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Niemals war mehr von Kreativität die Rede als heute. Sie ist nicht mehr Privileg einiger weniger, sondern gilt als menschliches Grundvermögen. Irgendwo zwischen Lyrik und Ausdruckstanz, Bildermalen und Musikauflegen sollte kreativ tätig werden, wer auf der Höhe der Zeit sein will. Aber dieser Kreativitäts-Imperativ ist für viele eine Überforderung. Entsprechend groß ist der Bedarf nach Kreativitätstechniken; gesucht ist Inspiration, wo auch immer sie herkommen möge, sogar Konsumprodukte werben damit, stimulieren zu können. Und von der Kunst erwartet man mittlerweile auch keine großen…mehr

Produktbeschreibung
Niemals war mehr von Kreativität die Rede als heute. Sie ist nicht mehr Privileg einiger weniger, sondern gilt als menschliches Grundvermögen. Irgendwo zwischen Lyrik und Ausdruckstanz, Bildermalen und Musikauflegen sollte kreativ tätig werden, wer auf der Höhe der Zeit sein will. Aber dieser Kreativitäts-Imperativ ist für viele eine Überforderung. Entsprechend groß ist der Bedarf nach Kreativitätstechniken; gesucht ist Inspiration, wo auch immer sie herkommen möge, sogar Konsumprodukte werben damit, stimulieren zu können. Und von der Kunst erwartet man mittlerweile auch keine großen Meisterwerke, sondern eine kreative Atmosphäre. Kreativität als Problem - Wolfgang Ullrich zeigt mit seinen unerwarteten Thesen neue Perspektiven auf.
Autorenporträt
Ullrich, Wolfgang
Wolfgang Ullrich geboren 1967 in München, war bis 2015 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und Programmleiter des Festivals der Bildenden Kunst in Düsseldorf. Seither freiberuflich als Autor, Kulturwissenschaftler und Berater. Zahlreiche Publikationen, zuletzt erschienen: "Des Geistes Gegenwart" (2014).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wolfgang Ullrichs Essay "Der kreative Mensch" verfügt nicht über die gleiche Streitlust und "Schlagkräftigkeit" wie sein ebenfalls gerade erschienenes Werk "Siegerkunst", schreibt Till Briegleb. Dennoch liest der Kritiker interessiert, wie der Kunsthistoriker mit kulturgeschichtlicher Kenntnis die Entwicklung des Kreativitätsanspruchs vom Privileg einer intellektuellen Elite bis über Beuys und die Sozialdemokratie bis zu den Zwängen der Leistungsgesellschaft nachzeichnet. Angenehm zu lesen, aber wenig überraschend, urteilt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.05.2016

Millionen für ein zerwühltes Bett
Warum befriedigt der Kunstbetrieb vor allem Luxusbedürfnisse? Und was passiert,
wenn Kreativität zur Norm wird? Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sucht Antworten
VON TILL BRIEGLEB
Versuche, die Moderne zu beerdigen, hat es in den vergangenen Jahrzehnten diverse gegeben. Mit Begriffen wie „Postmoderne“, „Zweite Moderne“ oder „Ende der Geschichte“ wurde ihre Überkommenheit behauptet. Sphären-, Netz-, Schwarm-, Emergenz- und andere naturwissenschaftliche Modelle wurden mühsam in theoretische Systembilder umkonstruiert, um das Moderne-Projekt des rationalen Fortschritts durch neue Begrifflichkeiten abzulösen. Doch 130 Jahre, nachdem der Literaturwissenschaftler Eugen Wolff im Hinterzimmer einer Kneipe den Epochenbegriff ausgeheckt hatte, ist er stärker im Gebrauch als je zuvor. Was natürlich kein Grund sein kann, das Unbehagen mit diesem aufgeladenen Wort ad acta zu legen.
  Vielmehr ist es sehr modern, die Moderne unmodern zu finden. Allerdings können das wenige Autoren so luzide wie Wolfgang Ullrich. Sein Essay „Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust“ sagt der Epoche leise „servus“. In einer nüchternen, gelegentlich ironischen Klarheit von beinahe angelsächsischer Eleganz untersucht Ullrich den zeitgenössischen Kunstmarkt unter dem Blickwinkel, welche zentralen Werte und Haltungen des vergangenen Jahrhunderts durch den neuen ökonomischen Hype um das „Werk“ ihre Wirksamkeit verloren haben.
  Waren es im Zeitalter der Ismen die Authentizität und Autonomie des Künstlers, die bildungsbürgerliche Auseinandersetzung um Werkinhalte, die Adelung durch das Museum, die erklärte Unbefangenheit von Sammlern wie Kritikern im Urteil, oder die gesellschaftliche Relevanz einer ästhetischen Provokation, die den Rang eines Werks bestimmten, so hat jede dieser Kategorien gegenüber dem Marktwert massiv an Bedeutung verloren.
  Im Zeitalter von Mondpreisen für „Siegerkunst“, wo Sammlermuseen die erste Adresse für Künstler, Kuratoren und Besucher werden und das schillernde Image von erfolgreichen Ästhetikunternehmern wie etwa Jeff Koons, Olafur Eliasson, Takashi Murakami, Anselm Reyle, Andreas Gurski und Damien Hirst die größte Bewunderung erregt, ist der hehre und strenge Ruf der Moderne, autonome kritische Kunst zu produzieren, vollkommen obsolet geworden.
  „Siegerkunst“ ist für Ullrich also weniger ein Synonym für die Stars des Marktes oder die Verherrlichung des Auftraggebers durch bestellte Werke, wie es sie früher schon gegeben hat. „Bei Siegerkunst geht es um Besitz und nicht um Rezeption“ lautet die zentrale kulturpessimistische These des Buches, und das meint eine Anamnese des Gesamtsystems. Kunstwerke, so Ullrich, sind keine Artefakte mehr, denen man mehr zutraut als anderen Waren. Und diese Wertung bezieht er auch auf die sogenannten Biennale-Künstler, die er als weiteres „Wohlstandsphänomen“ klassifiziert, verantwortlich für die „repräsentative Dimension von moralischer Gesinnung“. Die kritischen Künstler seien letztlich nichts anderes, als „ein Schmuckwerk oppositionellen Geistes, mit dem sich kritische Milieus der Gesellschaft als aufgeklärt brüsten können.“
  Den alles bestimmende Wert des Preises, der zum zentralen Bedeutungsargument geworden ist, haben zwar auch schon andere Beobachter vor Ullrich kritisiert. Aber mit „Siegerkunst“ legt Ullrich nun einen umfassenden Essay vor, der den grundsätzlichen Wandel in ein Statusprodukt und die Auswirkungen dieser neuen Markttauglichkeit für alle Schaltstellen des Kunstbetriebs treffend benennt.
  Ullrich analysiert die Generation von marktbestimmenden Superreichen, denen „Kunst“ lediglich zum persönlichen „Souveränitätsgewinn“ dient – wobei dieser umso höher ausfällt, je größer die Lücke zwischen offensichtlicher Wertlosigkeit des Objekts und dem dafür gezahlten Preis ist. Er beschreibt die willfährige Deutungspropaganda abhängiger Kuratoren und Katalogtextverfasser, die auch dem offensichtlichsten Markenprodukt aus einer Künstlerwerkstatt mit gestelzter Prosa Relevanz andichten.
  Und er belegt umfassend und mit durchaus scharfen Kommentaren, wie sich eine konsum- und statusgelenkte Gesellschaft diesem Mechanismus völlig ergibt. Inhaltlich orientiert man sich an einer Gruppe sehr reicher Menschen, die mit ihren Kaufentscheidungen jede Diskussion überflüssig machen. Wenn für ein zerwühltes Bett Millionen bezahlt werden, dann muss es Ausdruck von Tiefsinn sein. Nach dieser Logik funktioniere inzwischen die inhaltliche Wertschöpfung, und alle Marktbeteiligten, vom Sammler zum Kunstvermittler, vom Künstler bis zum Museumsbesucher, ja selbst die Kritiker und Kunsthistoriker bedienen dieses System.
  Ullrichs Grabrede auf die Moderne und ihren diskursiven Geist – die auf die Kunst gemünzt ist, aber durchaus das ganze kulturelle System meint –, kann man sicherlich vorwerfen, dass sie wenig Aussicht und Alternativen gewährt. Und mit dem Begriff „Siegerkunst“ erfindet er auch keinen wirklich eingängigen neuen Epochenbegriff. Aber dafür meidet Ullrich die wackeligen Begriffsgebäude und sprachwulstigen Theoriekostüme der „Anti-Modernisten“, hinter denen sich so erstaunlich oft eine neue reaktionäre Elitenhaltung versteckt – wie bei seinem Ex-Kollegen an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Peter Sloterdijk, dem Ullrich attestiert, sich lediglich nach „alten aristokratischen Ordnungen“ zu sehnen und aus „sentimentalen Fantasien“ eine glückliche Vormoderne zu erfinden, die „aus kaum mehr als Klischeebildern besteht.“
  Von der Karlsruher Hochschule hat Ullrich sich mittlerweile absentiert mit der Begründung, mehr Zeit zum Schreiben finden zu wollen. Deswegen überrascht es nicht, dass parallel zur „Siegerkunst“ ein zweites Buch aus seiner Feder auf den Markt gekommen ist: „Der kreative Mensch – Streit um eine Idee.“ Allerdings ist dieser Essay gegenüber der Schlagkräftigkeit von „Siegerkunst“ eher eine sehr bekannt klingende Argumentationsreise durch die Geschichte wachsender Sinnentleerung.
  Ullrich verfolgt die Entwicklung des Kreativitätsanspruchs vom Privileg einer intellektuellen Elite zur erstmals bei Tolstoi auftauchenden Forderung, jeder Mensch müsse ein Künstler werden können. Über Beuys und die Sozialdemokratie führt die neue gesellschaftliche Anwendbarkeit des Kreativgebots zur verbindlichen Norm und final zur Zwangsvorstellung einer Leistungsgesellschaft. Kreativsein ist heute eine ökonomisierte Selbstoptimierung geworden und entscheidet über den Erfolg in allen Lebensbereichen. Genau deswegen ist der ständige Druck, erfinderisch und besonders zu sein, längst eine Tyrannei und keine Errungenschaft mehr.
  Auch diese Nachricht ist kreativ formuliert, kulturgeschichtlich fundiert begründet und sagt nichts Falsches. Aber im Chor der kritischen Zeitdiagnosen, die sich mit den kapitalistischen Absorbierungsleistungen kritischer Potenziale beschäftigen, fehlen diesem Band ein wenig die wirklich überraschenden Thesen. So pointiert scharf und teilweise persönlich Ullrichs Entblößungsprosa in „Siegerkunst“ ist, so rundum zustimmungsgeeignet gibt sie sich hier. Und das ist dann mehr sympathisch modern als streitlustig und aufregend.
Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust. Wagenbach Verlag, Berlin 2016. 160 Seiten, 16,90 Euro.
Wolfgang Ullrich: Der kreative Mensch. Streit um eine Idee. Residenz Verlag, Salzburg, Wien 2016. 120 Seiten, 18,90 Euro.
„Bei Siegerkunst
geht es um Besitz und
nicht um Rezeption.“
Eine konsum- und statusgelenkte
Gesellschaft ergibt sich den
Mechanismen des Kunstmarkts
Bei Tolstoi tauchte erstmals
die Forderung auf, jeder Mensch
müsse ein Künstler werden
Mit Luxusgütern macht François Pinault seine Geschäfte, in Venedig, im Palazzo Grassi zeigt er seine erlesene Kunstsammlung.
Foto: Gamma-Rapho / Getty Images
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