Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 20,00 €
  • Broschiertes Buch

Die Natur als Meisterin des Lebens Die Heilkräfte der Natur nutzen, ohne Medikamente oder chirurgische Eingriffe, war das Ziel der um 1800 entstehenden Naturheilkunde. Eine Vielfalt an Verfahren wurde entwickelt, vom Duschen im Freien mit eiskaltem Wasser über streng vegetarische Kost bis zum Baden im Licht. Zugrunde lag all dem die Vorstellung eines naturgemäßen Lebens und Heilens.

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Die Natur als Meisterin des Lebens
Die Heilkräfte der Natur nutzen, ohne Medikamente oder chirurgische Eingriffe, war das Ziel der um 1800 entstehenden Naturheilkunde. Eine Vielfalt an Verfahren wurde entwickelt, vom Duschen im Freien mit eiskaltem Wasser über streng vegetarische Kost bis zum Baden im Licht. Zugrunde lag all dem die Vorstellung eines naturgemäßen Lebens und Heilens.
Autorenporträt
Uwe Heyll, Dr. med., Arzt für Innere Medizin und Rheumatologie, absolvierte ein Zweitstudium der Philosophie, Sozialwissenschaften und Geschichte der Medizin. Am Institut für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine- Universität in Düsseldorf leitete er ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstütztes Projekt zur Geschichte der Naturheilkunde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2006

Deutsches Wassertreten mit Uwe Heyll

Der Dresdner Naturheilkundler Friedrich Eduard Bilz (1842 bis 1922) brachte 1902 ein "naturgemäßes" Getränk aus Südfrüchten und heimischen Obstarten unter der Bezeichnung "Bilz Brause" auf den Markt. Um Nachahmern ein Schnippchen zu schlagen, suchte er einen geschützten Markennamen. Aus einem Preisausschreiben ging 1905 Sinalco (die Abkürzung der lateinischen Bezeichnung für "ohne Alkohol") als Sieger hervor. Bilz war der Verfasser eines sehr frequentierten Gesundheitsratgebers: "Das neue Naturheilverfahren" (1888). Seit 1892 betrieb er in Dresden eine Naturheilanstalt mit einem öffentlichen Licht-Luft-Bad, das über ein Wellenbad verfügte.

Bilz war einer der erfolgreichsten Vertreter der Naturheilbewegung. Er nahm es mit der reinen Lehre nicht genau und war Kräuterbehandlungen (einer pflanzlichen Arzneimitteltherapie) sowie der Homöopathie gegenüber aufgeschlossen. Die Feststellung, daß diese Art von Naturheilkunde nicht mehr viel mit den Idealen der Gründergeneration zu tun hat, durchzieht Uwe Heylls Ideengeschichte wie ein roter Faden. Er hält es eher mit den Gralshütern. Zu diesen gehört Vincenz Prießnitz. Die Wasserkur, die seinen Namen trägt, steht am Anfang der modernen Naturheilkunde. Die heilende Kraft des Wassers hatte er entdeckt, als er mit feuchtkalten Brustpackungen seinen Rippenbruch kurierte.

Heyll rekonstruiert den Alltag in der Naturheilanstalt, die Prießnitz auf dem Gräfenberg in Niederschlesien 1830 gründete, unkritisch aus Quellen, die von Anhängern und Gegnern dieses "Wasserdoktors" verfaßt wurden. Der nach Prießnitz bedeutendste Vertreter einer naturgemäßen Wasserbehandlung im neunzehnten Jahrhundert, Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 bis 1897), kommt bei Heyll schlecht weg, denn er ist kein Vertreter der reinen Lehre. Gleichwohl stand die Kneippbewegung auf dem ideologischen Boden des Naturismus. Das gleiche gilt für weite Teile der Lebensreformbewegung, die in dieser Darstellung nur beiläufig erwähnt wird.

Die Pioniere der deutschen Naturheilbewegung waren, wie Heyll zu Recht betont, stark vom Rousseauschen Naturismus geprägt. Sie riefen dazu auf, zur Natur zurückzufinden und die Heilmittel, die diese zur Verfügung stelle, zu gebrauchen. Sie waren überzeugt, daß die Naturerkenntnis nicht durch Wissenschaft, sondern durch den Instinkt des Menschen geschehen müsse. Diese Lehre vom Instinkt wurde von dem bayerischen Militärarzt Dr. Lorenz Gleich (1798 bis 1865) theoretisch fundiert. Mit ihm beginnt die Unterscheidung der eher traditionellen Wasserheilkunde von der späteren Naturheilkunde. (Unsere Abbildung stammt aus dem Buch "Die Frau als Hausärztin", 1903.)

Wenn Heyll meint, daß die Naturheilkunde untergegangen ist und einer fast beliebigen "Regulationsmedizin" Platz gemacht hat, dann verkennt er, daß sich eine medizinkritische Massenbewegung, die sich die Arzneilosigkeit auf die Fahne geschrieben hatte, nicht durch eine einheitliche ideologische Basis, sondern durch einen Empirismus und Synkretismus auszeichnet, die ihr die Überlebensfähigkeit sicherten.

ROBERT JÜTTE

Uwe Heyll: "Wasser, Fasten, Luft und Licht". Die Geschichte der Naturheilkunde in Deutschland. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006. 310 S., 38 s/w Abb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.06.2006

Alles bis auf mich ohne Schwimmhosen
Im Jungborn sanken die Arzneimittelkosten: Uwe Heyll erzählt die Geschichte der Naturheilkunde in Deutschland neu
Die Lebens- und Heilkräfte der Natur ohne Medikamente zu nutzen, das war das erklärte Ziel einer etwa um 1800 in Deutschland einsetzenden alternativmedizinischen Bewegung, die sich bald selbst Naturheilkunde nannte. Eine neue, von dem Arzt und Medizinhistoriker Uwe Heyll in angenehmem, verständlichem Erzählstil abgefasste, aber doch historisch präzise Darstellung ihrer Geschichte präsentiert uns diese bedeutende bürgerliche Gesundheitsbewegung des 19. Jahrhunderts.
Ihre Wurzeln sah die frühe Naturheilkunde in der Forderung des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau: „Zurück zur Natur!”. Hatte dieser doch bereits in seinem Erziehungsroman „Émile” scharf gegen die durchaus lebensgefährliche, blutentleerende und giftmischende Schulmedizin seiner Zeit polemisiert und auch schon Ideen eines natürlichen Systems der Heilkunst entworfen, das sich an der Heilkraft der Natur selbst, an der vis medicatrix naturae, zu orientieren und diese zu unterstützen habe.
Hübsche, fette Füßchen im Park
Im Kernpunkt des radikal arzneilosen Heil- und Lebenskonzeptes standen zunächst nur die Hydrotherapie, also die Therapie mit Wasser, und die vegetarische Ernährung. Dieser Kernbereich der frühen Naturheilkunde sollte später durch andere Heilfaktoren ergänzt und erweitert werden: Wärme, Kälte, Licht und Luft, Sonnenstrahlen, Thermoelektrizität, Erde, Bewegung und Ruhe. Populäre Laienpraktiker wie etwa der „Wasserdoktor” Vinzenz Prießnitz oder der in Wörrishofen wirkende und bis heute bekannte Heilpriester Sebastian Kneipp folgten und mehrten das Ansehen der Naturheilkunde.
Stand anfangs nur die Schulmedizin in der Kritik ihrer Gegenbewegung, so formierte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Naturheilkunde als Motor und Nukleus ein breiter Strom gesellschaftskritischer Aktivitäten, deren Vertreter eine Umgestaltung der gesamten Lebensführung anstrebten und ihrer Idee den Namen „Lebensreform” gaben. Diese Reformbewegung kann als ein Ideengemenge gefasst werden, das nur vor dem Hintergrund tiefgreifender sozialer, ökonomischer, wissenschaftlicher und kultureller Krisen und Umwandlungsprozesse seiner Zeit zu verstehen ist. So unterschiedliche Einzelelemente wie der Antialkoholismus, die Bodenreform, das Impfgegnertum, die Vivisektionsgegenerschaft, Theosophie und Pazifismus, die Sexual- und Ehereform, die Frauenbewegung und eben auch die Naturheilkunde, der Vegetarismus oder die Licht- und Lufttherapie können der „Lebensreform” zugeordnet werden.
Viele der genannten Bestrebungen entwickeln und organisieren sich kompensatorisch als Reaktionen auf die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848/49 und die die massiven Industrialisierungs- und Urbanisierungswellen, und es verwundert daher nicht, dass besonders die Idee einer gesunden Lebensführung an und einer Heilung durch Licht und Luft fern der industriellen Metropolen Anklang und Ausdruck in einer Vielzahl von Naturheilstätten fand. Zu ihnen gehörte auch die durch den kränkelnden Buchhändler Adolf Just geleitete Naturheilanstalt „Jungborn” bei Bad Harzburg mit ihren individuellen „Lufthütten”. Franz Kafka hielt sich dort im Juli 1912 zur Kur auf und notierte in sein Tagebuch: „Mein Haus heißt Ruth. Praktisch eingerichtet. 4 Luken, 4 Fenster, 1 Tür. Ziemlich still. Nur in der Ferne spielen sie Fußball, die Vögel singen stark, einige Nackte liegen still vor meiner Tür. Alles bis auf mich ohne Schwimmhosen. Schöne Freiheit. Im Park, Lesezimmer u.s.w. bekommt man hübsche, fette Füßchen zu sehn. Zu den verschiedensten Zeiten in der Nacht aufgekommen und immer Ratten oder Vögel gehört, die um die Hütte herum im Gras kollerten oder flatterten.”
Deutsch, herb, wirksam
Gemeinsames Charakteristikum der Lebensreform im Umfeld der Naturheilkunde ist der Eskapismus; als Fluchtweg aber wird die bürgerliche Reform, nicht die Revolution gewählt, ihr Ziel ist die mikrosoziale Nische, nicht die Veränderung der Gesellschaft; ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, die „Vertauschung der platten mit der überschwenglichen Misère”, wie Friedrich Engels sarkastisch anmerkt.
Der Erste Weltkrieg und die Nachkriegszeit lähmten auch die Naturheilkunde. In den frühen dreißiger Jahren aber belebte sich die Bewegung neu. Ihr galt nun das Interesse der Nationalsozialisten, die versuchten, an den populären Massencharakter der Naturheilbewegung anzuknüpfen, sie mit der NS-Ideologie zu infizieren und 1935 im Rahmen einer „Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue deutsche Heilkunde” gleichzuschalten.
Markig hat 1936 der Kneipparzt Wilhelm Spengler einige Ziele dieser „deutschen Heilkunde” formuliert. Nicht das „Gruseln vor Organzerstörung und Bazillen” wolle sie lehren, sondern nur „Schönes und Edles” zeigen. Für „Wirtshäuser” solle Ersatz durch „Milchhäuser und vegetarische und alkoholfreie Gaststätten” geschaffen, die Jugend zu „Tabak- und Alkoholgegner(n)” erzogen werden. „Gesunde Wohnung(en)”, „Gesundheitsstätten, wie Bäder und Sportplätze” seien zu errichten, Krankenhäuser aber abzubauen. Die „Volksgemeinschaft” sei an die Stelle von ärztlichem „Standesdünkel” zu setzen, und neue naturheilkundliche Lehrstühle gelte es an den Universitäten zu errichten.
Auch sei, so Wilhelm Spengler, die Neue deutsche Heilkunde „Wächterin über Blut und Boden”, sie sei „deutsch, herb, heldisch, billig und wirksam, Religion und Kunst zugleich”. Insgesamt, so Spengler, unterliege sie „in den Grundlehren nie einer Mode, auch nie einer Wissenschaft . . .”, „jung und gültig” werde sie bleiben „bis ans Ende der Welt”.
WOLFGANG U. ECKART
UWE HEYLL: Wasser, Fasten, Luft und Licht. Die Geschichte der Naturheilkunde in Deutschland. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2006. 310 Seiten, 29,90 Euro.
„Das Waten in dem Bachesgrund / Ist recht lustig und gesund”: Wasserkuren im Kneipp-Ort Bad Wörrishofen, Postkarte um 1890
Foto: Bildarchiv IGM Heidelberg
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "historisch präzise" lobt Rezensent Wolfgang U. Eckart diese Geschichte der Naturheilkunde in Deutschland. Extrapunkte bekommt ihr Verfasser, der Medizinhistoriker Uwe Heyll für die Lesbarkeit, die die Geschichte dieser "bedeutenden bürgerlichen Gesundheitsbewegung" des 19. Jahrhunderts aufweist. Sichtlich von Heylls Darstellung angeregt, fasst der Rezensent diese Geschichte noch einmal zusammen, die er auf Jean Jacques Rousseau zurückgehen, aber auch von der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 befördert sieht, wobei ihm besonders die Deutung der naturheilkundlichen Gesundheitsreform als bürgerlicher Fluchtweg in eine "mikrosoziale Nische" plausibel wird. Auch die düstere Seite der Neuen deutschen Heilkunde als "Wächterin über Blut und Boden" bleibt nicht unerwähnt. Insgesamt macht Eckarts Skizzierung der Hauptthemen des Buches große Lust, es auch selbst zu lesen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Geschichte der Skepsis
"Wissenschaftlich präzise und zugleich sehr anschaulich erzählt." (Stern / Gesund leben, 01.06.2006)

Alles bis auf mich ohne Schwimmhosen
"In angenehmem, verständlichen Erzählstil abgefasst, aber doch historisch präzise." (Süddeutsche Zeitung, 08.06.2006)

So viele Therapien wie Heiler
"Die Naturheilkunde steht längst nicht mehr für das, was ihre Gründer im 19. Jahrhundert im Sinn hatten. Wie es dazu kam, erzählt Uwe Heyll spannend und anschaulich." (taz, 02.09.2006)