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Das geglückte Leben des unglücklichen Heinrich von Kleist
Der 21. November 1811 ist ein kalter Herbsttag. Die Wirtsleute des Gasthofs Stimmings Krug am Kleinen Wannsee bei Berlin sind verwundert, als ein Paar, beide Anfang dreißig, Kaffee und Rum ans Ufer bestellt. Die beiden sind heiter, geradezu euphorisch. Ein Tagelöhner der kleinen Gaststätte wird später zu Protokoll geben, er habe sie schäkernd am Ufer entlanglaufen sehen, sich jagend wie kleine Kinder. Kurz darauf hallen zwei Schüsse durch die Herbstlandschaft.
Heinrich von Kleist hat Henriette Vogel erst kurz vor dem gemeinsamen
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Produktbeschreibung
Das geglückte Leben des unglücklichen Heinrich von Kleist

Der 21. November 1811 ist ein kalter Herbsttag. Die Wirtsleute des Gasthofs Stimmings Krug am Kleinen Wannsee bei Berlin sind verwundert, als ein Paar, beide Anfang dreißig, Kaffee und Rum ans Ufer bestellt. Die beiden sind heiter, geradezu euphorisch. Ein Tagelöhner der kleinen Gaststätte wird später zu Protokoll geben, er habe sie schäkernd am Ufer entlanglaufen sehen, sich jagend wie kleine Kinder. Kurz darauf hallen zwei Schüsse durch die Herbstlandschaft.

Heinrich von Kleist hat Henriette Vogel erst kurz vor dem gemeinsamen Selbstmord kennengelernt. Sie war an Krebs erkrankt, Kleist hat ihr Leiden abgekürzt. Am Vorabend des Selbstmords ist Kleist finanziell ruiniert, dem breiten Lesepublikum unbekannt, von Preußen enttäuscht. Selbst die eigene Familie bescheinigt ihm, er sei ein "nichtsnütziges Glied der menschlichen Gesellschaft". So kennen wir Heinrich von Kleist: als Klassiker der Zerrissenheit, der Gewalt, der modernen Unbehaustheit. Adam Soboczynski, großer Kleist-Kenner und begnadeter Stilist, stellt diesem Bild einen anderen, überraschenden Kleist entgegen, einen Kleist der Versöhnung, des unbeschreiblichen Glücks. Ein subtiler, eleganter, Lust machender Blick auf den großen Klassiker der deutschsprachigen Literatur.

Autorenporträt
Adam Soboczynski wurde 1975 in Torun/Polen geboren und lebt in Berlin. Er ist Autor der Wochenzeitung DIE ZEIT. Für seine Artikel erhielt er den Axel-Springer-Preis und den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Diesem Untergeher war nicht zu helfen

Das Kleist-Jahr geht zu Ende - ist noch etwas zu sagen? Wenn man sich kurz fasst, ja. Adam Soboczynski braucht nicht viel Platz für erhellende Thesen.

Von Edo Reents

Kleist und ein Ende: Das Jahr beschließt ein Band, den man angesichts dessen, was das Jubiläum sonst so abwarf, aufreizend schmal nennen muss. Neunzig Seiten zählt die Studie des "Zeit"-Feuilletonredakteurs Adam Soboczynski, und es ist die Frage, ob das überhaupt erlaubt ist, sich so kurz zu fassen, oder ob es im Gegenteil gar nicht mehr anders geht, weil schon so vieles gesagt ist.

Es ist normal, dass sehr runde Jubiläen, zu denen der gerade begangene zweihundertste Todestag Heinrich von Kleists ja zweifellos zählt, eine Befassung in Gang setzen, die sich vor allem auf Biographisches erstreckt. Und fast scheint es, als hätte das Monster, zu dem sich die Kleist-Deutung ausgewachsen hat, diesen und den auch erst vier Jahre zurückliegenden, halbrunden Anlass (Kleists 230. Geburtstag) ergriffen, um im Ganzen und in kurzer Zeit jene gedrängt-eruptive Mitteilungsart nachzuahmen, die ihrem Gegenstand nachgesagt wird: mehr als ein halbes Dutzend gewaltiger Bücher über ein nur vierunddreißig Jahre währendes, nicht gerade lückenlos überliefertes Leben, in dem sich allerdings, wie in einem Brennglas, die eigentlich produktive Zeit auf das halbe Jahrzehnt zwischen 1806 und 1811 erstreckt - "die Vitalität möchte ich haben!", schrieb Thomas Mann 1954, ein Jahr vor seinem eigenen Tod.

Wozu aber überhaupt Biographien? Ginge es nach dem Stuttgarter Germanisten Heinz Schlaffer, dann wären sie wohl schon verboten, jedenfalls bei Schriftstellern. Schlaffer, der um eine steile These nie verlegen ist, meinte ausdrücklich auch den Fall Kleist, als er vor der Buchmesse in der "Süddeutschen Zeitung" behauptete: "Dichterbiographien bereiten Literatur für Nichtleser zu, sie sind Interviews mit Toten." Das mag sein. Nur, was wäre die Alternative: Sollen etwa alle, die sich mit Kleist beschäftigen wollen, zur Brandenburgischen Ausgabe greifen und sich der reinen, hochgezüchteten Philologie hingeben? Es kommt ja in erster Linie darauf an, was in den Biographien drinsteht; methodischen Purismus, der auch noch darauf besteht, dass sich ein Werk aus einem Leben heraus prinzipiell nicht verstehen lasse, sollte man nicht mitmachen.

Adam Soboczynski ist mit der biographischen Forschungslage vertraut und in seinem essayistisch-erzählerischen, bisweilen thesenhaft zuspitzenden Zugriff der Pflicht enthoben, sich im Detail mit ihr auseinanderzusetzen. Das fußnotenfreie Verfahren hat Vorteile, in erster Linie natürlich eine gute Lesbarkeit, aber auch den Nachteil, dass man manches doch gerne genauer gewusst hätte, beispielsweise die Sache mit Kleists Sprachfehler, die unlängst sogar in einem Fernsehbeitrag erörtert wurde. Soboczynski stellt dazu nur eine Vermutung an, was umso bedauerlicher ist, als Kleists Stottern direkt auf den Kern dessen führt, was hier gezeigt werden soll: dass Kleists Leben eine einzige Fluchtbewegung in dem Sinne war, dass er sich unangenehmen Situationen, zu denen das freie Sprechen eines Stotterers ja in hohem Maße gehört, wo immer möglich - und oft auch, wo dies eigentlich nicht gut möglich war - entzog.

Diese für sich genommen banale Tatsache dürfte die ungeheure seelische Dynamik mit in Gang gesetzt haben, von der im Zusammenhang mit diesem Dichter so oft die Rede ist. Ohne sie als Ursache konkret in Erwägung zu ziehen, macht Soboczynski sie gerade am Anfang seines Essays, der schlaglichtartige Biographie, Psychogramm und Werkdeutung in kompakter, aber, der Kürze geschuldet, bisweilen auch sprunghafter Form ist, geltend und wiederholt leitmotivisch eine Frage, mit welcher die bisweilen ausufernden, sich im Spekulativen haltenden Erträge biographischer Bemühungen gleichsam geerdet werden: "Es füllen heute ganze Bibliotheken sehr ernsthafte Schriften zum Zweck der sogenannten Würzburger Reise, gerade so, als könne man ernsthaft die aberwitzige Stilisierung und Dramatisierung des Dichters übersehen, der sich doch offenkundig nur aus einer ungemütlichen gesellschaftlichen Situation davonstehlen wollte."

Diese plausible These, die hochmögenden Erwartungen an Fragen literarischer Inspiration natürlich wenig entgegen kommt, wendet Soboczynski auf entscheidende Episoden und Wendepunkte in Kleists Leben an: die sogenannte Kant-Krise mitsamt ihrem anscheinend unter größten Schmerzen preisgegebenen (philosophischen) Wahrheitsanspruch; das Verhältnis zur etablierten Kollegen-Generation, insbesondere Wieland und Goethe; ferner auf weitere Reisen oder vielmehr Fluchten nach Paris und in die Schweiz.

Wohl in dem Bewusstsein, dass dem Kenner diese Lebensabenteuer vertraut sind, skizziert Soboczynski sie eher nur, zieht die in der Tat oft dramatische rhetorische Ausschmückung ab, mit der Kleist sie - vielleicht wirklich, um sich auch ein wenig wichtig zu machen - umgab, und behält so gleichsam das seelisch-psychische Skelett übrig, das schließlich als Urkonflikt kenntlich wird, der mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in den notorischen Mord (an Henriette Vogel) und Selbstmord an jenem 21. November 1811 mündete und die zu Tode zitierte Sentenz von dem, dem auf Erden nicht zu helfen war, absolut konsequent erscheinen lässt.

Es ist nicht so, dass die Verfasser der jüngeren, großen Biographien dies nicht auch in all ihren möglichen Dimensionen scharf ins Auge gefasst hätten. Damit will Soboczynski gar nicht erst konkurrieren. Man sieht aber an seiner streng raffenden und dabei großzügig aussparenden Methode, wie man auch mit ihr Wesentliches mitteilen kann. So landet er bei einem "Muster: Ansprüche werden ins Unermessliche gesteigert, bis sich ihm nur noch die schäbige Flucht samt großem Lügengebäude oder aber der heroische Tod als Lösung aufdrängen. [. . .] Im Ausnahmezustand ist Kleists Scheitern gut aufgehoben. Himmel und Abgrund fallen in eins."

Am Ende landet man also doch in der Metaphysik. Verblüffend stimmt Soboczynskis sich schön rundende Deutung mit der des alten Thomas Mann überein: Kleist "tötete sich, müde seiner Unvollkommenheit, aus metaphysischer Sehnsucht, das Bruchstückhafte seiner Individuation ins All zu werfen, damit es vielleicht eine höhere Vollkommenheit daraus schaffe". Gut nur, dass er uns bei seiner Himmelfahrt die Dramen und Erzählungen dagelassen hat.

Adam Soboczynski: "Kleist. Vom Glück des Untergangs".

Luchterhand Verlag, München 2011. 90 S., geb., 14,99 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Edo Reents wirkt etwas ermüdet angesichts der Flut von biografischer Literatur zu Kleists 200. Todestag und ist darum höchst erfreut, dass Adam Soboczynski jetzt einen gerade mal 90-seitigen biografischen Essay vorgelegt hat. Und er versichert, dass der Zeit-Redakteur trotz der Kürze und obwohl er auf Fußnoten verzichtet, dennoch zu luziden Thesen kommt, die er überzeugend darzulegen weiß. So findet es der Rezensent sehr plausibel, dass der Autor beispielsweise Kleists geheimnisumwitterte Reise nach Würzburg schlicht als Flucht vor einer "ungemütlichen gesellschaftlichen Situation" interpretiert und daraus ein "Muster" für Kleists Umgang mit ihn belastenden Ansprüchen erkennt. Insgesamt stellt Soboczynskis Essay eindrucksvoll unter Beweis, dass er auch in aller Knappheit "Wesentliches" zu fassen kriegt, lobt der Rezensent nachdrücklich.

© Perlentaucher Medien GmbH