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Produktdetails
  • Verlag: Arche Verlag
  • Seitenzahl: 172
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 302g
  • ISBN-13: 9783716039038
  • ISBN-10: 3716039039
  • Artikelnr.: 09817497
Autorenporträt
Constantin Floros, geb. 1930 in Saloniki, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie in Wien. 1955 Promotion, 1961 Habilitation. Von 1967 bis 1995 war er als Professor für Musikwissenschaft an der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Musik des Mittelalters und des 18., 19. und 20. Jahrhunderts tätig. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Erfurt und Präsident der Mahler-Vereinigung Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2002

Adorno als Postillon d'amour
Constantin Floros liest Alban Bergs Briefe an Hanna Fuchs neu

Im Jahr 1976 entdeckte der amerikanische Musikologe George Perle im Nachlaß von Hanna Fuchs, der Schwester Franz Werfels und Gattin des Prager Industriellen Herbert Fuchs-Robettin, vierzehn "geheime" Briefe von Alban Berg sowie ein für sie annotiertes Exemplar seiner "Lyrischen Suite", die eine bisher nur den Eingeweihten bekannte leidenschaftliche Liebe des Komponisten in seinem letzten Lebensjahrzehnt enthüllten. Hanna hat diese teilweise fast unleserlichen, mit Bleistift auf Eisenbahnfahrten und in unbeobachteten Momenten aufs Papier geworfenen Briefe sorgfältig gehütet und sie in die Emigration, zu der das jüdische Ehepaar Fuchs-Robettin nach der Einnahme Prags durch die Nationalsozialisten gezwungen war, mitgenommen: in die Schweiz, nach London und schließlich in die Vereinigten Staaten, wo Hanna Fuchs gestorben ist.

Mit der Entdeckung dieser Liebesbeziehung fiel ein Schatten auf die scheinbar so harmonische Ehe von Alban und Helene Berg, die Theodor W. Adorno, der es eigentlich besser wissen mußte, gar zum "Hohen Paar" stilisiert hat. Von Bergs Ehe können wir uns indessen bis heute kein genaues Bild machen, da von den etwa fünfzehnhundert Briefen, die er an seine Frau gerichtet hat, nur etwas mehr als ein Drittel veröffentlicht ist.

Der Hamburger Musikwissenschaftler Constantin Floros, der längst nachzuweisen versucht hatte, daß die Instrumentalkompositionen Bergs mitnichten "absolute Musik" sind, sondern daß ihnen, zumal der "Lyrischen Suite", geheime Programme zugrunde liegen, sah sich durch die Entdeckung Perles in seinen Vermutungen bestärkt. Nun hat er alle Dokumente dieser "Geschichte einer unglücklichen Liebe" ediert und eine biographische Studie sowie detaillierte Analysen der "Lyrischen Suite" und der Konzertarie "Der Wein" vorgelegt, in denen diese Liebe codiert ist.

Am 20. Mai 1925 brachte Alexander von Zemlinsky in Prag Bergs "Drei Bruckstücke für Gesang und Orchester aus der Oper "Wozzeck" zur Aufführung. Auf Anregung Alma Mahlers und Franz Werfels lud das Ehepaar Fuchs-Robettin Berg ein, eine Woche in ihrer Villa im Nobelviertel Bubenec zu wohnen. Berg war fasziniert vom luxuriös-eleganten Lebensstil seiner Gastgeber. Vor allem aber verfiel er dem erotischen Zauber von Hanna Fuchs, der er am Tag der Aufführung der "Wozzeck"-Bruchstücke seine Liebe gestand, die nicht unerwidert blieb. Jedenfalls schreibt Berg zwei Monate später an Hanna von dem "Glück" der Tage in ihrem Haus, erinnert an die einzelnen Momente dieses Glücks, zumal "die heiligsten - die ganz großen Ewigkeitsmomente in der Bibliothek". Die Leidenschaft für Hanna Fuchs, die "Einzige, Herrliche, Unsterblich-Geliebte", warf Berg völlig aus der Bahn: "Denn wisse: ich bin seit diesem größten Ereignis nicht mehr ich. Ich bin ein in stetem Herzklopfen dahintorkelnder Wahnsinniger geworden" - dem selbst das Komponieren zur Qual wird. Zwar hatten Berg und Hanna Fuchs vereinbart, sich keine Briefe zu schreiben, um ihrer beider Ehe nicht zu stören, doch nur Hanna hielt sich an diese Vereinbarung - von ihr gibt es keinen einzigen Brief an Berg. Doch daß sie sich in ihrer Liebe einig waren, daran lassen die Briefe Bergs, die sich immer auf die gemeinsamen Gefühle beziehen, keinen Zweifel. Diese Gefühle sind von heftigen sinnlichen Phantasien getragen, so wenn Berg die Geliebte eifersüchtig bittet, nicht mit anderen Männern zu tanzen.

So sehr Berg zur "Entsagung" entschlossen ist, da ihm davor graut, "jenes namenlose Glück unserer Vereinigung auf dem Unglück der Anderen aufzubauen", begehrt er doch immer wieder gegen dieses "Opferbringen heiligster Leidenschaften" auf, keimen Haßgefühle gegenüber seiner Frau und Hannas Gatten auf, zumal wenn er sich in der Gegenwart dieser längst alles Ahnenden der "fürchterlichen Kontrolle" von zwei "mörderischen Augenpaaren" ausgesetzt fühlt. Hanna, die sich außerstande sieht, ihre Ehe und ihre beiden Kinder aufzugeben, hat schließlich den verschwiegenen seelischen Druck der Liebe zu Alban Berg nicht mehr ausgehalten und sich zu dessen Entsetzen ihrem Mann schließlich offenbart. Damit geriet ihre Liebe in eine noch aussichtslosere Lage. Gleichwohl hat Berg unbeirrt an ihr festgehalten. In seinem letzten Brief an Hanna vom 14. Dezember 1934 verweist er auf das zehnjährige Jubiläum ihrer ersten Begegnung im folgenden Mai. Er sollte es nicht mehr erleben, zehn Tage nach diesem Brief starb er an den Folgen einer Blutvergiftung.

Berg konnte seine glühenden Liebesbriefe - sie gehören zu den ergreifendsten, die wir aus der Feder eines Komponisten kennen - natürlich nicht dem Postweg anvertrauen. Er war auf die persönliche Übergabe durch Freunde angewiesen. Das waren zumal Alma Mahler, Franz Werfel und vor allem Theodor W. Adorno, der sich als "postillon d'amour" freilich, wie er 1955 in seinen "Aufzeichnungen über Berg" gestanden hat, so täppisch anstellte, daß Hannas Mann mehr und mehr Verdacht schöpfte.

So leidenschaftlich und spontan diese Liebe zweifellos gewesen ist - sie trägt doch Spuren einer literarischen Imitatio. Der allgewaltige Schatten Richard Wagners fällt auch auf sie. Unverkennbar stilisiert sich diese Liebe nach dem Muster der Beziehung von Wagner und Mathilde Wesendonck - bis hin zu dem gleichen "Entsagungs"-Pathos in den jeweiligen Briefen. Seine Leidenschaft für Hanna, so schreibt Berg, sei "nur vergleichbar mit der Tristans und Isoldes, Pelleas und Melisandens". "Tristan"-Reminiszenzen finden sich deshalb auch in der "Lyrischen Suite", die er Hanna als "Bekenntnis (das aber niemand was angeht als Dich!) unseres Liebe-Erlebens" zueignet. Äußerlich "widmet" er seine Komposition Zemlinsky, dessen "Lyrische Symphonie" in der Tat notengetreu zitiert wird - innerlich aber schenkt er sie Hanna. In den Worten "Du bist mein Eigen, mein Eigen!", die dem Zemlinsky-Zitat unterlegt sind, werden beide "Widmungen" eins. Die Zueignung an Hanna drückt Berg strukturell in den "geheimen Beziehungen" der Zahlen 10 und 23 aus, die symbolisch für Hanna und ihn stehen, oder in der Verewigung ihrer Initialen HF und AB als Tonbuchstaben, "die ja, verschlungen, auch die Anfangs- und Endtöne des Tristan-Themas sind". Das sind, wie Constantin Floros nachweist, nicht die einzigen "Tristan"-Anspielungen in der "Lyrischen Suite", deren "Largo desolato" gar die Vorstellung des Liebestods chiffriert, in der Berg seine eigene Liebe zu Hanna versenkt.

Nach dem plötzlichen Tode Bergs war es für seine Frau Helene ein seelisch äußerst belastendes Problem, wie sie mit der Liebe und der Geliebten ihres Gatten umgehen sollte. Auf Rat ihrer Freunde - gegen den Protest Adornos, dem sie jedoch nicht traute - schenkte sie Hanna Fuchs die Originalpartitur der "Lyrischen Suite", doch diese schlug das Geschenk aus - verschweigend, daß sie etwas für sie selbst viel Wertvolleres besaß: die von Berg persönlich für sie annotierte gedruckte Partitur der Komposition. Helene Berg gab sich der Illusion hin, die Beziehung ihres verstorbenen Mannes zu Hanna Fuchs sei nur eine "poetische Liebe", eine romantische Vision gewesen, die er als Künstler gebraucht habe: "Das alles läßt auf Flucht vor der Wirklichkeit schließen. So und nur so konnte die Lyrische Suite entstehen."

Adorno hat Helene Berg in dieser Sicht der Dinge bestärkt. Ob aus wirklicher Überzeugung, wegen einer Antipathie von Hanna Fuchs gegen ihn oder aus Loyalität gegenüber der Witwe hat er 1936 in einem langen Brief die "Sache Hanna Fuchs", wie er sich desillusionierend ausdrückt, heruntergespielt und behauptet, daß Berg jene "weit mehr liebte, um die Lyrische Suite schreiben zu können, als daß er die Lyrische Suite um der Liebe willen schrieb". Er übernimmt hier haargenau eine scharfsinnige Bemerkung von Paul Bekker über die Relation zwischen Wagners Liebe zu Mathilde Wesendonck und seinem "Tristan". Während man sich Bekkers Argument kaum entziehen kann, will dasjenige Adornos nicht recht überzeugen. Wagner, der das Leben auf das Werk, nicht das Werk auf das Leben bezogen hat, hätte niemals eine Komposition als chiffriertes Liebesbekenntnis angelegt oder etwa an Mathilde Wesendonck wie Alban Berg an Hanna Fuchs geschrieben: "Der Gedanke an meine Musik ist mir ebenso lästig und lächerlich, als jeder Bissen Nahrung, den ich gezwungen bin hinunterzuwürgen. Nur ein Gedanke, nur ein Trieb, nur eine Sehnsucht beseelt mich: das bist Du!"

Adorno hat Hanna Fuchs zu einer Art Fontanescher Jenny Treibel stilisiert. Eine "Bourgeoise durch und durch" nennt er sie in seinem Brief an Helene Berg, "die einmal von der Möglichkeit des Andersseins gestreift wurde, ohne sie selber nur erfüllen zu können". Das Geschenk der Originalpartitur der "Lyrischen Suite" wäre für sie, die vermutlich gar keine Noten lesen könne, nur ein "Museumsstück und Fetisch", der allenfalls "den Narzißmus einer zu Tode Gelangweilten zu befriedigen" vermöchte. Daß dieses Urteil unangemessen ist und die Liebe Alban Bergs, die große tragische Leidenschaft seines Lebens, unzulässig verkleinert, Adorno hat es schwerlich geahnt. Der Inhalt der Briefe, die er da als ungeschickter Postillon d'amour in die Villa Fuchs-Robettin lieferte, ist ihm unbekannt geblieben.

DIETER BORCHMEYER

Constantin Floros: "Alban Berg und Hanna Fuchs". Die Geschichte einer Liebe in Briefen. Arche Verlag, Zürich und Hamburg 2001. 176 S., Abb., geb., 23,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Denn wisse: ich bin seit diesem größten Ereignis nicht mehr ich. Ich bin ein in stetem Herzklopfen dahintorkelnder Wahnsinniger geworden": Diese Zeilen, die vor Liebe, Lust und Leidenschaft triefen, stammen von Alban Berg. Adressiert sind sie aber keineswegs an die holde Gattin Helene Berg - beide hatte Adorno zum "Hohen Paar" stilisiert -, sondern an die Geliebte Hanna Fuchs, Schwester Franz Werfels. Einen Einblick in die Geschichte dieser geheimen Liebe gibt der Hamburger Musikwissenschaftler Constantin Floros, der 14 Liebesbriefe von Berg an Fuchs ediert und, mit einer biografischen Studie sowie musikwissenschaftlichen Analysen versehen, unter dem Titel "Alban Berg und Hanna Fuchs" herausgegeben hat. Dem Rezensenten Dieter Borchmeyer hat diese Liebesgeschichte (lesbar) gefallen - so sehr, dass seine Kritik eher einer Nacherzählung der Liebe und der Analyse-Ergebnisse von Floros gleichkommt als einer literaturkritischen Beurteilung. Allzu verständlich, bietet doch diese Geschichte Stoff für mehrere Romane. Aspekte dieser Liebe sind: Die glühenden Liebesbriefe an sich, die Berg über zehn Jahre, nachdem er die Verheiratete 1925 in Prag kennenlernte, an Fuchs schrieb; Briefe, die er nicht mit der Post, sondern, so Borchmeyer, über "postillons d'amour" der Geliebten zukommen ließ - einer davon war Adorno, der die Briefe ungeschickt und allzu auffällig an Fuchs übergab. Ein weiterer Aspekt: die Codierung der Liebesbeziehung in Bergs "Lyrischer Suite" und der Konzertarie "Der Wein" - Floros weist etwa nach, dass die Liebe sich in den "geheimen Beziehungen" der Zahlen 10 und 23, eine symbolische Entsprechung der beiden Liebenden, strukturell ausdrücke. Dritter Aspekt: Adornos Reaktionen auf das Liebesverhältnis - gegenüber der Gattin Bergs spielte er sie als "Sache Hanna Fuchs" herunter, die er zu einer Fontaneschen Jenny Treibel stilisierte.

© Perlentaucher Medien GmbH
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