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Albanien ist das Land, wo keiner stirbt, so beginnt der Roman. Der 1968 in Tirana geborenen und heute in Paris lebenden Ornela Vorpsi über das seinerzeit wohl exotischste staatliche Gebilde Europas, übersät von Tausenden Ein-Mann-Bunkern, unter der Fuchtel einer alles und jeden kontrollierenden Kommunistischen Partei. Die Zeit schien hier für mehr als ein halbes Jahrhundert stillzustehen, ehe Anfang der Neunzigerjahre auch Albanien von der Demokratisierung erfasst wurde. Davon ist jedoch noch nichts zu spüren in den Episoden dieses Romans; er erzählt vom Heranwachsen eines aufgeweckten Mädchens, das eine archaisch, verrückte Welt entdeckt.…mehr

Produktbeschreibung
Albanien ist das Land, wo keiner stirbt, so beginnt der Roman. Der 1968 in Tirana geborenen und heute in Paris lebenden Ornela Vorpsi über das seinerzeit wohl exotischste staatliche Gebilde Europas, übersät von Tausenden Ein-Mann-Bunkern, unter der Fuchtel einer alles und jeden kontrollierenden Kommunistischen Partei. Die Zeit schien hier für mehr als ein halbes Jahrhundert stillzustehen, ehe Anfang der Neunzigerjahre auch Albanien von der Demokratisierung erfasst wurde. Davon ist jedoch noch nichts zu spüren in den Episoden dieses Romans; er erzählt vom Heranwachsen eines aufgeweckten Mädchens, das eine archaisch, verrückte Welt entdeckt.
Autorenporträt
Ornela Vorpsi wurde 1968 in Tirana geboren und studierte an der Akademie der Schönen Künste. 1991 ging sie nach Mailand und 1997 nach Paris, wo sie als Photographin, Malerin und Videokünstlerin lebt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2008

Die Dichte des Schmerzes

Das Land, in dem die Zeit stillsteht und das Wort "Angst" seine Bedeutung verloren hat: Ornela Vorpsi erzählt nostalgieresistent über eine Kindheit in Albanien.

Albanien ist Einsamkeit, heißt es in einem der Reiseessays von Andrzej Stasiuk. Das von Enver Hoxha über Jahrzehnte mit Hunderttausenden Bunkern, die wie Betonschädel aus der Erde quellen, vom Rest Europas abgeschirmte Land sei das "Unbewusste unseres Kontinents", das europäische Es, die Angst, die Westeuropa nachts heimsuche. Wer sich einen Europäer nennt, der solle, so der polnische Autor, als eine Art Initiationsritus ins Land der Shqiptaren reisen.

Mit dem Debüt der 1968 in Tirana geborenen und heute in Paris lebenden Ornela Vorpsi kann man zumindest lesend ausziehen in ein Land aus "Staub und Schlamm", das einen das Fürchten lehrt. Dieses Albanien ist gefangen in zäher Zeitlosigkeit und brutaler Gleichgültigkeit. Hier sterben immer die anderen, das Wort "Angst" hat seine Bedeutung verloren, eine übermächtige Diktatur verwandelt die Menschen in Schicksallose, willenlose Seelen im letzten Kreis der Hölle.

In Vorpsis schmalem Band geht es jedoch nicht um die großen Dimensionen einer historischen Sonnenfinsternis, vielmehr seziert die Autorin mit dem naiven Blick einer Heranwachsenden den fauligen Mikrokosmos einer kleinen, provinziellen Welt, der auf bitter-böse, surreale Weise die lethargische Agonie dieses kommunistischen Systems spiegelt. Elona, die auch mal Ornela oder Eva heißt, was zuweilen debütantisch bemüht wirkt, lebt mit ihrer schönen, stolzen Mutter in einer muffigen Küche bei der Großmutter. Der Vater war eines Tages spurlos verschwunden. Man hatte ihn, wie die Mutter herausfindet, überfallen, in einen Sack gesteckt, auf den man dann mit Fäusten einschlug, und ihn ins Gefängnis geworfen. Die herausgeschlagenen Zähne schenkte er Frau und Tochter, als sie ihn später im Lager besuchten. Über den Grund der Inhaftierung wurde nur spekuliert. Vielleicht hatte sich ein Parteibonze in die Mutter verliebt und wollte den Ehemann loswerden, vielleicht hatte der Vater auch eine unbedachte Bemerkung gemacht und war denunziert worden. Letztlich bleibt die Suche nach Erklärungen in einer rechtlosen Welt irrelevant.

Wir sind im Albanien der achtziger Jahre. Während aus Moskau die ersten Lüftchen des Wandels über Osteuropa wehen, herrscht hier totalitäre Windstille. Der krummbeinigen Lehrerin Dhoksi bereitet es ein sadistisches Vergnügen, mit einem im Holzofen zum Glühen gebrachten eisernen Lineal Muster auf die Haut ihrer Schülerin zu zeichnen, nur weil Elona italienische Postkarten mit zur Schule gebracht hat: mit Engeln und einem allzu blauen italienischen Himmel. Zu Hause werden die Blessuren versteckt, aus Scham über die eigene Achtlosigkeit und aus Angst, dass auch noch die Mutter ins Gefängnis wandern könnte. Das Grauen verbirgt sich nicht hinter Stacheldraht, es durchzieht den bizarren Alltag wie die allgegenwärtigen Elektrokabel, die Kindern als Springseile, Frauen als Wäscheleinen und zwei Nachbarinnen, Mutter und Tochter, als Stricke dienen, an denen sie sich im Arbeitslager, in das man sie zum wiederholten Male verbannt hatte, nebeneinander erhängen - Schneeweißchen und Rosenrot im Bunkerland. Für Elona bieten Krankheit und Bücher die einzigen Fluchtpunkte aus der unerträglichen Ewigkeit des Schmerzes. Der Lektürestoff ist hingegen begrenzt, und so stiehlt sie den Schmuck der Mutter und tauscht ihn gegen Grimms Märchen ein, in den Märchen, die sie in der Schule zu hören bekommt, gibt es nur Partisanen, keine Prinzen, Prinzessinnen, Zauberer oder Hexen. Mit dem schönen Schauer der Märchenwelt kann die schauerliche Welt der Erwachsenen nicht konkurrieren. Hier dreht sich alles ums "Herumhuren", um die Gier der die Mutter angaffenden Männer und die Unberührtheit der Mädchen, die sich nie von einer Schande reinwaschen können und bei ungewollter Schwangerschaft ins Wasser gehen oder an den Folgen dilettantisch durchgeführter illegaler Abtreibungen sterben.

Wie im Rumänien Ceausescus waren im kommunistischen Albanien Abtreibungen illegal und Verhütungsmittel absolute Mangelware. Ein dicker Bauch bezeugt, so wird Elona erklärt, dass die Betroffene im Gebüsch gevögelt hat und nun in ihrem Leib zur Strafe die "Würmer der Schande" nähren muss. Es gibt kein Mitleid, keine Solidarität, keine Träume und auch keine Trauer. Die alltäglichen Banalitäten des Bösen in einer Diktatur vermischen sich mit den überlebten Ritualen einer archaisch-patriarchalischen Clankultur und ihrer bigotten sexuellen Moral und einem auf Blutsbanden basierenden Ehrenkodex.

Dieses nostalgieresistente, auf Italienisch und nicht in der albanischen Muttersprache geschriebene Kindheitsmuster ähnelt mit seiner bitteren Lakonie und der verzweifelten Liebessehnsucht den Romanen des Russen Pawel Sanajew und des Polen Wojciech Kuczok; wohl nicht zufällig erinnert Vorpsis Affinität zum Mystischen an Herta Müllers "Niederungen". Sie alle sind poetische Nachzügler einer Epoche, die zu Ende, aber für viele, die sie erlebt haben, noch lange nicht vorbei ist. Zum Schluss ist die Protagonistin dreizehn, sieben zeitlose Jahre sind vergangen, sie hat ihre erste Regel bekommen und sieht aufgeregt ihrem ersten Rendezvous entgegen: mit einem weißhaarigen Mann, den sie weder kennt noch liebt und der ihr Vater ist. Die Familienbande sind zerbrochen, die Eltern gehen getrennte Wege, und das Land wird über Nacht aus dem Dornröschenschlaf, der ein Albtraum war, befreit.

SABINE BERKING.

Ornela Vorpsi: "Das ewige Leben der Albaner". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Karin Fleischanderl. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007. 140 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2007

Eine Lücke im Wörterbuch
„Das ewige Leben der Albaner”: Ornela Vorpsi über den Blick der Männer auf Frauen
Wenn Ornela Vorpsi eine Frau fotografiert, passen Kopf und Rumpf selten zusammen, wenn überhaupt beide zusammen zu sehen sind. Einmal ist es nur der kalte, konstatierende Blick aus großen, leeren Augen, ein andermal ein nackter Torso. Schlank und wohlgeformt im Sinn der gegenwärtigen Ideale ist das alles, aber auf den Gedanken einer Einheit zwischen Leib und Seele kann bei diesen (Selbst-)Porträts keiner kommen. Einheit gibt es nicht, und jede der in grelle bis düstere Lichtspiele getauchten Posen, lebt von einer Betonung der Kraft, mit der die Unabhängigkeit des dargebotenen Körpers geschützt wird. Die Selbstzerstückelung macht sich nicht abhängig vom Blick, der auf sie fällt. Der Körper ist ein schöner, wehrhafter Panzer. „Ich widme dieses Buch dem Wort Bescheidenheit, das im albanischen Wörterbuch nicht vorkommt. So ein Mangel kann sonderbare Auswirkungen haben auf die Entwicklung eines Volkes.”
Vielleicht gibt es doch eine Einheit. Denn der literarische Erstling der 1968 geborenen albanischen Photographin und Videokünstlerin Ornela Vorpsi, der auf diese spöttisch-hochfahrenden Worte folgt, ist nicht nur ganz im Geist der Widmung gehalten. Er zeigt auf seine Weise auch die ebenso stolze wie abwehrende Haltung, die den photographischen Arbeiten entspricht, die unter anderem im Band „nothing obvious” zu sehen sind (edition scalo, Zürich 2001): eine alles durchdringende, hoch reflektierte Direktheit.
Doch warum die kämpferische Haltung? Viele Erzählungen Vorpsis sind durch das Thema der klassisch sexualisierten Wahrnehmung von Frauen, die fest an ihre moralische Gängelung geknüpft bleibt, grundiert: „Ein hübsches Mädchen ist eine Hure, ein hässliches – die Ärmste! – ist keine.” In den Erzählungen ist viel sarkastischer Witz. Aber auch die Folgen der dominierenden Moral werden beschrieben. Das „schöne Mädchen”, das auf der Straße die Aufmerksamkeit spürt, „würdigt sie keines Blickes”, doch wenn sie wieder nach Hause kommt, ist der Blick der Männer in ihr.
Nun wäre es thematisch vielleicht etwas eintönig, wenn ein ganzes Buch von Männerblicken auf Frauen und deren Reaktionen darauf handeln würde. Doch in all ihrer Geradlinigkeit bleiben diese Erzählungen, die den unsentimentalen Roman einer albanischen Jugend erzählen, differenziert. Sie zeigen das Bild eines Landes, das durch klare Oppositionen gegliedert ist. Nicht nur Frau und Mann stehen sich etwas deutlicher gegenüber. Die Situation steht in vielen Bereichen immer kurz vor der Eskalation.
Geschichten ohne Traktor
Plötzlich werden eine Mutter und ihre Tochter wegen Gelegenheitsprostitution in ein Arbeitslager auf dem Land geschickt. Eine atmosphärisch eindrücklich beschriebene ländliche Gegend, deren mausarme Bevölkerung über die Schmarotzer in der Hauptstadt flucht, weil alles nur für diese getan werden muss. Ein andermal wird der Vater der Ich-Erzählerin, selber ein typischer Exponent der sich ebenso wurstig wie anspruchsvoll gebenden Männerwelt, aus politischen Gründen verhaftet. Doch was wird er wohl getan haben? Er soll gesagt haben, dass das neue Jahr vor der Tür stehe, und es keine Kartoffeln gebe. Der Verhaftungsgrund kann nur so lächerlich sein wie der Mann selbst.
Verknappung und Andeutung spielen in dem durchdachten, kargen Stil, in dem in Frankreich mittlerweile schon Ornela Vorpsis drittes Buch erschienen ist, eine große Rolle. Sie helfen bei Ironie so gut wie bei sarkastischen Normverletzungen oder der Nichtachtung guten Geschmacks. Überhaupt passt „Das ewige Leben der Albaner” in dieser Hinsicht nicht schlecht in eine ganze Reihe von Erzählungen balkanischer Frauen. Ornela Vorpsi erzählt weniger symbolisch als Agota Kristof und weniger humorvoll-abgründig als Aglaja Veteranji, doch gemein ist allen dreien und anderen, dass die große „barocke” Kelle, für die osteuropäische Schriftsteller bekannt sind, von dieser weiblichen Seite her zwar durch die eine oder andere blumige Metapher ergänzt wird, doch das bissige Konstatieren der grundsätzlich verfahrenen Situation ihrer Herkunftsländer steht immer im Mittelpunkt. Dabei entsteht ein Blickwinkel, der die Aufmerksamkeit gnadenlos hinter die humoristischen Ankunftsgeschichten um ukrainische Traktoren zurücklenkt.
Die Bedingungen des Exils trägt dieses Buch aber auch auf andere Weise in sich. Die in Tirana geborene Schriftstellerin, die dort die Kunstakademie besuchte, lebt seit 1998 in Paris. Doch ihre literarischen Texte schreibt sie weiterhin auf Italienisch – die erste Station der Emigration war 1991 Mailand. Die französische Erstausgabe erschien 1994 bei Actes Sud in Arles. 1995 folgte das Original bei Einaudi in Turin. Eine seltsame Situation: Vorpsi entwirft das Bild ihrer Herkunft weder in deren Sprache noch in jener der eigenen alltäglichen Umgebung. Dem Buch hat das nicht geschadet. Und die italienische Literatursprache nimmt sich aus wie eine ironische Antwort auf die lästigen nostalgischen Erinnerungen des Großvaters an die Zeit der faschistischen Besetzung. Dort habe er, der Rechtsanwalt, immerhin seinen Beruf als Verteidiger ausüben können. Doch dann bestimmte die Partei, dass niemand zu Unrecht angeklagt wird. HANS-PETER KUNISCH
ORNELA VORPSI: Das ewige Leben der Albaner. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007. 139 S., 14,90 Euro.
Wo bleibt die Einheit von Seele und Leib? Die Videokünstlerin und Autorin Orlena Vorpsi Eric Fougere/VIP Images/Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

"An längeres Pausieren ist nicht zu denken", warnt Rezensentin Ines Kappert vor diesem ersten Roman der Videokünstlerin Ornela Vorpsi: Er muss in einem Zu durchgelesen werden. Vorpsi erzählt darin die Geschichte ihrer Kindheit im Albanien des Enver Hoxha, und sie tut es, so die Rezensentin, in einer "kühl komponierten Hasstirade". Wobei sich die Wut der Autorin - und der Rezensentin - nicht allein auf den größenwahnsinnigen Diktator und sein Regime bezieht, sondern auch auf den rohen Umgang und die "omnipräsente Lebensfeindlichkeit und Bigotterie", die sie in ihrer Familie erfahren hat. Und auch wenn Rezensentin Kappert einige "dramaturgische Patzer" in diesem Debüt entdeckt, kann sie nur freudig melden: "Insgesamt funktioniert es."

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