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Der Salzburger 'Jedermann' war 1920 die Antwort zweier irritierter Großkünstler auf den Sturm von Revolution und Avantgarde in den Metropolen: ein Akt der Restauration im barocken Gewand. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal sah zuerst im 'Volk' seinen Adressaten, nicht im mondänen Publikum, und Max Reinhardt, Regisseur mit Hollywood-Instinkt, fand vor dem Dom die Traumkulisse für das Erbauungsspiel, in dem der kleine Mann Tröstung finden sollte: Der Kapitalist und Lebemann muss ebenfalls dran glauben - wenn auch erst ganz zuletzt. Der ideale Darsteller dafür war Alexander Moissi, ein früher Star…mehr

Produktbeschreibung
Der Salzburger 'Jedermann' war 1920 die Antwort zweier irritierter Großkünstler auf den Sturm von Revolution und Avantgarde in den Metropolen: ein Akt der Restauration im barocken Gewand. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal sah zuerst im 'Volk' seinen Adressaten, nicht im mondänen Publikum, und Max Reinhardt, Regisseur mit Hollywood-Instinkt, fand vor dem Dom die Traumkulisse für das Erbauungsspiel, in dem der kleine Mann Tröstung finden sollte: Der Kapitalist und Lebemann muss ebenfalls dran glauben - wenn auch erst ganz zuletzt. Der ideale Darsteller dafür war Alexander Moissi, ein früher Star und Frauenschwarm mit Villen und schicken Autos. Am populären, die Funktionsweise von Massenkultur und Yellow Press vorwegnehmenden Konzept, später mit Stars wie Curd Jürgens, Maximilian Schell, Klaus Maria Brandauer bis hin zu Ulrich Tukur fortgeführt, prallt bis heute jeder Reformversuch ab. Die Festspiele haben sich ästhetisch gewandelt, 'Jedermann' bleibt, den einen zum Ärgernis, den anderen zur Genugtuung, was er ist: ein Hort permanenter Restauration. Wer den 'Jedermann-Mythos' verstehen will, muss seine Geschichte kennen. Und wer die Neuinszenierung von Christian Stückl, dem Passionsspiel-Regisseur aus Oberammergau, beurteilen will, muss Andres Mürys 'Geschichte eines Salzburger Kults' lesen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2002

Der zählebige Untote
Ein sauberer antiquarischer Spaß: Der Salzburger Jedermann-Kult

Es wird mindestens so eng mit Salzburg in Verbindung gebracht wie die Mozartkugel, die Nockerln oder der Nieselregen, obwohl es weder süß noch luftig oder flüssig ist (wenngleich sehr nach oben orientiert): Hugo von Hofmannsthals erfolgreichstes Bühnenwerk "Jedermann" ist das typischste aller Salzburger Festspielstücke. Uraufgeführt wurde das berühmte "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" allerdings am Neujahrstag 1911 hoch im preußischen Norden, wo es Max Reinhardt im Berliner Zirkus Schumann vor dreitausendzweihundert Zuschauern inszenierte. Das Publikum strömte, die Kritik stöhnte. Alfred Kerr sprach von einem "Abend für treuherzige Gemüter", Gerhart Hauptmann von einem "sauberen antiquarischen Spaß". Der allerdings entpuppte sich seit den ersten Salzburger Festspielen 1920 als deren unverwüstlicher Zuschauermagnet. Die Tribüne mit den zweitausend Sitzplätzen auf dem Domplatz ist regelmäßig ausverkauft, etwa neunzehntausend Zuschauer lassen jährlich inzwischen rund 1,3 Millionen Euro Eintrittsgelder zurück.

Über die steile Laufbahn dieses Goldesels, über Künstlerisches und Kurioses, Ränke und Rankünen im Umgang mit ihm hat der Theaterpublizist Andres Müry eine leichthändig-amüsante Betrachtung geschrieben: "Jedermann darf nicht sterben". Leider hat das Buch weder ein Personenregister noch ein Inhaltsverzeichnis, verfügt jedoch über eine solide Chronik und einen liebevoll zusammengestellten Fototeil.

"Jedermann" als vor allem tourismusrelevantes Ritual, daran läßt Müry trotz kritischer Ironie und wohlwollender Distanz keinen Zweifel, triumphiert längst jenseits von Kunst und Kommerz, von Gut und Böse. Der Autor interpretiert die einst als "Kampfansagen" an den Fortschritt verstandenen Darbietungen nunmehr als "Spektakel des Todes", in dem sich eine säkularisierte Freizeitgesellschaft ihren Ablaß für das Verdrängen von Krankheit, Not und Sterben holt. So nimmt dieses "Trutzstück der Antimoderne mit seiner katholisch-restaurativen Botschaft" einen festen Platz zwischen Oberammergau und Bayreuth ein. Ausgerechnet "Jedermann", dieser Theater-Untote, der nicht leben und nicht sterben darf, fungiert dabei ironischerweise als vitales Memento mori.

IRENE BAZINGER.

Andres Müry: "Jedermann darf nicht sterben". Geschichte eines Salzburger Kults 1920-2001ff. Pustet Verlag, Salzburg 2001. 160 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der "Jedermann" in Salzburg ist Kult - wer aber glaubt, er habe dort auch seine Uraufführung erfahren, der liegt falsch. Irene Bazinger informiert uns darüber, dass Max Reinhardt das legendäre "Spiel vom Sterben des berühmten Mannes" im Berliner Zirkus Schumann uraufgeführt hat. Kritiker wie Alfred Kerr ließen nicht viel Gutes an dem Stück - und die Leute strömten dennoch ins Theater. Aber hätte jemals ein Verriss das Publikum ferngehalten? Eher im Gegenteil. Heute nehme der Salzburger "Jedermann" seine feste Position zwischen Bayreuth und Oberammergau ein, als "Spektakel des Todes in einer säkularisierten Freizeitgesellschaft", zitiert Bazinger den Autor. Dieser habe dem Publikumsmagneten eine ironisch-kritische Betrachtung gewidmet und den Weg des Erfolgsstücks zurückverfolgt. Ein hübscher Fototeil und eine Chronik laden zum Stöbern in der Theatergeschichte ein, leider aber, so Bazinger, wurde auf ein Personenregister und ein Inhaltsverzeichnis verzichtet.

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