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Er ist einer der letzten Universalgebildeten. Seit bald sechs Jahrzehnten begleitet er das kulturelle und geistige Geschehen in Deutschland. Im Gespräch mit seiner Tochter Henriette blickt Joachim Kaiser zurück auf sein Leben. Entstanden ist ein einzigartiger Streifzug durch die Welt der schönen Künste - leidenschaftlich, beeindruckend und unterhaltsam.
Joachim Kaiser studierte bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, war ein Hauptkritiker der Gruppe 47 und begleitet seit Anfang der fünfziger Jahre das Literatur-, das Musik- und das Theaterleben mit großer Professionalität und
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Produktbeschreibung
Er ist einer der letzten Universalgebildeten. Seit bald sechs Jahrzehnten begleitet er das kulturelle und geistige Geschehen in Deutschland. Im Gespräch mit seiner Tochter Henriette blickt Joachim Kaiser zurück auf sein Leben. Entstanden ist ein einzigartiger Streifzug durch die Welt der schönen Künste - leidenschaftlich, beeindruckend und unterhaltsam.

Joachim Kaiser studierte bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, war ein Hauptkritiker der Gruppe 47 und begleitet seit Anfang der fünfziger Jahre das Literatur-, das Musik- und das Theaterleben mit großer Professionalität und Leidenschaft. Mit vielen Musikern, Schriftstellern und Theaterleuten verbindet ihn auch heute eine enge Freundschaft. Gemeinsam mit seiner Tochter Henriette begibt er sich in diesem Buch auf die Suche nach seiner Kindheit und Jugend in Ostpreußen, er spricht über seine frühe Begeisterung für Musik, Literatur und Theater und seine Arbeit als Kritiker, gibt Einblick in die Themen, die ihn zeitlebens beschäftigen, und erzählt von Begegnungen mit Schriftstellern, Philosophen und Musikern: von Jürgen Habermas über Leonard Bernstein, Artur Rubinstein, Ingeborg Bachmann, Max Frisch, Martin Walser, Anne-Sophie Mutter bis hin zu Christoph Schlingensief.
Autorenporträt
Kaiser, HenrietteHenriette Kaiser, 1961 in München geboren, studierte nach einer Gesangsausbildung Germanistik, assistierte bei Bühne und Film und absolvierte 1997 die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Sie arbeitet als Drehbuchautorin und Regisseurin in fiktiven und dokumentarischen Film- und TV-Formaten. Als Autorin veröffentlichte sie 2006 das Buch Schlussakkord (Deuticke Verlag).Kaiser, JoachimJoachim Kaiser, 1928 in Ostpreußen geboren, studierte Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Seine journalistische Karriere begann er bei den Frankfurter Heften und der FAZ. 1959 wurde er Kritiker und leitender Redakteur des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung. Von 1977 bis 1996 war er außerdem Professor an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Vier Hände für ein Hallelujah

Ohren auf und durch: Bei Joachim Kaiser hört die Musik aufs Wort. Die von der Tochter des großen Kritikers begleitete Biographie kennt auch Molltöne.

Von Julia Spinola

Dass Musik auch ohne Worte eigene Geschichten entwickeln kann, gehört zu ihren reizvollsten und rätselhaftesten Eigenschaften. Jedem, der genau und unvoreingenommen zuhört, kann sich eröffnen, dass ein musikalisches Werk mehr ist als bloß ein Muster von Klängen, zugleich aber auch mehr als die Illustration eines außermusikalischen Geschehens. Doch so bestimmt sich dieser Eindruck auch jeweils einstellen mag, so beharrlich scheint er sich der Darstellung in Worten zu entziehen. Auch die Musikwissenschaft hilft meist nicht weiter, da sie an den Werken in der Regel nur das Zergliederbare interessiert: Techniken und Formschemata. Das individuelle Leben, das die Formen durchpulst, fällt dabei durchs Raster. "Der Rang einer Symphonie, überhaupt einer Sonatenkomposition, misst sich für mich daran", schreibt dagegen Joachim Kaiser, "welchen spezifischen Eigenverlauf der Komponist dieser vorgegebenen Form hinzufügt, welche dramatische Entwicklung unabhängig vom Schema. Solchen Zusammenhängen nachzuspüren, sie bewundernd herauszufinden macht natürlich Spaß." Und es ist eine Kunst für sich, darf man hinzufügen, die kaum jemand so exzessiv zu pflegen versteht wie er. Joachim Kaiser hält eine Position inne, die sich, so exponiert sie ist, nicht leicht festlegen lässt. Sie drückt sich prismatisch aus in der Fülle seiner Tätigkeitsformen.

Die Welt braucht mehr Streichquartette.

Kaiser ist Musik-, Literatur- und Theaterkritiker und Professor für "Theorie des Theaters", schier enzyklopädischer Rundfunkschreiber, Vortragskünstler - auch und gerade für das Laienpublikum - und Buchautor; er hätte eine Universitätskarriere in der Musikwissenschaft machen können, wenn er nicht zur Literaturwissenschaft gewechselt hätte, ist in der Musik und in Musikerkreisen ebenso zu Hause wie in der Literatur, etwa als Mitglied der "Gruppe 47". Von Jugend an hatte er klare Vorstellungen von dem, was ihn interessiert: das Kunstwerk, genauer gesagt, dessen Kern, sein inneres Leben.

Die jetzt erschienene, von Kaisers Tochter Henriette angeregte, aufgezeichnete und kommentierte Autobiographie führt den archimedischen Punkt dieser Karriere anschaulich vor Augen. Sie macht auch klar, wieso Kaiser selbst eigentlich keine Autobiographie schreiben wollte. Er interessiert sich für sich selbst nur als Organ der Liebe zur Kunst. So enthält der Band zwar eine Reihe von Informationen über biographische Stationen, den Hauptteil aber nehmen ästhetische Reflexionen ein. In diesem Sinne wirkt auch der Abdruck einer Reihe von Kritiken durchaus stimmig. Die Texte erscheinen als Gerinnungsform dieses Lebens: "Mein Tagebuch war jahrzehntelang die ,Süddeutsche Zeitung'", schreibt Kaiser, und man nimmt es ihm ab. Noch die im engeren Sinne biographischen Passagen des Buches handeln davon, wie ein Flaneur im Reiche der Werke heranwuchs. Sie schildern ein Elternhaus, das voller Bücher und Noten war und in dem gemeinsam mit dem Vater Kammermusik gespielt wurde, berichten über Begegnungen mit Musikern wie Edwin Fischer und Wilhelm Kempff, die nach ihren Konzerten beim Vater, dem Vorsitzenden des Tilsiter Musikverseins, gerne zusammensaßen, oder über die allerersten Beethoven-Vorträge während der Schulzeit und das Studium bei Adorno.

Das Zentrum dieser Biographie lässt sich "berufstypisch" gar nicht fassen. Kaiser verweist darauf, dass der künstlerische Kritiker selbst kein Künstler sei, da er zu viel geisteswissenschaftliches Metier besitzen müsse, aber auch kein Wissenschaftler, da er unter höchstem Zeitdruck seinem spontanen Urteil folgen müsse. Der Kritiker erscheint als rastloser Dauerübersetzer von ästhetischen Eindrücken in eine möglichst physiognomische sprachliche Darstellung. Er ist gleichermaßen süchtig nach Eindrücken wie nach ihrer Artikulation und entfaltet dadurch seine eigentliche Qualität: die Öffentlichkeit sachhaltig für Kunst zu begeistern.

Kaiser möchte "Proselyten für das Schöne machen". Aber er weiß auch, dass die Zeiten dafür schlecht stehen. Wenn er sich selbst als den "letzten Mohikaner" bezeichnet, dann steckt darin nicht nur Eitelkeit (welche ihm durchaus nicht fremd ist), sondern auch eine aufrichtige Melancholie. "Als ich bei der ,Süddeutschen Zeitung' anfing, spielten die Hochkultur, die Wortwörtlichkeit der Interpretation und das Ernstnehmen von Kunsttexten noch eine fast unbestrittene Rolle", erinnert er sich wehmütig und klagt darüber, dass heute im Feuilleton mehr über Politik und gesellschaftliche Probleme geschrieben würde als über Streichquartette. Im Kulturbetrieb beobachtet er besorgt das Diktat der Mode. Die Ereignisse würden "zu Events aufgebläht und mit riesigem Werbeeinsatz angepriesen", als müsse die Öffentlichkeit "mit Tricks ,motiviert' werden, sich zu interessieren". Dies spiegele sich in einer Kunst-Kritik, die immer stärker die Liebe zur Pointe vor die Liebe zur Sache setze.

Wie unauflöslich ästhetische Bildung verquickt ist mit geistiger Leidenschaft, unreglementierter Phantasie und namenlosem Glück, das wird in Kaisers Erinnerungen mit großer Selbstverständlichkeit klar. Wie klischeehaft wird dagegen doch heute vielerorts der Diskurs über die Ansprüche der "Hochkultur" geführt. Den großen Erfolg seiner Vortragsreihen, "die aus Analysen und hochdifferenzierten Musikbeispielen bestehen", sieht Kaiser als Beleg dafür, dass das Laien-Interesse an sachhaltigen Einsichten in die Kunst sehr verbreitet ist. Dass selbst er in seinem Kampf für das Werk Repertoirelücken hat, dass vor allem fast die gesamte kompositorische Moderne bei ihm ausgeblendet erscheint, kann ihm verziehen werden.

Die Kombination der Ausführungen Kaisers mit den Fragen und Kommentaren seiner Tochter, die auch schon einen Film über ihn gedreht hat, hat etwas Kurioses. Unverträgliches prallt aufeinander. Auf der einen Seite steht die Intellektualbiographie, der Privates nur als Material dient, um die Physiognomie eines Lebens in der geistigen Produktion darzustellen. Dazu rechnen auch die vielen Erinnerungen an Begegnungen mit Musikern, Schriftstellern und Wissenschaftlern (ein Register wäre angebracht gewesen), darunter Adorno, Leonard Bernstein oder Samuel Beckett. Auf der anderen Seite wird das Phänomen Kaiser aus der Perspektive einer naiven Idolatrie in den zwischen Belanglosigkeit und Indiskretion lavierenden Passagen der Tochter genau auf jene Ebene von Privatheit heruntergeplaudert, die dieser selber auf gelebte Weise immer zu transzendieren versucht hat. Aber damit muss man vielleicht als Tochter eines letzten Mohikaners auch erst einmal fertig werden.

Henriette Kaiser: "Joachim Kaiser - Ich bin der letzte Mohikaner". Ullstein Verlag, München 2008. 597 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Julia Spinola macht die Lektüre dieser von Henriette Kaiser aufgezeichneten und kommentierten Biografie ihre Vaters vor allem eines deutlich: Joachim Kaiser hat seinen archimedischen Punkt gefunden. Von hier aus geht sein Blick auf Musik, Literatur, Theater. So wundert es Spinola auch nicht, wenn die ästhetischen Reflexionen Kaisers die biografischen Informationen in diesem Buch rein quantitativ in den Schatten stellen. Der (kritische) Umgang mit dem Kunstwerk als "Gerinnungsform des Lebens", das gilt laut Spinola sogar für Kaisers Kindheits- und Jugenderinnerungen. Dabei kriegt die Rezensentin das Zentrum der Biografie "berufstypisch" gar nicht zu fassen. Die Unverzichtbarkeit von ästhetischer Bildung, geistiger Leidenschaft und freier Fantasie für Kaisers Leben und Wirken leuchtet ihr allerdings unmittelbar ein. Ebenso Kaisers Qualität: "sachhaltig" für Kunst zu begeistern. Irritiert zeigt sich Spinola zum einen durch den Umstand, dass Kaisers Musikbegeisterung offenbar bei der kompositorischen Moderne aufhört, da er sie fast gänzlich ausblendet. Zum anderen erscheinen ihr die zwischen "Belanglosigkeit und Indiskretion" angesiedelten von Henriette Kaiser beigesteuerten Abschnitte als das genaue Gegenstück zum Phänomen Kaiser und seiner geistigen Lebensform.

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