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Wissenschaftliches Fehlverhalten - ein individualethisches Problem? Dass viel mehr dahinter steckt, zeigt die interdisziplinäre Arbeitsgruppe "Zitat und Paraphrase" der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der Band versammelt Beiträge zur historischen Entwicklung der Belegkultur, zur Frage von Urheberschaft und Originalität in der Wissenschaft sowie zu Problemen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Natur und Geisteswissenschaften.

Produktbeschreibung
Wissenschaftliches Fehlverhalten - ein individualethisches Problem? Dass viel mehr dahinter steckt, zeigt die interdisziplinäre Arbeitsgruppe "Zitat und Paraphrase" der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der Band versammelt Beiträge zur historischen Entwicklung der Belegkultur, zur Frage von Urheberschaft und Originalität in der Wissenschaft sowie zu Problemen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Natur und Geisteswissenschaften.
Autorenporträt
Die Historikerin Dr. Christiane Lahusen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der BBAW. Christoph Markschies, Professor für Kirchengeschichte, war von 2006 bis 2010 Präsident der HU Berlin und ist seit 2011 Vizepräsident der BBAW.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Milos Vec lobt sich den von Christiane Lahusen und Christoph Markschies herausgegebenen Sammelband, der Beiträge zum Thema Zitierstandards und Plagiatsprophylaxe in den Wissenschaften beinhaltet. Anhand von Selbstbeschreibungen aus Fächern und Methoden bekommt Vec einen Eindruck von der Vielfalt der sozialen und moralischen Standards. Allerdings vermutet er, die Autoren gingen teils von mehr Klarheit und Rationalität bei den entsprechenden Normen aus, als tatsächlich vorhanden ist. Über vergangene Wissenschaftsnormen informieren ihn u. a. Christoph Markschies (Bibelwissenschaften) und Peter Gaehtgens (Medizin) auf interessante Weise. Und auch den Lösungsvorschlägen der Beiträger, die von neuen Normierungen und Sanktionen bis zum systematischen Aufkochen alter, unbeachteter Texte reichen, lauscht der Rezensent mit Gewinn.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2016

Die Omertà der verehrten Kollegen

Warum das Abschreiben nicht besser zur Regel machen? Ein Sammelband analysiert die Praxis von Zitat, Paraphrase und Plagiat in den Wissenschaften.

Aus Rumänien kommen dieser Tage erheiternde Plagiatsmeldungen. Gefängnisinsassen brillieren unverhofft als Autoren, einer schrieb in eineinhalb Jahren Haft gar zehn Bücher. Hintergrund ist der Haftrabatt, der den Verfassern wissenschaftlicher Werke (derzeit noch) gewährt wird: 30 Tage pro Buch. 2015 waren es stolze 340 Werke, die rumänische Häftlinge verfassten. Dass sie die Bücher nicht selbst geschrieben haben, geben einige von ihnen freimütig zu, denn auch nach einer Sanktion wegen angemaßter Autorschaft scheint ein Rest Schläueprämie zu verbleiben.

Die Wissenschaften, ein geschlossenes System anderer Art, denken derweil auch hierzulande über Reformen nach. Ein soeben erschienener Sammelband einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat sich des Themas angenommen und sieht sich im Kontext der "Gesellschafts- und Politikberatung". Damit ist schon angedeutet, was alles hineinspielen kann, wenn es um Fußnoten geht. Dass Deutschland jenes Land ist, in dem auch vor Gericht erfolgreich um Doktortitel in Personenstandsurkunden gestritten wird - siehe den Beitrag von Benjamin Lahusen -, macht das Problem ernster und heiterer zugleich.

Faszinierend ist die historische, disziplinäre und geographische Divergenz von Normen rund um Zitat, Paraphrase und Plagiat, die die Beiträge des Bandes anschaulich belegen können. Demnach gelten Konventionen immer nur sehr begrenzt. Umso interessanter sind die Konflikte, die sich aus dem Pluralismus rechtlicher, sozialer und moralischer Zitiergebote ergeben. Unnachahmlich, wie Jürgen Trabant erzählt, in welche Dilemmata ihn freundlich gemeinte Übernahmen seiner Forschungen stürzen können: Wohlgesinnte Kollegen zitieren, aber eben leider zu sparsam, entsprechend den Konventionen ihres Fachs und ihres Landes. Oder die Kollegen zitieren ihn zwar, aber Dritte begreifen die Referenz schon nicht mehr und nehmen fehlerhafte Zuschreibungen der Autorschaft vor. Schon ist der berühmte Trabant seiner Ideen beraubt worden, und jeder freundliche Hinweis seinerseits wird als Manierenverstoß gelesen, der den Konflikt um die Autorschaft unrettbar verschärft. Da bleibt dem Autor nur ein lakonisches Seufzen über die "omertà der scientific community", das "Hab dich nicht so!"

Gelegentlich beschleicht den Leser dennoch das Gefühl, dass die Wissenschaften eher noch am Anfang des Begreifens dieser verzwickten Regelsysteme stehen. Schon in der Einleitung wird seitens der Herausgeber verblüffend munter behauptet, dass "kein Unwissen darüber besteht, wie einwandfreies wissenschaftliches Arbeiten auszusehen hat". Das ist freilich eine Tatsachenbehauptung, die empirischer Überprüfung zugänglich wäre. Aber hat sich je jemand die Mühe gemacht, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Hinblick auf das tatsächliche Vorhandensein solchen Wissens zu testen? Der Verweis allein auf die Fülle gedruckter Anleitungsliteratur für Anfänger greift deutlich zu kurz, wo es um die wirkliche Kenntnis bestehender Normen geht.

Und sind diese Normen zweitens wirklich so eindeutig, wie angenommen wird? In Nebensätzen wird da konstatiert, dass für bestimmte literarische Genres natürlich ganz eigene Standards gelten sollen: So behauptet es der Biochemiker Ferdinand Hucho für die "Sekundärliteratur" in den Naturwissenschaften: "Monografien, die bereits publizierte Forschungsergebnisse zusammenfassen", und Lehrbücher sind bei ihm von vornherein aus dem Untersuchungsfeld genommen. Auch das "wissenschaftliche Gemeingut" braucht nach vielfacher Ansicht nicht nachgewiesen zu werden. Freilich sind diese Genre- und Wissensgrenzen (aus guten Gründen) nirgends niedergelegt, noch werden sie kaum einmal offen verhandelt oder die mit ihnen verbundenen abgesenkten Standards der Originalität diskutiert. Ebenso interessant sind die im Buch en passant entworfenen Selbstbeschreibungen von Fächern und Methoden, die die oft sehr prominenten Gelehrten einstreuen. Im Ton der Selbstverständlichkeit wird manches für Außenstehende ganz und gar nicht Selbstverständliche gesetzt. Anders gesagt: Die Autoren gehen teils von mehr Klarheit aus, als vermutlich besteht, und sie messen darüber hinaus den Normen mehr Rationalität zu, als vorhanden ist.

Denn auch dort, wo nach Erklärungen für den Wandel in Wissenschaftsstilen gesucht wird, findet möglicherweise eine Selbstüberschätzung statt. So gehen die Autoren durchaus in die Tiefe und beeindrucken mit Gelehrsamkeit, was vergangene Wissenschaftsnormen angeht. Christoph Markschies illustriert den Funktionswandel von Belegen in den Bibelwissenschaften, für die er eine jedenfalls zeitweilige Vorreiterrolle beansprucht. Jürgen Fohrmann erwähnt den neuen Originalitätsanspruch der Gelehrsamkeit, der sich im siebzehnten Jahrhundert Bahn brach. Wolfgang Neugebauer erklärt Nachprüfbarkeit und heutige Zitierstandards als Ergebnis einer modernen und liberalen politischen Kultur, hinter denen die Demokratisierung des Zugangs zu Archiven und Sammlungen steht. Zuletzt hat sich auf dem Campus jedoch eine neue Ökonomie breitgemacht, die triste Konsequenzen für die Ästhetik der Schreibkultur zeitigt: Wo Zitate zu Reputationsbargeld mutieren (Stefan Hornbostel), kommen andere Textfunktionen zu kurz. Den technokratischen Jargon des Beitrags von Dagmar Simon, der das Problem adressiert, mag man auch als dessen Symptom lesen.

Aber ist das wissenschaftsgeschichtlich wirklich alles? Lassen sich alle Veränderungen immer rational auf Faktoren zurückführen, in denen sich Funktionsverschiebungen der Wissenschaft spiegeln? Können Trends und Tendenzen nicht auch Stilpräferenzen eines Faches abbilden, denen ein zweckrationales Moment fehlt? Manche Autoren wollen Avantgarde sein, Texte haben stilistische Dimensionen, die eher ästhetischen Kategorien als wissenschaftlichen Geboten folgen. Was "verpönt" sein soll, unterliegt einem ständigen Wandel, dessen Setzungen jedenfalls teilweise arbiträr erfolgen. Diese kontingente, möglicherweise modisch zu nennende Dimension scheint systematisch unterschätzt.

Auch die Machtfrage hätte etwas mehr Beachtung verdient. Der interessante Beitrag Peter Gaehtgens über die Geschichte der wissenschaftlichen Medizin kommt pikanterweise ohne Erwähnung der Tatsache aus, dass gerade in diesem Fach immer wieder besondere Missstände aufgedeckt werden. Die sozialen Normen scheinen in manchen Biotopen Wissenschaftskonventionen und sogar Rechtsnormen machtvoll zu überlagern. Der verunglückte Ruf nach dem Strafrecht wäre in den Plagiatsfällen nicht erfolgt, wenn die Selbstregulierung der Wissenschaft nicht zu einer Selbstverschonung auf potentieller Gegenseitigkeitsbasis umfunktioniert worden wäre.

Wie man die Probleme therapieren könnte, sprechen die Autoren mehrfach und immer mit verschiedenen Lösungsvorschlägen an. Der Historiker Mitchell G. Ash ruft nach neuen Normierungen mit ernstgemeinten Sanktionen, um die Kluft zwischen den tradierten standesethischen Normen und "der realen sozialen Lage der Großforschung" zu schließen. Der Jurist Alexander Peukert empfiehlt mit bedenkenswerten Argumenten, sich vom Plagiatsbegriff zu befreien und stattdessen am Lauterkeitsrecht zu orientieren, um Fehlverhalten angemessen beurteilen zu können. Philipp Theison fordert bei einer Wiederverwertung eigener Texte ("Autoplagiat") Verweise auf die Vorpublikation und eine Selbst-Historisierung des Verfassers.

Einen listigen Vorschlag macht der Linguist Wolfgang Klein und erinnert daran, dass der heutigen Überproduktion der Wissenschaften ein Lesedefizit gegenübersteht. Ließe sich die Überhitzung nicht dadurch abkühlen, dass wir gute, historisch aber unbeachtet gebliebene Texte neu publizierten? Ihr Entdecker müsste sie etwas modifizieren und mit einem neuen Titel versehen, dürfte sie dann aber unter seinem eigenen Namen wieder auf den Markt bringen. Pervers sei diese Mehrung des Wissens durch Plagiate durchaus zu nennen, konzediert Klein, aber auch nicht perverser als ein Wissenschaftssystem, das "unablässig die Hälfte dessen unbesehen wegwirft, was im Wettbewerb der besten Köpfe mit viel Mühe und hohem finanziellem Aufwand erzeugt wird". Dieses Recycling wäre eine Lösung, der auch die rumänischen Strafgefangenen zwanglos zustimmen würden.

MILOS VEC.

Christiane Lahusen, Christoph Markschies (Hrsg.): "Zitat, Paraphrase, Plagiat". Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten.

Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2015. 339 S., br., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die Beiträge bieten brisante Selbstbeschreibungen bestimmter Fächer und Methoden, zeichnen die Historie wissenschaftlicher Normen und Belegkultur nach und widmen sich Fragen von Urheberschaft im akademischen Sektor.«, Deutsche Universitätszeitung, 07.06.2016»Die Lektüre ist allen nachdrücklich zu empfehlen, die sich einen Überblick über den derzeitigen Stand der Debatte zu Zitat, Paraphrase und Plagiat verschaffen wollen.« Prof. Dr. Stephan Rixen, Forschung & Lehre, 05.09.2016»Faszinierend ist die historische, disziplinäre und geographische Divergenz von Normen rund um Zitat, Paraphrase und Plagiat, die die Beiträge des Bandes anschaulich belegen können.«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2016