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Produktdetails
  • Verlag: Huber, Zürich
  • Seitenzahl: 196
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 345g
  • ISBN-13: 9783719312404
  • ISBN-10: 3719312402
  • Artikelnr.: 09643761
Autorenporträt
Peter Glotz ist Professor für Kommunikationswissenschaft in St. Gallen. Er war unter anderem Präsident der Kultusministerkonferenz, SPD-Bundesgeschäftsführer, Vorsitzender der Deutsch-Tschechoslowakischen Parlamentariergruppe und zuletzt Vertreter der Bundesregierung im Europäischen Konvent. Er ist Vorsitzender der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2001

Großer Steuermann
Peter Glotz gleitet so glatt
von Analog nach Digital
Wer darüber schreibt, wie das Internet die Welt verändert, scheint nur eine Wahl zu haben. Entweder schlägt er einen euphorischen Ton an: Die Welt wird schöner mit jedem Tag. Oder er warnt vor ihrem Untergang. Peter Glotz entzieht sich bewusst dieser Alternative. In beinahe jedem seiner Vorträge, die zum Buch gebündelt vorliegen, wiederholt der Autor, dass er über die Digitalisierung der Welt weder als Phantast noch als Apokalyptiker nachdenken wolle. Und das gelingt ihm zweifellos. Souverän navigiert der Kommunikationstheoretiker auf der Titel gebenden Strecke von Analog nach Digital, für ihn Chiffre neuer Informationssysteme und ihrer Auswirkungen. Er verfolgt den bereits zurückgelegten Weg mit detaillierten Kenntnissen der politischen Zusammenhänge und der medien- und wirtschaftstheoretischen Diskussion. Daran bestimmt er schließlich die gegenwärtige Position.
Kenntnisreich beschreibt der SPD-Politiker und Leiter des Sankt Gallener Instituts für Media Communication Management die Auswirkungen neuer Informationstechnologien auf die Bereiche Wirtschaft, Stadt, Universität und das Bildungssystem generell, auf Regierung und Verwaltung, die sich unter der Prämisse des großen E für Electronic neu formieren – als E-Government oder E- Commerce beispielsweise. Am Ende des Buchs, das mit einem Aufsatz über das Ende der Welt zusammenfällt, wie es manche neuen Sekten kommen sehen, ist man umfassend orientiert. Und wenn es bei allen pointiert zur Sprache gebrachten Problemen und Risiken der neuen Ökonomie eine Chance gibt, dann besteht sie Glotz zufolge für Europäer darin, „ihre sozialstaatliche Tradition, ihre Erfahrungen mit sozialer Marktwirtschaft einzubringen”. Das ist tatsächlich weder utopisch noch pessimistisch.
Von Müttern alphabetisiert
Aber was hat man von einer derart realitätsnahen und nüchternen Positionsbestimmung? Sie mag einen in Sicherheit darüber wiegen, dass der Steuermann den Weg ins Digitale schon kennt. Doch ein Erstaunen oder gar Erschrecken über das, was sich mit dem Einzug von Rechner und Internet bereits ereignet hat, geht verloren. Es fehlt jene Dramatik, mit der Walter Benjamin seine Gegenwart für den Zeitenbruch im Ersten Weltkrieg sensibilisierte, als er den bekannten Satz schrieb: „Eine Generation, die noch mit der Pferdebahn zur Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel in einer Landschaft, in der nichts unverändert geblieben war als die Wolken.”
Die Unvereinbarkeiten, die hier aneinanderstoßen, sind in Glotz’ betont nüchterner Zeitdiagnose überspielt – so als sei es nicht der Rede wert, dass da eine Generation war, die noch von Müttern alphabetisiert ein Allgemeinwissen pflegte, das jetzt in die Basiseinheit Information zerlegt als Eigentum gehandelt wird.
Ein solcher Gedanke könnte den Gegenwartsdiagnostiker für einen Moment aus seinem Platz als Nutzer herauskatapultieren – und damit aus der Perspektive, die das Medium ihm anweist. Als Benutzer stellt sich ihm lediglich die Frage nach dem richtigen Gebrauch des Internet, nach seinen Chancen und Risiken. Und entsprechend fallen seine Antworten aus. Sie sind nichts anderes als Bedienungsanleitungen zur kompetenten Nutzung neuer Medientechniken. Über Brüche kultureller Gewohnheiten und Gewissheiten geben sie keine Auskunft.
Sollte die nächste Generation, die bereits wie selbstverständlich mit dem Internet aufwächst, später einmal wissen wollen, wie die Wende vom analogen zu einem digitalen Denken sich vollzog, wird sie es kaum solchen Fahrplänen „auf dem Weg in die digitale Kultur” entnehmen können, die den Kurswechsel routiniert verarbeiten.
Das Problem ist hier die Realität. Denn Glotz will realistisch bleiben. Doch sein Begriff von Realismus ist auf dem Weg ins Digitale selbst auf der Strecke geblieben. Um es im Bild des an maritimen Metaphern reichen Bandes zu sagen: Der Medienwissenschaftler Glotz wirft seinen Anker aus auf eine wirkliche Wirklichkeit, die von den Kompliziertheiten medial erstellter Welten verschont bleiben soll. Dabei liegt gerade in den Änderungen der Wirklichkeit der Schlüssel für die Diagnose der Gegenwart – auch wenn es anstrengend sein mag, sich stets aufs Neue zu vergegenwärtigen, wie Realität zu Stande kommt.
Von der Wirklichkeit gewiegt
Wer eine „wirkliche Welt” postuliert, „die unabhängig von unserem Denken, Reden und Handeln existiert”, räumt den Medien eine Dimension ein, in der diese nur um so unbeobachteter ihre Wirklichkeitseffekte zeitigen werden. Registriert man diese Effekte im Einzelnen, wird man der Änderungen gewahr, die Glotz in der Chiffre von der Digitalisierung verpackt.
Wer nicht hysterisch über neue Medien sprechen will, braucht deswegen nicht in einen naiven Realismus zu verfallen. Es gibt auch dazu eine Alternative, die nicht minder rational ist: die medienarchäologisch genaue Analyse jener Änderungen der Wirklichkeit, die sich auf dem Weg von den einstigen Analogmedien wie Rundfunk oder Telefon zum Digitalmedium Computer ereignet haben.
CORNELIA VISMANN
PETER GLOTZ: Von Analog nach Digital. Unsere Gesellschaft auf dem Weg zur digitalen Kultur. Huber Verlag, Frauenfeld Stuttgart Wien 2001. 196Seiten, 49,80Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Insgesamt scheint Cornelia Vismann dieses Buch empfehlen zu können, besonders weil sich ihrer Ansicht nach Glotz hier weder als Digital-Euphoriker präsentiert, noch die kulturelle Apokalypse durch das Internet heraufbeschwört. Die Ausführungen des SPD-Politikers über die neuen Informationssysteme, ihre Auswirkungen auf Wirtschaft, Bildungssystem, Städte und Verwaltung findet die Rezensentin überaus "kenntnisreich" und souverän dargestellt. Schade findet sie es allerdings, dass das Buch nicht auf die "Brüche kultureller Gewohnheiten und Gewissheiten" eingeht, etwa darauf, was die digitale Welt für Menschen bedeutet, die in ihrer Kindheit "noch von Müttern alphabetisiert" wurden. Eine anderer Frage, die die Rezensentin umtreibt und in diesem Buch unbeantwortet sieht, ist die nach Realität: Die Gegenwart könne nur verstanden werden, wenn man die Änderungen betrachtet. Hier hätte sich Vismann etwa eine "medienarchäologisch genaue Analyse" gewünscht.

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