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Produktdetails
  • Verlag: Arche Verlag
  • Seitenzahl: 222
  • Deutsch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 280g
  • ISBN-13: 9783716023136
  • ISBN-10: 3716023132
  • Artikelnr.: 11339393
Autorenporträt
Hermann Vinke wurde 1940 in Rhede/Emsland geboren. Er studierte Geschichte und Soziologie an der Universität Hamburg und arbeitete bis 1981 als Redakteur beim NDR. Anschließend lebte er fünf Jahre als ARD-Korrespondent in Tokyo und vier Jahre als NDR/WDR-Korrespondent in Washington. Vinke kehrte 1990 nach Deutschland zurück, wo er das ARD-Studio Ostdeutschland in Berlin leitete. Von 1992 bis 2000 war er Hörfunkdirektor bei Radio Bremen.
Vinke schreibt seit 1978 Jugendbücher. Ihm ist es wichtig, dass vor allem junge Menschen aus der Geschichte und den Fehlern der Vergangenheit lernen. Für seine Bücher erhielt er einige der wichtigsten Jugendliteraturpreise.
Hermann Vinke lebt in Bremen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2003

Blick aus der Zelle in die Sterne
Hermann Vinkes ausführliches Porträt der Cato Bontjes van Beek

Vielleicht hat nichts Hitlers finstere Seele so restlos blamiert wie das kurze Leben der Cato Bontjes van Beek. Er konnte sich hinter keinem Kollektivwillen verstecken, als er vor dem vielstimmigen Gnadengesuch saß, dem bereits der Präsident des Reichskriegsgerichts und selbst Göring zugestimmt hatten. Wer dem Führer auf dem Papier entgegentrat, zeigt erst jetzt ganz das Porträt Hermann Vinkes, dem Tim Bontjes van Beek, der Bruder der heute vor sechzig Jahren, am 5. August 1943, durch das Fallbeil Ermordeten, "plein pouvoir" über sein Fischerhuder Privatarchiv gewährt hat.

Die Stärke des Buchs liegt denn auch in der ausführlich zitierten und ausgewerteten Korrespondenz, die Cato während eines längeren Englandaufenthalts und zwei Schuljahren in Amsterdam, vor allem aber in den zehn Monaten ihrer Gefangenschaft mit der Familie unterhielt. Wertvolle Quellen waren auch die Memoiren der Schwester Mietje und festgehaltene Gespräche, die Catos Neffe Daniel Bontjes van Beek mit Mietje und Catos Mutter, der Tänzerin und Malerin Olga, geführt hat. Vinkes eigener, sein Material paraphrasierender Duktus bleibt daneben ein wenig steif und nicht frei von Klischees, die Cato Bontjes van Beeks Persönlichkeit vor allzu viel Respekt zu nivellieren drohen. Doch sobald sie selbst zu Wort kommt, zeigt sich, daß ihr Charakter keine Fürsprecher braucht.

Unaufgeregt und sachlich spricht Hermann Vinke ihre kurze und fatale Mitgliedschaft in der "Roten Kapelle", der moskaufreundlichen Berliner Widerstandsgruppe, an, die das Gedächtnis der jungen Frau lange in den Schatten politischer Querelen stellte. Der Kopf der "Roten Kapelle", Harro Schulze-Boysen, und seine charismatische Frau Libertas, mit der Cato rasch Freundschaft schloß, konnten ihr auch ohne größeren ideologischen Konsens plausibel machen, daß nur eine militärische Niederlage Hitlers Sturz bewirken würde. Daß die Sowjetunion dabei wohl oder übel als vertrauenswürdiger Partner angesehen wurde, erklärt Vinke nicht zuletzt aus der Furcht vor einem neuen "Versailles" im Falle des Westsiegs - einer potenzierten Wiederauflage des Reparationsvertrags, dessen harte Forderungen den Aufstieg der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik gefördert hatten. Die Naivität, mit der sich der Schulze-Boysen-Kreis auf die Freunde im Osten verließ, rächte sich bitter: In verschlüsselten Funksprüchen hatte Moskau hemmungslos Namen und Adressen aus dem Berliner Widerstand preisgegeben. Als ein Funker auf der Folter den Code verriet, war die ganze Gruppe ausgeliefert.

Nach Jugendjahren in Fischerhude bei Bremen zog die 1920 geborene Cato mit siebzehn zu ihrem geschiedenen Vater, dem Kunstdozenten und Keramikspezialisten Jan Bontjes van Beek, nach Berlin. Sie war arglos, in der Weltliteratur belesen, zu tiefen Gefühlen fähig - eine Idealistin, der die Vervielfältigung regimekritischer Flugblätter als natürliche Fortsetzung ihrer heimlichen Betreuung französischer Kriegsgefangener erschien. Über sich hinaus wuchs sie, wie Vinke zu Recht bemerkt, als sie ihr überschäumendes, gewinnendes Wesen in der Gestapohaft aufrechterhält. Zahlreiche Zeugnisse bestätigen, welche Bedeutung ihr Singen, ihre seelenruhigen Gymnastikübungen und ihr Optimismus selbst nach der Verkündung des Todesurteils für geschundene Mithäftlinge hatten. Wärterinnen konnten ihrer Herzlichkeit nicht widerstehen und sahen über den Schmuggel von in der Wäsche versteckten Briefen und gelegentlichen Blumen hinweg; eine Wärterin war es, die am 5. August vor der Tür von Berliner Verwandten der Bontjes,stand und schluchzend verkündete, daß Cato am Morgen zur Hinrichtungsstelle Plötzensee verschoben worden war und wohl nicht mehr lebe. Offiziell wird diese Nachricht der Mutter erst zehn Tage später zugestellt, zu einem Zeitpunkt, als man die Leiche schon der Berliner Anatomie zur freien Verfügung übergeben hat.

Tief in die intimste Sphäre der nur zweiundzwanzig Jahre alt Gewordenen führt auch die Diskrepanz zwischen ihren tapferen Lebenszeichen, in denen sie vom Sternenhimmel über dem Zellenfenster, von Lektüreeindrücken und ihren Gedanken erzählt, die sich in der Freiheit aufhalten, und dem Zusammenbruch, der sich erst einstellt, als sie beim letzten Besuch ihres Bruders in seinen Augen den eigenen Zustand gespiegelt sieht: "Sie hatte eine völlig durchsichtige graue Haut und war furchtbar aufgeschwemmt im Gesicht und am Körper (durch die Wassersuppen). Sie weinte bitterlich, als sie mich sah", hält Tim Bontjes van Beek in seinem Kriegstagebuch fest. In ihren Abschiedsbriefen, die sie am Tag der Exekution schon in Plötzensee schreibt, hat sie sich wieder völlig in der Gewalt. Sie macht ihren Nächsten das, was ihnen ohnehin am nächsten liegt, zur Pflicht: Tim die musikalische Laufbahn, Mietje und der Mutter das Malen. So und indem sie von ihrer Gewißheit spricht, in ihnen weiterzuleben, bewahrt sie die Zurückbleibenden vor selbstzerstörerischen Reaktionen. Der Gefängnispfarrer Dr. August Ohm hat sein letztes Gespräch mit der gläubigen Christin festgehalten. Er ist es, der fassungslos fragt, was sie so erstaunlich ruhig sein läßt. "Einmal", sagt sie, "daß dies kein Ende bedeutet. Und dann, daß die Entwicklung, so wie wir sie alle ersehnt haben, voranschreitet." Und als er die äußerste Frage nach der Furcht vor dem körperlichen Ende stellt, antwortet Cato: "Ich mache einfach die Augen zu im letzten Moment." Und dann: "Wir brauchen uns nicht wie Diebe aus der Welt zu schleichen."

Offenbar hatte die Zweiundzwanzigjährige eine Ahnung von dem Gewicht, das ihr Opfer in den kommenden Jahrzehnten auf der Waagschale des Weltgerichts entfalten würde - auch wenn es dem von den Amerikanern exkulpierten Chefankläger des Reichskriegsgerichtes in den fünfziger Jahren zunächst noch einmal gelang, das Andenken an die von ihm selbst zum Tode Verurteilte zu diffamieren. "Die Menschen sind alle lieb und gut, das weiß ich", schrieb sie in der Todesstunde ihrer Mutter - und vernichtete damit ihren Henker.

INGEBORG HARMS

Hermann Vinke: "Cato Bontjes van Beek. ,Ich habe nicht um mein Leben gebettelt'". Ein Porträt. Arche Verlag, Zürich/Hamburg 2003. 224 S., 26 Abb., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Ingeborg Harms zeigt sich recht angetan von Hermann Vinkes Porträt Cato Bontjes van Beek, die als Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime am 5. August 1943 durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Wie Harms berichtet, konnte Vinkes für seine Arbeit auf das Privatarchiv von Tim Bontjes van Beeks, Catos Bruder, zugreifen, was sich auf das Buch sehr positiv ausgewirkt hat. Seine Stärke liegt für Hamrs nämlich vor allem in der von Vinkes "ausführlich" zitierten und ausgewerteten Korrespondenz, die Cato während eines längeren Englandaufenthalts, zwei Schuljahren in Amsterdam und vor allem aber in den zehn Monaten ihrer Gefangenschaft mit der Familie unterhielt. Daneben findet sie Vinkes eigenen Stil ein "wenig steif". Zudem hält sie ihm vor, dass er "vor allzu viel Respekt" Catos Persönlichkeit zu nivellieren drohe. Was Cato, die Harms als Idealistin, als arglos, in der Weltliteratur belesen und zu tiefen Gefühlen fähig charakterisiert, gar nicht nötig habe. Wobei Harms besonders beeindruckt hat, dass Cato ihr "überschäumendes, gewinnendes Wesen" selbst in der Gestapohaft bewahrt hat.

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