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Im Zentrum, nicht an der Peripherie einer ungenannten Kleinstadt in Polen befindet sich Daniel Odijas Ulica Dluga, die Lange Straße: Hier haust Kanada, der einst dort studierte und später für die Bonzen der Partei übersetzte. Daneben züchtet der alte Pokora angeblich Krim-Tauben, und der hagere Pattex schnüffelt Klebstoff. Die Cebula-Mädchen gehen unverdrossen ihrem Gewerbe nach, und der kleine Maka sammelt Flaschen und Altpapier, um zu überleben. In knappen Sequenzen beschreibt Odija eine Gesellschaft im Übergang, ihre Träume und Hoffnungen genauso wie ihre Exzesse und Tristesse. Er…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum, nicht an der Peripherie einer ungenannten Kleinstadt in Polen befindet sich Daniel Odijas Ulica Dluga, die Lange Straße: Hier haust Kanada, der einst dort studierte und später für die Bonzen der Partei übersetzte. Daneben züchtet der alte Pokora angeblich Krim-Tauben, und der hagere Pattex schnüffelt Klebstoff. Die Cebula-Mädchen gehen unverdrossen ihrem Gewerbe nach, und der kleine Maka sammelt Flaschen und Altpapier, um zu überleben. In knappen Sequenzen beschreibt Odija eine Gesellschaft im Übergang, ihre Träume und Hoffnungen genauso wie ihre Exzesse und Tristesse. Er beschreibt sie präzise, unbestechlich, aber niemals herzlos-diffamierend.
Autorenporträt
Daniel Odija wurde 1974 in Slupsk geboren, wo er heute als Schriftsteller und Fernsehjournalist lebt. Das Sägewerk ist sein zweiter Roman und sein erster auf Deutsch.

Martin Pollack, geboren 1944 in Bad Hall, Oberösterreich, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Bis 1998 Korrespondent des Spiegel in Wien und Warschau. Übersetzer u. a. von Ryszard Kapuscinski. Preise u. a.: Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung (2011), Johann-Heinrich-Merck-Preis, Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik (beide 2018). Bei Zsolnay sind u.a. erschienen: Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann (2002), Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater (2004), Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien (2010) und zuletzt Die Frau ohne Grab. Bericht über meine Tante (2019).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Marta Kijowska freut sich, dass Daniel Odijas hinreißendes Romandebüt "Auf offener Straße" nun auch in einer vorzüglichen Übersetzung auf Deutsch vorliegt. Ein nachhaltiges "Leseerlebnis" verspricht die Kritikerin, die hier die ebenso realistisch wie erschütternd erzählte Geschichte der polnischen Gesellschaft der neunziger Jahre erlebt. Gebannt folgt sie den in "kraftvollen und gnadenlosen" Bildern beschriebenen Alltagserlebnissen der illusionslosen und gescheiterten Bewohner einer Straße in einer polnischen Kleinstadt: Die Rezensentin begegnet hier Frührentnern, Gelegenheitsarbeitern, Dieben, Prostituierten und Trinkern, die einander in Hass, Gier, Neid und immer wieder ausbrechender Gewalt gegenüberstehen. Tief beeindruckt zeigt sich Kijowska insbesondere von dem Vermögen des Autors, die "gnadenlosen" Bilder ganz nahe heranzuzoomen, um sie zugleich durch poetische und ironische Reflexionen wieder in die Ferne zu rücken.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2013

Im Zoom der Worte

Endlich liegt Daniel Odijas gefeiertes Romandebüt "Auf offener Straße" auf Deutsch vor. Es bringt die düsteren Seiten der polnischen Gesellschaft während der neunziger Jahre zum Vorschein.

Am Anfang standen ein verlorener Umschlag und ein Anruf: Eines Tages hatten der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk und seine Frau Monika Sznajderman als Besitzer des Verlags "Czarne" einen jungen unbekannten Autor aus Pommern am Telefon, der sich erkundigte, ob seine Sendung angekommen sei. Hätte er das nicht getan, wäre sein Text möglicherweise nie erschienen, denn mit dem Umschlag war auch die Adresse verlorengegangen. So aber war der Anruf die Geburtstunde des Schriftstellers Daniel Odija: Sein Erstling, der Roman "Auf offener Straße", erwies sich als literarisches Ereignis, Odija avancierte in den nächsten Jahren zu einem Star der jungen polnischen Literaturszene.

Nun ist dieses Buch endlich auf Deutsch erschienen, und es dürfte allen, denen Odijas vor sechs Jahren übersetzter Roman "Das Sägewerk" unter die Haut gegangen ist, ein ähnlich einprägsames Leseerlebnis bescheren. Auch diesmal handelt es sich um ein Stück dichter, realistischer Prosa, in dem die düsteren Seiten der polnischen Gesellschaft zur Transformationszeit der neunziger Jahre zum Vorschein kommen. Genauer: die Tristesse des Lebens in einer Provinzstadt.

Die Lange Straße, in der die Handlung spielt, scheint nur von einer Sorte Menschen bewohnt zu sein: lauter Gescheiterten, Enttäuschten, Chancenlosen. Pseudointellektuelle, Gelegenheitsarbeiter und Frührentner leben Tür an Tür mit Dieben, Betrügern, Prostituierten, Trinkern und Zigeunern. Das Land befindet sich im Aufbruch, doch diese Menschen fristen weiterhin ihr ärmliches Dasein, ohne Ziel, ohne Illusionen.

Entsprechend wechselhaft sind die Emotionen und Instinkte, die hier hochkommen: Langeweile, Hass, Verzweiflung, Gier, Neid, Gewalt. Letztere ist allgegenwärtig und kann ganz unvermittelt ausbrechen. "Am Anfang werden sie ihm ein paar Mal den Sessel über den Kopf schlagen", lautet die Beschreibung der Selbstjustiz an einem Kinderschänder. "Jeder wird sich eine Zigarette anzünden, und von Zeit zu Zeit werden sie die an seinem Körper ausdrücken.. . Die Schwester wird ein Küchenmesser zur Hand nehmen. Sie wird die Hand in den geöffneten Hosenschlitz tauchen. Sie wird das Ding abschneiden und ihm zwischen die Zähne stecken."

Dermaßen drastische Bilder findet man in diesem Buch öfter. Odija seziert die Wirklichkeit der Langen Straße auf gnadenlos präzise, schonungslose Weise, zeigt dabei allerdings auch viel Mitgefühl. Und er bringt seine Empathie meisterhaft zum Ausdruck: Der Roman besteht aus kurzen Sequenzen, die jeweils einem Menschen oder einem Alltagsdetail gelten. Dabei ist sein lapidarer, von Martin Pollack glänzend ins Deutsche transportierter Erzählstil so kraftvoll und einprägsam, dass man jeden Straßenbewohner genau vor sich sieht und zugleich die Aura des gesamten Ortes spürt. Da ist der künftige Fernsehjournalist Daniel Odija am Werk: Er denkt gleichzeitig in Worten und Bildern, und die Kunst, die Zoom-Technik auf die Literatur anzuwenden, beherrscht er auch. Er schreibt sich ganz nahe an die Dinge heran, um sie dann durch eine stilistische Brechung - eine Portion Ironie oder einen Hauch Poesie - wieder fernzurücken.

In den Träumen seiner Figuren, dem einzigen ständig wiederkehrenden Element der Handlung, kommt das Poetisch-Reflexive am besten zum Ausdruck. Sie sorgen für eine Portion Metaphysik, die bewirkt, dass die Lange Straße, obwohl sehr real, den Eindruck einer abstrakten und vollkommen in sich geschlossenen Einheit macht. Wo ihr Anfang ist und wo sie endet, ist nebensächlich - wichtig ist einzig das Dazwischen: Ohne es "gäbe es keine Wesen, die sich zwischen Geburt und Tod aufhalten. Es gäbe keine Krankheit, keine Ohnmachten, keine Besäufnisse und keine Träume, die das Dazwischen beschreiben".

MARTA KIJOWSKA

Daniel Odija: "Auf offener Straße". Roman.

Aus dem Polnischen von Martin Pollack. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012. 140 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Odija erweist sich als kühler Beobachter einer Welt, die es eigentlich nicht geben sollte. Abseits jedweder politischer Absichten und allen sozialen Kitsches liest sich 'Auf offener Straße' als spannender Gegenwartsroman." Martin Sander, Deutschlandradio, 13.09.12

"Odija erzählt von denjenigen, die stehen geblieben oder gefallen und nicht mehr hochgekommen waren: im wohl wichtigsten polnischen Roman der letzten Dekade. In kurzen Sequenzen, ein bis zwei, höchstens drei Seiten lang; lakonisch, eindringlich, verstörend und von einer nie aufgesetzten, nie kitschigen Poesie." Mathias Schnitzler, Frankfurter Rundschau, 03.11.12

"Ein Wunder an Poesie und Ironie." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 10.11.12

"Weder erhebt Odija wohlfeil sozialkritisch Anklage, noch weidet er sich voyeuristisch am Schicksal der Menschen - vielmehr geht es ihm darum, ihrem Schmerz durch die dichte Beschreibung poetische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Mit lakonischer Präzision und distanzierter Einfühlung beschreibt er parabelhaft die Katastrophe eines Mangels, der die Leute von innen her auffrisst." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 13.11.12

"Odijas Prosaminiaturen, die sich zu einem Bild der Nach-Wendezeit fügen, sind eine harte und bedrängende Lektüre - nicht zuletzt durch die kongeniale Übersetzung von Martin Pollack." Cornelius Hell, Ö1 ex libris, 24.02.13

"Daniel Odija richtet den Blick auf eine Randgruppe der neuen polnischen Gesellschaft und seziert sie mit der Präzision eines Insektenforschers. Er tut es auf eine gnadenlos nüchterne, fast brutale Weise, ohne allerdings anklagen oder schockieren zu wollen. (...) Dabei sind seine knappen, von Martin Pollack glänzend übersetzten Sätze so kraftvoll, so einprägsam, dass man jeden Straßenbewohner genau vor sich sieht und gleichzeitig die Aura des gesamten Ortes spürt." Marta Kijowska, Deutschlandfunk, 25.02.13…mehr