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Fotografien von Gruppen waren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein beliebtes Mittel, sich selbst und seine Lebenswelt festzuhalten. In ihnen äussert sich das ganze Selbstvertrauen des aufsteigenden Bürgertums, das sich bewusst in Szene setzte. Doch trotz der damaligen Popularität von Gruppenfotografien galten sie lange als zu trivial und zu unkünstlerisch, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. In diesem reich bebilderten Buch lassen sich nun bisher meist unveröffentlichte fotografische Schätze aus Privatsammlungen entdecken, und mit ihnen das Flair vergangener Zeiten: wohlerzogene…mehr

Produktbeschreibung
Fotografien von Gruppen waren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein beliebtes Mittel, sich selbst und seine Lebenswelt festzuhalten. In ihnen äussert sich das ganze Selbstvertrauen des aufsteigenden Bürgertums, das sich bewusst in Szene setzte. Doch trotz der damaligen Popularität von Gruppenfotografien galten sie lange als zu trivial und zu unkünstlerisch, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. In diesem reich bebilderten Buch lassen sich nun bisher meist unveröffentlichte fotografische Schätze aus Privatsammlungen entdecken, und mit ihnen das Flair vergangener Zeiten: wohlerzogene höhere Töchter in weissen Schürzen, stolze Athleten mit ihren Pokalen, Feuerwehrkommandanten, die sich als Retter in der Not verewigt wissen wollen - Familien, Vereine, Schulklassen, Studentenverbindungen, Fabrikbelegschaften, Militärkompanien: Sie alle gehören zu den Charakteren der Gruppenfotografien und überliefern uns damit ein Bild der Schweizer Gesellschaft von 1870 bis 1945 in ihrer ganzen Vielfalt.
Autorenporträt
Paul Hugger, geb. 1930, ist emeritierter Ordinarius für Volkskunde an der Universität Zürich. Herausgeber u. a. des 'Handbuchs der schweizerischen Volkskultur'. Verfasser zahlreicher Publikationen zur Schweizer Fotografiegeschichte. Richard Wolf, geb. 1943 in Bern. Ausbildung zum Gymnasiallehrer in Bern (Geografie, Geologie, Zoologie). Anschliessend Arbeit als Lehrer und nachträgliches Theologiestudium an der Universität Bern. Von 1984 bis zu seiner Pensionierung 2008 Pfarrer der reformierten Diasporakirchgemeinde Freiburg i. Ue.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wohlig wurde es Burkhard Müller beim Blättern durch diesen "schönen Band", in dem Paul Hugger und Richard Wolf diese alten Gruppenfotografien versammeln, die gemeinhin in der großen Kiste auf dem Speicher vermodern. Gesangsvereine, Alpenführer, Käser und Küfer blicken dem Rezensenten hier mit ernsten Augen und gezwirbelten Schnurrbärten entgegen, und Müller lässt sich das gern gefallen. Sorgsam aufbereitet und freundlich kommentiert erinnern ihn diese Fotografien daran, nicht gering zu schätzen, was anderen einst so wichtig war. Schließlich erklärt Müller auch, was diesen Band so "eminent schweizerisch" macht: Nicht nur der Wortschatz (Schmutzlis und Gstältlis kommen vor), sondern auch die prächtige Ausstattung, die auf ein "großzügiges Mäzenaten- und Stiftungswesen" schließen lasse.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.06.2012

Sonne in Laubwerk und Damenhüten
Ein Schweizer Bildband zeigt die unterschätzte Welt der alten Gruppenbilder und fordert den Betrachter auf, genau hinzusehen
Dieser schöne Band hat seinen Anfang in einem Erstaunen genommen. Paul Hugger, emeritierter Professor für Volkskunde an der Universität Zürich, und Richard Wolf, Pfarrer einer reformierten Gemeinde in der Schweiz, fanden es verwunderlich, dass die alten Gruppenfotografien, die sie auf Dachböden und Flohmärkten zusammensuchten, so verwahrlost waren, verstaubt und verschimmelt. Weshalb waren diese Aufnahmen, in denen sich eine vergangene Epoche so sehr sichtbar, ja fast greifbar verdichtet, solcher Missachtung verfallen? Stellen sie doch häufig die einzigen erhaltenen Bildzeugnisse unserer Vorfahren dar, ein Reich der nunmehr schon lange Toten, in das sich plötzlich ein lebendiges Fenster öffnet. So ziemlich alle anderen Genres der Fotografie haben in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige Aufwertung erfahren und, nach langen Kämpfen, ihre Stellung als Kunst im eigentlichen Sinn errungen; aber die Gruppenbilder, die armen Verwandten, blieben bei dieser Nobilitierung irgendwie auf der Strecke.
Hugger und Wolf haben es darum als ihre vordringliche Aufgabe angesehen, den Bildern das Odium des Banalen zu nehmen. Entsprechend ist ihr großformatiges Buch angelegt: Immer wird die Fotografie auf der rechten Seite von einem Text links begleitet, der sie zum Reden bringt. Denn man täusche sich nicht über deren scheinbare Unmittelbarkeit. Unmittelbar an ihr ist nur der technische Akt der Produktion, nicht aber der Gehalt, der sich im scheinbar Offenbaren umso mehr verbirgt. Fotografien ohne Beschriftung schweigen tiefer als ein gemaltes Bild. Keine Abhandlungen haben die Herausgeber verfasst, sondern kleine Kommentare, oft spontan und emotional, die den Blick verlangsamen und lenken, immer mit der Geste: Schau doch mal genau hin! Statt mit zerstreuter Ironie die Augen zu rollen, wenn ein Männergesangsverein samt Vereinsfahne fünfundzwanzigmal den nahezu identischen Schnauzbart präsentiert – nimm dir die eine Minute extra, um zu erkunden, wie sorgsam der Fotograf das Bild aufgebaut hat, wie konzentriert die Porträtierten bei der Sache waren. Mit feinem Takt bringen die Herausgeber in Erinnerung, dass man niemals verachten soll, was einem Anderen wichtig ist. Natürlich sind diese Bilder „gestellt“. Aber hier liegt, anders als man im Zeitalter des vorgeblich authentischen, in Wahrheit belanglos herumzappelnden Schnappschusses meinen könnte, gerade ihre starke Seite. Wer stillhalten musste, nahm sich zusammen, wie es heute selten mehr geschieht.
Lehrreich ist allein schon, was für Gruppen es waren, die sich so für die Ewigkeit stellten. Familien selbstverständlich, mit einer oft unglaublich großen Zahl von Kindern; im bäuerlichen Raum kamen auch Knechte und Mägde mit ins Bild und nicht zuletzt, in bunter Reihe mit den Menschen, das Vieh, in absteigender Reihe vom Pferd bis zum Hund. Das Zunftwesen hat große Bedeutung, die Schlachter, die ihre Beile wie Kriegswaffen schwingen, die Käser, die Küfer, die Ski- und Schneeschuhbauer. Die Belegschaft einer Schuhfabrik, mehr als zweihundert Leute, hat einen Bodensee-Dampfer für den Betriebsausflug gechartert, die Sonne spielt verwirrend im Laubwerk und in den voluminösen Hüten der Arbeiterinnen, die sie tragen wie Bürgersfrauen; der Chef sitzt vorn, aber seitwärts, den Hut in der Hand, er scheint jedenfalls kein Leuteschinder gewesen zu sein. Traurig ist das Bild der Mädchen in einem Waisenhaus, alle in der gleichen freudlosen Schürze; fast gespenstisch die Abgangsklasse künftiger Arbeitsschullehrerinnen, von denen jede eine Puppe vor sich hält, als wäre es ihre eigene Seele. Der Rauchklub „Fidelitas“ paradiert mit grotesk großen Meerschaumpfeifen, zum Velo-Bundesfest treffen sich die Radfahrer, aber auch die Hebammen haben ihren Kongress: Hunderte von ihnen posieren vor den Gebäuden der Maggi-Fabrik, dazu, wie so oft, ein paar Zaungäste, die sich neugierig und nachweltlustig ins Bild schieben und ihm so eine nicht bestellte Extra-Dimension verleihen. Feuerwehrleute und Alpenführer lassen sich in halsbrecherischer Pose auf Leitern und Gletscherspitzen ablichten. Ein ganzer Verein beugt beim Feldgottesdienst, wie von einem Windstoß niedergestreckt, die Knie; ein katholischer Pfarrherr wird umwogt von einem Schwarm weiß gekleideter kleiner Mädchen – ein Bild, das sich heute keiner mehr trauen würde, bei dem sich aber damals offensichtlich niemand was Böses dachte. Ganz unspektakulär treten die Züricher Grasshoppers nach einem Fußballsieg ins Bild; doch die vielen Einheiten der neutralen Schweizer Armee lassen sich so martialisch auf die Platte bannen, als hätten sie die vielen Kriege, die in jener Zeit rings um sie herum tobten, selbst geführt, ja gewonnen.
Ja, ein bisschen operettenhaft wirkt es manchmal auch, dieses eminent Schweizer Buch. Als ein solches erkennt es ein Bewohner des „großen Kantons“ (wie Deutschland spöttisch von den Schweizern genannt wird) nicht nur an der prächtigen Ausstattung, die ein erkennbar großzügiges Mäzenaten- und Stiftungswesen im Rücken hat, sondern auch an seinem umfangreichen Sonderwortschatz: Mit einem „Järb“ wird ein Käselaib geformt, bei den hochfeierlichen Nikolaus-Umzügen gehen als Kinderschreck die „Schmutzlis“ mit, als Brustband beim Schwimmen (für Männer!) dient ein „Gstältli“. Als absolutes Prunkstück muss man ein ausklappbares Riesentableau bezeichnen, darstellend das „Jubiläums-Festspiel der Japanesengesellschaft in Yeddo-Schwyz“: 300 Akteure dieses eher kleinen Schweizer Urkantons spielen hier große Welt vor riesigen Gebirgskulissen; in einem abstrusen und überschwänglichen Stück Sommertheater haben ein Besuch des Kaisers von Japan, der Kampf der Helvetier gegen Caesar und das örtliche Sennenwesen ihren Platz gefunden.
Und man ging in seiner Festtagstracht manchmal einen weiten Weg zu Fuß an jenem besonderen Tag, von dem man sich sein gültiges Bild erwartete. Achte einmal darauf, wie schmutzig die Schuhe sind! rufen Hugger und Wolf dem Betrachter zu. Plötzlich sieht man sie, jene kleine unwillkürliche Spur inmitten des hochgradig gewollten Bildes.
BURKHARD MÜLLER
PAUL HUGGER, RICHARD WOLF: Wir sind jemand. Gruppenfotografien von 1870 bis 1945 – ein Spiegel der Gesellschaft. Benteli Verlag, Bern, Sulgen und Zürich 2012. 348 Seiten, 62 Euro.
Die Männer waren im Krieg, lagen vor Verdun oder an der Somme, als dieses frivole Bild einer Landpartie im Sommer 1916 entstand. Die militärische Geste der Ausflüglerinnen lässt sich als Gruß an die fernen Soldaten verstehen, wobei die schmutzige Realität dieses Krieges gleichwohl ausgeblendet wird, schließlich sitzen die Mädchen auf imaginären Kavalleriepferden, statt in Schützengräben zu liegen. Der Fotograf, der „Mademoiselle Emilie Baumann, Un petit souvenir d’ une excursion sur la montagne de Boudry en été 1916“ inszenierte, ist unbekannt.
Foto: Benteli
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