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Produktbeschreibung
PLATON U.D.ERFINDUNG V.ATLANTIS LT11
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2002

Der Mythos von Atlantis will nicht untergehen
Nur Heinz-Günther Nesselrath nimmt Abschied von der Legende und entzaubert die Nachrichten von der versunkenen Stadt
Von manchen Namen geht ein Zauber aus, dessen Quelle tief im kollektiven Unbewussten entspringt. Sonst wäre die zähe Lebensdauer ihrer Anziehungskraft auf unsere Phantasie nicht zu erklären. Inbegriff solcher mit einem Namen verbundenen Faszination ist die im Meer versunkene Insel Atlantis. Die Sehnsucht nach dem verlorenen, in eine ferne Vorzeit (im Fall von Atlantis sind es zwölftausend Jahre) entrückten Paradies oder Goldenen Zeitalter mag diesem Wunschbild als psychische Realität zugrunde liegen.
Seine Karriere ist dennoch fast unbegreiflich. Während Mythen ihre suggestive Macht gewöhnlich aus einem sich in geheimnisvollem Dämmer verlierenden Ursprung beziehen, lässt sich die Sage von Atlantis auf einen einzigen Autor zurückführen, der überdeutlich im Licht der Geschichte steht. Die gesamte riesige Literatur über die versunkene Insel – die Zahl der gedruckten Beiträge geht in die Zehntausende – beruht auf zwei Passagen in Platons (wahrscheinlich zwischen 360 und 350 v. Chr. entstandenen) Dialogen „Timaios” und „Kritias”.
Auch seriöse Philologen haben sich nicht davon abhalten lassen, dem platonischen Bericht einen wahren Kern zuzubilligen. Wie üppig wuchert da erst die Spekulation bei den Para-Archäologen und selbsternannten Welträtsel- Lösern! In einem im März dieses Jahres in Leipzig gehaltenen Vortrag geht der Göttinger Gräzist Heinz-Günther Nesselrath mit dieser Art von Literatur streng ins Gericht.
Der Hauptfehler der modernen Atlan-tis-Sucher besteht darin, dass sie Platons Angaben zugunsten der von ihnen präsentierten Lösung bis zur Unkenntlichkeit abändern müssen und sich dabei immer noch auf die Autorität des großen Denkers berufen wollen. Nimmt man aber diese Angaben ernst, ist an ihrer Unhaltbarkeit nicht zu zweifeln. Dann er-hebt sich die Frage nach den Motiven von Platons Erfindung und nach den Inspirationen, die der Erfinder aus seiner eigenen Wirklichkeit beziehen konnte.
Nesselrath beantwortet sie überzeugend. Das gewaltige und aggressive, gleichwohl durch und durch platonische Inselreich Atlantis erweist sich als eine Kombination aus der Seemacht Karthago und der Landmacht Persien, dessen Reichsorganisation sich in der atlantischen Königsherrschaft wiedererkennen lässt. Und für Flutkatastrophen gab es auch schon im fünften vorchristlichen Jahrhundert traurige Beispiele.
Die Atlantis-Freaks übersehen gern, dass Platons Inselstaat nicht etwa als ideale Staatsutopie gezeichnet ist, sondern das Negativ zu einem vorbildlich verfassten Ur-Athen darstellt, das starke Ähnlichkeit mit dem in Platons „Politeia” entworfenen Staatsmodell aufweist. Die Geschichte von der Niederlage des mächtigen Atlantis und vom Sieg der kleinen Polis, die sich zur Hybris und Instabilität Athens zur Zeit Platons genau entgegengesetzt verhält, kann also als warnende Parabel verstanden werden, mit der Platon auf die Politik seiner Heimatstadt Einfluss nehmen wollte.
Ein Weltgeheimnis weniger. Wissenschaft will aufklären, sie muss es, – und das bedeutet nun einmal Arbeit am Geschäft der Entzauberung. Bleiben die Dichter. Die letzte Strophe eines Atlantis-Gedichts von Walter Helmut Fritz lautet: „Im Hafen/ liegen die Schiffe,/ die bei jeder Ausfahrt/ das Meer hervorbringen.”
ALBERT VON SCHIRNDING
HEINZ-GÜNTHER NESSELRATH: Platon und die Erfindung von Atlantis. Lectio Teubneriana XI. K.G. Saur Verlag, München 2002. 62 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Anders als bei den meisten Mythen lässt sich die Sage von Atlantis auf einen einzigen Autor zurückführen. Auch seriöse Philologen billigen Platons Bericht über Atlantis in seinen Dialogen "Timaios" und "Kritias" einen wahren Kern zu, weiß Rezensent Albert von Schirnding. Doch vor allem Para-Archäologen und selbsternannte Welträtsel-Löser lassen sich vom platonischen Atlantis-Bericht zu den krudesten Spekulationen hinreißen, hält der Rezensent fest. Mit dieser Gruppe hat der Gräzist Heinz-Günther Nesselrath nun abgerechnet. Wie von Schirnding ausführt, nimmt Nesselrath defintiv Abschied von der Legende Atlantis. Hauptfehler der modernen Atlantis-Sucher ist nach Nesselrath, so von Schirnding, dass sie Platons Angaben zugunsten ihrer Lösungen bis zur Unkenntlichkeit abändern, sich aber dennoch auf die Autorität des Denkers berufen. Nehme man Platons Angaben ernst, so sei an ihrer Unhaltbarkeit nicht zu zweifeln. Die Frage, warum Platon dann überhaupt von Atlantis spricht, beantwortet Nesselrath nach Ansicht von Schirndings "überzeugend": Platon ersann die Geschichte von der Niederlage des mächtigen Atlantis, das Züge der Seemacht Karthago und der Landmacht Persien vereint, als warnende Parabel, mit der er auf die Politik Athens Einfluss nehmen wollte.

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