Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 12,00 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

In diesem »Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen« findet man sich mitten im Leben der Berliner Boheme vor dem Ersten Weltkrieg wieder. In Briefen an ihren Mann Herwarth Walden erzählt Else Lasker-Schüler Geschichten rund um das Café des Westens, schreibt mit Verve und Witz von allen Herzensdingen. »Und die Liebe, Herwarth, Du weißt doch, was ich von der Liebe halte, wäre sie eine Fahne, ich würde sie erobern oder für sie fallen.« Vor der realen Kulisse entfaltet sich ein virtuoses Verwirrspiel um Wirklichkeit und Phantasie, und aus der Welt der literarischen und künstlerischen…mehr

Produktbeschreibung
In diesem »Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen« findet man sich mitten im Leben der Berliner Boheme vor dem Ersten Weltkrieg wieder. In Briefen an ihren Mann Herwarth Walden erzählt Else Lasker-Schüler Geschichten rund um das Café des Westens, schreibt mit Verve und Witz von allen Herzensdingen. »Und die Liebe, Herwarth, Du weißt doch, was ich von der Liebe halte, wäre sie eine Fahne, ich würde sie erobern oder für sie fallen.«
Vor der realen Kulisse entfaltet sich ein virtuoses Verwirrspiel um Wirklichkeit und Phantasie, und aus der Welt der literarischen und künstlerischen Avantgarde, der Kunstausstellungen, Theateraufführungen, der Cabarets, Varietés und Cafés führen unversehens zahlreiche Wege in das Reich von Else Lasker-Schülers poetischem alter ego, des Prinzen Jussuf von Theben. Und hier wie dort gilt: »Das Herz ist Kaiser.«
Mit diesem Band liegt erstmals wieder der Text der Erstausgabe von 1912 mit sämtlichen dort enthaltenen Zeichnungen ElseLasker-Schülers und dem Porträt der Dichterin von Karl Schmidt-Rottluff vor, mit einem den Text erschließenden Kommentar und Nachwort von Ricarda Dick.
Autorenporträt
Else Lasker-Schüler wurde am 11. Februar 1869 in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) als Tochter eines jüdischen Privatbankiers geboren. Nach der Heirat mit dem Arzt Berthold Lasker siedelte sie nach Berlin über, wo sie sich ihrer zeichnerischen Ausbildung widmete. 1899 wurde ihr Sohn Paul geboren. Im selben Jahr veröffentlichte sie auch erste Gedichte in der Zeitschrift Die Gesellschaft, 1902 folgte ihr erster, noch impressionistisch geprägter Gedichtband Styx, mit dem sie bekannt wurde. Nach ihrer Scheidung heiratete sie den Schriftsteller Herwarth Walden, den Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm. 1906 erschien ihr erstes Prosawerk Das Peter-Hille-Buch, dem in den folgenden Jahren viele weitere folgten. Lasker-Schüler wandte sich schließlich dem Expressionismus zu und verfaßte neben Lyrik und Prosaliteratur auch Essays, Theater- und Literaturkritiken. Sie war eine exzentrische Frau, die durch ihr Auftreten und ihre (Ver)Kleidungen Konventionenherausforderte und Aufsehen und Anstoß erregte. Nach dem Tod ihres Sohnes 1927, zog sie sich zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurück. 1932 wurde sie für ihr Gesamtwerk mit dem Kleist-Preis geehrt, mußte aber schon ein Jahr später aufgrund öffentlicher Angriffe ins Exil in die Schweiz gehen. Es folgten mehrere Palästina-Reisen. Am 22. Januar 1945 starb Lasker-Schüler in Jerusalem.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.08.2004

Spielen ist alles
Wenn sich eine Liebe durch die andere ersetzen lässt - Else Lasker-Schülers „Mein Herz” in einer Neuausgabe
Man spricht heute darüber, als wäre es das Einfachste von der Welt: die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzuheben. Wenn Autoren wie Maxim Biller und Alban Nikolai Herbst ihre verflossenen Geliebten mit all ihren körperlichen Eigenheiten und Makeln, Hysterien und Liebesansprüchen aus dem Leben direkt in die Literatur verpflanzen, so geschieht das mit erstaunlicher Naivität. Nichts scheint mehr vom Wissen der Moderne im Bewusstsein zu sein, wie schwierig es ist, aus einem realen Menschen eine literarische Figur zu formen. Und wie wenig selbstverständlich, wie abgründig und anspruchsvoll in der Literatur das Wort „Ich” sein kann.
Der Last des Autorseins enthoben zu sein, indem man die Sprache selbst zum Sprechen bewegt oder gar einen anderen findet, der einen erzählt, eine schreibende Bruder- oder Schwestergestalt: das war der Traum jenes Traditionsstrangs moderner Literatur, der den Allmachtsphantasien des auktorialen Erzählers zu entkommen trachtete.
An kaum einem anderen Werk der modernen Literatur kann man den komplexen Übertragungsvorgang, der Leben und Kunst ineinander übersetzbar macht, so genau studieren, wie am Lebenswerk der Else Lasker-Schüler. Keines zeigt so deutlich, dass dies eben nicht heißt: das eine durch das andere zu ersetzen. Es liegt vermutlich an der Außenseiterposition Else Lasker-Schülers als Jüdin und Frau, dass sie die modernen Zuspitzungen dieser alten Paradoxie so deutlich wahrgenommen hat, ohne freilich Begriffe dafür auszubilden. Zu nah war sie den Phänomenen, zu sehr hasste sie jede Form von Theorie und begrifflichem Ernst. Statt dessen hat sie ihre Position am eigenen Leib verdeutlicht.
Ihr Lebens- und Schreibprojekt war von beispielloser Radikalität: all ihr Sinnen trachtete danach, sich selbst in eine literarische Figur zu verwandeln und andere zum selben Verwandlungsspiel aufzufordern. Dabei war sie, und das wurde im Lauf ihres Lebens zunehmend zum Problem, auf Mitspieler angewiesen, die ihr Dasein als „Prinzessin Tino” und „Prinz Jussuf von Theben” bestätigten. Ihr Umfeld war geprägt von Namensverleihungen und schmückenden Beiworten, sie zelebrierte das treffende Wort und das intime Porträt, als Widmungsgedicht und anekdotisches Aperçu in Prosatexten und Essays, aber auch in ihren Briefen. „Jedenfall liebe ich nach meiner Sehnsucht die Leute alle zu kleiden, damit ein Spiel zu Stande kommt. (...) Spielen ist alles” , schrieb sie an Karl Kraus, nachdem dieser sich dagegen verwahrt hatte, als „Kardinal” in „Mein Herz” aufzutreten.
Vor aller Augen
Noch heute ist Else Lasker-Schüler fast ausschließlich als Lyrikerin bekannt. Das könnte sich mit der schönen Leseausgabe des Jüdischen Verlags, die die Erstfassung des Romans „Mein Herz” aus dem Jahre 1912 erneut zugänglich macht, endlich ändern. Denn dieser „Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen” ist mehr als nur eine Einführung ins Prosawerk der Autorin. Er ist ein lebendiges Denkmal dessen, was wir heute mit angestrengter Erregung als Schlüsselroman bezeichnen und was doch so viel mehr sein kann: ein Verhüllungs- und Entzifferungsspiel, in dem die verwandelnde Kraft des Poetischen die Hauptrolle spielt. Nicht nur Karl Kraus, der ihr lyrisches Werk überaus schätzte und immer wieder öffentlich dafür eintrat, auch anderen Zeitgenossen entging die literarische Raffinesse dieses Spiels.
Der Roman erschien zunächst als lose Folge von Briefen im „Sturm”, der Zeitschrift ihres Mannes Herwarth Walden. Die Ehe war im Scheitern begriffen, Herwarth Walden befand sich mit seinem Freund Kurt Neimann auf einer Reise in Skandinavien, wo er seine spätere Frau Nell Roslund kennen lernte. Da griff Else Lasker-Schüler zu einer Form listiger Notwehr.
Sie führte die Auseinandersetzung mit ihrem sich entziehenden Gatten einfach coram publico und veröffentlichte die an ihn gerichteten Briefe in seiner Zeitschrift: „Und ich werde lieber in Deiner Abwesenheit diese Briefe an Dich und Kurtchen an Deine Druckerei schicken. Du sagst ja doch, es geht nicht, aber es geht alles, wenn man will.” So wurde ganz Berlin zum Zeugen einer scheiternden Ehe. Aber keiner konnte sich in Sicherheit wiegen und die Position des Voyeurs einnehmen.
Jeder, der sich ins „Café des Westens” wagte, musste damit rechnen, sich demnächst in mehr oder weniger durchsichtiger Maskerade als literarische Figur im „Sturm” wiederzufinden: Alfred Döblin, Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Max Reinhardt, Stefan George, Hans Ehrenbaum-Degele, Gottfried Benn und viele andere. Denn Lasker-Schüler schrieb nicht nur über sich und Walden, nicht nur über die zahlreichen Liebesverhältnisse, die sie einging oder erfand, sondern sie schrieb immer auch über die Liebe in all ihren Formen: „Und die Liebe, Herwarth Du weißt doch, was ich von der Liebe halte, wäre sie eine Fahne, ich würde sie erobern oder für sie fallen.”
Mit seiner verschlungenen Adressatenschaft, mit seinem Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit, von Intimität und Öffentlichkeit, von Briefgeheimnis und literarischem Brief ist dieser Roman ein Beispiel, auf welcher Höhe der Kunst sich poetische Offenbarung zutragen kann. In der Bibliothek der Liebesromane gehört er in die Nähe des „Werther”. „Mein Herz” markiert genau die Stelle, an der die klassische Liebestragödie und der bürgerliche Ehebruchsroman an ihre Grenzen stoßen: wo sich die eine Liebe durch die andere straflos ersetzen lässt.
Hippie avant la lettre
Doch wenn Gesetzbuch und Moral keine Sanktionen mehr vorsehen, ist der Liebesbegriff dennoch nicht zum Abschuss freigegeben. Else Lasker-Schüler konnte und wollte die Liebe nicht als ausschließliche denken und beharrte gleichwohl darauf, sie müsse verbindlich sein. Ihr gesamtes Werk ist dem Versuch gewidmet, die Liebe als Austausch unter mehreren Gleichgesinnten darzustellen. Es war sicher nicht falsch, dass man sie in den siebziger Jahren gelegentlich als Hippie avant la lettre wahrgenommen hat.
Heute sticht, bei aller scheinbaren Natürlichkeit, eher das subtile Gespür für die Form ins Auge. Davon könnte man lernen: um literarische Debatten, statt sie an Juristen zu delegieren, endlich wieder mit ästhetischen Argumenten zu führen.
MEIKE FESSMANN
ELSE LASKER-SCHÜLER: Mein Herz. Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen. Herausgegeben von Ricarda Dick. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 213 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Meike Fessmann begrüßt nicht zuletzt deshalb diese "schöne" Neuausgabe des 1912 erschienen Romans "Mein Herz" von Else Lasker-Schüler, weil die Autorin auch heute noch fast ausschließlich als Lyrikerin wahrgenommen wird und ihr Prosawerk dabei fast unbeachtet blieb. Das Buch sei ein "Schlüsselroman", erklärt Fessmann, in dem sich Lasker-Schüler in Briefen an ihren Mann Herwarth Walden mit ihrer scheiternden Ehe auseinandersetzt, fasst die Rezensentin zusammen. Sie ist von dem "Spiel mit Anwesenheit und Abwesenheit" und dem Changieren zwischen "Intimität und Öffentlichkeit" sehr eingenommen, wobei sie hervorhebt, dass trotz der "scheinbaren Natürlichkeit" des Stils gerade das "subtile Gespür für die Form" an diesem Briefroman besticht. Für Fessmann zeigt das Buch auf beeindruckende und überzeugende Weise, wie sich "Kunst und Leben ineinander übersetzbar" machen, ohne zum schnöden Enthüllungsroman über Verflossene a la Maxim Biller oder Alban Nikolai Herbst zu werden.

© Perlentaucher Medien GmbH