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Eindringlich, berührend und authentisch berichten die zwölf Erzähler im Buch des polnischen Schriftstellers Henryk Grynberg über den Holocaust, aber auch über den Antisemitismus in der Sowjetunion. Grynbergs dokumentarische Prosa geht zurück auf die Erzählungen Überlebender, und sie reicht herauf bis in die Gegenwart. Seine Protagonisten überleben nur durch Zufall, denn die größte Gefahr geht von den Menschen aus - nicht nur von den Deutschen, sondern von all denen, die angesichts einer drohenden Katastrophe vor nichts zurückschrecken.

Produktbeschreibung
Eindringlich, berührend und authentisch berichten die zwölf Erzähler im Buch des polnischen Schriftstellers Henryk Grynberg über den Holocaust, aber auch über den Antisemitismus in der Sowjetunion. Grynbergs dokumentarische Prosa geht zurück auf die Erzählungen Überlebender, und sie reicht herauf bis in die Gegenwart. Seine Protagonisten überleben nur durch Zufall, denn die größte Gefahr geht von den Menschen aus - nicht nur von den Deutschen, sondern von all denen, die angesichts einer drohenden Katastrophe vor nichts zurückschrecken.
Autorenporträt
Henryk Grynberg wurde 1936 als Sohn jüdischer Eltern in Polen geboren. Er überlebte mit Hilfe "arischer Papiere" und in mehreren Verstecken den Zweiten Weltkrieg. Später Mitglied des Jüdischen Theaters in Warschau. lebt seit 1967 in den USA. Schreibt Romane, Prosa, Stücke, Essays. Auf Deutsch sind zuletzt: Kalifornisches Kaddisch (1993), Kinder Zions (1995), Galizische Erinnerungen. Zwölf Lebensbilder (Zsolnay, 2000).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Imek erwies sich als Mensch und ging
Henryk Grynberg und das Mitleid / Von Eberhard Rathgeb

In Drohobycz lebten, bevor die Nazis einmarschierten, doppelt so viele Juden als Polen. Wie viele Polen lebten in Drohobycz? Aus Henryk Grynbergs Buch erfährt man es leider nicht. In Polen lebten bis zum Zweiten Weltkrieg dreieinhalb Millionen Juden. Nach 1939 wurden 2,7 Millionen Juden ermordet. Das erfährt man aus dem Nachwort des Übersetzers. Drohobycz liegt in Galizien. 1941 wurde der polnische Distrikt Galizien dem deutschen Generalgouvernement eingegliedert.

Drohobycz ist nicht irgendein Städtchen. Hier wohnte, lehrte, schrieb und malte der Dichter und Zeichner Bruno Schulz. Er wurde hier, weil er ein Jude war, ermordet. Von Bruno Schulz ist in dem Text die Rede, der die Sammlung von "Lebensbildern" eröffnet, die unter dem Titel "Drohobycz, Drohobycz" 1997 in Polen erschien. Henryk Grynberg ist der Autor, und seine Prosa nennt der Übersetzer eine "dokumentarische Prosa".

Im ersten Text der Sammlung heißt es, Bruno Schulz habe in Drohobycz unter der Protektion des Nazis Landau gelebt. Der Nazi habe den Künstler wegen seines Talents gut behandelt. Er habe sich von Schulz porträtieren lassen und sich mit ihm über Ästhetik unterhalten. Landau war ein Wiener. Er bildete in Drohobycz die ukrainische Polizei aus. Von Landau gibt es noch mehr zu berichten. Er soll einmal von seinem Balkon, wo er sich sonnte, beobachtet haben, daß Herr Fliegner, ein Jude über Fünfzig, beim Graben in einer halben Stunde ganze zwei Mal eine Pause eingelegt habe. Darauf habe der Wiener seinen Karabiner herausgeholt, auf die Balkonbrüstung gelegt und den Juden erschossen.

So wie Landau seinen Juden, den Dichter und Zeichner Schulz, am Leben ließ, so ließ auch der Nazi Günther in Drohobycz seinen sogenannten persönlichen Juden, der den Namen Hauptmann trug und ein hervorragender Kunsttischler war, am Leben. Als aber Landau herausfand, daß Günther die Intarsien-Kunstwerke Hauptmanns ins Reich schickte, schoß er Hauptmann ins Genick. Aus Rache erschoß der Nazi Günther darauf Landaus persönlichen Juden Schulz.

Die Geschichte geht weiter. Bruno Schulz taucht nur deswegen in diesem Text auf, weil er ein Lehrer des Erzählers war. Wer aber erzählt hier? Es ist Henryk Grynberg, der im Namen eines Zeugen, mit dem er sich unterhalten hat, diese Geschichte erzählt. Der Erzähler im Text, heißt es, ging nicht mehr nach Drohobycz zurück. Er ließ sich in den Vereinigten Staaten nieder. Ganz am Schluß des Textes steht: Franklin Park 1995. Man wüßte gerne, was das bedeuten mag. Wurde der Text damals geschrieben? Fand damals das Gespräch statt, das diesem Text zugrunde liegt?

In einer Nachbemerkung schreibt Henryk Grynberg, die meisten der hier veröffentlichten Texte seien in den neunziger Jahren entstanden: "Obwohl sich diese Erinnerungen auf Gespräche mit authentischen Personen stützen, handelt es sich nicht um Interviews." Der Übersetzer Martin Pollak weiß - aber woher weiß er es? -, daß Henryk Grynberg die Berichte der Zeitzeugen "ungemein behutsam und diskret literarisch" bearbeitet hat. Diese Form des Schreibens habe, erklärt der Übersetzer, eine Tradition: Im polnischen Untergrund entstanden während des Holocaust dokumentarische Aufzeichnungen, Berichte, Chroniken und Tagebücher in Jiddisch und Polnisch. "Haben wir es hier mit literarischen Zeugnissen zu tun? Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil sich die Grenzen zwischen Dokumentation und Literatur verwischen; fest steht, daß vielen dieser Texte literarische Bedeutung zukommt und sie bis heute einen prägenden Einfluß auf die polnische Literatur über den Holocaust haben." Das beweise das Beispiel von Hanna Krall und von Henryk Grynberg.

Muß man aber nicht gerade im Hinblick auf den Holocaust von einer "Reinheit der Zeugnisse" ausgehen, einer Reinheit, die eine strikte Trennung zwischen Literatur und Dokumentation erfordert? So spricht eine "Moral", die den Holocaust meint vor "unreinen" Aussagen "beschützen" zu müssen. Wie muß man sich eine literarische Bearbeitung von "zwölf Lebensbildern" vorstellen? Die Erinnerungen eines Zeitzeugen, ob in einem Interview oder in einem Bericht dargelegt, haben ihre eigene Sprache und ihre eigene Erzählweise. Der allererste, der nächstliegende Unterschied zwischen Dokumentation und Literatur, den man in diesem Zusammenhang geltend macht, ist der zwischen Fakten und Fiktionen. Eine stilistische Bearbeitung eines Dokuments habe mit Literatur erst einmal nichts zu schaffen.

"Reine" Zeugnisse über den Holocaust aber gibt es nicht. Warum? Weil jeder Zeuge vor allem ein Überlebender und weil jeder Überlebende nur ein Zeuge seiner erlebten Geschichte ist. Jeder Zeuge erzählt.

Am Ende mancher Texte dieser Sammlung stehen eine Jahreszahl und ein Ort, kein Name. Die Anmerkungen des Autors sind spärlich, russische und ukrainische Sätze werden übersetzt, Kleinigkeiten erklärt. Auf allgemeine historische Angaben hat Henryk Grynberg verzichtet. Auch der Übersetzter hilft dem Leser nicht weiter. Versteht sich alles von selbst? Nein. Doch die Erzählungen, das ist entscheidend, sollen vor allem wirken, und dafür brauchen sie keine Fußnoten.

Auch Bruno Schulz kommt ohne Anmerkungen aus. Im ersten Text heißt es: "Vater und Mutter führten einen ,Gemischtwarenhandel' - ein Sack weißes Mehl, ein Sack Roggenmehl, ein Sack Buchweizen, ein Sack Grieß und ein Sack Zucker in einer Bude am kleinen Markt. Die Ware wurde auf Steinen vor der Bude ausgestellt. Die richtigen Läden mit den ,Zimt'-Vertäfelungen waren am Ringplatz." Bruno Schulz schrieb, das kann man hier nachtragen für alle, die es nicht wissen, eine Erzählung mit dem Titel "Die Zimtläden". Im Deutschen Taschenbuchverlag liegen seit diesem Herbst wieder seine gesammelten Erzählungen, sein graphisches Werk und Briefe und Tagebuchaufzeichnungen vor.

"Drohobycz, Drohobycz": so lautet nicht nur der Titel der ganzen Sammlung, sondern auch des ersten Textes. Er beginnt mit einer Aufzählung der Bewohner eines Hauses. Die Welt ist übersichtlich und sprießt, wie seit Urzeiten, aus dem Baum der Abstammung. Die Urgroßmutter hieß Gitl, war Hebamme und Kurpfuscherin, verdiente viel Geld und baute davon ein Haus. Der Urgroßvater hieß Szlomje Erdmann, war dicht behaart und handelte ohne Glück mit Pferden. Seine Frau gab ihm Geld, damit er Bier trank und keine Geschäfte mehr machte. Sie hatten fünf Kinder. Die beiden Söhne gingen nach Amerika, der eine 1903, der andere nach 1918. Die Töchter hießen Chancia, Jetka und Pesia. Chancia heiratete Josek Sternbach, der mit Südfrüchten handelte. Jetka heiratete den Metzger Szymon Fleischer, der sich wegen seiner Schulden auf dem Dachboden erhängte. Pesia heiratete den Kürschner Eisig Graumann.

Pesia habe später, sagt der Erzähler, der Enkel, allen das Leben vergällt. "Sie ist schuld, daß unsere Familie umgekommen ist, denn wir wollten lieber fliehen, doch Pesia legte sich quer." Der Enkel sagt auch: "Ich versuche ihr zu verzeihen, doch ich kann nicht."

Im Haus der Urgroßmutter wohnten noch: der Richter Drozdowski, der nach Sibirien geschickt wurde; der Richter Fruchtmann, dessen Frau nach Sibirien geschickt wurde, während er tot hinter dem Gerichtsgebäude unter der Kohle lag; der Zettelführer Weissber, seine Frau und seine beiden Söhne, er nahm die Bestellungen der Bewohner auf und ging in Lemberg alles, was in Drohobycz fehlte, einkaufen; die Witwe Mermelsteinowa mit einem Sohn und drei Töchtern. Herr Schnepf betrieb im Keller des Hauses eine Bierabfüllerei. Darüber lebten die Münzers, die ein Seidengeschäft besaßen. Es wohnten hier auch drei Tanten: Tonia, Regina und Klara.

Am Unterwall wohnten Juden, und sie alle kannte Großmutter Pesias Enkel. Hier gab es ein jüdisches Bordell, geführt von Herrn Lipowicz. Frau Lipowicz war die Puffmutter. Später war sogar im Haus der Großmutter ein Bordell untergebracht. Die SS ging gern dorthin, und auch "Gabriel und Günther gingen gern dorthin".

In Drohobycz zogen eines Tages die Gefahr und die Angst ein. Wenige wollten davon etwas wissen. Flüchtlinge kamen aus Wien und Erfurt. Auch Kuba Langes Onkel, der gesehen hatte: "Daß sie uns umbringen werden . . . Uns alle, sie werden kommen und uns umbringen, doch keiner hört und glaubt das."

In polnischen Zeitungen konnte man ab November 1937 etwas über die nahe Zukunft, die den Juden drohte, erfahren. Sondergesetze für die Juden wurden gefordert; die Juden müßten aus der christlichen Gesellschaft eliminiert werden, hieß es. Eine Umfrage über die "Nationalisierung des polnischen Lebens" wurde gemacht. In der Schule und der Universität wurden Juden verprügelt.

Zuerst marschierten die Sowjets in Drohobycz ein. Die Verhaftungen begannen: "Trotzkisten, Zionisten, Bundisten, Petluristen, Pulsudskisten, Endekisten", sie alle verschwanden. Großmutter Pesia wollte mit "diesen Banditen" nicht fliehen. Die Deutschen, meinte sie, seien "wenigstens kultivierte Menschen". Die Deutschen kamen und organisierten den Arbeitsdienst: "Unser Gott war die Arbeit, von der hing unser Leben ab. Der deutsche Erzpriester war Güldener, ein ziviler Gestapobeamter, der polnische Erzpriester war Professor Smolnicke, und der jüdische Herzig, ein Pfandleiher und Valutenschieber. Güldener kontrollierte Smolnicki, und Smolnicki Herzig, der am besten wußte, wer was besaß, und auf diese Weise preßten alle drei den Juden Geld ab."

Die Ukrainer trugen den Dreizack auf dem Ärmel und erschlugen Juden. Schließlich begannen die Verschleppungen und die Erschießungen. Großmutter Pesias Enkel kam in ein Konzentrationslager. Sein Vater und seine Mutter wurden im Konzentrationslager ermordet.

Der Enkel überlebte, und auch andere Juden überlebten den nationalsozialistischen Holocaust, das stalinistische Lager und das sozialistische Regime.

Nur wenn Leiden erzählt werden kann, gelangt es zu den Menschen zurück. Das Erzählen bildet eine Brücke zwischen den Überlebenden des Holocaust und den Lesern, die diesen Schrecken nicht teilen mußten. Eine Erzählung kann ein Dokument sein, ein Dokument kann eine Erzählung sein. Wenn Dokument und Erzählung aufeinander zugehen und schließlich zusammengehen, wenn ein Dokument zur Grundlage einer Erzählung wird und eine Erzählung sich an den Rahmen des Dokumentes hält, mag man von "dokumentarischer Prosa" sprechen. Geholfen ist dem Leser mit dieser "Gattung" nicht. Das Unbehagen, in das die Vermischung von Dokument und Erzählung, von Fakten und Fiktionen den Autor hätte stürzen können und in dem sich vielleicht mancher Leser erst einmal allein wiederfindet, wird man nur überwinden, wenn man sich mit der Annahme auseinandersetzt, daß ein Zeugnis über den Holocaust in einem strikten Sinne "rein" sein muß. Das Wort "Lebensbilder", das der Sammlung dieser Texte im Untertitel beigegeben wurde, kann das Unbehagen nicht auffangen und das Nachdenken darüber nicht ersetzen.

Warum stellt sich die Frage nach dem Charakter dieser Texte so dringend? Wegen der moralischen Ungeheuerlichkeiten, von denen in diesen Texten erzählt wird. Was geschah, das scheint einem unvorstellbar. Die Art und Weise, wie davon berichtet wird, gibt einen Hinweis darauf, was das Unglaubliche im Zeugen angerichtet hat. Die angenommene "Reinheit" des Zeugnisses spiegelt diese Unvorstellbarkeit des Geschehens wider. Ein Dritter "darf" darüber nicht sprechen. Ein "Dritter" würde sich durch das Erzählen anverwandeln, was sich nicht durch einen Dritten "erzählen" läßt.

Wer das Ungeheuerliche erfahren mußte, dem versagen die Worte, und wenn er zur Sprache zurückfindet, hat das Ungeheuerliche ihm dennoch den "Ton" genommen, mit dem man normalerweise, Nähe suchend, erzählt. Diese Vorstellung resultiert aus der Annahme, man könne mit den Opfern des Holocaust kein "Mitleid" haben, als sei das "Mitleiden" ein Gefühl von dieser Welt, während der Holocaust nicht von dieser Welt sein "könne". Deswegen reagiert man auf diese Texte vor allem mit Entsetzen und Furcht: Was geschah, hat es nicht das Band der Menschen, der Menschlichkeit gar zerschnitten? Der Zeuge ist auf merkwürdige Weise allein.

Ein Beispiel - und würde man einmal alle diese Beispiele zusammentragen, man erhielte ein "Buch der moralischen Ungeheuerlichkeiten": "Im Mai kam Hildebrand aus Lemberg zur Inspektion. Im Juni kam er, um die Nähereien zu liquidieren. Er nannte das Frauenaktion (im Original deutsch). Von den hundertsiebzig, die nach Broncia kamen, waren die meisten junge Mädchen, achtzehn Kinder, zwölf Waisen. Einer Mutter von zwei Kindern sagte er, sie könne eines behalten, sie solle selber aussuchen, welches."

Manchmal ist das Band der Menschen, wie ein karger Hoffnungsschimmer, noch sichtbar. Auch der folgende Bericht gehört in ein "Buch der moralischen Ungeheuerlichkeiten": "Hildebrand befahl, für die Facharbeiter Platz in der Raffinerie zu schaffen, das heißt, diejenigen wegzubringen, die man nicht unbedingt brauchte. Die Liste bereitete ihm der jüdische Arbeitseinsatzleiter (im Original deutsch) Weintraub vor. Zusammen mit Leiter Kus, der seinen Namen zu Kuss geändert hatte, und der befahl auch, mich mitzunehmen. Imek Feingold flehte, sie sollten seine Frau nicht mitnehmen, die sei jung und kräftig. Hildebrand hob die schläfrigen Lider, wenn du mit ihr zusammensein willst, kannst du auf die andere Seite gehen. Imek erwies sich als Mensch und ging."

Mag sein, daß der Autor den Ton der Zeugen selber gut kennt. Henryk Grynberg wurde 1936 als Sohn jüdischer Eltern in Polen geboren und überlebte mit Hilfe "arischer Papiere" und in Verstecken den Zweiten Weltkrieg. Seit 1967 lebt er in den Vereinigten Staaten. Er schreibt auf polnisch. Daß er nicht nur von den Opfern des Holocaust erzählt, sondern auch von Juden erzählt, die im sozialistischen Regime um ihr Überleben bangen mußten, holt das Mitleid mit den Opfern in die lange Kette des Unglücks zurück. Das Unvorstellbare des Holocausts, das auch noch die überlebenden Opfer aus dem Kreis der Menschen, der durch das Mitleid geschlossen wird, zu entrücken droht, wird durch eine Prosa ins Vorstellbare zurückgeholt, in der das Dokumentarische keinen Gegensatz zum Menschlichen eingeht. Wenn ein Leben erzählt werden kann, ist es für das Leben gerettet.

Henryk Grynberg: "Drohobycz, Drohobycz". Zwölf Lebensbilder. Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Pollack. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000. 340 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Marta Kijowska zeigt sich von den zwölf biografischen Porträts von Holocaust-Überlebenden des polnisch-jüdischen Autors, der heute in Washington lebt, beeindruckt und berührt. Was diese "Lebensbilder" der alle dem galizischen Judentum entstammenden Protagonisten auszeichnet, ist die "Konkretheit und Sachlichkeit", mit der der Autor in der Ich-Form von ihnen berichtet, meint die Rezensentin, die den lakonischen Tonfall und den völligen "Mangel an Pathos" hervorhebt. Indem die einzelnen Schicksale alle nach dem gleichen "chronologischen Muster" von Vorkriegsgeschichte, Nazizeit und Nachkriegszeit konzipiert seien und durch den Erzähler jeweils ganz neutral vorgetragen würden, bekämen die drei Zeitebenen eine "beklemmende Gleichwertigkeit".

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"Henryk Grynberg hat ein Buch geschrieben, das man in einem Atemzug liest. Ein Buch, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Denn das Böse, das er darin beschreibt, ist nicht vom Mond gefallen. Es sitzt in uns drinnen und wartet auf seinen Moment." Gazeta Wyborcza (Warschau) "Das Unvorstellbare des Holocausts, das auch noch die überlebenden Opfer aus dem Kreis der Menschen, der durch das Mitleid geschlossen wird, zu entrücken droht, wird durch Grynbergs Prosa ins Vorstellbare zurückgeholt, in der das Dokumentarische keinen Gegensatz zum Menschlichen eingeht. Wenn ein Leben erzählt werden kann, ist es für das Leben gerettet." Eberhard Rathgeb, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.10.00 "Grynberg protokolliert bis in kleinste Details hinein, wie die Juden aus dem öffentlichen Leben, dem Theater, den Schulen verdrängt wurden. (...) Geschrieben ist das Buch mit einfühlsamer Klarheit, intensiv in seinen Bildern und unvergesslich durch den zurückhaltenden Erzählton, der es den Lesern überlässt, sich zu fragen, woher das Böse kommt." Thomas Linden, Bonner Rundschau "Auf den ersten Blick wirkt das Buch wie 'oral history', die mündliche Wiedergabe von Erinnerungen. Es handelt sich aber bei 'Drohobycz, Drohobycz', wie Grynberg in der Nachbemerkung des Buches betont, nicht um 'Interviews', sondern um einen Text, für den er als Autor die volle Verantwortung übernimmt. Doch hat er in die Aufzeichnungen nur sehr dezent eingegriffen. So sind fesselnde Erzählungen entstanden, die nicht etwa durch detailgenaue Beschreibung einzelner Greueltaten, sondern ganz im Gegenteil, durch die lakonische Wiedergabe aufeinanderfolgender und sich zuspitzenden Ereignisse den Leser in den Bann schlägt." Jonathan Scheiner, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 4.1.01 "Die Begrenztheit der Perspektive, die Schmucklosigkeit des Berichts - sie machen die Größe und Eindringlichkeit dieser Prosa aus." Hans-Harald Müller, Die Welt, 21.10.00"Zeugenschaft bekunden, Erinnerungen aufzeichnen, Wissen dem drohenden Verlöschen entwinden: vornehmliches und vornehmes Ziel des Schriftstellers, wie es Henryk Grynberg versteht. (...) Zwölf Personen .. haben dem Autor Erlebtes berichtet, auf dass er es aufzeichne in seiner Facon. (...) Das Unerträgliche dieser Texte speist sich jedoch nur zum Teil aus der Drastik der einzelnen Szene. Noch bedrückender ist deren Reihung, die an jene Albträume erinnert, aus welchen man nur scheinbar erwacht, um sich in einem weiteren wiederzufinden. Dass sich diese Albträume bis weit nach der 'Befreiung' von 1945 in Sowjetrussland und im amerikanischen Exil fortgesetzt haben, ist eine der beunruhigendsten Botschaften dieses Buches." Christiane Zintzen, Neue Zürcher Zeitung, 11.01.01…mehr