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Die Studie von Bela Grunberger und Pierre Dessuant, zweier renommierter Psychoanalytiker, versucht am Leitfaden der psychoanalytischen Narzismustheorie herauszufinden, was das Besondere des christlich inspirierten Antisemtismus ausmacht.

Produktbeschreibung
Die Studie von Bela Grunberger und Pierre Dessuant, zweier renommierter Psychoanalytiker, versucht am Leitfaden der psychoanalytischen Narzismustheorie herauszufinden, was das Besondere des christlich inspirierten Antisemtismus ausmacht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2000

Jesus scheint in gehobener Stimmung zu sein
Selbstliebe, Nächstenliebe, Judenhaß: Bela Grunbergers geschichtsphilosophischer Entwurf

Zur Dynamik des Christentums gehört, daß dessen unverstandene Anfänge noch immer symptombildend rumoren. Freuds Diagnose zufolge hassen die Christen an den Juden ihre eigenen Ursprünge, sie sind erfüllt von Neid auf die Geistigkeit und auf die im Christentum zugunsten der Mysterienkulte früh verdrängte prophetische Tradition. Die christliche Judenfeindschaft hat ihre Wurzeln in den Evangelien. Die dogmatischen Begriffe sind mit dem Antijudaismus verquickt.

Der französische Psychoanalytiker Bela Grunberger macht in seinem Generalangriff auf das Christentum den "Narzißmus" als die Ursache der christlichen Irrwege namhaft. Unter Narzißmus versteht Grunberger - er hat jahrzehntelang an einer eigenen Narzißmustheorie gearbeitet, die sich von der Freuds unterscheidet, der nicht so kategorisch Narzißmus und Trieb trennt - "die bleibende Spur einer pränatalen Koenästhesie". Diese "glückliche Hochstimmung" begleite das Erleben des Individuums als "Seligkeit"; im Fall der Enttäuschung jedoch könne sich gegen die Ursache der Enttäuschung "apokalyptische Energie" entfalten: Narziß ist der Antagonist des ödipalen Ich.

Der Ödipuskomplex sei nicht nur ein "Verband für die narzißtische Wunde des kleinen Kindes", die durch die "Kastration der Geburt" entsteht - er mache den Menschen erst zum Menschen, die Gesellschaft erst "menschlich". Im Rahmen der ödipalen Reifung, der Annahme des väterlichen Gesetzes, nimmt nach Grunberger die unbewußte Analität eine Pilotfunktion ein. Bleibe das Subjekt an diese Stufe gebunden, so werde "der absolute Triumph über das Objekt" sein oberstes Ziel sein, das Objekt werde fäkalisiert und ausgestoßen. Mit Hilfe dieses Theorems von der Nichtintegration der Analität interpretiert Grunberger Hitler.

Spieglein, Spieglein

Grunbergers Buch erschien 1997 in Paris. Der als Koautor genannte Pierre Dessuant hat dem schon sehr betagten Autor wohl bei der Zusammenstellung des umfangreichen Materials geholfen, im übrigen ist das Werk "reiner" Grunberger, wie jeder, der mit dessen Narzißmustheorie vertraut ist, sofort erkennen kann. Das Alter des Autors spielt höchstens insofern eine Rolle, als es ihm endlich Gelegenheit gegeben hat, sein geschichtsphilosophisches Opus maximum aufzuschreiben. Es ist ein spannendes, ein ärgerliches und in jedem Fall ein Buch, über das zu diskutieren sich lohnt. Leider ist es recht redundant, und anders als der Autor glauben mag, ist Redundanz kein Beweis für Wahrheit. Wäre es nur ein bißchen ambivalenter ausgefallen, es wäre sogar ein "schönes" Buch geworden. Jedenfalls gibt es keinen anderen geschichtsphilosophischen Universalentwurf, der das Narzißmusproblem zum Grundproblem aller Übel und aller Bewegung erklärt. Grunberger behauptet, der Narzißmus sei der eigentliche Vollstrecker des Todestriebes in der menschlichen Heils- oder auch Unheilsgeschichte.

Was das Christentum betrifft, macht er in gewisser Weise das Gegenteil von Freud, der psychoanalytische Einsichten erst sehr spät gegen die christliche Religion gewendet hat. Zum einen, weil er deren Kultur bewunderte, und dann aus Vorsicht, weil er in der Kirche eine Zeitlang noch einen Bündnispartner zu sehen versuchte. In seinem Pessimismus hatte Freud zwar vorausgesehen, daß die Menschheit im Falle einer Katastrophe "auf Anfang" zurückgeworfen würde, aber den Holocaust als Kulminationspunkt der kulturellen Entwicklung hat er nicht vorausgesehen. Grunberger versucht nun, diese Geschichtskatastrophe einzuholen. Seit der Shoah muß der psychoanalytische Blick auf die Kulturgeschichte ein anderer sein. Man wird Grunberger zugestehen müssen, daß er keine Lust hat, sich um eine besonders differenzierte Sichtweise des Christentums zu kümmern, da er jeder Forderung nach Differenzierung entgegensetzen kann, daß der Antisemitismus mehr oder weniger konstant geblieben sei. Schließlich erstreckten selbst die Toleranzplädoyers der Aufklärungszeit sich nicht auf die Juden, die damals auch wie Feinde des Menschengeschlechts betrachtet wurden, gegen die die Menschenliebe durchgedrückt werden mußte.

Friedrich der Große fragt einer Anekdote zufolge einen Pfarrer, was es für Wahrheitsbeweise für das Christentum gebe. Nachdem der Pfarrer eine Zeitlang nachgedacht hat, antwortet er dem König: "Majestät, die Juden." Die Leute, die dafür beschimpft werden, daß sie Christus ans Kreuz gebracht haben, sind seit je der lebende Beweis für die Wahrheit des Christentums, sie müssen noch immer für den Gottesmord leiden. Ihre Identität ist die unselige Ewigkeit dieses historischen Augenblicks. Mit seinem Generalangriff auf das Christentum verschanzt Grunberger sich sozusagen in dieser unseligen Ewigkeit und fixiert damit die jüdische wie die christliche Identität.

There's something about Mary

Die in Grunbergers Narzißmusbegriff konnotierte Mutterbindung scheint auf den Narzißmus des Katholizismus zuzutreffen. Daß dieser Gedanke aber auf einer unglaublichen Vereinfachung basiert, geht einem sofort auf, wenn man an den Protestantismus denkt, der sich bekanntlich gegen die Madonna wendet, was mitnichten eine Rückkehr zum Judentum bedeutet. Im Gegenteil, der protestantische Antisemitismus ist in der Regel noch ausgeprägter als der katholische. Grunberger rechnet nicht damit, daß religiöse Figuren - nicht nur im Christentum, sondern ganz allgemein - zwischen regressivem und progressivem Sinn changieren.

Dies außer acht zu lassen ist eine der großen religionsphilosophischen Schwächen des Buches. Außerdem kann, wer so generell über Religion spricht, den Unterschied zwischen Judentum und Christentum nicht psychologisch erklären, er muß über die Opferthematik sprechen, wie es ja Freud bekanntlich auch getan hat, der das Opfer aus Totem und Tabu in der christlichen Totemmahlzeit wiederkehren sieht. Wenn Grunberger sich damit beschäftigt hätte, wäre er möglicherweise auf die mangelnde Plausibilität des Opfermotivs gestoßen und hätte einen der echten "Geburtsschäden" des Christentums analysieren können. Das Sühneopfer des Neuen Bundes als absolutes Fundament ist die Weichenstellung für den christlichen Antijudaismus. Der Opferkult selbst ist freilich überdeterminiert, in ihm steckt auch schon die Opferkritik.

Grunbergers Grundfrage hätte so lauten müssen: Inwieweit ist es die Leistung aller Religionen gewesen, eine pragmatische Übersetzung des Narzißmus in andere Einsichten und altruistische Interessen zu liefern? Unter dem Strich mag dann immer noch herauskommen, daß das Christentum "narzißtischer" ist als das Judentum, das wie der Islam einer "institutionellen Schoßqualität" weniger bedarf. Aber wer Narzißmus als Wunschdenken ganz aufs Christentum bezieht und Gesetz als Realitätsbewußtsein mit dem Judentum analogisiert, übersieht die jeweilige Konfliktgeschichte beider Seiten und petrifiziert beide.

Man könnte geradezu eine Theorie der Religionen formulieren, die auf der Annahme basierte, daß eine jede einen Übersetzungsversuch darstellt. Weniger hilfreich ist die Behauptung, die eine habe sich den Narzißmus vom Leib gehalten, während die andere sich auf Gedeih und Verderb mit ihm eingelassen habe. Für Grunberger ist alle Mystik, also auch diejenige innerhalb der jüdischen Religion, des Teufels und damit eben ein großer Teil der jüdischen Tradition selbst. Auf der Suche nach einer Religionsphilosophie, die nicht in die jüdische Tradition der Religionsphilosophie verfiele und also von Grunbergers fundamentalistischem Standpunkt aus legitim wäre, findet er nur eine Antwort: die Psychoanalyse, die erklärtermaßen keine Philosophie sein will. Grunberger begreift sie als Fundamentalpsychologie, die sich mit seinen fundamentaljüdischen Vorstellungen (oder seiner Lebenshaltung) ausgezeichnet verträgt. Die Psychoanalyse - als einzige nichtnarzißtische Denkschule, die nicht des Teufels ist - vermöge zugleich das Menschheitsrätsel des Narzißmus zu lösen. Diese Parallelisierung von Judentum und Psychoanalyse, die beide auf das Realitätsprinzip reduziert, idealisiert beide.

Über Jesu "Eßschwierigkeiten" und anderen Mumpitz, der aus dem Karikaturenbuch für "psychoanalytische Anwendungen" zu kommen scheint, muß man nicht viele Worte machen. Allerdings sind die Gastmähler, an denen er teilnimmt, zentral für die Jesusgeschichte, da sie so etwas wie Figuren des Gottesreiches sind. Jesus und seine Verkünder mußten "leisten", was Mithras zum Beispiel nicht vermochte: Andere Mysterien, so die Brotkirche der Demeterreligon und die Weinkirche des Dionysoskultes, wurden der neuen Religion metamysterienartig einverleibt und dadurch "reichskompatibel".

In der Tat war das eine der wichtigsten historischen Leistungen des Christentums, daß es eine der Struktur des Römischen Reichs kongruente religiöse Struktur geschaffen hat. Das muß Grunberger natürlich nicht imponieren. Eher schon könnte es ihn beeindrucken, daß das Christentum die erste Religion der unteren Klassen war. Kein antiker Humanismus und nicht die Stoa, sondern erst das Christentum hat zur Kritik an der Sklaverei geführt. Grunberger will aber nicht sehen, daß nur ein Prophet sagen kann: Ich bin gekommen, zu erfüllen das Gesetz und die Propheten, und nicht ein narzißtischer Wunschwicht, der das ödipale Gesetz nicht anerkennen will. Und ebensowenig kann er erkennen, wie deutlich und folgenreich das antinarzißtische Moment in der Passionsgeschichte vor Augen geführt wird.

Am wenigsten neu und methodologisch am schwächsten ist der Teil über Hitlers Antisemitismus. Grunberger schließt von Hitlers "Koprophagie" auf den psychischen Charakter der Shoah als eines Einverleibungs- und Verdauungsprozesses. Die Politik des Nationalsozialismus wird damit auf die Perversion eines Individuums reduziert. Ungeklärt bleibt, wie Massen an der perversen Struktur eines Individuums partizipieren. Im übrigen war Hitler natürlich kein Christ. Er hatte nichts mit der christlichen Dogmatik und nichts mit der christlichen Liebesethik zu tun, wohl allerdings mit seiner Rückseite, dem "Arsch" des Christentums, der den Juden entgegengehalten wird. Als anal Ausagierender kann sich schon Luther in seiner Schrift gegen die "Judensau" nicht genugtun.

Die Juden prangerten die Mutterkulte mit ihren Schweineopfern an. Diese Kritik wird dann auf die Juden rückprojiziert. Hitler kommt darin in Grunbergers Augen zum Exzeß. Dementsprechend wäre er so etwas wie die Agentur der analen Mutter, und dazu würde manches in der nationalsozialistischen Tradition gut passen, so etwa die brutale Reinlichkeitserziehung und Reinheitsideologie der Zeit.

Der rufet den Elias nicht

Freud hat sich bekanntlich mit Paulus, dem Juden aus Tarsus, identifiziert und diesen "Emigranten" als Begründer der universalen Religion des Christentums verstanden. Auch darin zeigt sich, daß Freud stets aus der Position einer Gesamtverantwortung für die Kultur gesprochen hat. Das tut Grunberger nicht mehr. Als wolle er sich dagegen wehren, daß die Juden, die immer nur Opfer waren, auch noch Gesamtverantwortung übernehmen sollen. Freud hat die Shoah zwar nicht mehr erlebt, hätte er es aber getan, dann - so möchte man glauben - hätte er die aus der europäischen Aufklärung rührende Idee der Gesamtverantwortung trotzdem nicht aufgegeben. Nur so "geht es", hatte Buber Scholem geantwortet, als dieser ihm vorwarf, aus der Position der Gesamtverantwortung zu sprechen: Der Prophetismus ist zwar rein jüdisch, aber das spezifisch jüdische Ferment in ihm ist gesprengt und aus der jüdischen Engführung herausgelöst. Von dieser Tradition eines verallgemeinerten jüdischen Prophetismus, einer Gesamtverantwortung für die Menschheit, hat sich Grunberger in seinem Schmerz und seiner Verbitterung gelöst. Das müssen wir mit Respekt und Bedauern zur Kenntnis nehmen. Imitieren müssen wir ihn nicht. Wir müssen sein Verständnis unserer beiden ererbten Religionen nicht übernehmen.

CAROLINE NEUBAUR

Bela Grunberger und Pierre Dessuant: "Narzißmus, Christentum, Antisemitismus". Eine psychoanalytische Untersuchung. Aus dem Französischen von Max Looser. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 514 S., geb., 88,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So ganz scheint Rezensentin Caroline Neubauer nicht zu wissen, was sie von dem Buch halten soll. Es sei ein "spannendes, ein ärgerliches und in jedem Fall ein Buch, über das zu diskutieren sich lohnt", schreibt sie. Und im nächsten Satz dann: "Leider ist es redundant". Da staunt der Leser und sucht nach Argumenten. Findet aber nur Versuche der Rezensentin, sich dem Buch zu nähern, die eher Unsicherheit als Souveränität ausdrücken und den Gegenstand kaum griffig präsentieren können. Zwar lesen wir, dies sei Grunbergers "geschichtsphilosophisches Opus magnum" und der als Koautor genannte Pierre Dessuant habe nur bei der "Zusammenstellung des umfangreichen Materials geholfen". Dann folgen Versuche, den Thesen des Buches zu widersprechen, ohne diese zunächst schlüssig vorzustellen. Dabei ist die Rezensentin voller unreflektierter Ressentiments gegen einen Autor, der das Christentum aus der Sicht des Judentums angreift. Verzwirbelte fachidiotische Sätze mit Stilblütenflair, z.B. Hitler, "die Agentur der analen Mutter" tun ihr übriges, um die Lektüre der Rezension zum Ärgernis zu machen.

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