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Seit über 50 Jahren spricht sich der Philosoph Robert Spaemann ausdrücklich gegen die Nutzung der Atomenergie aus. Als einer der führenden Skeptiker in dieser Debatte fühlt sich Robert Spaemann weniger durch politische Programme zu seiner Stellungnahme veranlasst, als vielmehr - philosophisch und theologisch - aus ethischen Gründen verpflichtet.
Er erhebt Einspruch gegen die menschliche Hybris im atomaren Zeitalter: Woher nehmen wir die Gewissheit, eine Technologie handhaben zu können, bei der jeder Fehler, auch der kleinste, unabsehbare Folgen nach sich ziehen kann?
»Dieser kleine
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Produktbeschreibung
Seit über 50 Jahren spricht sich der Philosoph Robert Spaemann ausdrücklich gegen die Nutzung der Atomenergie aus. Als einer der führenden Skeptiker in dieser Debatte fühlt sich Robert Spaemann weniger durch politische Programme zu seiner Stellungnahme veranlasst, als vielmehr - philosophisch und theologisch - aus ethischen Gründen verpflichtet.

Er erhebt Einspruch gegen die menschliche Hybris im atomaren Zeitalter: Woher nehmen wir die Gewissheit, eine Technologie handhaben zu können, bei der jeder Fehler, auch der kleinste, unabsehbare Folgen nach sich ziehen kann?

»Dieser kleine Planet ist uns zu treuen Händen übergeben; es gibt kein größeres Verbrechen, als einen ganzen Lebensraum unbewohnbar zu machen.«
Robert Spaemann
Autorenporträt
Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg, promovierte 1952 in Münster, war Verlagslektor und wissenschaftlicher Assistent und habilitierte sich 1962 für Philosophie und Pädagogik in Münster. 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an der TH Stuttgart und den Universitäten Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde.Er hatte zahlreiche Gastprofessuren inne und erhielt mehrere Ehrendoktorwürden. Träger des Karl-Jaspers-Preises 2001 der Stadt und der Universität Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2011

Das Lebensrecht der Natur
Wieder aktuell: Robert Spaemann gegen die Atomkraft
„Recht behalten zu haben ist eine kümmerliche Befriedigung.“ Und wie kümmerlich erst, wenn die Öffentlichkeit nur die Hälfte, die einfachere Hälfte, von dem hören will, was man zu sagen hat. Der Philosoph Robert Spaemann, Jahrgang 1927, war ein früher Kritiker der Kernenergie. Staat und Gesellschaft haben ihm im Ergebnis mittlerweile zugestimmt. Doch teilen sie auch seine Argumentation?
Der Aufsatz, mit dem Spaemann, damals Professor der Philosophie in München, einiges Aufsehen erregte, erschien 1979 in der Zeitschrift Scheidewege. Vierteljahrsschrift für skeptisches Denken. Seine Überschrift: „Technische Eingriffe in die Natur als Problem der Politischen Ethik.“ Dieser Aufsatz ist zusammen mit einem späteren („Ethische Aspekte der Energiepolitik“), einem Zeitungsartikel und drei Interviews zu einem schmalen Buch vereinigt worden, mit dem der Verlag Klett-Cotta die Gunst der Stunde nutzen will: „Nach uns die Kernschmelze“. Das Buch zum Ereignis zu haben, das ist der Traum jeden Verlegers. Und in diesem Fall ist es sogar eine Bereicherung der Diskussion.
Wer nicht mehr will als Material für eine Diskussion nach Art der Anne Will und ihrer Kollegen, der kann sich die Lektüre allerdings sparen. Der Titel spricht zwar von der Kernschmelze, aber von Fukushima ist nur zuletzt und kurz die Rede. Was Spaemann vor dreißig Jahren interessierte, war weniger die Sicherheit im laufenden Betrieb der Kraftwerke als die Endlagerung. Lasten für Jahrtausende den späteren Generationen aufzubürden hält er für unerlaubt. Wir wissen heute nicht mehr, wie und wozu die gewaltige Anlage von Stonehenge errichtet wurde. Wie dürfen wir dann annehmen, dass unsere Nachfahren in 5000 Jahren Kenntnisse der Reaktortechnik besitzen und mit den noch radioaktiven Brennelementen richtig umgehen können? Als Spaemann diesen Gedanken erstmals vortrug, wurde die Kernenergie von der Mehrheit der deutschen Wähler wohl für zweckmäßig gehalten. Aber diese Mehrheit, so Spaemann, war gleichwohl zu einer Entscheidung für die Kernkraft nicht legitimiert. Eine solche Entscheidung ging zu Lasten Dritter.
Der Gedanke ist längst Gemeingut, um seinetwillen braucht man den Band nicht zu lesen. Aber hier fasst man zum ersten Mal das Thema des Autors: die Grenzen unserer Freiheit im Umgang mit der Natur und das heißt auch: die Grenzen demokratischer, liberaler Willensbildung. Die Belastung kommender Generation für unerlaubt zu halten, dann zumindest, wenn eine Zustimmung nicht unterstellt werden darf, das ist diskursethisch unproblematisch. Hier geht es um das Recht von Subjekten, die, wiewohl diskursfähig, vom Diskurs abgeschnitten sind. Aber dabei bleibt Spaemann nicht stehen. Er billigt der Natur ein eigenes Lebensrecht zu, will also auch solche Lebewesen schützen, die nicht diskursfähig sind. In Tennessee, so berichtet er, konnte ein Staudamm nicht in Betrieb genommen werden, weil dadurch ein kleine, nur dort vorkommende Fischspezies vernichtet worden wäre. Das Gerichtsurteil wurde scharf kritisiert, Spaemann findet es nur angemessen. Das Lebensrecht einer jeden Spezies stehe nicht zur Debatte. Fange man erst einmal an mit der Güterabwägung, so mache man die Wertschätzungen des jeweiligen Augenblicks zu einem Maßstab für das, was unseren Nachfahren zu hinterlassen sei.
Da wir das Erbe der Natur nur schmälern, nicht ergänzen können, ist der unbedingte Schutz der Substanz richtig. Güterabwägung heißt, dass „der Anteil der Natur ständig verkürzt“ wird. An dieser Stelle zeigt sich, was Spaemann beizutragen hat. Er beschränkt sich nicht auf das, was er den „anthropozentrischen Funktionalismus“ nennt, die Frage, was aus menschlicher Sicht von Wert sei. In einem Interview zitiert sein Gesprächspartner Thomas Hobbes: „Eine Sache erkennen, heißt wissen, was man mit ihr machen kann, wenn man sie hat.“ Darin sieht Spaemann den „hybriden“ Zug der neuzeitlichen Wissenschaft, ihre Verkennung, dass „natürliche Wesen selbst seine zielgerichtete Verfassung besitzen“. Es werde die Natur auf diese Weise radikal objektiviert, „und diese Vergegenständlichung hat nun auch vor dem Subjekt dieser Herrschaft, dem Menschen, nicht haltgemacht. Wenn der Mensch bis in seine geistigen Akte versuchsweise zum Objekt biologischer Hypothesen wird, so heißt das: Sein Subjektstatus löst sich auf.“
Spaemann ist ein konservativer Mann. Er misstraut dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt, er zieht dem Diskurs Grenzen. Der Liberale glaubt an die Möglichkeit, Recht und Unrecht im Gespräch auszuhandeln. Grenzen, die die Natur, das Herkommen, der Glaube ziehen wollen, stehen für ihn unter Ideologieverdacht. Spaemann versucht, diese Überlegung umzudrehen. Braucht man solche Überlegungen, um heute gegen Atomkraftwerke zu plädieren? Solange die Angst vor einer Havarie frisch ist, reicht der anthropozentrische Funktionalismus für das Nein. Aber wer es grundsätzlicher wissen will, der wird bei Spaemann einiges finden, vor allem solches, was ihm fremd ist. Denn der Autor ist auch Gegner der Abtreibung und bringt das in einen Zusammenhang mit dem, wie er meint, heillosen Umgang mit der Natur. Hier wie dort wird über Leben entschieden, das er für unverfügbar hält.
Spaemann hat sich immer zu seinem Katholizismus bekannt, er engagiert sich für die tridentinische Messe, der Papst schätzt ihn. Für den Christen ist die nicht-diskursive Grenzziehung im Moralischen vielleicht ein Problem, aber eines, mit dem er vertraut ist. Aber was macht der nichtchristliche Leer mit einem solchen Buch? Er lässt sich einige Probleme zeigen, für deren Lösung das Christentum wechselnde Beispiele gibt. So greift Spaemann auf die Geschichte der Moraltheologie zurück, um zu zeigen, wie die Lehre von der Erbsünde die Handlungsfreiheit begrenzte, ein Gedanke, der derzeit an Kredit gewinnt gegenüber dem liberalen Optimismus. Aber auch wenn man an die christlichen Lösungen nicht glaubt, die Sache der Religion überhaupt für hoffnungslos verloren hält, sind die Probleme doch nicht verschwunden. Von der Dialektik der Aufklärung wird auf den knapp 100 Seiten nicht expressis verbis gesprochen. Aber darum geht es, auf eine katholische oder besser: katholisch inspirierte Art.
STEPHAN SPEICHER
ROBERT SPAEMANN: Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter. Klett-Cotta, Stuttgart 2011. 108 Seiten, 12,95 Euro.
Güterabwägung erhebt bloß die
Wertschätzungen des jeweiligen
Augenblicks zum Maßstab
Wer denkt an die Nachfahren? Der Philosoph Robert Spaemann, Jahrgang 1927. Foto: M. Maitland/Klett-Cotta
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Robert Spaemann hat früh, bereits in einem Aufsatz von 1979, gegen die Kernenergie Stellung bezogen, teilt Stephan Speicher mit. Die erneute Publikation des Textes, zusammen mit einem weiteren Aufsatz, einem Zeitungsartikel und drei Interviews, beschere Klett-Cotta nun so etwas wie "das Buch zum Ereignis" - wenngleich Fukushima nur am Rande vorkommt, so der Rezensent. In der Tat hält er Spaemanns Argumentation für tiefgründiger als so manche tagespolitische Debatte zum Thema. Spaemanns "katholisch inspirierte" Ablehnung der Atomkraft gründe in seiner Kritik an der Objektivierung der Natur durch die neuzeitliche Wissenschaft; in der Konsequenz dieser Kritik beziehe er beispielsweise auch Position gegen die Abtreibung. Dass sich Spaemanns Konservatismus folglich nur bedingt in den Mainstream der gegenwärtigen Kernenergie-Debatte einfügt, hebt der Rezensent hervor; nicht jedoch ohne eine Empfehlung auszusprechen: Wer, über die Angst vor einer Havarie hinaus, "grundsätzliches" Interesse für die Thematik aufbringe, könne hier vieles lernen.

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Robert Spaemann argumentiert aus der Perspektive eines gläubigen Christen, der sich in vielen Stellungnahmen aber mit sich als links verstehenden, um Nachhaltigkeit besorgten Bürgern einig weiß. Rezensent Uwe Justus Wenzel zollt seinen Argumenten gegen die Atomkraft Hochachtung. Spaemanns Hauptargument ist das der Unrevidierbarkeit der Entscheidung für die Atomkraft, die späteren Generationen Handlungsmöglichkeiten nimmt und sie in Zwänge stürzt. Besonders der über Jahrtausende strahlende und belastende Atommüll repräsentiert ein solches, bereits geschaffenes Faktum, das auch durch den Ausstieg aus der Atomkraft nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. Wenzel gibt Spaemann weitgehend recht und bewundert seine "Unbeirrbarkeit" - auch dort, wo Spaemann sich von "linken" Weggenossen trennt, weil er auch das ungeborene Leben in seine Ehrfurcht vor allem Lebendigen einschließt.

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