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Walter ist aus dem Spiel, seine Welt, die die Firma war, ist zusammengebrochen. Gibt es noch ein anderes Leben für ihn? Warum hat er solche Angst davor zu leben? Ein aktuelles Thema von großer Brisanz, erzählt von Susanne Röckel in ihrer präzisen und suggestiven Sprache mit überwältigender Empathie für ihre Figuren.

Produktbeschreibung
Walter ist aus dem Spiel, seine Welt, die die Firma war, ist zusammengebrochen. Gibt es noch ein anderes Leben für ihn? Warum hat er solche Angst davor zu leben? Ein aktuelles Thema von großer Brisanz, erzählt von Susanne Röckel in ihrer präzisen und suggestiven Sprache mit überwältigender Empathie für ihre Figuren.
Autorenporträt
Susanne Röckel, geb. 1953 in Darmstadt, lebt in München. Sie hat Erzählungen und Romane veröffentlicht und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen, darunter em Tukan-Preis der Stadt München, ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.10.2002

Gekränkte Norne
Susanne Röckel zeigt, wie es ist, „Aus dem Spiel” zu sein
Erstaunlich, verwirrend und dann doch unwiderstehlich, wie Susanne Röckel die Geschichte eines scheiternden, sich verlierenden, dabei aber anscheinend zu sich selber findenden Angestellten erzählt. Es ist der knapp vierzigjährige, erfolggewohnte Albert Staub, dem auf einer Dienstreise lauter unangenehme Kleinigkeiten die Verhandlungsarbeit verderben. Der auch die Gedanken an seinen fern im Krankenhaus sterbenden Vater nicht zu verdrängen vermag...
Susanne Röckel – sie wurde 1953 geboren, für ihre bisherigen, wenigen Bücher ziemlich einstimmig gelobt – erstrebt literarisch anspruchsvolle Prosa. Sie schreibt glücklicherweise nicht mit der beiläufigen anything-goes -Flottheit jener jungen Autoren, die fast stolz darauf sind, überhaupt keinen Stil zu haben.
Geraschel und Geflirr
Aber in welcher Weise findet nun Susanne Röckel den ihren? Bereits auf der ersten Seite könnte ein pedantischer Leser zusammenzucken, wenn da die Rede ist vom „leeren, doch festen, geschäftsmännischen Blick”, den Walter Staub „gern zur Schau trug”. Trägt man einen Blick zur Schau? Irgendetwas irritiert da schon .. .Wenig später, bei der Schilderung anonymer Annehmlichkeiten des Reise- Lebens, endet der Absatz folgendermaßen: „Was störte ihn also, warum war es diesmal anders als sonst?” Diese Frage mag naheliegen. Nur wird sie hier doch auffallend simpel-direkt gestellt. Und im Zusammenhang mit einer tollen Vision, wo Fremdarbeiter seit drei Monaten keine Frauen gesehen haben, ihnen nun aber, zu Ostern, begegnen werden, erwägt der Erzähler bei seltsamem Geraschel und Geflirr: „Waren es die Frauen, die gekommen waren?” Solche Ungeschicklichkeiten stören...
Falls der Rezensions-Konsument nun doch einen Verriss erwartet, muss er enttäuscht, kann sein Blutdurst nicht gestillt werden. Als Leser wundert man sich zunächst, dass man trotz mancher Anfechtungen den Roman nicht etwa ärgerlich weglegt, sondern passioniert weitermacht.
Mag schon sein, dass die Autorin manchmal zu naiv formuliert. Dafür besitzt sie etwas Unerlernbares: einen eigenen, zwingenden Sprachrhythmus. Ein Auge fürs Charakteristische, Besondere, Unauffällige und doch Wesenhafte.
Ihre außerordentlichen erzählerischen Gaben erlauben es Susanne Röckel, auf alles Forcierte zu verzichten. Also auch auf besserwisserische, effektvolle Ironie, auf billige schicksalsschwangere Tragik, auf Krasses. Katastrophen nähern sich leise.
Die Autorin schreibt immer nah an ihrem Helden, begleitet ihn und seine Gedanken unablässig, so wie es Realisten vom Schlage Hemingways oder Remarques auch taten. Aber sie denkt nicht daran, den Walter Staub und seine gelegentlich höchst seltsamen Reaktionen zu erläutern. So wächst ihrem Realismus etwas Surreales, Magisches zu. Manchmal scheint es, als blicke jemand aus weiter asiatischer Ferne kühl und genau auf unsere Lebenswelt hin. Dabei brauchen wir gewiss nicht gleich Kafka ins Spiel zu bringen. Einiges erinnert an einen hierzulande ziemlich verschollenen Autor wie Dino Buzzati, an dessen Mischungen aus Konkretem, Bedrohlichem, Seltsamem.
Dass Prosa ein faszinierender Rhythmus innewohne, bedeutet freilich nicht, belanglose Mitteilungen würden irgendwie artifiziell aufgepulvert. Susanne Röckel sagt Gewichtiges oft mit leiser, schwebender Anmut. Staub beugt sich über die schlafende Geliebte: „Tagsüber war ein Gesicht jeden Moment anders, dachte er, von tausend Ausdrücken belebt; nachts wurde es wieder zu einem Körperteil. Er beobachtete die Nasenflügel, die sich fast unmerklich bewegten...” Und wenn jemand im Restaurant die Fotos an den Wänden mustert, fällt ihm plötzlich auf, „dass es nur Abbildungen von Unglücken und Katastrophen waren”.
Bei alledem hat man es zu tun mit magischer Simplizität. Dergleichen birgt immer ein Kitsch-Risiko. Hier wirkt es beispielsweise doch aufgesetzt oder unnachvollziehbar, dass der Pfleger des sterbenden Vaters sich am Telefon immerfort wie eine gekränkte Norne äußert. Oder gar, dass der Held – mag seine Indolenz, seine Lust am Untergang auch noch so groß sein – als Arbeitsloser zum Anstellungsgespräch gebeten, beim hilfsbereiten eventuellen neuen Chef verrückterweise einen keineswegs eingeladenen, kaum formulierfähigen Flüchtlingsjungen mitnimmt. Da schlägt Surrealität um in bloße Absurdität.
Dieser beeindruckende, poetische Roman muss – und das gelingt weithin – eine heikle Balance durchhalten. Er muss sein magisches Zwischenreich, seinen faszinierenden Sog behaupten, einerseits gefährdet von der Gefälligkeit allzu sorgloser Simplizität, andererseits bedroht auch von Überdeutlichkeit. Seltsam genug: bei den meisten Schriftstellern ist Vagheit Schwäche, kommt es auf Klarheit an. Susanne Röckel jedoch siegt, wenn sie in der Schwebe lässt, wenn sie nur hinschaut, zart beschreibt, und sich jedes Fazit versagt. JOACHIM KAISER
SUSANNE RÖCKEL: Aus dem Spiel. Roman. Luchterhand, München 2002. 384 Seiten, 22,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2003

Erschöpft von Unentschlossenheit
Alles so schön schäbig hier: Susanne Röckels Aussteigerromanze

In Zeiten wirtschaftlicher Flaute steigt die Konjunktur für Romane über die Arbeitslosigkeit und ihre traurigen Helden. 1932 hatte Hans Fallada dem Angestellten Pinneberg die ratlose Frage gestellt "Kleiner Mann, was nun?", vor sechs Jahren schilderte Urs Widmer die Not arbeitsloser Spitzenmanager in seinem satirischen Theaterstück "Top Dogs", und nun befindet Susanne Röckel bereits im Titel ihres jüngsten Romans lakonisch, daß Herr Walter Staub, die Hauptfigur, "aus dem Spiel" sei.

An einer generellen Abrechnung mit der aktuellen deutschen Wirtschaftspolitik ist die Verfasserin allerdings nicht interessiert. Die Impressionen aus dem unternehmerischen Mittelstand bilden vielmehr nur den Hintergrund für eine eigenwillige Charakterstudie. Denn es sind nicht die Krisen des Arbeitsmarktes, die Walter Staub, den erfolgreichen Einkäufer einer Motorenfabrik, seinen vermeintlich sicheren Posten verlieren lassen. Während einer Geschäftsreise kommt dem erfahrenen Angestellten mit einem Mal die Routine abhanden, die ihn sonst so sicher durch die üblichen Verhandlungen getragen hat. Die kernigen Merksprüche, die er während so vieler Wochenendschulungen lernen mußte ("Kein unversöhnliches Insistieren! Kein trotziges Beharren!"), taugen nicht mehr für das einfachste geschäftliche Gespräch. Fast willenlos läßt Staub sich die Verhandlungen von einem erfolgreicheren Kollegen aus der Hand nehmen. Der trägt den symbolträchtigen Namen Jung, was ebenso penetrant wirkt wie die anderen einsilbigen, bedeutungsschweren Familiennamen, mit denen die Autorin ihr Personal ausgestattet hat.

Neben Staub und Jung agieren nämlich die dynamische Angestellte Ines Berg und der undurchsichtige Geschäftspartner Kopf - die Absicht hinter soviel demonstrativem Tiefsinn ist nicht zu übersehen. Damit ist das bedeutungsvolle Namensrepertoire aber noch nicht erschöpft, denn die beiden Lebenskünstler, in deren Hotel der erfolglose Geschäftsmann Staub für etliche Wochen seinen Wohnsitz aufschlägt, heißen Justus Ball und Tanja Schacht: spielerisch und wenig seßhaft der eine, geheimnisvolle erotische Tiefe verheißend die andere. Doch wo die Leser des Romans selbst in tiefere Sinnschichten vorzustoßen hoffen, bleiben sie bald in blassen Milieustudien stecken, deren Schwarzweißzeichnung an die Dramaturgie von Serienkrimis erinnert.

Mit unverkennbarer Freude am Schäbigen und Heruntergekommenen zeichnet Susanne Röckel Staubs Streifzüge durch die fremde Stadt nach, wo er sich "erschöpft von Unentschlossenheit" von einer Zufallsbegegnung zur anderen treiben läßt. In unwirtlichen Vorortsiedlungen, im Bahnhofsviertel und auf alten Friedhöfen trifft dieser Flaneur auf Bettler, Stromer und illegale Einwanderer, die zu einer tristen Gegenwelt gehören, von der man in den Büroetagen der großen Unternehmen so gut wie nichts weiß.

Dennoch ist Susanne Röckel weit davon entfernt, das Drama eines Mannes zu zeichnen, der plötzlich aus aller sozialen Sicherheit herausfällt. Denn anders als seine neuen Bekanntschaften verfügt Staub immer noch über ein gut gefülltes Bankkonto und eine funktionierende Kreditkarte; am Ende wirbt sogar der ehemalige Verhandlungsgegner Kopf um seine Arbeitskraft. Es wirkt geradezu kokett, daß Röckel ihren Helden das Leben in der freiwilligen Arbeitslosigkeit so erfahren läßt, wie man sich für einen bestimmten Kleidungsstil entscheiden mag: Eine andere Option steht immer offen.

Daß sich Walter Staub dennoch nicht aus seiner Lethargie aufraffen kann, hat vor allem psychische Ursachen. Immer stärker grübelt er über seine Kindheit nach, denkt an den frühen Tod seiner Mutter und das geordnete Leben seines Vaters, der ihm stets fremd geblieben ist und nun im Sterben liegt. Verunsichert durch vage telefonische Andeutungen des Krankenpflegers Klein - problemlos fügt auch er sich ins System der symbolischen Namen! -, beginnt Staub, an den Berichten aus der Vergangenheit seines Vaters zu zweifeln. Sollte der 1925 Geborene im Zweiten Weltkrieg tatsächlich mehr Schuld auf sich geladen haben, als er es den Sohn stets hatte glauben lassen? So scheint es also die Last der Vergangenheit zu sein, die Staub daran hindert, erfolgreich seinen Geschäften nachzugehen. Die Verfasserin stellt allerdings mehr Fragen, als sie zu beantworten bereit ist, und legt Spuren, die ins Leere verlaufen. Denn anders als den Söhnen in den bekannten Vaterbüchern der siebziger und achtziger Jahre geht es Walter Staub gar nicht darum, Aufklärung über das Leben seines Vaters zu bekommen, und erst recht liegt ihm der rebellische Gestus der Anklage fern.

In ihrem Roman "Eschenhain" hatte Susanne Röckel 1997 das Leben von gesellschaftlichen Außenseitern detailliert nachgezeichnet und wurde dafür von der Kritik gelobt. Diesmal jedoch hat sie zuviel auf einmal gewollt. Das Psychogramm eines unentschlossenen Aussteigers, der nie wirklich drin gewesen ist in dem großen Spiel um Geld, Macht und Einfluß, verbindet sie mit unscharfer Sozialkritik und der überzogenen Namenssymbolik zu einem wenig überzeugenden Gemisch. Geplant war möglicherweise ein skeptischer Gesellschaftsroman, herausgekommen ist eine ziemlich fade Absteigerromanze.

SABINE DOERING

Susanne Röckel: "Aus dem Spiel". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 350 S., geb., 22,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Rezensentin Angelika Overath ist gespalten. Susanne Stöckels Erzählung um den erfolgreichen, aber alternden Geschäftsmann Walter Staub, der seine Position verliert und das Leben neu entdeckt, ist für ihren Geschmack etwas zu "didaktisch" geraten. Die Erzählung setzt da an, wo Staubs Position zu wackeln beginnt und sein Leben, mit einer für die Rezensentin "fast märchenhaften Selbstverständlichkeit", eine "Schussfahrt ins Scheitern" wird. Auch die Namen der Figuren - Staub, Kopf, Jung - seien nahezu "schulbuchgerecht" und die Armen natürlich die Guten. Das ist Overath alles ein bisschen zu glatt, und es lässt bei ihr die Vermutung entstehen, "die Autorin sitze mit ihrer Konzeption einer gut gemeinten Sozialromantik auf". Doch durch ihre "sorgfältige" Erzählweise, lobt Overath, schafft Stöckel "kostbare Nebenmotive" und schärft den Blick des Lesers dadurch, dass auch Staub mit offeneren Augen durch die Welt geht. Dass am Ende alle Schicksale offen bleiben, so die Rezensentin, macht etwas klar, worin "Literatur und Leben sich einig" sind: "Das Glück des Gelingens liegt auf keiner Zielgeraden."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Susanne Röckel besitzt etwas Unlernbares: einen eigenen, zwingenden Sprachrhythmus. Ein Auge fürs Charakteristische, Besondere, Unauffällige und doch Wesenhafte. Ein beeindruckender, poetischer Roman." (Süddeutsche Zeitung)