einige von ihnen aussterben mußten. Auf den Darwin für diese vergangenen Tierwelten werden wir aber wohl noch weiter warten müssen.

JULIA VOSS

Harald Mielsch: "Griechische Tiergeschichten in der antiken Kunst". Philipp von Zabern, Mainz 2005. 148 S., 73 Farb- und 22 S/W-Abb., geb., 24,90 [Euro].

Heinz Mode: "Fabeltiere und Dämonen". Die Welt der phantastischen Wesen. Koehler & Amelang, Leipzig 2005. 303 S., Farb- u. S/W-Abb., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "Klassiker" würdigt Rezensentin Julia Voss dieses Buch des Archäologen und Orientalisten Heinz Mode über die Welt der wundersamer Mischwesen, das nun in einer Neuausgabe vorliegt. Sie hebt das weite Spektrum des Buchs hervor, das geografisch von China bis Nürnberg, historisch von den Ägyptern bis 1900 reicht. So behandle Mode den elefantenköpfigen Gott Ganesha ebenso wie die Kentauren der Griechen und die fischschwänzigen Melusinen Mitteleuropas. Überraschend findet Voss dabei den Schluss Modes, die Mischwesen tauchten vor allem in entwickelten Hochkulturen auf, selten in den Frühphasen von Gesellschaften. Wie sie erläutert, deutet der Autor das vermehrte Erscheinen der Mischwesen als "Prozess der Rationalisierung, des Greifbarmachens, des Sichtbarmachens". Demnach seien Mischwesen gerade nicht okkult, sondern das Endstadium kurz vor der Entzauberung. "Die Theorie hat den Charme", meint die Rezensentin diesbezüglich, "dass sie den Bogen bis ins neunzehnte Jahrhundert spannen kann, wo Mode sie auf Karikaturen anwendet".

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