Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 2,00 €
  • Gebundenes Buch

Philip Marsden findet Völker, die nun zwar von der Knute der Fremdherrschaft befreit sind, aber vom Chaos des auseinanderfallenden Sowjetreichs in einen Strudel von Krieg, Armut und Anarchie gerissen werden. Er findet Menschen, die sich unter schlimmsten Existenzbedingungen dennoch eine Überlebenskraft, einen Glauben an die Zukunft, ja sogar ihre Heiterkeit erhalten haben. Und wir beginnen allmählich zu ahnen, dass sie, die Lichtjahre fern unserer eigenen Lebenserfahrungen als Minoritäten kaum wahrgenommen werden, uns etwas voraus haben, das uns nützlich sein könnte: eben jenen starken Überlebenswillen.…mehr

Produktbeschreibung
Philip Marsden findet Völker, die nun zwar von der Knute der Fremdherrschaft befreit sind, aber vom Chaos des auseinanderfallenden Sowjetreichs in einen Strudel von Krieg, Armut und Anarchie gerissen werden. Er findet Menschen, die sich unter schlimmsten Existenzbedingungen dennoch eine Überlebenskraft, einen Glauben an die Zukunft, ja sogar ihre Heiterkeit erhalten haben. Und wir beginnen allmählich zu ahnen, dass sie, die Lichtjahre fern unserer eigenen Lebenserfahrungen als Minoritäten kaum wahrgenommen werden, uns etwas voraus haben, das uns nützlich sein könnte: eben jenen starken Überlebenswillen.
Autorenporträt
Philip Marsden, Autor von vier Reisebüchern, lebte 6 Monate in einem armenischen Kloster. 1991 war er im Kaukasus und wurde Zeuge jenes Chaos, das dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte. In den 90er Jahren zog es ihn immer wieder in diese Landstriche des ehemaligen Sowjetreichs. Er lebt in einem Dorf in Cornwall.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kurzweilig zu lesen findet dieser, mit "maha" kürzelnde Rezensent das Buch über eine Reise von Moskau in den Kaukasus. Sogar einen "angenehmen Hauch Melancholie" hat er beim Lesen über "faszinierende Charaktere" und Mitglieder "abstruser" christlicher Sekten im Süden Russlands, in Ossetien, Georgien und Armenien empfunden. Aber einen Haken hat er auch gefunden: den Anekdotenreichtum des Buches nämlich, der die Bewohner der besuchten Regionen "in einem Sammelsurium liebenswerter, kauziger Eigenbrödler" geradezu verschwinden lasse. Die doch recht "differenzierte Realität", meint "maha", der sich rasant verändernden postsowjetischen Welt gerate da "leicht aus dem Blick".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2002

Am Ende der Welt
Philip Marsden bei vergessenen Völkern in Rußlands wildem Süden

In Tschechows Erzählung "Die Steppe" sagt einer der Reisenden an einer Stelle lapidar: "Und übernachten können wir bei den Molokanen." Tschechow brauchte kein Glossar, damals wußte jeder Leser, daß Molokanen Angehörige einer christlichen Sekte sind, die, wie viele verfolgte Glaubensgemeinschaften, an den Rändern des Mammutreichs leben, wo der Himmel hoch und Moskau weit ist. Ihre Mitglieder lehnen Taufe und Priesterstand ab, verzichten auf Kirchen, ihre Gottesdienste sind schlichte Versammlungen. Während der Fastenzeit trinken sie gegen die orthodoxe Regel Milch, woher sich ihr Name ableitet. Unter dem Druck des Stalinismus lösten sie sich 1929 auf, seit 1990 existiert offiziell wieder eine Gemeinde in Moskau.

So wie den Molokanen bot der Süden Rußlands seit Jahrhunderten verfolgten Minderheiten und verbannten politischen Querdenkern Zuflucht und neue Heimat. Sicher war auch das ein Grund dafür, daß die Region der fruchtbaren Steppen an Don und Kuban bis zu den Tälern des Kaukasus mit seinen kämpferischen Völkern der russischen Literatur stets als Symbol für Freiheit, Schönheit und Widerstandskraft galt. Dem Zauber des russischen Südens und seiner Bewohner konnte sich von Puschkin bis Tolstoi kaum ein Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts entziehen.

Nicht anders erging es dem britischen Journalisten und Ethnologen Philip Marsden. Er glaubt, daß im Land zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer "der ewige Wunsch nach Konformität am schwächsten zu sein scheint", und begibt sich von Moskau aus auf die Suche nach den kleinen religiösen Gemeinschaften, die die zaristische, kommunistische und neuerdings pseudomarktwirtschaftliche Willkür an dieser heute von zahlreichen Bürgerkriegen heimgesuchten europäischen Grenze überlebt haben: Altgläubige, Duchoborzen (zu deutsch Geisteskämpfer), Molokanen und armenische Jesiden, eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Daneben Völker des Kaukasus - Osseten, Georgier, Armenier, Tscherkessen, Assyrer, Alanen. Nirgendwo auf der Welt, so sagen Linguisten und Ethnologen, sei die Dichte verschiedener Ethnien, Kulturen und Sprachen so groß wie in dieser Region, wo Europa, Asien und Orient aneinanderstoßen. Die Reise auf abenteuerlichen Wegen führt von Rostow am Don durchs Land der legendären Skythen über Krasnodar und Maikop in den Kaukasus, über die kleinen Republiken der Tscherkessen und Osseten bis nach Transkaukasien, ins georgische Tiblissi und nach Armenien, an den Fuß des Ararat.

Der Leser fühlt sich dabei zuweilen wie ein Gast, der zu einem Festmahl geladen wird und dann nur Appetithappen angeboten bekommt. Marsden folgt ganz dem romantischen Ziel seiner Reise, die winzigen vom stürmischen Wind der Geschichte verwehten Reste religiösen Widerstandes zu finden. Dabei spart er viel von den Schrecken der Gegenwart aus, auch Historisches bleibt auf der Strecke.

Eine große Reformationsbewegung hat es in der russischen Kirche nicht gegeben, aber seit Jahrhunderten entstehen immer wieder Gemeinschaften von religiösen Eiferern, die alle Hindernisse zwischen sich und Gott beseitigen wollen. Die Duchoborzen zum Beispiel lehnen Kult und Dogmen ab, erkennen nicht einmal die Bibel an und berufen keine Priester. Wegen ihres fundamentalen Pazifismus wurden sie von Zar und Kommunisten gleichermaßen verfolgt. Tolstoi, der mit ihnen sympathisierte und den sie wie einen Heiligen verehren, erwirkte 1898, daß siebentausend von ihnen nach Kanada ausreisen konnten, wo sie heute als "Union of Spiritual Communities of Christ" eine Gemeinde von zwanzigtausend Gläubigen bilden. Offen bleibt, ob die Duchoborzen, die Anfang der neunziger Jahre sogar wieder einen Kongreß in Zelina bei Rostow am Don abhalten konnten, Hilfe von ihren reicheren Gemeinden im Westen bekommen und ob es überhaupt eine Verbindung zur Diaspora gibt.

Die Kosaken, Nachkommen geflohener und freigelassener Leibeigenen, die sich mit Völkern des Südens mischten und ihre Freiheit mit Söldnerdiensten bezahlten, wurden stets gern als Wundsalbe für ein ramponiertes russisches Nationalgefühl benutzt. Marsdens ins Klischee passende Reisebekanntschaften sind Männer mit Schnurrbärten und sonnenverbrannten Gesichtern, die in Vorgärten und an Wohnzimmertischen sitzen, Geschichten von Zwangskollektivierung und Hunger erzählen und danach wie zum Beweis ihre Uniformen aus alten Schränken hervorholen. "Heute", so Marsden, "trägt keiner die wiederentdeckten Embleme des Russentums stolzer als die Kosaken." Nur vage ahnt der Leser, daß dieses Russentum ein gefährliches Sammelbecken für nationalistische Umtriebe, Antisemitismus und bizarre Monarchisten geworden ist. Daß die Juden am Unglück Rußlands schuld sein sollen, glauben im zerfallenen Sowjetreich leider nicht nur die Kosaken. Ewiggestrige bezichtigen Gorbatschow, der übrigens aus dem Süden kommt, ein "amerikanischer Spion" zu sein. Vielleicht haben die Menschen dem Reformer nie verziehen, daß seine Antialkoholismuskampagne selbst vor den alten Weinreben in Georgien nicht haltmachte. Stalin, dessen Säuberungen auch seine eigenen Landsleute nicht schonten, wird hingegen in seiner georgischen Heimat schon seit längerem wieder als eine Art Volksheld verehrt, und irgendwie scheinen alle mit ihm verwandt zu sein. Wo früher Glaube und Antikommunismus verbanden, so Marsdens Quintessenz, trennt heute das Blut der Ethnie und des Clans.

Wenn der Autor über die Gipfel des Kaukasus zu den armenischen Jesiden ins Ararat-Tal reist und am Ziel seiner Odyssee schließlich eine vergessene Gemeinschaft von Duchoborzen an der armenisch-georgischen Grenze, am "Ende der Welt", findet, beschleicht einen trotz aller Überlebensbekundungen der Geisteskämpfer das traurige Gefühl eines endgültigen Zerfalls. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, daß der Kommunismus, der die Religionen jahrzehntelang malträtierte, gleichzeitig einen trotzigen Überlebenswillen erzeugte, dem nun die Nahrung entzogen ist. Am Ende der romantischen Reise steht ein melancholisches Bild: Wachposten haben die letzte Birke eines ganzen Wäldchens, das die aus Rußland vertriebenen, heimwehkranken Duchoborzen an der armenisch-georgischen Grenze gepflanzt hatten, zu Feuerholz gehackt. Was bleibt, ist ein Hügel und russische Pappeln im Sommerlicht auf einem vergilbten Foto - das Grab Tolstois.

Marsdens "Im Land der Federn" - eine Bezeichnung von Herodot für die Schwarzmeerküste und den nördlichen Kaukasus - steht in einer Reihe von unlängst erschienenen Publikationen über vergessene Minderheiten, allen voran der wunderbare Band von Karl-Markus Gauß über "Die sterbenden Europäer". Wer den Reisebericht über die Geisteskämpfer - so der englische Originaltitel - in die Hand nimmt, sollte die Lektüre ergänzen mit Erzählungen von Leskow über religiöse Sektierer, Gedichten von Puschkin und Lermontow über den Kaukasus und mit dem eingangs erwähnten Text von Tschechow, gleicht doch die Atmosphäre "Im Land der Federn" ein wenig der Stimmung jenes kleinen Tschechowschen Helden, der am Ende seiner Reise durch die Steppe "fühlte . . . wie mit den Menschen, dem Rauch vergleichbar, für immer alles entschwand . . . mit bitteren Tränen begrüßte er das neue, noch unbekannte Leben . . . Wie würde dieses Leben wohl aussehen?"

SABINE BERKING

Philip Marsden: "Im Land der Federn". Eine kaukasische Reise. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2001. 278 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Marsden hat ein Bild dieses unbekannten Landes zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gezeichnet, so voller Wunder, daß es einem vor Staunen die Sprache verschlägt." (Literary Review)