Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 5,99 €
  • Gebundenes Buch

Man kann diesen Gedichten nicht aus dem Weg gehen
Die hoch geachtete Lyrikerin Kerstin Hensel spielt in ihren neuen Gedichten ein riskantes Spiel. Es heißt »Schleuderfigur«. Wer an diesem Spiel teilnimmt, wird aus den gewöhnlichen Bahnen seines Lebens herausgerissen und überwältigenden Gefühlen, seien es die des Verlustes der sozialen Stellung oder eines Menschen, Naturkatastrophen oder der Liebe unterworfen. In vielfältigsten Formen versuchen Kerstin Hensels Gedichte diese extremen Lebenssituationen zu verstehen und damit der Eigenmacht der Gefühle etwas entgegenzusetzen.

Produktbeschreibung
Man kann diesen Gedichten nicht aus dem Weg gehen

Die hoch geachtete Lyrikerin Kerstin Hensel spielt in ihren neuen Gedichten ein riskantes Spiel. Es heißt »Schleuderfigur«. Wer an diesem Spiel teilnimmt, wird aus den gewöhnlichen Bahnen seines Lebens herausgerissen und überwältigenden Gefühlen, seien es die des Verlustes der sozialen Stellung oder eines Menschen, Naturkatastrophen oder der Liebe unterworfen. In vielfältigsten Formen versuchen Kerstin Hensels Gedichte diese extremen Lebenssituationen zu verstehen und damit der Eigenmacht der Gefühle etwas entgegenzusetzen.
Autorenporträt
Kerstin Hensel wurde 1961 in Karl-Marx-Stadt geboren. Sie studierte am Institut für Literatur in Leipzig und unterrichtet heute an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Bei Luchterhand sind zuletzt erschienen: die Liebesnovellen »Federspiel« der Band »Das verspielte Papier - über starke, schwache und vollkommen misslungene Gedichte« sowie der Lyrikband »Schleuderfigur«. Kerstin Hensel lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Wulf Segebrecht ist überzeugt, dass sich Kerstin Hensel freigeschrieben hat von ihrer FDJ-Zeit. Am Können der Autorin, ihrer Fähigkeit zu Spiel und Meisterschaft, ob im Sonett, Kalauer, Natur- oder Liebesgedicht, Ballade oder Kinderlied, hat er keinen Zweifel. Am ehesten möchte er Hensels Lyrik, wie sie in diesem Band zutage tritt und die mal heiter, mal gespenstisch daherkommt, als abwechslungsreiche Bewegung definieren, als Aufforderung zum Enträsteln und Nachvollzug der Verwandlung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2016

Es schleudern Kind und Socke

Alles verwandelt sich in diesen Versen, die mit einem wahren Schatz an Verweisen zu spielen verstehen. Kerstin Hensels neuer Gedichtband zeigt die Lyrikerin als Meisterin ihres Fachs.

Ich bin ein sogenanntes Mauerkind: 1961 geboren, bin mit der Mauer aufgewachsen und kannte nichts anderes." "FDJ?" "Ja, natürlich. Ohne die lief ja nichts." So äußerte sich Kerstin Hensel 1993 in einem Gespräch mit dem "Neuen Deutschland". Mit der FDJ lief alles: die Publikation ihrer frühen Gedichte in der Schüleranthologie "Offene Fenster", dann in der Zeitschrift "Temperamente" und der legendären Heftreihe "Poesiealbum", die Teilnahme an den Schweriner Poetenseminaren und das Studium am Johannes-R.-Becher Literaturinstitut in Leipzig - die FDJ war immer dabei, und die einschlägigen Literaturpreise purzelten nur so.

Na und? Kerstin Hensel hat sich unter den gegebenen Bedingungen trotzdem zu einer selbständigen, eigenwilligen, kenntnis- und phantasiereichen Dichterin entwickelt, die keine Zeile ihrer frühen Gedichte zurückzunehmen hat. Dennoch ist ihre Prägung durch die Literaturszene der DDR unverkennbar, zu ihren Vorbildern gehören Brecht, Sarah und Rainer Kirsch, Heiner Müller, Volker Braun - und Karl Mickel, den sie als ihren wichtigsten Lehrer bezeichnet; abzulesen ebenso an den Orten, die sie in ihren Gedichten vorzugsweise aufruft: Berlin natürlich, wo sie wohnt, den Müggelsee und das viel besungene Wiepersdorf, Chemnitz und Halberstadt.

Über Halberstadt hat sie eines der reizvollsten Gedichte ihres neuen Bandes geschrieben: "Das große Halwerstidder Geflatter". Im Schutz der geflügelten Engel unter dem Triumphkreuz im Dom zu Halberstadt stehend, lässt die Autorin zahlreiche Vögel - offenbar aus dem Vogelkundemuseum Heineanum "neben Gleim" (der Erinnerungsstätte an den Rokoko-Freundschaftsbund um Johann Wilhelm Ludwig Gleim) - "ins Freie" fliegen, so dass sie die Örtlichkeiten Halberstadts, darunter das Judenbad und die Klopstock-Quelle, bevölkern und die Namen der Dichter in Erinnerung rufen, die, wie Kafka, in Halberstadt Station gemacht haben oder "vom Blocksberg herunter" geisterhaft "mit Raben und Eulen" eingeflogen sind - eine kulturgeschichtliche Stadtführung, von der sich der Tourist wie der Leser schließlich flugs so erholen mag wie es die Autorin tut: Am Ende "komm ich unter den Engeln hervor und / Zwitschre mir einen".

So heiter geht es nicht immer zu in Hensels Lyrik. Im Gedicht "Genese" etwa wird erzählt, wie ein Kind seinen Puppen und Teddys die Haare ab- und die Münder und Stirnen aufschnitt, nur um dann (mit einem Zitat aus Büchners "Woyzeck") festzustellen: "Hohl alles hohl." Spätestens da deutet sich an, dass es sich bei den Zerstörungsaktionen des Kindes keineswegs nur um zwar grausame, aber doch vergleichsweise harmlose Spielereien handelt. Der Titel "Genese" lässt vielmehr erkennen, dass von der Entstehungsgeschichte einer entsetzlichen Denk- und tödlichen Handlungsweise die Rede ist. Wohin das führt, zeigt der Schluss des Gedichts: "Meine geliebten / Fratzen fuhr ich im Puppenwagen / Zum steinreichen Fluß / Zum Judenfriedhof."

Mit gutem Grund hat Kerstin Hensel ihren Gedichtband "Schleuderfigur" benannt. Es ist der Name eines Kinderspiels, das in verschiedenen Variationen gespielt werden kann. Dabei geht es darum, dass ein Kind zunächst herumgeschleudert, dann losgelassen wird und in der Pose erstarren muss, die es beim Schleudern gerade eingenommen oder sich schnell ausgedacht hat. Die anderen Kinder sollen nun erraten, wen oder was das Kind darstellt. Das hat viel mit der Poesie zu tun, wie sie Hensel versteht: mit der kindlichen Freude am Spiel, mit der temperamentvollen, schnellen und abwechslungsreichen Bewegung, mit der Kreativität, der Vorstellungs- und Verwandlungskraft und der Aufforderung zum Enträtseln.

"Alles verwandelt sich" heißt es gleich zweimal in dem Gedicht, das dem Band seinen Namen gegeben hat: Ein Kind erfährt hier einen Samstag vom Morgen bis zur Nacht. Die Brötchen, die es morgens holen muss, verwandeln sich in Frösche, mittags springt der Quirl märchenhaft aus dem Topf, nachmittags wird das Spiel "Schleuderfigur" gespielt, und im Waschhaus ("Die Schleuder / Dreht sich") kocht Sockensuppe, abends erscheint der Kobold Plumps vom "Sandmännchen" auf der DDR-"Staatsmattscheibe", und nachts träumt das Kind vom Jäger, in den es sich beim Schleuderfigur-Spiel verwandelt hatte. Die Vielfalt der Samstagsereignisse ist Abbild der abwechslungsreichen Varietät des ganzen Gedichtbandes, in dem sich durchgehend Verwandlungen ereignen und in dem sich die einzelnen Gedichte gewissermaßen als fixierte Positionen in einem fortgesetzten lebhaften Schleuderspiel lesen lassen.

Dieses Spiel umfasst ein sehr breites Spektrum an Themen und Formen. Man findet klangvoll gereimte und spröde ungereimte Gedichte, liebevolle Porträts, balladenartige Texte, sogar politische Gedichte, nostalgische Kindheitserinnerungen mit Märchenmotiven und Kinderliedzitaten, aussichtslose Liebesgedichte, bedeutungsvolle Naturlyrik und gelehrte Antikeadaptionen; es gibt strenge Sonette, Anklänge an klassische Versmaße und schlichte Volksliedstrophen, übermütige Heiterkeit bis hin zum Kalauer und trübsinnige Reflexion. Da ist eine Autorin am Werk, die sich wirklich auskennt und ihr Handwerk spielerisch und meisterhaft beherrscht.

Kein Wunder! "Über starke, schwache und vollkommen misslungene Gedichte" hat sie 2014 ein unterhaltsames Buch geschrieben ("Das verspielte Papier"), in dem sie Kriterien für Dichtung entwickelt hat: "Musikalität, poetisches Vorstellungsvermögen, Abstraktionsfähigkeit, Assoziationsfähigkeit, Hintergrundwissen und Erfahrungshintergrund, Neugier und Zeitverständnis." Dass diese nun gegen die "Schleuderfigur" ausgespielt werden könnten, hat sie nicht zu befürchten.

WULF SEGEBRECHT.

Kerstin Hensel: "Schleuderfigur". Gedichte.

Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 135 S., geb., 17,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr