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Die Demokratie, vor 2500 Jahren im antiken Griechenland entstanden, hat nie ihre Faszination verloren. Die Idee von der Freiheit der Bürger inspirierte seitdem immer wieder neu das Nachdenken über die richtige Regierungsform für eine Gesellschaft. In seiner konzisen Studie zeichnet Wilfried Nippel nach, wie über die Jahrhunderte hinweg der Rückgriff auf die athenische Demokratie bis in die Gegenwart die Diskussion über das jeweils aktuelle politische System bestimmt hat.

Produktbeschreibung
Die Demokratie, vor 2500 Jahren im antiken Griechenland entstanden, hat nie ihre Faszination verloren. Die Idee von der Freiheit der Bürger inspirierte seitdem immer wieder neu das Nachdenken über die richtige Regierungsform für eine Gesellschaft.
In seiner konzisen Studie zeichnet Wilfried Nippel nach, wie über die Jahrhunderte hinweg der Rückgriff auf die athenische Demokratie bis in die Gegenwart die Diskussion über das jeweils aktuelle politische System bestimmt hat.
Autorenporträt
Nippel, WilfriedWilfried Nippel ist Professor für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2008

Staatsknechtschaft des Individuums
Wilfried Nippel erzählt, wie die antike Demokratie unsere modernen Verfassungen geprägt hat: als Abschreckung
Das Frauenwahlrecht wurde in Frankreich im Jahr 1946 eingeführt. In der Schweiz durften die Frauen auf Bundesebene gar erst ab 1971 mitwählen. In den USA erhielten sie das aktive Wahlrecht im Jahr 1920. Wäre es deshalb richtig zu sagen, diese Länder seien vorher keine Demokratien gewesen?
Richtig wäre das vielleicht im Sinne einer aus unserer Sicht „wahren”, vollständigen Demokratie, die die Gleichheitsforderung der Aufklärung endlich für alle Menschen verwirklicht und eben nicht nur für die Männer. Im Sinne einer Geschichte der Staatsformen jedoch, auf die sich demokratische Verfassungsstaaten heute beziehen, wäre es anerkanntermaßen abwegig, nicht schon vorher in Frankreich, Schweiz und USA die Demokratie am Werk zu sehen. Sie beruhten, wie jeder weiß, schon länger auf souveränen Mehrheitsentscheidungen, was eine evolutionäre oder revolutionäre Abkehr von Monarchie und Feudalismus auch dann bleibt, wenn die Gruppe der Träger von Bürgerstatus und Partizipationsrechten zunächst beschränkt war.
Während man sich darüber recht einig ist, verhält es sich mit der Bewertung der radikalen Demokratie im Athen des fünften und vierten Jahrhunderts vor Christus anders. Hier, beim Urbild aller Demokratien, werden scharfe Modernitätsansprüche gestellt. Ein gängiges Urteil lautet, eine wirkliche Demokratie könne das nicht gewesen sein, weil Frauen sowie Männer ohne Bürgerstatus (Sklaven und Zuwanderer) damals von der Volksversammlung und den Volksgerichten ausgeschlossen waren. War die uneingeschränkte Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsmacht der athenischen Menge für Demokratiephobiker aller Epochen ein Schreckbild, so ist man heute umgekehrt beleidigt, dass die Athener vor 2500 Jahren noch nicht komplett grundgesetzkonform waren. „Wohl keine andere Ordnung in der Weltgeschichte”, schreibt der Historiker Wilfried Nippel, „wird mit so evident anachronistischen Maßstäben bewertet wie die athenische Demokratie.” Und woran liegt das? „Offensichtlich hat im Bewusstsein der Nachwelt Athen mit seiner Kategorie der Demokratie eine überzeitlich geltende Norm gesetzt, an der seine eigene Praxis gemessen wird.”
Platons Verachtung der wankelmütigen Masse in der „Theatrokratie” seiner Vaterstadt hat in der neuzeitlichen Verfassungs- und Politikgeschichte tiefe Spuren hinterlassen. „Wäre auch jeder athenische Bürger ein Sokrates gewesen”, meinte James Madison, „so wäre doch immer noch jede Versammlung der Athener eine des Pöbels gewesen.”Auch für Alexander Hamilton, seinen Kollegen unter den amerikanischen Verfassungsvätern, waren die Athener „ein zügelloser Mob, der zur Beratung nicht fähig und zu jeder Ungeheuerlichkeit bereit war”. Also könne man bei der Errichtung einer Republik in einem großen Flächenstaat – die man gegen Montesquieu für machbar hielt – zur Verhinderung solcher Zügellosigkeit nur ein Repräsentativsystem einführen, ganz nach der Meinung des Philosophen David Hume.
Auf der anderen Seite aber machte Athens Demokratie, die den einfachen Bürger in einem für alle Zeiten unerhörtem Ausmaß in die Politik einspannte, immer auch gewaltigen Eindruck: mit ihrer Machtentfaltung und ihrer im Ganzen beeindruckenden Stabilität, mit ihrer großen politischen Rhetorik und ihrer Kunst. Der Bürgerhumanismus im Florenz des frühen 15. Jahrhunderts appellierte an das Vorbild Athen und entwickelte erste Ansätze eines modernen Verfassungsverständnisses; in der Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb der liberale Bankier Georg Grote seine zwölf Bände „History of Greece” als ein, wie man gesagt hat, „Evangelium der Demokratie”, beeindruckte damit auch John Stuart Mill und beförderte so die Demokratisierung des englischen Wahlrechts.
Die Geschichte der Beschäftigung mit Athens Direktdemokratie ist also zugleich die Geschichte der neuzeitlichen Verfassungsdiskussion und ihres Ringens um die Demokratie. Wilfried Nippel, Berliner Althistoriker und Max-Weber-Herausgeber, hat diese Geschichte aufgeschrieben. Sein neues Buch, nur wenige Wochen nach seiner gründlichen Biographie Johann Gustav Droysens erschienen, schleicht sich so im bescheidenen Studienformat einer Taschenbuchreihe heran, ist aber doch eine eigenständige, aus den Quellen gearbeitete, veritable Monographie, deren 1300 Anmerkungen nicht durch ihre Zahl, sondern die darin offenbarte tiefe und breite Lektüre beeindrucken.
Nicht geringer als die Leistung dieses Buches, die Bezugnahmen des politischen Theoriediskurses auf die Antike aufzuspüren, ist sein Verdienst, vor Kontinuitäten zu warnen. Anders als mancher, der mehrere Jahrtausende zurückblickt, erliegt der Autor nicht dem „Alles schon dagewesen”. So, wie es für die USA und ihre Gründerväter Paul Rahe in seinem Buch „Republics, Ancient and Modern” von 1992 getan hat, so führt Nippel in seinem gesamten ideengeschichtlichen Panorama vor, dass man den Einfluss der Antike auf die moderne Verfassungsgebung auch nicht übertreiben darf. Gewiss, die Engländer zitierten gerne den Redner Demosthenes, und Ciceros Formel salus populi suprema lex hat dem „Wohlfahrtsausschuss” des französischen Revolutionsterrors, dem „Comité de Salut public”, seinen Namen gegeben. Aber vielfach blieb das dramatische Personal des Altertums bloß rednerischer Schmuck, während Englands puritanische Revolution, sein Schritt für Schritt emanzipiertes Parlament oder unsere Kataloge von Menschenrechten sich keineswegs antiken Triebkräften verdanken. Auch strukturelle Ähnlichkeiten der Organisation beweisen noch nicht, dass überall Perikles herumspukt: Die Geschworenengerichte der Französischen Revolution folgen dem englischen, nicht dem attischen Modell. Und die alternative „Basisdemokratie” seit den siebziger Jahren hat etwa mit ihrem Rotationsprinzip deutliche Anklänge an das System im Athen, „ohne dass”, wie Nippel schreibt, „die Grünen im Verdacht gestanden hätten, sich mit der Antike auseinandergesetzt zu haben”.
Die größte Wirkung des athenischen Modells auf die neuzeitliche Politik ist, bei aller Bewunderung, doch die damit mobilisierte Abschreckung. Das wird deutlich an der beliebten Kritik am angeblich völligen Fehlen persönlicher Freiheiten bei den Griechen – Jacob Burckhardt spricht von der „Staatsknechtschaft des Individuums”. Der Direktdemokratie wird in dieser Tradition ein beinahe totalitärer Charakter attestiert, Thomas Hobbes übersetzt Thukydides, um vor der Demokratie zu warnen, und Immanuel Kant erkennt in ihr den Despotismus. Eng damit zusammen hängt der zweite, noch folgenreichere Negativeffekt Athens: die Begründung des modernen Verfassungsstaates nicht als Versammlungsdemokratie, sondern als repräsentative Republik. Zunächst war „Demokratie” ja sogar der gruselige Gegensatz dazu – bis die positive normative Energie dieses Begriffes siegte, das Repräsentativsystem in seine Macht brachte und so letzte ständische Schranken wie das Zensuswahlrecht hinwegfegte.
Wilfried Nippel hat ein interessantes, nützliches Buch vorgelegt. Es ist gelegentlich etwas trocken geschrieben; es ist aber in seinem unpathetischen, unkämpferischen Ton gerade ein Dokument dafür, wie selbstverständlich uns der Vorrang der Demokratie heute geworden ist. So selbstverständlich, dass manche in dieser Stabilität schon wieder eine Gefahr sehen und nach mehr partizipatorischer Leidenschaft, nach mehr Athen rufen. Wann also werden wir per Volksbeschluss den nächsten Sokrates hinrichten? JOHAN SCHLOEMANN
WILFRIED NIPPEL: Antike oder moderne Freiheit? Die Begründung der Demokratie in Athen und in der Neuzeit. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2008. 456 Seiten, 11,95 Euro.
Neue Bücher zur Demokratie
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Athens Demokratie steht in schlechtem Ruf und scheint eher abschreckenden Charakter zu haben. Die einen kreiden ihr an, dass Frauen und nicht-Freie kein Wahlrecht haben und die persönlichen Freiheiten fehlten, die anderen - von Hobbes bis Kant - die direkte, despotische Macht des "Pöbels". Dankbar nimmt Johan Schloemann deshalb Wilfried Nippels "nützliches", dabei bescheidenes Buch zur Athener Demokratie "Antike oder moderne Freiheit" auf, dass Athen als Demokratie verteidigt und mehrere anachronistische Verzerrungen gerade rückt. Klargestellt sieht Schloemann durch das Buch, dass eine Staatsform durchaus demokratisch sein kann, auch wenn nicht alle an ihr partizipieren. Die USA und die Schweiz würden schließlich auch vor Einführung ihres Frauenwahlrechts (1920 beziehungsweise 1971) als Demokratien angesehen, auch wenn sie nicht unsere Standards von Gleichheit und Freiheit entsprächen. Zum anderen zeige Nippel auf, dass sich unsere heutigen Demokratien nicht im Rückgriff auf die Antike bildeten, sondern sich "Schritt für Schritt" emanzipierten. Vielleicht, merkt Rezensent Schloemann zum Schluss noch an, sei das Buch etwas trocken geschrieben, anderseits gefällt ihm Nippels "unpathetischer, unkämpferischer Ton" sehr gut.

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