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Quo vadis, Amerika?
Dem in Trinidad aufgewachsenen V. S. Naipaul galt Amerika schon früh als "Land der Finsternis". In diesem Buch beschreibt der Nobelpreisträger es als einen Kontinent voller Widersprüche, der bis heute sein koloniales Erbe nicht losgeworden ist.

Produktbeschreibung
Quo vadis, Amerika?

Dem in Trinidad aufgewachsenen V. S. Naipaul galt Amerika schon früh als "Land der Finsternis". In diesem Buch beschreibt der Nobelpreisträger es als einen Kontinent voller Widersprüche, der bis heute sein koloniales Erbe nicht losgeworden ist.
Autorenporträt
Vidiadhar Surajprasad Naipaul, geb. 17.8.1932 in Trinidad, lebt seit 1950 in Großbritannien. Der Romancier, Reiseschriftsteller und Journalist indischer Herkunft gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der englischsprachigen Literatur. Seine Romane 'Ein Haus für Mr. Biswas' und 'An der Biegung des großen Flusses' sowie das Sachbuch 'Eine islamische Reise' waren Welterfolge. Die meisten seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt. 2001 wurde V. S. Naipaul der Literatur-Nobelpreis verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2004

Warum ist Dallas so schön?
Beide Amerikas: V. S. Naipaul und die Lehren der Neuen Welt

V. S. Naipaul schreibt mindestens intelligent, was immer sein Thema ist, und das läßt sich nicht von allen guten Schriftstellern sagen. Wachheit, Intelligenz und Mißtrauen sind gewissermaßen der Rucksack, mit dem er loszieht und den er im Laufe seiner ausgedehnten Reisen füllt. Natürlich nimmt er zahlreiche Sinneseindrücke auf, aber die Sinne sind zweitrangig. Wichtig ist die analytische Durchdringung, auch dann, wenn Naipaul Zeugen befragt. Seine Geduld beim Zuhören muß beträchtlich sein. Auch sie ist ein Beweis für seine Intelligenz.

Das vorliegende Buch des 1932 in Trinidad geborenen Nobelpreisträgers indischer Abstammung stützt sich auf den 2002 in New York erschienenen Band "The Writer and the World", ein bescheidener oder ein großmäuliger Titel, je nach Standpunkt. Die Essays und Reportagen darin handeln von ziemlich weit zurückliegenden Dingen: Norman Mailers Wahlkampf um das New Yorker Bürgermeisteramt im Jahr 1969, einem Besuch in Steinbecks "Straße der Ölsardinen" in Monterey, einem Parteitag der Republikaner 1984 in Dallas oder von Cheddi Jagan und der Revolution in Guayana.

Das Rückgrat der Sammlung, die Hälfte der insgesamt dreihundert Seiten, bildet eine exzellente Reportagenserie über Argentinien in den siebziger und achtziger Jahren, der Zeit des neu aufgekochten Peronismus, der Todesschwadronen und des Übergangs zu Alfonsín. Naipaul hat Eva Perón ja ein eigenes Buch gewidmet, und was er in seinen Reportagen über argentinische Provinzialität und geschichtliche Selbstvergessenheit, über Machismo, Sex-Kult und die heilige Evita schreibt, ist mit einiger Sicherheit das Härteste und Boshafteste, was man über Argentinien in gedruckter Form findet. Liebhaber von Buenos Aires werden entsetzt sein. Es könnte aber sein, daß die Bosheit Naipauls viel für sich hat, die Jahrzehnte haben seinen Befund eher bestätigt. Borges kommt am Rande auch vor. Tango und Rindersteaks dagegen nicht.

Mit der Frage, ob es sich lohnt, die großenteils in der "New York Review of Books" erstveröffentlichten Essays wieder zu drucken, muß man sich nicht aufhalten. Diese Stücke werden auch in fünfzig Jahren noch lesbar und verständlich sein. Tatsächlich wird Intelligenz hier zur stilistischen Qualität, die die gelungene Übertragung Satz für Satz spüren läßt. Es wäre ein leichtes gewesen, über den republikanischen Kongreß in Dallas 1984 eine zündende Gemeinheit mit viel journalistischer Oberflächenbrillanz zu schreiben. Die Prediger der neuen Rechten, die in Marx und der Homosexualität ein und dasselbe Teufelswerk sehen, dazu Videobilder von John Wayne und der Auftritt Nancy Reagans ganz in Weiß, das sind für jeden Reporter starke Verführungen.

Doch Naipaul urteilt nicht schnell. Er bleibt neugierig auf alles, und weil er selbst eine Lebensreise von Trinidad nach London hinter sich hat, von der intellektuellen Peripherie ins Zentrum, das schon der Jugendliche als überlebensnotwendigen Umschlagplatz der Ideen erkannt hatte, ist er in der Lage, das Ambiente nicht nur als geistlose Ölstadt wahrzunehmen. "Dieses klimatisierte Dallas erschien mir als erstaunliche Leistung, als Produkt einer großen Vision und im besten und menschlichsten Sinn amerikanisch: Geld und angewandte Wissenschaft hatten an einem Ort, wo das Leben früher bestialisch gewesen war, eine elegante Stadt geschaffen." Es ist gleichgültig, ob Dallas wirklich elegant ist. Naipaul erkennt zivilisatorischen Fortschritt auf den ersten Blick, und jeder sentimentalen oder mythischen Qualität - vor allem den Attributen des Pittoresken - zieht er sichtbaren materiellen Wohlstand vor, der sich an der individuellen Wahlfreiheit der Bewohner nachprüfen läßt.

Jahrelang hat man Naipaul, nicht nur wegen seiner indischen Wurzeln, karibischen Kindheit und europäischen Perspektive, als kritischen Beobachter aller verfügbaren Welten betrachtet, von der Ersten bis zur Dritten. Dann hieß es irgendwann, er werde den Nobelpreis nie erhalten, weil er "unkorrekt" sei und etwa die islamische Welt ziemlich unbarmherzig porträtiert habe. Er selbst sagte von sich: "Ich habe keine Feinde, keine Rivalen, keine Meister; ich fürchte niemanden. Man wird mir keinen Nobelpreis verleihen." Nachzulesen in "Dunkle Gegenden", einem Band der Anderen Bibliothek von 1995, in dem zwei der hier gesammelten Essays schon enthalten sind.

Schließlich bekam Naipaul den Nobelpreis aber doch. Seine Kompromißlosigkeit ist sich bei alldem gleichgeblieben ("New York ist mancherorts wie Kalkutta, nur mit Geld"), und sie prägt den Ton seiner Reportagen. Naipaul will seine Leser durchaus vor den Kopf stoßen, wenn er gute Gründe zu haben glaubt. Die spezifische Form seines überaus komplexen Herkunfts- und Bildungsdünkels (den er auch in anderen sofort aufspürt) sollte uns nicht blind dafür machen, daß seine Gründe oft die besseren sind.

PAUL INGENDAAY

V. S. Naipaul: "Amerika. Lektionen einer neuen Welt". Aus dem Englischen übersetzt von Monika Noll und Ulrich Enderwitz. Claassen Verlag, München 2003. 317 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Ein klarer Fall von "Etikettenschwindel". Damit meint die Rezensentin Renee Zucker allerdings nicht V. S. Naipaul oder seine Essays, sondern die vorliegende deutsche Ausgabe, deren Titel "Amerika. Lektionen einer neuen Welt" sich nicht nur sehr vom Original-Titel "The Writer and the World" unterscheidet, sondern beim Leser die Hoffnung weckt, es handele sich um neue, zur aktuellen Lage geschriebene Texte. Nichtsdestotrotz, so die Rezensentin, verliert man mit Naipaul nie seine Zeit. Sein doch sehr "westlicher" Blick erlaubt ihm, Amerika zu verstehen, gleichzeitig bleibe er jedoch so europäisch geprägt, dass sich keine "Naivität" in sein Amerika-Bild einschleiche, argumentiert die Rezensentin auf ein wenig selbstgefällige (sprich europa-gefällige) Art. Ganz besonderes gefallen hat ihr eine Reportage über einen "Parteitag der Republikaner in Dallas der Achtizger-Ronald-Reagan-Jahre", in der Naipaul sich spürbar von der ambienten "Leichtigkeit" und "Siegerlaune" anstecken lässt. Was er dagegen über Borges zu sagen hat, findet Zucker ein wenig banal.

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