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Er wolle sein Werk vollständig publiziert haben, "bevor es soweit ist", sagte der 86-jährige Stefan Heym anlässlich einer Lesung aus dem seit Mitte der 60iger Jahre unveröffentlichten Roman "Die Architekten". Illusionslos und doch voll Poesie ist die Geschichte um Aufstieg, Fall und endliches Überleben des DDR-Stararchitekten Arnold Sundstrom eine Abrechnung mit Machtgier, Untertanengeist und stalinistischer Willkür. Heym erzählt, wie Menschen am Verlust einer sicher geglaubten politischen Moral zu zerbrechen drohen, während andere sich längst all solcher Werte entledigt haben. Heyms altes…mehr

Produktbeschreibung
Er wolle sein Werk vollständig publiziert haben, "bevor es soweit ist", sagte der 86-jährige Stefan Heym anlässlich einer Lesung aus dem seit Mitte der 60iger Jahre unveröffentlichten Roman "Die Architekten". Illusionslos und doch voll Poesie ist die Geschichte um Aufstieg, Fall und endliches Überleben des DDR-Stararchitekten Arnold Sundstrom eine Abrechnung mit Machtgier, Untertanengeist und stalinistischer Willkür. Heym erzählt, wie Menschen am Verlust einer sicher geglaubten politischen Moral zu zerbrechen drohen, während andere sich längst all solcher Werte entledigt haben. Heyms altes neues Buch beantwortet genauer als jede politische Analyse, wie das DDR-System lange funktioniert hat und warum es auf so jämmerliche Weise zu Grunde gehen musste. "Die Architekten", ein erschreckend aktueller Roman über die Amoralität der Macht, sind gültig in Ost wie West.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2000

Heuchelei in Stein
Stefan Heyms Roman "Die Architekten" · Von Heinrich Wefing

Jedem, der heute die "Karl-Marx-Allee" im Osten Berlins hinunterfährt, fällt die merkwürdige Zweiteilung dieser sozialistischen Via triumphalis auf. Eben noch ein stalinistischer Prospekt, umstanden von reich geschmückten, traditionell gegliederten Bauten, wechselt das Gestalt der ehemaligen "Stalinallee" in der Mitte abrupt. In denkbar schärfstem Gegensatz zum ersten Bauabschnitt mit seinen Säulen, Giebeln und Verzierungen reihen sich im westlichen Teil des Boulevards karge Wohnblocks aus industrieller Produktion. Irgend etwas Grundstürzendes, so ahnt der Betrachter, muß in der Zeit zwischen der Fertigstellung des ersten und dem Entwurf des zweiten Bauabschnitts geschehen sein.

In eben jenen Monaten des Wandels spielt Stefan Heyms 1966 abgeschlossener, erst jetzt veröffentlichter Roman "Die Architekten". Er erzählt von den Baumeistern einer sozialistischen Magistrale, der "Straße des Weltfriedens", einer kaum verhüllten Parallele der Ost-Berliner "Stalinallee". Eben hat das Kollektiv um den Chefarchitekten Arnold Sundstrom, den ersten Bauabschnitt vollendet und sich berechtigte Hoffnungen auf den Nationalpreis gemacht, da dringen aus Berlin Gerüchte in die Provinz, die von Moskauer Geheimreden wispern, von einem neuen Kurs und einem ganz anderen, noch unbestimmten Baustil. In Politik und Architektur, so lautet die Botschaft, werden die alten Fassaden durch neue ersetzt. Ganz so wie den Machthabern ist die "Straße des Weltfriedens" auch Stefan Heym Synonym für den Aufbau der Gesellschaft, spiegelt die Architektur die Verfassung des Staates, lauert hinter dem Ornament das Verbrechen.

Heym hat eine Studie über die Verwerfungen der Entstalinisierung geschrieben. Ein Lehrstück über die korrumpierende Kraft der Diktatur, spannend erzählt, mit einem sicheren Gespür für Effekte und einer beinahe journalistischen Ökonomie der Mittel. Doch leider kann der Roman seine Thesenhaftigkeit nie ganz abschütteln. Ganz offenkundig interessierte Heym die politische Parabel mehr als die Psychologie. An den Figuren kleben die Klischees wie die Schmuckfriese an den Fassaden der Prachtstraße. Arnold Sundstrom ist als geschmeidiger Kraftprotz entworfen: löwenmähnig, mit volltönender Stimme und breitem Kreuz. Seine Frau Julia kommt als Architektinnen-Rehlein daher, großäugig, liebreizend, gefühlsecht. Und Daniel Tieck, ein Spätheimkehrer aus der Sowjetunion, der die Lager überstanden hat und die Wahrheit über Sundstrom kennt, ist in Sibirien zum Weisen geworden, ein zerbrechlicher, grundgütiger, mutiger Genosse, der den Zuckerguß von Sundstroms Bauten kratzt. Und von dessen Leben.

Wie die Achsialsymmetrie der "Straße des Weltfriedens" in einem Fixpunkt zusammenläuft, so schneiden sich die Lebenslinien von Sundström, seiner Frau und Tieck im Moskau der dreißiger Jahre. In dem Hotel, in dem die deutschen Exil-Kommunisten wohnten, und mit ihnen die Angst. Sundstrom, damals Tiecks bester Freund, nahm sich Julias an, nachdem deren Eltern in die Lager verschleppt worden waren. Er wurde ihr Ersatzvater und Ehemann, ihr Lehrer und Vorgesetzter, der Erzeuger ihres Sohnes und ihrer Zweifel. Zweifel, die ihren naiven Glauben an die verschnörkelte Architektur erschüttern, die Liebe zu ihrem Mann zerstören. Zweifel, die sie in die Arme eines Liebhabers treiben, bis sie schließlich mit Tieck gemeinsam einen Entwurf für den zweiten Bauabschnitt der "Straße des Weltfriedens" fertigt, im neuen Stil der neuen Zeit.

Es überrascht nicht, daß dieses Buch in der DDR nicht erscheinen durfte. Es entlarvt die junge Republik als Mikrokosmos von Lautsprechern und Feiglingen, von Gebrochenen und Gezeichneten. Mehr noch: Gleich zu Beginn, im beinahe essayistischen Prolog, stellt Heym die stalinistische Unterdrückung mit dem nationalsozialistischen Terror gleich. Er schildert die Absurdität der Anklagen, den Wahnwitz der Verhöre, die Qualen der Folter, die die politisch Verfolgten noch brutaler marterten als der Terror in den deutschen Lagern, weil die Folterknechte ihre Arbeit nicht als Feinde verrichten, sondern im Namen eben der Ideale, an die auch die deportierten Kommunisten mit verzweifelter Hoffnung glauben. Einer Hoffnung, die systematisch pervertiert wurde. Seitenweise zitiert Heym aus Chrustschows Abrechnung mit Stalins Verbrechen.

Wären "Die Architekten" im Spätherbst 1966 veröffentlicht worden, wäre das Buch als Anklageschrift gelesen worden. Nun ist es zu einem deutschen Historienroman geworden, dessen Veröffentlichungsgeschichte selbst ein Dokument der Zeitläufte ist. Noch bevor Heym das in englischer Sprache geschriebene Manuskript abschließen konnte, wurde er vom elften Plenum des ZK der SED attackiert, isoliert und mit Publikationsverbot belegt. Kurz darauf lehnte auch sein britischer Verlag die Publikation ab, das Manuskript verschwand in Heyms Archiv, andere, historisch besser verbrämte Stoffe beschäftigten den Dichter.

Erst nach seiner schweren Krankheit entschloß Heym sich im vergangenen Jahr, das eigene Werk noch zu Lebzeiten zu komplettierten. Er selbst übersetzte "The Architects" aus dem Englischen und darf nun die Veröffentlichung getrost als späten Triumph erleben. Natürlich ist die lange Zeit an dem Text nicht spurlos vorbeigegangen. Zumal Heyms Übertragung ins Deutsche arbeitet gelegentlich mit Begriffen, die nicht recht in die Mitte der sechziger Jahre passen wollen. Da liebkost ein Mann die begehrte Frau mit dem Wörtchen "Baby", da treffen sich die Architekten zu einem "meeting", das seinerzeit wohl eher eine "Besprechung" gewesen wäre. Auch Duktus und Konstruktion der Erzählung wirken in ihrem ausgeprägten Realismus ein wenig altbacken, und vollends irritiert Heyms Vertrauen in die Menschlichkeit der Bauhaus-Moderne. Er konnte nicht ahnen, daß die Stalinallee, das reale Pendant seiner fiktiven "Straße des Weltfriedens", die er als "Heuchelei in Stein" verdammt, von der Postmoderne als große Architektur gefeiert werden würde. Doch unter dieser dünnen Staubschicht liegt eine beinahe zeitlos gültige, erstaunlich hellsichtige Studie über die Verführbarkeit von Eliten, die mit den Mitteln der Fiktion Erkenntnisse gewinnt, die manche Fachdisziplinen erst mit zwanzig Jahren Verspätung für sich nachvollzogen haben.

Die Architekten, deren verschlungene Lebenswege Heym beschreibt, stehen nur beispielhaft für all die anderen Verführbaren, für Juristen und Journalisten, Naturwissenschaftler oder Hochschullehrer. Und doch sind sie den Versuchungen der Macht vielleicht noch stärker ausgesetzt als manch andere Intellektuelle. Ihre Kunst ist öffentlich und ihre Werke von Dauer. Und die Architekten benötigen zur Realisierung ihrer Pläne Ressourcen, über die gerade in totalitären Regimes der Staat zentral verfügt: Geld und Grundstücke, Arbeitskräfte und Material, Marmor, Stein und Eisen: "Ein Dichter braucht nur einen Bogen Papier, ein Maler ein Stück Leinwand, der Musiker ein Klavier, oder wenn's hoch kommt ein Orchester", läßt Heym seinen Arnold Sundstrom ausrufen, "der Architekt aber, wenn er seine Ideen verwirklichen will, muß eine Organisation haben."

Eben deshalb, um nur irgendwie bauen zu können, weniger aus ideologischer Neigung, wurden die Bauhaus-Schüler in der Sowjetunion zu Naturstein-Konditoren, als die herrschende Lehre dies von ihnen verlangte, und kehrten zum Internationalen Stil zurück, nachdem der Wind sich wieder gedreht hatte. Eben deshalb, weil ihm der Auftrag wichtiger war als der Auftraggeber, beteiligte sich Ludwig Mies van der Rohe an den ersten Wettbewerben für nationalsozialistische Renommierprojekte, ehe er in die Vereinigten Staaten auswanderte. Eben deshalb diente sich Le Corbusier ziemlich unverhohlen den italienischen Faschisten als Baumeister an und verwirklichten all die deutschen Architekten aus den Speerschen Wiederaufbau-Stäben nach 1945, was sie schon unter dem Hakenkreuz skizziert hatten. In seiner erstmals 1986 erschienenen, bahnbrechenden Studie über die biographischen Verflechtungen deutscher Architekten konstatierte der Architekturhistoriker Werner Durth eine "erschreckende Kontinuität in der Tätigkeit von Architekten über alle Katastrophen der Naziherrschaft, des Weltkriegs und der Städtezerstörung hinweg." Es war dies eine spezifisch westdeutsche Sicht der Dinge. Heym hat mit seinem Roman schon zwanzig Jahre früher die ostdeutsche vorweggenommen - mit dem selben Ergebnis.

In der Figur Arnold Sundstroms verdichten sich die Biographien vieler begabter Baumeister der frühen DDR. Sundstroms Weg vom Bauhaus nach Moskau und zurück nach Ost-Deutschland, seine Anpassungsfähigkeit an politisch-ästhetische Zwänge, seine umstandslose Wandlung vom Funktionalisten zum Stuck-Historisten und zurück zum Funktionalisten, bündelt die Schicksale von Männern wie Hermann Henselmann, Kurt Liebknecht, Edmund Collein. Aus den Trümmern der alten Welt wollten sie eine neue bauen, opferten für diese Chance und die Gunstbeweise des Regimes aber so gut wie alles: Prinzipien, Ideale, Freunde.

Sundstrom ist so ein Baumeister und Kommunist, ein Künstler und Opportunist, ehemaliger Bauhäusler und späterer Klassizist. Einer, der seinen Zeichenblock stets in den jeweils wehenden ideologischen Wind hängt. Einer, der der Strahlung der Macht zu nahe gekommen ist. Wie ein Kernreaktor außer Kontrolle verseucht sie die Menschen, dringt bis in ihr Innerstes, verändert schleichend, aber irreperabel ihr Wesen, deformiert sie, bis sie sich schließlich kaum mehr selbst erkennen. Aber Heym denunziert keine seiner Personen. Selbst Sundstrom, der Ehrgeizling, der bauen will um jeden Preis, in gleich welcher Gestalt, selbst Sundstrom behält in seiner Furcht, seiner enttäuschten Liebe und Todessehnsucht am Ende die zerrissene Würde eines alternden Fürsten, dessen Kräfte sinken, der sich noch an die vertrauten Lügen klammert, als die Wahrheit sein Leben längst aus den Angeln gehoben hat.

"Die Architekten" ist eine Studie über Ideale und den Verlust von Idealen, über das Weiterwursteln nach der Desillusionierung, über das Ausbleiben der Entstalinisierung in der DDR und deren fatale Folgen. Ein wichtiges Buch, ein überfälliger Roman aus Deutschland, der spät erscheint, mit fünfunddreißig Jahren Verzögerung. Aber nicht zu spät.

Stefan Heym: "Die Architekten". Roman. C. Bertelsmann Verlag, München 2000. 383 S., geb., 46,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"In einer eingehenden Besprechung widmet sich Heinrich Wefing dem schon 1966 entstandenen doch erst jetzt erschienen Roman. Der Autor habe ein beeindruckendes "Lehrstück über die korrumpierende Kraft der Diktatur" geschrieben, so der Rezensent anerkennend. Das Buch sei spannend erzählt und zurückhaltend in den eingesetzten Mitteln, wobei der Autor großes "Gespür für Effekte" beweise. Es gibt aber auch einiges zu bemängeln: da er mehr Interesse an der politischen als an der psychologischen Geschichte seiner Figuren habe, neige Heym zu Klischees und der Roman werde seine "Thesenhaftigkeit" nie ganz los, kritisiert der Rezensent. Zudem sei das Buch, das ursprünglich auf Englisch geschrieben und nun von Heym selbst ins Deutsche übertragen worden ist, mitunter den sprachlichen Gepflogenheiten der sechziger Jahre, in dem das Buch spielt, nicht angemessen, was den Rezensenten irritiert. Zudem komme die Geschichte in Aufbau und Stil manchmal etwas "altbacken" daher. Doch all dieses kann den Rezensenten nicht davon abhalten, diesen Roman als "hellsichtige Studie über die Verführbarkeit von Eliten" zu preisen. Er sei auf dem Gebiet der Fiktion schon zu Erkenntnissen gelangt , zu denen man in wissenschaftlichen Untersuchungen erst viel später gekommen sei, so der Rezensent anerkennend.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Stefan Heyms grandiose Abrechnung mit dem Stalinismus." Hamburger Abendblatt