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Ein Mann beobachtet täglich gegen Mitternacht, wie eine schöne junge Frau einem Taxi entsteigt und im Haus gegenüber verschwindet. Eines Abends läutet es bei ihm an der Tür, und die Frau seiner Träume steht vor ihm. Doch auch Träume haben ihren Preis ... Der Boxer Shoro heuert bei einem Geldprotz als Schuldeneintreiber an, doch einer seiner ersten Aufträge betrifft seinen eigenen Bruder ... Freundliche Hochstapler, verträumte Bettler und kampfbereite Omas bevölkern die wunderbar tragikomischen Kurzgeschichten des bulgarischen Schriftstellers Dejan Enev. Dimitré Dinev hat die Erzählungen für…mehr

Produktbeschreibung
Ein Mann beobachtet täglich gegen Mitternacht, wie eine schöne junge Frau einem Taxi entsteigt und im Haus gegenüber verschwindet. Eines Abends läutet es bei ihm an der Tür, und die Frau seiner Träume steht vor ihm. Doch auch Träume haben ihren Preis ... Der Boxer Shoro heuert bei einem Geldprotz als Schuldeneintreiber an, doch einer seiner ersten Aufträge betrifft seinen eigenen Bruder ... Freundliche Hochstapler, verträumte Bettler und kampfbereite Omas bevölkern die wunderbar tragikomischen Kurzgeschichten des bulgarischen Schriftstellers Dejan Enev. Dimitré Dinev hat die Erzählungen für diesen Band zusammengestellt. Vorhang auf für den Zirkus Bulgarien!
Autorenporträt
Dejan Enev, geboren 1960 in Sofia, studierte bulgarische Philologie an der Universität Sofia. Er arbeitete als Maler, als Nachtwächter, als Sanitäter, als Lehrer, als Texter in einer Werbeagentur und als Journalist. Derzeit ist er für das Kulturressort der Zeitung "Sega" tätig.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für Paul Jandl strahlen die kurzen Erzählungen, die in diesem Auswahlband aus den sieben bisher erschienen Prosabänden des 1960 in Sofia geborenen Dejan Enev versammelt sind, eine "Traurigkeit" aus, die mehr über Bulgarien aussagen als Fakten und Zahlen. Der bulgarische Autor erzählt darin "virtuos" von der Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die mal in den Humor und mal direkt in die Katastrophe mündet, so der Rezensent gefesselt. Jandl kann eine zunehmende erzählerische Ökonomie und Nüchternheit in den Geschichten erkennen, einen Pragmatismus, hinter dem dennoch nicht selten ein "surreales Element" aufscheint, das dem Rezensent als charakteristisch für die bulgarischen Verhältnisse scheint.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2008

Safari mit dem Wappentier
Skurrile Kurzgeschichten des Bulgaren Dejan Enev

In Anton Tschechows "Krankensaal Nr. 6" träumen die Patienten von Freiheit und Glück. In Dejan Enevs Kurzgeschichte "Die Grille" ist es genau umgekehrt. Dort wird das Krankenzimmer, das gewiss nicht zufällig die Nummer sechs trägt, zum letzten Refugium der Menschlichkeit, aus dem der Psychiater Delibaltov seinen Langzeitpatienten Max schweren Herzens hinauswerfen muss. Im neuen liberalisierten Bulgarien ist für psychiatrische Einrichtungen einfach kein Geld mehr da. Frisch aus der Anstalt entlassen, gerät Max in eine Demonstration, will sich dort in der ungewohnten Menschendichte Luft machen und löst mit seinem ulkigen Marschschritt einen Lachsturm aus, worauf die Polizei Subversives wittert und den armen Verrückten brutal zusammenschlägt. Als er, von Menge und Polizei alleingelassen, wieder zu sich kommt, gehen seine Gedanken zurück zum Krankenzimmer und der Grille, die er dort unterm Bett unversorgt vergessen hat.

Solche wie Max gibt es viele in den wunderbaren Kurzgeschichten des 1960 in Sofia geborenen Dejan Enev, der nach einer beruflichen Odyssee als Nachtwächter, Krankenpfleger in der Psychiatrie, Maler, studierter Philologe und Lehrer heute als Journalist in der bulgarischen Hauptstadt arbeitet. Sieben Bände mit Kurzgeschichten sind in seiner Heimat von ihm erschienen, und es ist seinem in Wien lebenden und deutschschreibenden Landsmann und Schriftstellerkollegen Dimitré Dinev zu danken, dass eine Auswahl daraus nun auch auf Deutsch vorliegt.

Wir mögen Krisen haben, die tapferen Helden Enevs leiden am Alltag. Geisteskranke, Müllsammler, obdachlose Roma-Familien, Bettler, Gelegenheitsdirnen, knorzig-zornige Alte und enttäuschte Junge, sie alle bevölkern diese "Geschichten für eine Zigarettenlänge" wie zerlumpte Infanteriesoldaten aus einer Armee gescheiterter Träumer. Sie wohnen unter Brücken, in ungeheizten ausrangierten Waggons oder in Wohnblöcken, die nachts angestrahlten Ozeandampfern gleichen, denen Oberdeck und Kommandobrücke abhandengekommen ist. Gäbe es einen Preis für das schönste traurige Buch der Saison, dieses hätte ihn verdient.

Pavel, der Dompteur aus der Titelgeschichte, dessen Arbeitgeber, der einstige Staatszirkus, längst bankrott ist, will sich weder von seinem Beruf noch von seinem Löwen Cäsar trennen. Noch vor kurzem stand Cäsar Modell für das 1997 wiedereingeführte bulgarische Staatswappen, doch schon wenig später kann der Tierhalter die tägliche Fleischration für die Raubkatze nicht mehr finanzieren. Und weil bekanntlich das Fressen immer vor der Moral kommt, lautet die bittere Alternative für Cäsar: Safari-Vergnügungspark der Neureichen.

In einem Interview sagte Enev unlängst, dass er sich beim Schreiben wie ein Müllmann fühle, der den Unrat von den Straßen kehren müsse. Der Staat tue dies schon lange nicht mehr. Die bulgarische Revolution gehörte zu den samtenen des Jahres 1989, die Jahre danach glichen eher einer Rosskur. Zwanzig Prozent seiner Einwohner haben Bulgarien in den letzten Jahren verlassen, mehr als eine Million von sechs, fast alle, die gingen, waren jung, die meisten gut ausgebildet. Man stelle sich vor, Deutschland hätte fünfzehn Millionen Leistungsträger verloren, so etwas nennt man eine nationale Katastrophe. Den Schriftstellern und ihrer Literatur erging es nicht viel besser - von 1400 Buchhandlungen, die es vor der Wende gegeben hatte, waren ein Jahr danach ganze zwei übrig geblieben. Man hielt sich im besten Fall als Werbetexter oder Nekrologschreiber über Wasser. Auf die Frage, wie man ein gutes Buch schreibt, antwortete ein bulgarischer Autor: mit Traurigkeit.

Dejan Enevs literarische Momentaufnahmen stammen aus den Jahren 1994 bis 2005, heller, hoffnungsvoller, heiterer sind sie in dieser Zeit nicht geworden. Einsame Helden träumen darin in tristen Neubausilos von schönen Mädchen, die dann leider sechsstellige Summen kosten, die Taxifahrer mit hechelnden Hunden eintreiben. Die Träume der Mädchen sind bescheidener. Die Krankenschwester in der Psychiatrie möchte als literarische Femme fatale in einer Paris-Erzählung verewigt werden, Geri, die schöne Tochter der bitterarmen gelähmten Müllsammlerin, will als Fotomodell nach New York. Die eine wird von einem Patienten zum Krüppel geschlagen, die andere prostituiert sich für einen Jeansrock. Und weil sie nicht weiß, wie sie solchen Luxus gegenüber der Mutter erklären soll, nimmt sie statt des Jeansrocks die Geldscheine, schnürt sie zu einem Bündel und zaubert sie am nächsten Tag als überraschend gefundenen Schatz aus einer Mülltonne hervor.

Es sind lakonische, unsentimentale Inventurberichte zu Kollateralschäden politischer Transformationsprozesse aus einem "Land jenseits des Wissens", einer europäischen Peripherie, die hierzulande allenfalls aus Hochglanzprospekten der Pauschalreiseunternehmen bekannt ist. In Dejan Enevs Sprache, der mündlichen Erzähltradition seiner Heimat verpflichtet und fulminant von Katrin Zemmrich und dem unermüdlichen Norbert Randow ins Deutsche übertragen, werden diese Überlebensgedichte in Prosa zu einem gewaltigen Lied der Straße, einem balkanischen Blues, der unter die Haut geht und einem das Herz bricht.

SABINE BERKING

Dejan Enev: "Zirkus Bulgarien". Geschichten für eine Zigarettenlänge. Aus dem Bulgarischen übersetzt von Katrin Zemmrich und Norbert Randow. Mit einem Nachwort von Dimitré Dinev. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2008. 220 S., geb., 17,90 [Euro].

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