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Zwischen Ost und West, zwischen Kaltem Krieg und Globalisierung liegt mitten in Berlin-Mitte der "Club Oblomov". Die sich regelmäßig versammelnden Künstler verbindet eigentlich nur ein Interesse: möglichst wenig Kunst zu machen, ohne dabei auf Bier oder Billard verzichten zu müssen. Aus der heiklen Mischung zwischen der Not zur Kapitalbildung und der Unlust zu schöpferischem Tun gestaltet Bernd Wagner eine Künstlerkomödie, in der sich allem Phlegma zum Trotz sogar noch eine Antwort darauf findet, was denn die Literatur des 20. Jahrhunderts ausgezeichnet haben könnte.

Produktbeschreibung
Zwischen Ost und West, zwischen Kaltem Krieg und Globalisierung liegt mitten in Berlin-Mitte der "Club Oblomov". Die sich regelmäßig versammelnden Künstler verbindet eigentlich nur ein Interesse: möglichst wenig Kunst zu machen, ohne dabei auf Bier oder Billard verzichten zu müssen. Aus der heiklen Mischung zwischen der Not zur Kapitalbildung und der Unlust zu schöpferischem Tun gestaltet Bernd Wagner eine Künstlerkomödie, in der sich allem Phlegma zum Trotz sogar noch eine Antwort darauf findet, was denn die Literatur des 20. Jahrhunderts ausgezeichnet haben könnte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2000

Dreifelderromanbewirtschaftung
Bernd Wagner und andere spielen Billard im Club Oblomow

In einem verfallenen Gebäude in der Nähe des Nordbahnhofs liegt versteckt der Club Oblomow. Die Schriftsteller, die in dieser abgelegenen Gegend Berlins zusammenkommen, haben sich geschworen, jeder weiteren künstlerischen Tätigkeit zu entsagen. Weil Nichtstun in Zeiten der Butterund Romanberge nur segensreich sein kann, stellen sie heroisch das Schreiben ein. Im Sinne der mittelalterlichen Dreifelderbewirtschaftung verstehen sie ihren Verzicht als Beitrag zur Rekultivierung der literarischen Landschaft. Andernfalls wäre die Clubmitgliedschaft perdu und damit auch das schöne Leben zwischen Zapfhahn und Billardtisch. Oblomow, ihr Namenspatron aus dem Roman von Iwan Aleksandrowitsch Gontscharow, ist das Vorbild dieser Existenz in selbst gewählter Sinnlosigkeit.

Ach, gäbe es doch tatsächlich eine so segensreiche Einrichtung wie diesen Club! Doch der Schriftsteller Bernd Wagner musste aus diesem Einfall gleich wieder einen Roman machen, dessen schriftstellernder Ich-Erzähler Max das Schreiben eben doch nicht lassen kann. Wo programmatisches Schweigen gedeihen sollte, schwillt ein Redestrom, der erst mit dem Tod des Erzählers endet - oder vielmehr beginnt. Denn das Geschehen wird retrospektiv erzählt, und schon der erste Satz weiß um den tragischen Ausgang: "Es war der zweite Winter, den ich allein in meiner Wohnung zubrachte, und weshalb es mein in jeder Hinsicht letzter wurde, erzählt diese Geschichte." Hat der Autor da einen groben Fehler gemacht oder hat er seine Erzählerfigur mit Bedacht so kunstvoll positioniert, dass sie unauffindbar geworden ist? Als Leser tappt man in diesem unmöglichen Nicht-Buch im Kreis, als befände man sich auf einer Endlostreppe von M. C. Escher.

Bernd Wagner kam Mitte der achtziger Jahre aus Ost- nach West-Berlin, ohne in der neuen Umgebung so richtig heimisch zu werden. Im Osten hatte er vier Bücher mit Erzählungen und Gedichten veröffentlicht und zusammen mit Uwe Kolbe und Lothar Trolle die legendäre Literaturzeitschrift "Mikado" herausgegeben, deren wenige Exemplare im Untergrund von Hand zu Hand gingen. Das war die bewegte, die aufregende Zeit. Max, der mit dem Autor zumindest die Übersiedlung und die Wohnung am Kreuzberg gemeinsam hat, sehnt sich nach der Intensität jener Jahre zurück. Jetzt ist er vorzugsweise damit beschäftigt, Anstreichungen aus antiquarisch erworbenen Büchern zu radieren. Oder er spaziert durch die Straßen Berlins, unterwegs zum Club, um die alten Freunde zu treffen: melancholische Heimatsucher wie er, "Ehemalige in einem ehemaligen Land", die aus ihrer Unzugehörigkeit eine Profession herausfiltern.

Den Stammtisch haben sie aus der legendären Kneipe "116" an der Friedrichstraße Ecke Wilhelm Pieck gerettet, Künstlertreff der siebziger Jahre, bis die Stasi das Haus kurzerhand abfackelte. Der aus den Flammen gerettete Tisch ist das symbolische Zentrum ihrer Gegenwartsverweigerung, in die der Vorsatz, sich mit Billard und Bier zu begnügen, zwangsläufig mündet.

Weil aber auch die überzeugtesten Nichtstuer von irgendetwas leben müssen, stellen die Clubmitglieder für ihr Programm zur Reduzierung des Kunstschaffens einen Förderantrag bei der EU. Außerdem hoffen sie auf die Hinterlassenschaft einer reichen russischen Gräfin in der Schweiz, die aber, obwohl über Neunzig, sich weiterhin bester Gesundheit erfreut. Also soll ihr Ableben mit vergifteten Pralinen beschleunigt werden. Da bahnt sich eine Handlung an, eine Kriminalstory gar, die mit ihren Schweizer Konten, Spenden und Erbschaften von ungeahnter Aktualität sein könnte. Doch Wagner spielt nur mit diesen Elementen. Er zeigt sie vor, um sie gleich wieder zurückzunehmen. Schließlich geht es ja in diesem Buch um das Verschwinden der Literatur, und so wird das Erzählen vom Räsonnement ausgelöscht.

Das funktioniert ganz einfach, indem der Autor im Zentrum des Geschehens, im Clubraum, einen Computer platziert und seinen Helden davorsetzt. Der Computer ist ein vernunftbegabtes Wesen, Deus ex machina. Er stellt immer wieder Fragen, die Max beantworten muss, und verstrickt ihn so, der Charta zum Trotz, ins Schreiben. Max beruhigt sich und seine Freunde zwar damit, dass man dieses "Hineinschwadronieren in den Orkus nicht Schreiben" nennen könne, solange dabei nichts Bleibendes, Gedrucktes, entstehe. Aber die Leser wissen ja, dass aus Max' Bericht am Ende ein Buch geworden sein wird. Die Geschichte vom Club ist darin nur noch der Rahmen für den Text, den Max in den Computer tippt. So entsteht ein Buch im Buch, eine Verdoppelung der Darstellungsebenen, die Wagner von Gontscharows "Oblomow" entlehnt hat.

Der Computertext ist der subjektive Lektürebericht eines Ostdeutschen, der sich im Westen endlich mit Celine, Hamsun und Gombrowicz beschäftigen konnte und der in den Ruhrgebietsromanen von Ralf Rothmann die Bundesrepublik kennen lernte. Mit der Gattungsbezeichnung "Roman", die auf dem Buchdeckel steht, hat das wenig zu tun, und man muss schon ein sehr spezielles Interesse an Literatur mitbringen, um "Club Oblomow" mit Freude und Gewinn zu lesen. "Der Roman", schreibt Max, "ist die Großstadt unter den literarischen Gattungen", und weil mit Berlin der einzige deutsche Großstadtkandidat so lange in zwei provinzielle Hälften zerlegt war, fehlt auch der große Roman. Berlin habe weder im Nachkrieg noch als Mauerstadt einen angemessenen literarischen Ausdruck erfahren. Dass Wagner mit "Club Oblomow" nun auf sehr listige Weise in diese Leerstelle zu springen versucht, läge nahe. Tatsächlich geht es Max aber nur darum, die Literaturgeschichte bis zu dem Punkt fortzusetzen, "da sie in mir endet". Im Zeitalter literarischer Warenproduktion, die er verachtet, wählt der ewig exilierte Ostdeutsche das wortreiche Verstummen. Alles Wenderomanhafte taugt bloß noch zur Satire, der Berlin-Flaneur ist ein abgenutztes Zitat, der Krimi-Plot ein schlechter Witz. Und die verdrehte Konstruktion führt buchstäblich ins Nichts.

JÖRG MAGENAU.

Bernd Wagner: "Club Oblomow". Roman. Ullstein Verlag, Berlin 1999, 190 S., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht lustlos berichtet Jörg Magenau über diesen Roman eines Autors über einen Autor, der keinen Roman mehr schreiben will und sich zu diesem Zweck mit Gleichgesinnten im "Club Oblomow" in Berlin zusammentut. Magenau schildert kurz Wagners Werdegang vom Ostautor, der vor dem Mauerfall in den Westen kam, sich aber bis heute im wiedervereinigten Deutschland nicht heimisch fühlt und unterstellt eine Art psychologischer Blockade, in der "das Erzählen vom Räsonnement ausgelöscht" wird. Kurz: ein "unmögliches Nicht-Buch".

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