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Britt Casella führt als Ehefrau eines angesehenen Unternehmers und als Mutter von drei Kindern ein nach außen hin ordentliches, verwöhntes Leben. Doch ihre fast demütige Zurückhaltung, die unmissverständlich zur Schau gestellte Herzlichkeit des Familienclans wecken ein sich steigerndes Unbehagen, verweisen auf Abgründe, auf eine Gefahr. Es braucht dann nur einen winzigen Anstoss - das Wiedersehen eines vergessenen fremden Mannes, der sie eindringlich nach ihrem Namen fragt, jenem Namen, den sie als Mädchen trug. Die Frage wirkt, als hätte ihre eigene innere Stimme sie gestellt, bis sie Bild um…mehr

Produktbeschreibung
Britt Casella führt als Ehefrau eines angesehenen Unternehmers und als Mutter von drei Kindern ein nach außen hin ordentliches, verwöhntes Leben. Doch ihre fast demütige Zurückhaltung, die unmissverständlich zur Schau gestellte Herzlichkeit des Familienclans wecken ein sich steigerndes Unbehagen, verweisen auf Abgründe, auf eine Gefahr. Es braucht dann nur einen winzigen Anstoss - das Wiedersehen eines vergessenen fremden Mannes, der sie eindringlich nach ihrem Namen fragt, jenem Namen, den sie als Mädchen trug. Die Frage wirkt, als hätte ihre eigene innere Stimme sie gestellt, bis sie Bild um Bild das junge Mädchen vor sich hat, das sie damals war. Und so ersteht wieder jener wortlose Moment seltsamer Intensität wie damals, als sie sich vor langer Zeit zum erstenmal begegnet sind.
Helene Lenoir hat einen geheimnisvollen Roman der Leidenschaft geschrieben, den die französische Kritik mit den Werken der Woolf oder der Sarraute verglichen hat: Sie ist eine neue Stimme einer selbs tbewussten neuen Literaturszene.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2001

Schmutzwasser des Patriarchats
Hélène Lenoir verleiht der unterdrückten Gattin eine Stimme

Britt, Unternehmergattin mit großem Rosengarten und einem pflegebedürftigen Schwiegervater im Haus, ist mit den Nerven am Ende. Sie zittert, hat Beklemmungen und ringt um ihre Fassung: "Es speist ihren Atem, sogar wenn er ruhig geht, es pulsiert in ihren Adern, wenn auch sehr schwach, und bei der ersten Kleinigkeit juckt es, sticht, brennt, bis sie diese ungeheuerlichen, lachhaften Sätze hinaus schreit, die nichts besagen wollen, die noch nie irgend jemanden erschüttert haben - sie seufzen nur, wenden sich ab, grinsen." Am Tag, den das Hauptstück des Buches schildert, schluckt die Protagonistin ihre psychoanalytisch gut begründeten Schreie hinunter. Es ist der Firmungstag des ältesten Sohnes. Die Familienfeier wird vom morgendlichen nervösen Frühstück bis zum Eklat geschildert, als sämtliche Tanten das Haus verlassen. Zwischen diese Punkte in der Gegenwart ist die Geschichte der Familie eingelassen. In direkter und erlebter Rede wechseln Bewußtseinsströme, die Familienangehörige, vor allem die Protagonistin, in die Vergangenheit tragen: die Enttäuschung der Familie bei der Geburt ihrer Tochter, die Schuldgefühle. "Ich muß versuchen, diese alten Geschichten jetzt nicht hochkommen zu lassen . . . ein Schwamm, der aufquillt und alles aufsaugt, und wenn man ihn auswringt, nichts als schmutziges Wasser, ich weiß es, ich will nicht."

Wofür steht das Schmutzwasser, und was verursacht das hysterische körperliche Aufbegehren? Das Patriarchat. Die fünfundvierzigjährige Autorin Hélène Lenoir denkt feministisch, und so wurzelt die Labilität der Frau in der streng patriarchalischen Ordnung alter Unternehmerfamilien. Hier die Allmacht des Mannes, Sexualität und Rationalität als Unterdrückungsinstrumente, dort die Ohnmacht, in die Britt im Laufe der Firmungsfeier fällt. Die Geschlechterrollen werden von Generation zu Generation weitergegeben. Während die Schwiegermutter sich in stiller Selbstaufgabe in ihr sorgendes Schicksal fügt, entwickelt Britt hysterische Symptome, die bei ihrer Tochter in wildes Aufbegehren umschlagen. Aber sie wird ins Internat und aus der Familie gedrängt, um ihrem Bruder Platz zu schaffen, der sich als Stammhalter auf die Übernahme der Rolle des Vaters vorbereitet: "Junior, immer noch in seinem weißen Firmungsgewand, hatte sich abseits hinten im Garten niedergelassen, im Schneidersitz, und machte Kassensturz, öffnete zum zweiten Mal, diesmal in Ruhe, die Umschläge, die er bekommen hatte, blind für die sorgfältig ausgesuchten Glückwunschkarten."

Das klingt ein bißchen einfach, nach längst verblichenem Bilderbuchpatriarchat, aber die allzu klaren Fronten werden durch die Kunst der Darstellung verwischt. Kaum ist der Leser durch die unmittelbare Selbsterfahrung in den inneren Monolog der Gedanken- und Gefühlswelt einer Figur hineingezogen, erscheint sie von einer anderen Seite im Bewußtsein einer Nebenfigur oder wird von außen geschildert: Britt als Furie, lustlose Mutter, Lustobjekt, Opfer. Hélène Lenoir ist erzähltechnisch eine Meisterin und wird von der ausgezeichneten Übersetzerin Renate Nentwig unterstützt. Sie schafft eine lastende Atmosphäre im Haus der Casellas, ebenso wie in der Kirche, in die die Gastgeberin als Letzte hastet, nachdem sie für die Vorbereitungen der Feier gesorgt hat: "Justus flüsterte ihr zu: Was hast du denn so lang gemacht?, sie aber zog nur die Schultern hoch und lächelte ihn an, wie eine Frau ihren Gatten anlächelt in einer vollen Kirche am Tag einer Firmung, wie alle Gattinnen im Hause Casella die Casellas sämtlicher Generationen angelächelt haben, ergeben, bewundernd, vertrauensvoll, Maria Magdalena, die, beide Hände im Becken, Christus die Füße wäscht und ihr holdes Antlitz einer Sünderin zu ihm hebt, oder der Priester, der seine Augen über die Firmlinge gleiten läßt, mildgestimmt von so viel Unschuld, liebe Kinder, mit einer Stimme, die vor Ergriffenheit zerfließt."

Die weiche Stimme des Priesters täuscht, denn gerade die Sprache befestigt die Differenz der Geschlechter. Nur Britt ist wirklich emotional, mit einer reichen Assoziationswelt ausgestattet, und muß, um sich zu befreien, schreien. Während ihr Mann sie rational argumentierend unterdrückt. Sollte da die sprachliche Meisterschaft der französischen Autorin Subversion sein? Sollten ihr nichtlineares Erzählen, die rhythmische Sprache und die arabeskenhafte Bildlichkeit der Gartenschilderung, die Hortensien, der wild rankende Wein, als écriture féminine zu verbuchen sein, die zeigt, wie man sich von der Logik, der Eindeutigkeit, der sprachlich-kulturellen Ordnung der Männer befreit? Wohl nicht, denn wer glaubt noch, daß eine bestimmte Schreibtechnik weiblich ist oder daß die Klassiker der Moderne als Joyce verkleidete Frauen waren.

Klassisch modern sind nicht nur die perspektivische Vielfalt und die Struktur des Romans, sondern auch dessen Unabgeschlossenheit: Der zentrale Teil der Erzählung wird umrahmt von zwei Kapiteln, in denen die Protagonistin einem rätselhaften Fremden begegnet. Sie treffen im Bus und in der Kirche aufeinander und erkennen sich, fühlen im anderen eine unerklärliche Kraft wirken. Da sich Britt von dem fremden Freund auf Anhieb verstanden fühlt, deutet einiges darauf hin, daß in seiner Gestalt das andere der Vernunft auftritt. Auch wenn das Ende des Romans offen bleibt, hat das Schreien nun ein Ende, und Britt wird sehr ruhig, beschrieben in Hélène Lenoirs rhythmischer Sprache: "Sie liegt die meiste Zeit auf dem Rücken, dreht sich manchmal zur Seite, die Nacht ist schon lang gekommen, denkt sie, und doch schlägt die Turmuhr der nahe gelegenen Kirche erst Mitternacht, sie zählt die zwölf schweren, vertrauten Schläge, dann Viertel nach zwölf, die beiden düsteren Töne, halb eins, ein anderer Tag, den sie nicht beginnt, sie versinkt."

SANDRA KERSCHBAUMER

Hélène Lenoir: "Ihr Mädchenname". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Renate Nentwig. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 187 S., geb., 32,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine souverän geschriebene `Bovary-Variation` hat Marion Löhndorf hierin gefunden. Die Erzählung hat einiges Verschlungene an sich - zwei fast gleiche, stumme Verführungsszenen mit einem Zeugen, den die Verführte später wiedertrifft - aber in der Hauptsache geht es um `die minuziöse Abbildung des äußeren Lebens` einer Frau `im goldenen Käfig` einer mittelständischen Ehe. Die `erstaunlichsten Figuren`, schreibt Löhndorf, sind die beiden fast erwachsenen Kinder der Frau; die Autorin beschreibt die `Kluft` zwischen ihnen und der Mutter, zeigt die `gegenseitig zugefügten Verletzungen und Enttäuschungen`. Am Ende trifft die Frau den Zeugen ihrer Verführungen wieder, der als Deus ex machina, in bürgerlichem Beruf Fotograf, sie zu einer `zaghaft Emanzipierten` macht, denn diesmal will die an Affären durchaus Gewöhnte sich `nicht mehr festlegen`. `Elegisch und witzig zugleich`, urteilt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Erzählt wird vielleicht eine Liebesgeschichte, sicher aber eine böse Familienstory. . . In einer sinfonischen Sprache ist sie gedichtet, die beinahe alle narrativen Errungenschaften der Zeit mit erstaunlicher Gewandtheit ineinander verwebt." (NZZ)