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Die Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen im Osten und Südosten Europas ab 1941steht inzwischen fest. Doch der gnadenlose Rasse- und Vernichtungskrieg hatte bereits mit dem Überfall auf Polen begonnen, wo im September 1939 Einheiten der Wehrmacht Tausende von Polen und Juden, Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet wurden. Der Autor beleuchtet in seiner bahnbrechenden Untersuchung die Hintergründe.

Produktbeschreibung
Die Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen im Osten und Südosten Europas ab 1941steht inzwischen fest. Doch der gnadenlose Rasse- und Vernichtungskrieg hatte bereits mit dem Überfall auf Polen begonnen, wo im September 1939 Einheiten der Wehrmacht Tausende von Polen und Juden, Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet wurden. Der Autor beleuchtet in seiner bahnbrechenden Untersuchung die Hintergründe.
Autorenporträt
Jochen Böhler, geb. 1969, studierte in Köln Mittlere und Neuere Geschichte, Ethnologie und Volkswirtschaft. Nach Stationen am Deutschen Historischen Institut Warschau (2000-2010) und am Imre Kertész Kolleg Jena (2010-2019) vertrat er den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (2019-2022). Er war Fellow am United States Holocaust Memorial Museum (2004) und an der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (2007/08) sowie Gastprofssor an der Pariser Sorbonne-Universtät (2017). Seit Oktober 2022 ist er Direktor des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien.  Literaturpreise: 2005: Förderpreis des Generalkonsulates der Republik Polen in Köln und des Polnischen Wissenschaftsforum in Deutschland e.V. für das Buchmanuskript »Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939« (FISCHER Taschenbuch in der »Schwarzen Reihe« 2006) 2019: Oskar Halecki Prize »Historical Book of the Year« für »An American in Warsaw. Selected Writings of Hugh S. Gibson, US Minister to Poland, 1919¿1924« (herausgegeben mit Vivian Reed u.a.) 2019: Kulczycki Book Prize in Polish Studies für »Civil War in Central Europe. The Reconstruction of Poland, 1918¿1921« 
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2007

Allzu flinke Formel
Verbrechen von Wehrmachtsangehörigen während des Polenfeldzugs 1939

Kaum ein historisches Thema hat die deutsche Gesellschaft während der vergangenen Jahre so beschäftigt und so bewegt wie die Geschichte der deutschen Wehrmacht. Damit einher ging eine bemerkenswerte Schwerpunktverlagerung des öffentlichen wie des wissenschaftlichen Interesses. Verkürzt könnte man sagen: das Kriegsverbrechen hat den Krieg ersetzt. Begründet wurde dieser Paradigmenwechsel mit den Ereignissen auf drei Kriegsschauplätzen: der Sowjetunion, dem Balkan sowie Italien. Dass bald andere Einsatzräume der Wehrmacht auftauchen würden, war absehbar. Jochen Böhler vertritt nun die These, der rassenideologische Vernichtungskrieg der Wehrmacht habe nicht erst 1941 begonnen, sondern bereits zwei Jahre früher in Polen. Keine Frage: Schon ihren ersten Feldzug im September 1939 konnten die deutschen Soldaten hart, mitunter auch brutal führen. Damit trafen sie nicht nur den militärischen Gegner; noch während des Feldzugs erschossen Wehrmachtseinheiten mehrere tausend Zivilisten und brannten einige hundert Dörfer nieder. Auch Juden und Kriegsgefangene zählten bereits zu ihren Opfern.

An der Substanz der von Böhler präsentierten Fälle besteht kein Zweifel, an seiner These eines "Vernichtungskriegs", den speziell die Wehrmacht geführt haben soll, indes schon. Hierzu drei Überlegungen: (1) Die meisten deutschen "Repressalien" waren eine Reaktion auf angebliche polnische Freischärler. Böhlers Beobachtung, die Deutschen hätten häufig überreagiert und seien überhaupt sehr nervös aufgetreten, ist zweifellos richtig. Aber muss dies im Umkehrschluss heißen, dass es von polnischer Seite keine irregulären Aktionen gab? Sieht man einmal davon ab, dass diese Form der Kriegführung in Polen eine lange Tradition hat und dass während des Zweiten Weltkriegs nur wenige Untergrundbewegungen so mächtig wurden wie die "Armia Krajowa", dann sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass im September 1939 zirka 2000 "Volksdeutsche" von ihren polnischen Mitbürgern ermordet wurden - eine (niedrige) Schätzung, die Böhler im übrigen nur in einer Fußnote erwähnt. Warum es in dieser aufgeladenen Atmosphäre nicht auch zu Angriffen auf deutsches Militär gekommen sein soll, bleibt unerfindlich.

(2) Unklar bleibt auch der Stellenwert der deutschen Verbrechen. Dass es Einheiten der Wehrmacht gab, die zum Rechtsbruch neigten, steht außer Frage. Wie weit aber prägte das den Alltag dieser Millionenarmee? Während Erschießungen von Zivilisten relativ oft vorkamen, scheint es sich bei den Morden an Kriegsgefangenen oder Juden um Einzelfälle gehandelt zu haben, letztere konnten auch die deutschen Kriegsgerichte beschäftigen, was Hitler dann nach Ende des Feldzugs unterband. Spätestens hier wird ein entscheidender Unterschied zwischen dem Krieg in Polen und dem in der Sowjetunion sichtbar. Eine lang angelegte, systematische Strategie der Vernichtung, die mit der im "Unternehmen Barbarossa" vergleichbar wäre, gab es beim Feldzug in Polen nicht. Es war daher kein Wunder, wenn der Oberbefehlshaber des Heeres bei seinen Frontfahrten "vielfach ein zu freundschaftliches Verhältnis zwischen Soldaten und Zivilisten einschließlich Juden" beobachtete. Oder wenn sich Hitler damals über seine Offiziere ereiferte, die "in politischen Dingen bisweilen wie die Kinder seien". Von solchen Stimmen will Böhler aber nichts wissen.

(3) Doch war die Reaktion der Wehrmachts- und Truppenführung auf die Untaten der Truppe keinesfalls so eindeutig, wie der Autor suggeriert - im Gegenteil. Charakteristisch für die Situation der Wehrmacht, gerade auch im ersten Kriegsjahr, war vielmehr der Umstand, dass sie sich in einem Transformationsprozess befand, der noch längst nicht abgeschlossen war. So erklärt sich, warum einige Offiziere zum Teil sehr energisch der "Verwilderung" ihrer Soldaten entgegenzusteuern suchten. Hätte sich Böhler etwa die Mühe gemacht, die reich überlieferten Akten der deutschen Kriegsgerichte heranzuziehen, die bislang in Kornelimünster archiviert waren, dann hätte er von genau dieser Bruchlinie zwischen militärischer Tradition und nationalsozialistischer Revolution ein differenzierteres Bild zeichnen können.

Bei Böhlers Arbeit handelt es sich um die erste deutsche Zusammenfassung der Wehrmachtsverbrechen während des Polenfeldzugs. Diese Leistung bleibt festzuhalten. Die Chance einer überzeugenden und differenzierten Darstellung, auch mit Blick auf die Interaktion beider Parteien, verspielt der Autor aber zugunsten seiner "flinken Formel" vom "Vernichtungskrieg".

CHRISTIAN HARTMANN

Jochen Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006. 279 S., 12,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Erzählungen von Zeitzeugen und neue Quellen verbürgen für Rezensent Matthias Arning die Qualität der Studie. So werde veranschaulicht, wie der Einsatz der Wehrmacht insbesondere auf den Marktplätzen der Dörfer schon kurz nach dem Überfall auf Polen ganz konkret ausgesehen hat. Jochen Böhler gelange aufgrund vieler bis ins Einzelne gehende Schilderungen zu dem Schluss, dass schon zwei Jahre vor dem Krieg gegen die Sowjetunion ein Vernichtungskrieg geführt worden sei. Das zeige sich beispielsweise in der Ermordung von Zivilisten und der "bereitwilligen" Unterstützung bei der Ermordung und Vertreibung polnischer Juden. Der Autor fragt darüber hinaus nach den Motiven einer solchen Vorgehensweise, wo doch die Gefahr durch Freischäler erst im Winter akut wurde. Schon im Oktober 1939, referiert der Rezensent, sei ein rascher Sittenverfall in der Wehrmacht zu beobachten gewesen, gespeist aus dem Glauben an die Minderwertigkeit osteuropäischer Kulturen sowie einem gewaltbereiten Antisemitismus.

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