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André Herzberg erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie, drei Generationen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Der Großvater Heinrich Zimmermann hatte es vom einfachen Lederhändler zum mittelständischen Unternehmer gebracht, pflegte ein deutschnationales Weltbild. In buchstäblich letzter Sekunde gehen er und seine Frau ins Exil. Den Sohn Paul haben sie schon vorher nach England in Sicherheit gebracht. Nach dem Krieg geht Paul als überzeugter Kommunist in die DDR, verdrängt dort seine Herkunft, lebt "bescheiden" als ranghoher Funktionär. Sein Sohn Jakob, der Erzähler des…mehr

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Produktbeschreibung
André Herzberg erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie, drei Generationen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Der Großvater Heinrich Zimmermann hatte es vom einfachen Lederhändler zum mittelständischen Unternehmer gebracht, pflegte ein deutschnationales Weltbild. In buchstäblich letzter Sekunde gehen er und seine Frau ins Exil. Den Sohn Paul haben sie schon vorher nach England in Sicherheit gebracht. Nach dem Krieg geht Paul als überzeugter Kommunist in die DDR, verdrängt dort seine Herkunft, lebt "bescheiden" als ranghoher Funktionär. Sein Sohn Jakob, der Erzähler des Romans, wird nach einer schwierigen Kindheit Sänger, durchlebt nach dem Mauerfall eine existentielle Krise und findet nach langem Suchen zum Judentum und zu sich selbst. Lakonisch und bildgewaltig erzählt André Herzberg von der generationsübergreifenden lebenslangen Sehnsucht nach Bindung und Zugehörigkeit: zu einem Land, zu einer Partei, zu einer Familie. Und von Fremdheit zwischen Vätern und Söhnen. Ein starker literarischer Text, eine außergewöhnliche Familiengeschichte.
Autorenporträt
André Herzberg, 1955 in Ostberlin geboren, ist seit über dreißig Jahren Musiker und vor allem als Frontmann und Sänger der in der DDR gegründeten Rockband Pankow berühmt geworden. Seine Familie lebt heute in Afrika, England und Deutschland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2015

Hineingeschmissen in die Welt von gestern
Das System Pop in Zeiten der Diktatur: André Herzberg rockt in "Alle Nähe fern" den Generationenroman

"Gabi hat gefragt und der Vater hat ,Ja' gesagt / Gabi darf zur Disco geh'n!" Verse wie diese, unverhohlen und schlicht, singt André Herzberg, wenn er mit seiner 1981 in der DDR gegründeten Rockband "Pankow" auf der Bühne steht. Nun hat der 1955 in Ost-Berlin geborene Sänger den Roman einer deutsch-jüdischen Familie im zwanzigsten Jahrhundert geschrieben. Und wer weiß: Vielleicht tut ein wenig rockig-schnoddrige Direktheit der abgedroschenen Form des Generationenromans ganz gut.

Herzberg hält sich nicht lange auf mit der Frage, wie das eigentlich gehen soll, das Erinnern - und legt unverzagt los. Nach einem Prolog, in dem Jakob Zimmermann, der Erzähler, in einem Traumszenario von seiner Brit Mila berichtet und im Zuge dessen seine Familie vorstellt, findet sich der Leser hineingeschmissen in die desaströse Welt von gestern: beginnend beim Großvater Heinrich, der es in den zwanziger Jahren zum erfolgreichen Geschäftsmann bringt, bevor er durch die Nationalsozialisten zur Flucht ins Exil gezwungen wird; weiter über den Sohn Paul, der zunächst per Kindertransport nach England verschafft wird, dort den Holocaust überlebt, um nach Kriegsende als strammer Kommunist in die DDR überzusiedeln und dort zum hohen Parteifunktionär aufzusteigen; bis zu dessen Sohn Jakob, der, immerzu schwankend zwischen Anpassung und Dissidenz, zum Sänger in einer Rockband wird.

Das berührende Ende des Romans schließt an den Anfang der Erzählung an: Jakob spricht im Rahmen der Stolpersteinverlegung vor dem Hannoveraner Großelternhaus das Kaddisch. Es ist ein Nachhausekommen, für den Vater, der die Religion zeitlebens abgelehnt hat, wie auch für den Sohn, der nach dem Mauerfall in eine Krise geraten ist, aber nun, im Glauben, wieder zu sich selbst findet. Herzbergs aufgekratzter, aufgerauhter Erzählstil kommt dem Roman zugute. In neunzig kurzen, meist nur zwei, drei Seiten umfassenden Kapiteln und sehr dichten, mitunter parataktischen Sätzen lässt Jakob seine Welt, die Welt seiner Eltern und Großeltern snapshotartig wieder aufscheinen. Bisweilen fühlt man sich an die protokollartig und darin höchst lebendig erzählten Romane von Walter Kempowski erinnert.

Dabei zerfällt der Roman in zwei Hälften: Dort, wo Herzberg von Jakobs Geschichte (und in Teilen wohl von sich selbst) erzählt, gelingt ihm eine differenzierte, so noch nicht gelesene Analyse des Systems "Pop" in Zeiten der Diktatur - und seines phantastischen Versprechens: "Pop ist der Traum, einmal für drei Minuten mit einem Lied in der Welt und ein Teil von ihr sein. Dieses kurze Stück Musik, gleichmäßig, im unmerklich sich verschiebenden, treibenden Rhythmus, süßer Bonbon, Eintrittsbillett hinter die Mauer, in die Herzen aller Menschen." Im Vergleich dazu fällt der vorangehende, längere Abschnitt, in dem Jakob die Geschichte seiner Familie durchschreitet, deutlich ab.

Das zwar plastische, aber zugleich merkwürdig unbeteiligte Erzählverfahren entlarvt sich in fast schon bedeutungslosen Sätzen wie diesen: "Schließlich kommt der große Tag, der Krieg ist vorbei." Auf unfreiwillige Weise belegt "Alle Nähe fern" vor allem eines: Der Ansatz, die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts als Familiengeschichte zu erzählen, mag zur Zeit von Peter Weiss ("Abschied von den Eltern", 1961) noch unverbraucht und aufregend gewesen sein. Mittlerweile aber ist diese epische Form, die in den vergangenen Jahren aus der Enkelsicht noch einmal umfangreich wiederbelebt wurde, fast zur Schemaliteratur herabgesunken. So berechtigt das Generationenmodell in biographischer und historischer Hinsicht ist, so überholt ist es aus literarischer Perspektive. Es braucht hier andere, neue erzählerische Formen - sonst droht fatalerweise das, was die Band "Pankow" in einem ihrer bekanntesten Lieder besingt: "Langeweile".

KAI SINA

André Herzberg: "Alle Nähe fern". Roman.

Ullstein Verlag, Berlin 2015. 272 S., geb., 21,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Zwei Romane über Rockmusiker und Stasiverrat in der DDR hat Rezensentin Anja Maier gelesen. Wenn im Roman "Alle Nähe fern" ein DDR-Musiker im Nachwende-Berlin in den Depressionen versauert und zudem noch vom Krebstod der Sängerin seiner ehemaligen Band erfährt, dann schreibt André Herzberg, Musiker der DDR-Rockband Pankow, dabei auch sehr unzweifelhaft über sich, meint Rezensentin Anja Maier. In seiner sich über drei Generationen durch das 20. Jahrhundert ziehenden Familiengeschichte, die Schlaglichter auf die subversiven Kräfte der DDR-Rockmusik wirft, lässt sich viel über biografische Enttäuschungen im Zuge des Systemwandels lernen, erklärt die Kritikerin. Dasselbe gilt auch für die schwierige Situation von Künstlern, die sich nicht ohne weiteres dem Regime fügen, von der Bürokratie aber zum Teil mit Ausreisegenehmigungen gefügt gemacht werden, erfahren wir weiter.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein großartiger Roman. Empfehlenswert.", Ruhr Nachrichten, 23.03.2015