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Ernst Jandl wollte wieder Gedichte veröffentlichen, und die Vorstellung, dass mit seinem Buch die neue Sammlung Luchterhand gestartet werden sollte, beflügelte ihn. Er unterstütze immer Bemühungen, Gedichte in preisgünstigen Ausgaben zugänglich zu machen. Aus dem geplanten Band mit neuen Gedichten ist nach seinem Tod nun die Veröffentlichung seiner "Letzten Gedichte" geworden.

Produktbeschreibung
Ernst Jandl wollte wieder Gedichte veröffentlichen, und die Vorstellung, dass mit seinem Buch die neue Sammlung Luchterhand gestartet werden sollte, beflügelte ihn. Er unterstütze immer Bemühungen, Gedichte in preisgünstigen Ausgaben zugänglich zu machen. Aus dem geplanten Band mit neuen Gedichten ist nach seinem Tod nun die Veröffentlichung seiner "Letzten Gedichte" geworden.
Autorenporträt
Ernst Jandl, geb. 1.8.1925 in Wien, Studium der Germanistik und Anglistik, Promotion 1950, langjährige Tätigkeit als Gymnasiallehrer, lebte in Wien. Seit 1954 Freundschaft und Zusammenarbeit mit Friederike Mayröcker. Er erhielt unzählige literarische Auszeichnungen, darunter den Peter-Huchel-Preis (1990), das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1990), den Kleist-Preis (1993), den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg (1995) sowie den Georg-Büchner-Preis (1984). Ernst Jandl ist im Jahr 2000 gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2001

In der Küche ist es kalt
Wunschzettel: Jandls "Letzte Gedichte" und Mayröckers "Requiem"

Nein, Ernst Jandl hat sich in seinen letzten Jahren nicht zum Publizieren gedrängt. Das Alter erschien ihm nicht lustig, das Schreiben immer fragwürdiger, und auch der wachsende Ruhm konnte seine Depressionen nicht vertreiben. Für Handkes frohe Botschaft vom geglückten Tag hatte er nur die Umkehrung übrig: "ich beginne den mißglückten tag". Dennoch hing er am Tropf des Schreibens und hoffte inständig auf tägliche Produktion: "ein gedicht, ein einziges, kurzes gedicht / müßte doch / drin sein".

Der aus gesundheitlichen Gründen erfolgte Umzug in eine neue Wohnung schnitt ihn, den Ordnungsliebenden, von den in Mappen und Ordnern abgelegten Materialien ab, die er zur Weiterarbeit benötigte. Dennoch fanden sich nach Jandls Tod zwei Mappen auf seinem Schreibtisch, die dickere mit einem eingeklammerten (+), die dünnere mit einem (-). Daraus und aus weiteren Mappen hat Klaus Siblewski einen Nachlaßband zusammengestellt. Jandls "Letzte Gedichte" sind also nach Titel, Auswahl und Komposition das Werk seines Lektors. Dennoch könne das Buch - so Siblewski - als Gedichtband angesehen werden, der vom Dichter selbst publiziert worden wäre.

Da sind immerhin Zweifel erlaubt. Schon bei dem Band "peter und die kuh" hatte es eine Arbeitsteilung gegeben, die Siblewski so definiert, "daß der eine für das Schreiben der Gedichte zuständig war, der andere sich mit den dann folgenden Aufgaben beschäftigte". Man fragt sich, ob zu diesen Aufgaben auch die Aufnahme von Notizen und Vorstufen gehört - und sei es, um das Bändchen ein wenig aufzufüllen. Anders gewendet: Hätte man die vorhandenen Textvarianten nicht wenigstens kenntlich machen sollen? Ein Beispiel. "dann vielleicht" und "letzte worte" sind offenkundig solche Varianten. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in einer Zeile. Aus "lebt wohl ihr lebenden" wird "lebt wohl ihr weiterlebenden". Stünden beide Fassungen nebeneinander, könnte der Leser sich ein Urteil bilden und womöglich der etwas sentimentalen Wendung an die "Lebenden" die nüchternere an die "Weiterlebenden" vorziehen. Sie ist ja auch dezidiert "letzte worte" überschrieben.

Nun ist - ein Jahr nach Jandls Tod - gewiß nicht das letzte Wort der Jandl-Philologie zu sprechen. Und jeder Jandl-Fan ist für einen Band dankbar, der neben dem Vorläufigen und Skizzenhaften auch etliche Texte bringt, die noch einmal die Klaue des Löwen zeigen. Die Texte demonstrieren den altersgrimmigen und depressiven Poeten auch als Meister des Kalauers.

Er brilliert in den "computer gedichten", die vielleicht nur deshalb so heißen, weil eins davon so beginnt: "komm, puter, truthahn, oder komm, butter". Stark und ungeniert ist Jandl auch in der sarkastischen, wahrhaft ins Fleisch schneidenden Betrachtung hinfälliger Körperlichkeit, vorzugsweise der eigenen. Die besonders obszönen Motive vertraut er dem Englischen an. Was es mit dem "joystick" auf sich hat, kann so über die Geschmacksgrenzen hinaus exerziert werden. Jandls besondere Sprachscham, die sich in der Exhibition versteckt, war schon immer sehr ausgeprägt, und dem späten Dichter mag sie als eines seiner Leiden erschienen sein. Denn dieser Wortzweifler war ein verzweifelter Wortgläubiger. Nur einem inbrünstig Liebenden kann diese lapidare wie phantastische Reihung von Schmähungen einfallen: "metaphernspucke / buchstabenklosett / lyrikklistier / speichelreim / reimspeichelkäse / metaphernatter / schamhaaranagramm / poesiephimose / speichelkäsegedicht / pentametervers / silbenschiss / wortabort". Wie eigen der "pentametervers" daraus hervorleuchtet, als letzte Erinnerung an eine Poesie, die noch wahr und schön sein konnte.

Wo das Wort so umworben und bezweifelt wird, ist der Glaube nicht fern, in diesem Fall ein barocker Ton von Beichte und Bekenntnis. Manchmal versucht der Dichter es noch ein letztes Mal mit Psychologie und Analyse. "Ich klebe an gott", heißt es da, und das Gedicht schließt mit der Selbstbezichtigung, er sei feige und unfähig, "willentlich unterzutauchen ins unausweichliche". Aber dann kommandiert die Poesie. Liedstrophe und Reim, die alten Ausdrucksformen von Frömmigkeit, setzen sich gegen die Selbstverhärtung durch. Vielleicht das anrührendste unter den "Letzten Gedichten" trägt den Titel "katholisches gedicht". Gewiß, es ist eine Melange von Ironie und Verzweiflung, doch es lebt von Hoffnung wider alle Hoffnung. Auch der frech-fromme Schluß: "ich scheiß auf die sonne und hätte / so gern einen strahlenden sohn / eh ich in die erde mich rette / zu gott, muttergottes, gott sohn".

Dagegen kommt Jandls persönliche letzte Botschaft sehr diskret daher, als "widmungsgedicht", gerichtet an die Gefährtin seines Lebens und Schreibens. In einfachen Zeilen hält er fest, daß er vom Tod des Vaters und vom Tod der Mutter geschrieben hat, und schließt - um die Trias zu vollenden: "du / schreibst dann / daß ich / tot bin".

Friederike Mayröckers "Requiem" ist die Erfüllung dieses Wunsches oder Auftrages. Der erste dieser sechs Texte ist wenige Wochen nach Jandls Tod, im Juli 2000, geschrieben. Er ist ein Zeugnis von Trauer und Erschütterung, und berührt den Leser durch seine zarte Empirie. Die Autorin fixiert das Bild des Dichters auf Krankenlager, der die im Oberlichtfenster erscheinenden Flugzeuge zählt, und zeigt ihn auf dem Totenbett, "1 Zähnchen, in die Oberlippe eingebissen".

Aber der Leser soll auch den lebenden Jandl im Gedächtnis behalten, und so lesen wir eine Szene aus dem Winter 88, aus der unbeheizbaren Nordküche von Jandls Wohnung. Beim Suchen nach Manuskripten zieht die Freundin und Kollegin diesen Vierzeiler hervor: "In der Küche ist es kalt / ist jetzt strenger winter halt / mütterchen steht nicht am herd / und mich fröstelt wie ein pferd".

Im Juni 2000, drei Tage vor Jandls Tod, schreibt Mayröcker dazu diese Kontrafaktur: "in der Küche stehn wir beide / rühren in dem leeren Topf / schauen aus dem Fenster beide / haben 2 Gedicht im Kopf". Dieses eine Gedicht, und die lebenslange Suche danach, ist nicht das einzige, das Ernst Jandl und Friederike Mayröcker verband. Das sie immer noch verbindet.

HARALD HARTUNG

Ernst Jandl: "Letzte Gedichte". Herausgegeben von Klaus Siblewski. Luchterhand Literaturverlag, München 2001. 124 S., br., 18,50 DM.

Friederike Mayröcker: "Requiem für Ernst Jandl". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 46 S., br., 24,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Rezensent berichtet von einem klaren Fall hemmungsloser Jandl-Verehrung. Ein Rudel Polizisten mit entsicherten Dienstwaffen nimmt dem Kritiker erst sein Handy und dann seine Ausgabe der "Letzten Gedichte" ab. Der Rezensent brüllt und wehrt sich, doch es hilft nix, die Staatsgewalt will das Buch. Kein Wunder, gibt Franz Schuh zu verstehen: Es ist großartig. Jandl durchbreche die Routine des Negativismus, indem er sie - bis zur Unglaubwürdigkeit - verschärfe. Bis es unglaubwürdig wird also. Und eben das gefällt dem Schuh so. Dass alles so (unglaubwürdig) gut gesagt ist. Kann doch nur das Resultat einer Anstrengung sein, die an ihren Sinn glaubt. Denkt er.

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