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Dass ein junger Mann, der nach Israel fliegt, die Bibel liest, ist vielleicht nicht ungewöhnlich, doch dass er bei dieser Lektüre lacht, findet Barbara, die im Flugzeug neben diesem seltsamen Menschen sitzt, befremdlich. Da beginnt er, ihr die Passage, die er gerade gelesen hat, auf seine Weise zu erzählen, so, als wäre er dabei gewesen. Barbara hält das vorerst für eine schräge Art von Humor, doch seine Ernsthaftigkeit wird ihr schließlich unheimlich. Wieso sie sich nach einer außerplanmäßigen Zwischenlandung in Rom von Myschkin - so nennt er sich - zum Essen einladen lässt, bleibt ihr selbst…mehr

Produktbeschreibung
Dass ein junger Mann, der nach Israel fliegt, die Bibel liest, ist vielleicht nicht ungewöhnlich, doch dass er bei dieser Lektüre lacht, findet Barbara, die im Flugzeug neben diesem seltsamen Menschen sitzt, befremdlich. Da beginnt er, ihr die Passage, die er gerade gelesen hat, auf seine Weise zu erzählen, so, als wäre er dabei gewesen. Barbara hält das vorerst für eine schräge Art von Humor, doch seine Ernsthaftigkeit wird ihr schließlich unheimlich. Wieso sie sich nach einer außerplanmäßigen Zwischenlandung in Rom von Myschkin - so nennt er sich - zum Essen einladen lässt, bleibt ihr selbst ein Rätsel. Am nächsten Tag, auf dem Flughafen von Tel Aviv, ist sie froh, ihn loszuwerden. Doch nach ihrer Rückkehr erwartet sie zu Hause der erste einer Serie von Briefen aus Israel, in denen ein Mann, der sich mit Jesus identifiziert, herauszufinden versucht, warum die Erlösung nicht stattgefunden hat - bis heute.
Autorenporträt
Peter Henisch wurde 1943 in Wien geboren, er studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Psychologie. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift Wespennest, seit 1971 arbeitet er als freier Schriftsteller und lebt in Wien. Werke u.a.: Die kleine Figur meines Vaters (1975), Pepi Prohaska Prophet (1986), Steins Paranoia (1988), Morrisons Versteck (1991), Vom Wunsch, Indianer zu werden (1994), Schwarzer Peter (2000). Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, mit seinen Romanen Die schwangere Madonna (2005) und Eine sehr kleine Frau (Deuticke, 2007) war er auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. 2009 ist Der verirrte Messias im Deuticke Verlag erschienen, 2013 sein Roman Mortimer & Miss Molly, 2016 Suchbild mit Katze, das auf der Shortlist zum Österreichischen Buchpreis stand, und zuletzt Siebeneinhalb Leben (2018).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2009

Jesus war ein Frühchen

Die Wandlung des biblischen Mythos in aufregende Prosa: Peter Henisch hat einen sensiblen Sensationsroman geschrieben, der uns Weihnachten verbittersüßt.

Ungeheuerlich, dass niemand bislang darauf gekommen ist. Dabei erklärte das vieles, das Ausbleiben des Weltendes zum Beispiel, vor allem aber das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom: bis zuletzt ruhelos, von einer Wunderlichkeit zur nächsten jagend. Jetzt ist es also heraus: Jesus war ein Frühchen, deshalb auch so unbequem zur Welt gekommen, verfrüht um die kosmische Winzigkeit von zweitausend Jahren: "Konnte es wirklich so gewesen sein? Dass er damals einfach zu früh in die Welt gefallen war? Dem Mädchen Mirjam in den Schoß gefallen? Das wäre ein Navigationsfehler mit fatalen Folgen."

Wer fragt sich das? Es ist der hochsensible, dreißigjährige Mischa, der nicht umsonst Myschkin heißt wie Dostojewskis "Idiot", die große Erlösergestalt der Moderne, sondern der sich auch Jeschua nennt, Mischa also, der Berufene, der Wiedergekehrte, der verirrte Messias auf tiefenpsychologischer Regressionsreise: "Und indem er vorwärtsging, hatte er das Gefühl, eigentlich zurückzugehen, zurück, zurück ... Und nachdem er dann vorne, im Chor, über eine der Treppen (die linke), in die sogenannte Geburtsgrotte hinuntergestiegen war, habe er das Gefühl gehabt, endgültig im Uterus angelangt zu sein." In der Geburtskirche wird er heimgesucht vom Geist der Erinnerung - eigenen und kollektiven: "Die tragen wir doch alle in uns, wir müssen sie nur aktivieren. Manchmal werden sie uns vielleicht auch gesandt" - und es wiederholt sich die augustinische Urszene, jedoch in leichter Abwandlung: Statt "Nimm und lies" befiehlt ihm der Geist zu schreiben. Empfängnis ist in der Postmoderne zwar immer schon Sendung, hier aber geht es darum, dass die Tradition ab ovo überschrieben, dass ein ungeheuerlicher Irrtum korrigiert werden muss.

Mit viel theologischem Sachverstand und einer wohltuenden Portion Humor hat Peter Henisch Platons Anamnesis-Konzept mit der Heilsgeschichte kurzgeschlossen und daraus ein so bibelfestes wie den christlichen Glauben erschütterndes Mythos-Märchen geschaffen. Es ist charmant, dass sein leicht autistischer Held sich selbst erst im Laufe der Geschichte immer sicherer wird, was er im Gelobten Land eigentlich will: das größte Rätsel lösen nämlich. Die Frühchen-These zu Ende zu denken hieße schließlich, dass das Ende der Geschichte (in jeder Hinsicht) noch nicht erreicht wurde, dass man in einem Interim gefangen ist seit zwei Jahrtausenden. So wird es eine "Fahrt, von der viel, vielleicht alles, abhängt". Und noch charmanter ist es, die imitatio christi ebenfalls in die andere Richtung auszubuchstabieren, alle Selbstzweifel, Sensibilität und Verwirrung auch dem Vorläufer, dem Bautischler aus Nazareth zuzugestehen, der hier gleichfalls orientierungslos durch die ganze Affäre stolpert. So kann über viele hundert Seiten eine Pointe reifen, die es in sich hat.

Wir erfahren vom Heiland 2.0 - wie es sich gehört - nur über eine Vermittlungsinstanz und insofern sehr konjunktivisch: Die Literaturkritikerin Barbara lernt den neurotischen Protagonisten auf einem Flug nach Tel Aviv kennen, bei einer Zwischenlandung im heiligen Rom noch näher kennen und empfängt nach ihrer Rückkehr Briefe des (so oder so) Erwählten. Im ersten Brief erklärt er, wann die Stigmata bluten, nur in bestimmten Erregungszuständen nämlich: Das hatte Barbara in der römisch-elegischen Nacht einen Schock versetzt. Mischa erweist sich dabei durchaus als Ironiker, ausgerechnet die Drogen- und Sexhymne "Let It Bleed" der Rolling Stones nämlich habe ihm geholfen, die Bluterei zu ertragen. Von nun an berichtet er Barbara - und diese uns - detailliert über seine Reise zum Mittelpunkt der Lehre.

Von Nazareth aus pilgert dieser Jesus-Freak Jesu Leben ab, über das alte Sepphoris, Kana, vorbei am See Genezareth, den Jordan entlang, über Bethlehem, Tiberias und weitere geschichtsträchtige Orte bis nach Jerusalem, weicht aber immer häufiger von der vorgegebenen Route ab, auf der Flucht vor einem immer wieder auftauchenden "mutmaßlichen Clown", dem Bösen in aktueller Gestalt: "Hingegen ähnelte er immer mehr dem nicht allzu lange Zeit zuvor gefeuerten amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld." Ebenso durchlebt der von Rumsfeld Gejagte in Wiederholung die Annäherung Jesu an seine Gefährtin. Hier hält es der Autor, der überhaupt dem Körperlichen sein Recht zukommen lässt, mit den Apokryphen: Die Rolle der Maria Magdalena spielt Olga, die Frau eines russischen Oligarchen. Mehr und mehr wandelt sich die Reise im gegenwärtigen Israel allerdings zu einer Passionsgeschichte eigener Couleur. Der perpetuierte Kriegszustand, "die Kontinuität des alltäglichen Horrors", spielt dabei eine gewisse Rolle, doch nicht daran verzweifelt der Held zuletzt.

Wir erfahren all das aber nicht mehr chronologisch, denn es gibt eine Zäsur in der Überlieferung: Bevor die Briefe nicht mehr eintreffen, hat sich die eifersüchtige Adressatin von ihnen bereits abgewandt. Mischa begegnet erst wieder als Gebrochener, die Konversion zum Islam erwägend. Verlottert, den Drogen ergeben und von seinen letzten Euros lebend, vegetiert er verängstigt in Rom vor sich hin: Es ist etwas geschehen in Israel. Mischa ist auf die Lücke im Heilsplan gestoßen. Sie war immer da, doch erst jetzt, in der nihilistischen Gegenwart, wird sichtbar, warum die Evangelien so unbefriedigend abreißen.

Damit aber bohrte sich eine alles aufsprengende Skepsis in die zuvor so tiefe Überzeugung Myschkins hinein: War vielleicht auch die Frömmigkeit des Vorläufers eine zu naive? "Und alles hatte mit der Auferweckung des Lazarus begonnen. Die eben vielleicht, ja wahrscheinlich, nur Illusion war. Eine Inszenierung, auf die der dumme Rabbi hineinfiel ... Ein Fake der Jünger." Von hier ist es nicht mehr weit zum größtmöglichen Selbstzweifel, der totalen Häresie: Wäre er ohnmächtig, aber lebendig vom Kreuz genommen und nach Rom verbracht worden? Und tatsächlich: Bittet nicht, wie Markus im fünfzehnten Kapitel berichtet, der ehrbare Ratsherr Josef von Arimathia, um den Leichnam Jesu, den er auch erhält, obwohl sich Pilatus wundert, "dass er schon tot war"? "Nicht am Kreuz gestorben, nicht wirklich begraben, nicht abgestiegen zu den Toten, folglich nicht auferstanden! Wenn das die Wahrheit ist, dann bin ich ein Versager." Es bleibt aber natürlich - gut cartesianisch - dieses Ich (ich versage, also bin ich), um dessen Wiederaufrichtung inmitten religiöser Trümmer es im Folgenden zu tun ist.

Diese Handlung ist derart verquer, grellbunt, intelligent, aufdringlich, unlogisch und herrlich, mit einem Wort: christlich, dass man Peter Henisch die etwas altbacken wirkende Rahmenhandlung, in der eine ideale - und zwar diesseitige - Liebe aus Adoration, Begehren und Fürsorge entworfen wird, gern verzeiht. Der immer ein wenig unterschätzte Autor aus Wien führt damit fort, was er vor vier Jahren mit der Erzählung "Die schwangere Madonna" - einer schwangeren Teenagerin nimmt sich hier ein freier Journalist an - begonnen hat: die poetologische Transsubstantiation des biblischen Mythos in aufregend gegenwärtige Prosa.

Am Ende wird Henisch lächelnd milde, stellt anheim, lässt Hintertüren weit offen. Aber auch, wer durch sie entwischt, wer diesen Mischa-Myschkin-Jeschua mit der klassischen Diagnose Schizophrenie loszuwerden gewillt ist, wird von nun an von einer Erinnerung eingeholt werden können, die jenen Urtext hiermit so klug überschrieben hat. Und scheint es nicht tatsächlich so, als würde die kleine Unstimmigkeit im allerhöchsten Zeitplan gerade behoben, als stehe die Apokalypse so unmittelbar bevor, dass selbst die größte Versammlung von Weltherrschern soeben in Kopenhagen die Welt einfach aufgegeben hat? Peter Henisch, dem Christkind sei es geklagt, hat uns das Weihnachtsfest mit einem großartigen Buch infernalisch versaut.

OLIVER JUNGEN

Peter Henisch: "Der verirrte Messias". Roman. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009. 400 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2010

Wie man dem Kreuz entgeht
Erkünstelte Einfalt: Peter Henisch gönnt in seinem Roman „Der verirrte Messias” Jesus eine Zwischenlandung in Rom
Das Credo – jenes Glaubensbekenntnis, das vor rund 1700 Jahren entstand und das bis heute für alle christlichen Kirchen gilt, so verschieden sie sonst auch sein mögen – behandelt zu fast zwei Dritteln seines Umfangs die Frage, was es denn nun mit der Natur Jesu Christi auf sich habe, der Gott und Mensch zugleich sei. Sie wird in Formeln abgebunden, von denen ein Laie ohne Hilfe kaum versteht, woran er da eigentlich glauben soll.
„Er ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit”, heißt es da, „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott; gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater”, und weiter: „Er hat Fleisch angenommen durch den heiligen Geist aus Maria (der Jungfrau) und ist Mensch geworden.” Die Jungfrau ist optional, nicht alle Konfessionen haben sie dabei; eigentlich bedeutet sie noch den unproblematischsten Teil der Passage, insofern man wenigstens begreift, was gemeint ist.
Doch was sind das für merkwürdige Abstammungsverhältnisse, wo der Vater gebiert und die Mutter lediglich der Fleischannahme dient? Man ahnt es eher vor der dunklen Insistenz des Texts, als dass man klaren Aufschluss erhielte, was für ein ungemein vertracktes Problem hier steckt und wie viel Scharfsinn und fromme Erbitterung daran gewandt wurden. Hier schlägt das Herz des Christentums; es schlägt höchst prekär, da immer in Frage steht, ob und wie das arterielle und das venöse System zu einem einzigen Kreislauf zusammengehen. War Christus nur Gott, so hat er nicht wahrhaft mit uns gelebt und gelitten, und sein Heilswerk im Opfertod wurde nie vollbracht; war er aber nur Mensch, dann ist er gestorben und verdorben so gut wie tausend andere, ohne besondere Vollmacht, und von einer Eröffnung des Weltalters des Heils kann gleichfalls keine Rede sein.
Die Evangelien stehen diesseits des Problems, indem ihr äußerst karger Wortlaut der Phantasie breiten Spielraum lässt; Phantasie ist es, die sich als Medium für die Erfahrung des Göttlichen empfiehlt. Sämtliche künstlerischen Interpretationen der Moderne irren dagegen mit Notwendigkeit nach der menschlichen Seite hin. Könnte man sich einen Christus vorstellen, der heute im Anzug wiederkäme? So fragt Rilke einmal, und gibt sich selbst die Antwort: Nein; denn er schiene nicht durch. Dieses Durchscheinen ist aus den Mitteln des modernen Realismus nicht zu erzielen, in dessen groben Maschen sich das Göttliche nicht fängt. Für alle derartigen Versuche gilt: In dem Maß, wie sie das Interessante anwachsen lassen, schwindet das verbindlich Bedeutsame dieser Biographie.
Selbst bei größtem Respekt kommt da nur etwas wie Mutter Teresa oder Albert Schweitzer heraus, das heißt ein exemplarischer Mensch, doch niemals Derjenige, der von sich sagt, er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben, und zwar ausschließlich Er. Man kann einem Romanautor der Gegenwart nur entschieden davon abraten, sich an diesen Stoff zu wagen. So lässt sich auch von Peter Henischs Buch „Der verirrte Messias” eigentlich nur eines sagen: Da es im Theologischen scheitern musste, konnte es als Roman nicht gelingen.
Der Erlöser riecht nach Schaf
Barbara, etwa vierzig Jahre alt, ihres Zeichens Literaturkritikerin (nicht zuletzt für die Süddeutsche Zeitung), kommt, im Flugzeug nach Israel, wo sie ihre Halbschwester Esther besuchen will, neben einem merkwürdigen Menschen zu sitzen. Er heißt Mischa, ist ein in Deutschland naturalisierter ehemaliger Sowjetbürger, hat eine etwas schafsmäßige Physiognomie, scheint auch schwachen Schafsgeruch auszudünsten und ergeht sich in Andeutungen über seine Mission. Schon bald wird dem Leser klar, dass es sich offenbar um eine Reinkarnation jenes Jeshua handelt, mit dem es vor zweitausend Jahren in Palästina ein so böses Ende nahm. Das Flugzeug muss einen Stopp in Rom einlegen, Barbara ist drauf und dran, mit ihm ins Bett zu gehen, da entdeckt sie die notdürftig verarzteten Wundmale. In Panik flieht sie aus dem Hotelzimmer, bekommt aber, zurück daheim in Wien, jede Menge Post von ihrer Reisebekanntschaft. Ein sehr großer Teil des Buchs besteht aus Nacherzählungen dieser Briefe.
Die Wahl dieser Form muss man in jeder Hinsicht als einen Missgriff bezeichnen. Zunächst einmal sollte der Bringer des Heils nicht selber schreiben, sondern über sich schreiben lassen; Messias und Evangelist sind zwei deutlich geschiedene Berufungen. Und dann erhält der Leser nicht einmal den Wortlaut, sondern nur dessen Aufguss in indirekter Rede voller „sei” und „habe”. So ist die beispiellose Präsenz des Einen, auf den es ankommt, zweifach gebrochen und verdünnt. Dass er zum Schluss auf dem Laptop einen Roman „Messias im Exil” verfasst („Was hältst du von diesem Titel?”), stärkt den Glauben an ihn auch nicht eben.
Das Formproblem setzt sich, kaum erstaunlich, als ein solches des Tons und der Sprache fort. Warum z.B. darf Barbara mit ihrer Flugangst sicher sein, dass das Flugzeug nicht abstürzt? „Weil ich an Bord bin”, ,ich’ kursiv. So hätte das Christus den Aposteln während des Seesturms nicht gesagt, er hätte das ,ich’ zwar gleichfalls unterstrichen, aber um die entscheidende Nuance anders. Wie war das überhaupt so am See Genezareth? „Alles schien gutzugehen, reicher Fischfang, wunderbare Brotvermehrung.” Dieses wunderbar klingt bloß noch wie: klasse!
Bald waltet eine erkünstelte Einfalt („Da ging eine Kraft von ihm aus. Vielleicht ging diese Kraft auch durch ihn durch. Diese Kraft riss ihn mit. Anfangs war er mitgerissen von ihrer Wirkung”), bald schnoddrige Modernisierung: „(. . . ) und auch Yehuda (Judas), das sagte er bei aller Sympathie für seine geradlinige Art, sollte sich gefälligst beherrschen, wie oft habe ich euch schon gesagt, dass wir eine friedliche Truppe sind, wir lehnen Gewalt ab, und würden wir sie anwenden, so hätten wir ohnehin keine Chance.” Schwer vorzustellen, dass die Botschaft der bedingungslosen Liebe Wendungen wie „bei aller Sympathie” und „gefälligst” und „ohnehin” gebraucht hätte. Anbiedernd und falsch wirken beide Tonfälle. Wäre es anders gegangen? In Dostojewskis Erzählung vom Großinquisitor sagt Christus kein Wort.
Es gibt noch mehrere andere Dinge, die Christus nicht tun sollte. Er sollte nicht kiffen und nicht koksen, wie er es leider bei Henisch macht; wenn er trinkt, sollte er dem Wein den Vorzug vor schärferen, aber symbolisch kahlen Getränken geben; und obwohl seine missverständliche Eigenart ruhig die Liebe der Frauen auf sich ziehen darf, sollte er mit ihnen keinen Sex haben, denn wozu sonst war der ganze Aufwand mit der jungfräulichen Empfängnis gut, von der auch Henisch nicht lassen mag? Der Plattheit zeitgenössischer Adaptationen nimmt es das Maß, dass sie kein Gespür für die Tragödie der Maria Magdalena haben – mit der rühmlichen Ausnahme des Musicals „Jesus Christ Superstar”, worin sie das Lied „I don’t know how to love him” singt, das die Zeile enthält: „He’s a man – he’s just a man!" Im unübersetzbaren Changieren dieses „man” zwischen Mann und Mensch zeigt sich ein bemerkenswertes theologisches Bewusstsein.
Henisch hat ein solches eher nicht. Sein Messias findet schließlich nicht nur in die Arme von Barbara, welche die Redakteure ihre Rezensenten begraben lässt, sondern mutmaßlich auch der russischen Oligarchen-Gattin Olga, die ihn mit dem Geld ihres Mannes ganz groß rausbringen will. Ein wichtiger Aspekt des Plots aber ist doch geeignet, eine Verlegenheit der christlichen Heilslehre zum Vorschein zu bringen. Mischa alias Jeshua, der sich vage an sein Vorleben erinnert, kehrt nach zweitausend Jahren wieder in die historische Welt deswegen zurück, weil damals eine Panne passiert ist, die jetzt ausgebügelt werden soll.
Der entscheidende Puzzlestein
Er ist nämlich gar nicht am Kreuz gestorben, sondern wurde gerettet und durch eine List des Nikodemus und Josefs von Arimatea nach Rom expediert, wo er als alter Mann noch Gelegenheit hatte, den Triumphzug des Titus nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels mitanzusehen. Wenn das aber so war, dann hat ja die Erlösung, die an den Kreuzestod gekoppelt war, gar nicht stattgefunden!
Diese Einsicht wirkt zunächst erschütternd. Aber dann melden sich Zweifel: Wenn zweitausend Jahre lang absolut niemand von allen Christen mitgekriegt hat, dass dieser entscheidende Puzzlestein ihrer Weltanschauung fehlt; wenn sie sämtlich ohne Erlösung genau so haben leben, lieben, wirtschaften, sterben können, als wären sie doch erlöst gewesen – welchen Wert hat dann überhaupt die Erlösung? BURKHARD MÜLLER
PETER HENISCH: Der verirrte Messias. Roman. Deuticke Verlag, Wien 2009. 400 Seiten, Euro
„Da ging eine Kraft von ihm aus. Vielleicht ging diese Kraft auch durch ihn durch”: Der Romanautor Peter Henisch über seine Hauptfigur Jesus Foto: contrasto/laif
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angesichts der Geschichte, die Peter Henisch in "Der verirrte Messias" erzählt, wird dem Rezensenten Karl-Markus Gauß nach eigenem Bekunden bange: "Kann das gut gehen?" Henisch erzählt, wie Jesus in Gestalt eines Flüchtlings namens Mischa Myschkin wiederkehrt, sich seiner messianischen Mission durch eine Reise nach Israel und Palästina zu versichern sucht, dabei eine Liebesgeschichte mit einer rationalistischen deutschen Literaturkritikerin beginnt und sehr bestürzt ist über den Unfrieden im Heiligen Land. Uff. Desto verblüffender das Fazit des Rezensenten: Das Buch ist gelungen. Einerseits dank der Beschlagenheit des Autors in theologischen Dingen. Andererseits dank seiner souveränen Handwerkskünste als Romancier. So wird der Roman nicht nur ein "theologisches Gedankenspiel" und eine "interkulturelle Liebesgeschichte", sondern gar noch eine "kundige Reportage über den Nahen Osten", findet der Rezensent. Und das ist kein messianisches Wunderwerk, sondern "gewissenhafte Erzählkunst", versichert Karl-Markus Gauß.

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"Was da geboten wird, ist politische und Kulturkritik, ironisch, sarkastisch, bis an die Grenze zum Slapstick." Walter Grünzweig, Der Standard, 25.07.09

"Der Schriftsteller, der sich auch in seiner neuen Arbeit als souveräner und unaufgeregt präziser Erzähler erweist, präsentiert sich obendrein als Fachkraft des Formalen." Profil, 27.07.09

" Das Sympathische an diesem Buch ist, daß es nicht abschließend erklärt. Eher setzt es eine nachhaltige Verstörung in Gang." Brigitte Schwens-Harrant, Die Presse, 01.08.09

"Henisch, ein exzellenter Kenner der Evangelien, beherrscht nicht nur seinen Stoff, sondern vor allem das Handwerk des Romanciers." Karl Markus Gauss, Neue Zürcher Zeitung, 12.10.2009

"Ein faszinierender Text. Er changiert zwischen Ernst und Ironie, ein Lesegenuß." Stefan Rammer, Passauer Neue Presse, 09.10.09