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Im September 2004 musste sich Slavenka Drakulic in den USA einer Nierentransplantation unterziehen. Es war nicht ihre erste. Das Besondere daran: Die Niere stammte nicht von einem verstorbenen oder verwandten, sondern von einem freiwilligen, anonymen Spender, der noch lebt. In ihrem höchst aktuellen Buch geht Slavenka Drakulic der zentralen Frage nach, die eine sogenannte Lebendspende aufwirft: Warum riskieren Menschen ihre Gesundheit? Ist es purer Altruismus? Wie gehen Spender und Empfänger damit um? Im Gespräch mit Christine, ihrer eigenen, ursprünglich anonym bleiben wollenden Spenderin,…mehr

Produktbeschreibung
Im September 2004 musste sich Slavenka Drakulic in den USA einer Nierentransplantation unterziehen. Es war nicht ihre erste. Das Besondere daran: Die Niere stammte nicht von einem verstorbenen oder verwandten, sondern von einem freiwilligen, anonymen Spender, der noch lebt. In ihrem höchst aktuellen Buch geht Slavenka Drakulic der zentralen Frage nach, die eine sogenannte Lebendspende aufwirft: Warum riskieren Menschen ihre Gesundheit? Ist es purer Altruismus? Wie gehen Spender und Empfänger damit um? Im Gespräch mit Christine, ihrer eigenen, ursprünglich anonym bleiben wollenden Spenderin, und anderen zeichnet die Autorin ein vielschichtiges und komplexes Bild von Menschen, die ein humanes Gewissen besitzen und sich zu einer Organspende entschließen. Erst ihre Krankheit habe ihr die Möglichkeit gegeben, sich Gedanken zu machen über das Gute und auf die hellen Seiten des Lebens zu achten. Ein persönliches und fachkundiges Buch, das aufrüttelt.
Autorenporträt
Slavenka Drakulic, geboren 1949 in Kroatien, ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen ihres Landes. Ihre Bücher erscheinen in vielen Sprachen. Sie lebt in Kroatien, Stockholm und Wien. 2005 erhielt sie den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.11.2008

Woher kommt das Sanfte?
Slavenka Drakulic’ „Leben spenden” fragt nach der Güte
„Oh, wie einfach es doch ist, moralisch zu sein, wenn man gesund ist!”, schrieb die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic anlässlich einer holländischen Fernsehsendung, in der sich drei Nierenkranke um die Niere einer vermeintlich Todkranken bewarben. Das Ganze stellte sich als Fake heraus, die angebliche Spenderin war eine Schauspielerin. Der Sender BNN rechtfertigte sich mit der Behauptung, man habe auf den enormen Spendermangel aufmerksam machen wollen, der noch geschmackloser sei als die Sendung. Die Empörung über die mediale Inszenierung von menschlichem Leid war sicher gerechtfertigt. Aber genügt das? Empörung ist billig zu haben. Aber sie ist noch lange kein Garant für altruistisches Handeln. Die Überweisung einer Geldspende bleibt meistens das Höchstmaß der Gefühle, mit dem wir auf das Leiden fremder Personen reagieren.
Dennoch gibt es Menschen, die zu wirklich altruistischen Taten fähig sind, und zwar in einem Ausmaß, das für andere nicht vorstellbar ist. Slavenka Drakulic war einunddreißig, als ihre Nieren versagten. Ihre Tochter – heute kennt man sie als die Schriftstellerin Rujana Jeger – war damals noch ein kleines Kind. Sechs Jahre verbrachte sie an der Dialyse. Und Dialyse heißt: dreimal in der Woche für vier bis fünf Stunden an ein Gerät gefesselt zu sein, das die Aufgabe der Nieren übernimmt, das Blut zu reinigen. Die damit verbundenen Strapazen, die ständige Erschöpfung, die wunden Gefäße, die Belastung für den Gesamtorganismus, sind auf Dauer nicht auszuhalten. Im Jugoslawien der 80er Jahre bedeutete es dennoch Glück im Unglück, denn die Dialyseplätze waren rar (auf fünf Patienten kam ein Platz). Slavenka Drakulics Vater ist während der Dialyse gestorben, von ihrer eigenen Gruppe aus 42 Dialyse-Patienten überlebten außer ihr nur zwei weitere, weil ihnen ebenfalls erfolgreich die Nieren Verstorbener transplantiert wurden. Slavenka Drakulics neue Niere funktionierte fast fünfzehn Jahre. Dann versagte auch sie ihren Dienst. Damals lebte die mit dem Schriftsteller Richard Swartz verheiratete Autorin bereits in Schweden. Sie kam auf die Warteliste für Spendernieren, was nichts anderes hieß, als vier weitere Jahre auf die Dialyse angewiesen zu sein. In ihrer Verzweiflung ließ sie sich auch auf eine amerikanische Liste setzen. Nach einem Jahr kam der erlösende Anruf. Man habe eine Niere für sie, allerdings nicht wie erwartet von einem Toten, sondern von einem „altruistischen, anonymen, lebenden Spender”. Es gibt also tatsächlich Menschen, die bereit sind, zu Lebzeiten eine Niere für jemanden zu spenden, den sie nicht kennen!
So groß ihre Freude war, so unfassbar schien ihr dieses Geschenk. Wie sollte sie dafür danken? Und wem? „Leben spenden” ist das überaus eindrucksvolle Dokument einer existentiellen Erschütterung und zugleich eine philosophische Betrachtung über das Gute. Was daran am meisten verblüfft ist die Tatsache, dass wahre menschliche Güte für den Verstand offenbar schwieriger zu begreifen ist als das Böse. In Slavenka Drakulic hat diese Güte eine ideale Interpretin gefunden. Sie war Zeugin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und kam dabei zu einem ähnlichen Ergebnis wie Hannah Arendt nach den Nürnberger Prozessen. Das Böse ist banal. Wenn wir Kriegsverbrecher wie Karadzic, Mladic oder Milosevic gern als Monster darstellen, versuchen wir nur, dem unangenehmen Gedanken zu entkommen, „dass jeder von uns unter bestimmten Umständen zum Verbrecher werden kann.” Aber gilt auch der Umkehrschluss? Ist auch das Gute banal? Und wenn ja, warum tun wir es dann nicht öfter?
Mitten hinein in die Freude, gerettet zu sein, kam die Verunsicherung durch die Größe der Gabe. Slavenka Drakulic musste sich eingestehen, dass sie selbst vermutlich nicht zu einer vergleichbaren Handlung fähig wäre. Sie wurde am 27. September 2004 im Rhode Island Hospital in Providence operiert. Drei Tage später traf sie die Spenderin, die im gleichen Krankenhaus lag und glücklicherweise eingewilligt hatte, sie zu treffen. Sie wollte ihr unbedingt persönlich danken, so gut es eben ging, und sie wollte wissen, wer diese Frau war, die ihr das Leben gerettet hatte. Sie beschreibt das Auf und Ab ihrer Gefühle im Vorfeld genauso präzise wie bei der Begegnung. Was wäre, wenn die „Spenderin” sie nicht leiden könnte? „Ich als Empfängerin bewunderte die Handlungsweise meiner Spenderin so sehr, dass mir der bloße Gedanke, ich könnte sie nicht mögen (ihr Aussehen? Ihr Verhalten? Ihre Haltung mir gegenüber?), vollkommen absurd erschien.” Überwältigt von Dankbarkeit, musste sie gleichwohl erkennen, dass die Neigung, sich die andere als eine Heilige oder einen Engel vorzustellen, die Menschlichkeit ihrer Geste nivelliert. Offenbar ist es leichter, „Gott zu vertrauen als einem Mitmenschen”.
Als Christine Swenson dann vor ihr steht, ist alles ganz einfach: „Ich weiß nicht, wer von uns zuerst lächelte, vielleicht haben wir beide gleichzeitig gelächelt. Ein kostbarer, freudiger Augenblick, als wir beide bemerkten, dass wir keine Fremden mehr waren, dass wir uns mochten.” Die junge Frau, Mutter zweier Kinder und Hilfspflegerin in einem Pflegeheim, wurde von ihren Eltern begleitet, die ihre Tochter bei ihrem ungewöhnlichen Vorhaben von Anfang an unterstützten. Auslöser für ihre Spende war ein Zeitungsartikel. „Ich könnte das Leben eines Menschen retten”, sei ihr erster Gedanke gewesen. Er hat genügt, um die langwierige Prozedur in Gang zu bringen, die einer Organspende vorausgeht. „Einfach so?”, fragt Slavenka Drakulic nach. „Ja, einfach so”, lautet die entwaffnende Antwort.
Wäre „Leben spenden” ein Roman, dann müsste er mit dieser Antwort enden. Doch Slavenka Drakulic beginnt über das Thema zu recherchieren und besucht andere Spender, die eine Niere an Fremde verschenkt haben; allen voran Kristy Olivet, die junge Studentin, deren Geschichte damals in der Zeitung stand, die Christine gelesen hatte. Der Empfänger ihrer Niere war ein 65-jähriger Vorarbeiter im Ruhestand. Ein Foto zeigte die beiden in seinem Krankenhauszimmer. „Ich glaube, man muss jemand sein, der andere Menschen als gleichwertig erlebt und ihnen helfen möchte”, gibt sie zur Antwort, als die Autorin sie nach den Charaktereigenschaften fragt, die man haben müsse, um eine „nichtverwandte Lebendspenderin” zu werden. Das klingt bei den meisten der zwölf Befragten, darunter ein Pater und der wohl berühmteste Spender einer Niere, der Millionär Zell Kravinsky, ähnlich. Manchmal ist zu merken, wie die verschiedenen Rollen von Slavenka Drakulic miteinander in Konflikt geraten. Da würde die Journalistin gerne noch tiefer bohren – ist auch Eitelkeit im Spiel oder religiöse Aufopferung, gibt es eine Spenderpersönlichkeit mit Suchttendenzen? –, wo die Betroffene am liebsten einfach nur dankbar wäre. Gerade die Aufrichtigkeit, mit der die Schriftstellerin diesen Konflikt zulässt, macht ihr Buch wertvoll und interessant.
So einfach die Spender ihren Entschluss darstellen mögen, so kompliziert sind die ethischen Fragen und das gesellschaftliche Reglement, in das ihre „alltägliche menschliche Güte” eingebettet sein muss, um wirksam zu werden. Aber Slavenka Drakulic weist mit Recht darauf hin, dass die abstrakte Sorge vor möglichem Missbrauch durch skrupellosen Organhandel auch einen Zug ins Gedankenlose und Bequeme hat. Podiumsdiskussionen über Gut und Böse zu veranstalten, ist eben bedeutend leichter, als sich um die wirklich Bedürftigen zu kümmern, seien es Kranke oder Arme, die durch ihre soziale Situation zum Verkauf von Organen genötigt werden könnten. Drakulic’ „Leben spenden” ist alles andere als ein Plädoyer zur Organspende. Transplantationen sind keine harmlose Sache. In Deutschland sind sie bei Verwandten ersten und zweiten Grades erlaubt. Was aber, wenn, wie bei Slavenka Drakulic, die Gewebe-Übereinstimmung zu gering ist, um eine erfolgversprechende Transplantation zu ermöglichen? Dann gibt es immer noch die Organspende von Toten. Viele halten es für richtig, ihre Organe nach dem Tod zu spenden. Mit einem Organspendeausweis lässt sich das leicht dokumentieren.MEIKE FESSMANN
SLAVENKA DRAKULIC: Leben spenden. Was Menschen dazu bewegt, Gutes zu tun. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008. 222 Seiten, 17,90 Euro.
Es gibt Menschen, die zu Lebzeiten eine Niere für jemanden spenden, den sie nicht kennen.
Wahre menschliche Güte ist für den Verstand offenbar schwieriger zu begreifen als das Böse.
Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic Foto: Jens Schlueter/ddp
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Meike Fessmann ist von diesem Buch zutiefst bewegt und beeindruckt, in dem Slavenka Draculic von ihrer eigenen Rettung durch die Nierenspende einer Unbekannten berichtet. Dabei belasse es die kroatische Autorin nicht bei der genauen Schilderung der durchlebten Gefühlsachterbahn vor der Transplantation und der anschließenden Begegnung mit ihrer Lebensretterin, erklärt die Rezensentin. Draculic hat weitere Spender aufgesucht und versucht in Gesprächen mit ihnen, die Grundlagen menschlicher "Güte" zu eruieren, so Fessmann. Dass sich dabei das journalistische Interesse und das der persönlich Betroffenen mitunter in die Quere kommen, ist in den Augen der Rezensentin kein Schaden, sondern macht, weil Drakulic dies mitreflektiert, die Lektüre gerade so Gewinn bringend und fesselnd. Übrigens sei dieses Buch keineswegs ein schlichtes "Plädoyer zur Organspende", versichert Fessmann noch, denn die Autorin sei sich der Gefahren einer Transplantation durchaus bewusst.

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