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Produktdetails
  • Verlag: WINKLER, DÜSSELDORF
  • 2000.
  • Seitenzahl: 636
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 830g
  • ISBN-13: 9783538071124
  • ISBN-10: 3538071128
  • Artikelnr.: 08886168
Autorenporträt
Friedrich Prinz, geb. 1928, Historiker, emeritierter Professor der Universität München, ist durch zahlreiche Bücher und Aufsätze als einer der bedeutendsten Frühmittelalterforscher der Gegenwart bekanntgeworden. Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Geschichte Bayerns und der Böhmischen Länder. Der Autor ist auch mit einer Reihe von Fernseh- und Rundfunksendungen hervorgetreten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2001

Schubumkehr auf der Abendlandebahn
Das Imperium fällt zurück: Friedrich Prinz wirft neue Blicke auf die frühmittelalterlichen Ursprünge Europas und entdeckt dabei unsere wahre Leitkultur

Sagen wir es gleich: Trotz seines traditionell anmutenden Titels "Von Konstantin zu Karl dem Großen" bietet dieses Buch keine geschlossene, lineare Darstellung der Übergangsepoche zwischen Antike und Mittelalter. Eher handelt es sich um ein eigenwilliges Patchwork von Einzelstudien, um problemgeschichtliche Durchblicke, die denn auch - weil Probleme ja an Zeitgrenzen nicht einfach anhalten - gelegentlich weit über die Karolingerzeit hinausgeführt werden.

Grundsätzlich geht es dem Autor darum, die Entstehung des mittelalterlichen Europa, "die Achsendrehung der Weltgeschichte nach Norden" (Pirenne), als eine Geschichte der großen Mächte und Kräfte, als Zusammenspiel vor allem geistiger Potenzen zu begreifen. Nach traditioneller Ansicht waren dies Antike, Christentum und Germanentum, die sich am Weihnachtstag des Jahres 800 im römischen Petersdom das Rendezvous gaben. Friedrich Prinz betont demgegenüber die ethnische Vielfalt der Ursprünge Europas. Gleichzeitig insistiert er auf der Langfristigkeit jener kulturellen Umbrüche, in deren Verlauf ein geschichts- und schriftloser Erdteil, den noch die Antike als "vagina gentium", als beunruhigenden "Völkerschoß", betrachtete, erstmals in die Geschichte eintrat.

Die Geburt Europas konnte gelingen, so lautet die Hauptthese, weil erst eine gesicherte Kirche durch die Völkerwanderung erschüttert wurde. Es war der "Königsgedanke" Konstantins, "die stärkste geistige Kraft der Zeit, das Christentum und seine widerstandsfähige Organisation, die Kirche, zur Regeneration des wankenden Reichsgebäudes einzusetzen". Wie weitsichtig diese Weichenstellung war, zeigte sich spätestens dann, als das Imperium Romanum tatsächlich auseinanderbrach und einzig die Kirche in der Lage war, die neue "Völkerflut" durch ein umfassendes, systematisch angelegtes Bekehrungswerk zivilisatorisch zu kanalisieren. Auch für die Frankenherrscher blieb die "Einstaatung" der Kirche der Königsweg zum Erfolg - nicht nur für Chlodwig, der 496 mit seiner katholischen Taufe das Zusammenwachsen von Franken und Romanen zu einem fränkischen Reichsvolk in die Wege leitete, sondern ebenso für Karl Martell, der seine Panzerreiter mit konfiszierten Kirchengütern an sich band, und schließlich für Karl den Großen, der seine Herrschaft auf ein regelrechtes "Reichskirchensystem" gründete. Bereits in karolingischer Zeit war es üblich, daß Bischöfe und Äbte ein Drittel bis die Hälfte der Mannschaften für das Reichsheer stellten - und es war eben dieser militärisch-klerikale Komplex, auf dem die kriegerische Übermacht Europas nicht zuletzt beruhte.

Der Bischof als Bastion

Gewiß gab es mehrere Gründe, daß allein die Franken die großen Kriegsgewinnler der Völkerwanderungszeit wurden. Als Föderaten in die Verwaltungs- und Heeresstrukturen des Imperiums integriert, hatten sie bereits seit dem vierten Jahrhundert eine Art "römischer Sozialisation" durchlaufen; überdies waren sie nur ein paar hundert Kilometer nach Süden "gewandert", hatten also ihre Kräfte geschont und - demographisch noch entscheidender - nie den ethnischen Kontakt mit der rückwärtigen Germania verloren. Doch der wichtigste Grund, daß alle anderen germanischen Nachfolgestaaten auf römischem Boden nur "Herrschaft auf Widerruf" blieben, war vielleicht ihre arianische Religion. Als gentile Form des Christentums, die auf der Wulfila-Bibel beruhte, konnte der Arianismus keine Integrationskraft entfalten; als gemeinsame Leitkultur für Germanen und Römer schien er ungeeignet. Dies zeigt sich etwa am Beispiel von Theoderichs Ostgotenreich in Italien, das auf einem "dualistischen" System der Machtteilhabe basierte, in dem die Goten den Kriegsdienst und die Römer die Verwaltung ausübten. "Falls eine völlig germanische Integration geglückt wäre", beschreibt Prinz das Scheitern dieses Experiments, "würde auch Europa auf einer weitaus breiteren, den Mittelmeerraum, Nordafrika und den Vorderen Orient umfassenden Basis entstanden sein."

Der starke Mann, der in chaotischer Zeit die Handlungsfähigkeit der Kirche verkörperte, war der Bischof. Es ist bezeichnend, daß antike Städte, die keine Bistumssitze waren oder wurden, in den Stürmen der Völkerwanderung kaum überlebensfähig blieben. Es ging dabei nicht bloß um die materielle Fortdauer des städtischen Lebens, um die Sicherung eines "zivilisatorischen Minimums", sondern auch um direkte politische Kontinuität. Die "Diözese" als kirchliches Organisationsprinzip ging paradoxerweise auf die Reichsreformen Kaiser Diokletians zurück, den Vorgänger Konstantins und rabiaten Christenverfolger. Noch wichtiger aber war, daß im postimperialen Gallien und Spanien - in Italien, Nordafrika und Ostrom war die Situation etwas anders - das Bischofsamt seit dem fünften Jahrhundert fast ausschließlich in der Hand des gallo-römischen Senatorialadels lag. Regionale "Bischofsrepubliken" gaben hier dem Leben fast zweihundert Jahre immer noch eine spätantike Färbung, während nördlich der Loire längst das fränkische Mittelalter begonnen hatte.

Auch die Herausbildung des Papsttums, zumeist auf einen geistig-ideologischen Prozeß verengt, könnte umfassender als Form "monarchischer Bischofsherrschaft" erklärt werden. Nach dem Wegfall der kaiserlichen Präsenz in Rom, infolge der Selbstblockade der ethnisch-politischen Mächte Italiens, fiel dem Bischof der Apostelstadt automatisch eine Schlüsselrolle zu. Dieser Vorgang vollzog sich schrittweise - trotz mehrfacher Plünderung Roms durch Goten (410), Wandalen (455) und Sarazenen (846), trotz Absinkens der Einwohnerzahl von 800 000 unter Theodosius bis auf 90 000 Einwohner im Zeitalter Gregors des Großen. Für die Katastrophenzeit ergibt sich dabei das durchaus merkwürdige Bild einer verarmten Stadtbevölkerung, aber reichen Kirche, und die Jahre zwischen 400 und 600 sind paradoxerweise "die bedeutendste Kunstperiode der Stadt geworden".

Der Mönch als Motor

Der entscheidende qualitative Sprung freilich, das Aufrücken Roms zu einer Instanz der "europäischen Innenpolitik", vollzog sich erst seit der päpstlichen Salbung Pippins (754) und der Eroberung des Langobardenreiches durch Karl den Großen (768). Die Hereinnahme Roms in die Strukturen des Karolingerreichs schuf jene Bipolarität von "Imperium" und "Sacerdotium", von Kaisertum und Papsttum, die ein Spezifikum der europäischen Kulturentwicklung werden sollte. Gleichzeitig steht sie exemplarisch für jene geopolitische "Achsendrehung", mit der die antike Geschichte des Mittelmeerraumes endgültig zu Ende war: "Erstmalig seit dem Ende des westlichen Imperium Romanum werden Teile des gewissermaßen nur rein geographisch existenten Europa nicht Rom und Italien eingefügt" - sondern umgekehrt. Dies bedeutet auch "eine teilweise Umkehr des bisherigen Kulturstroms". Aus der "Francia" empfangen Italien und Rom um 800 ein modernes System dualer Grundherrschaft, eine neue Liturgie, einen philologisch verbesserten Bibeltext und eine reformierte Schrift - die karolingische Minuskel. Wichtige kulturelle Standards werden nun im Norden definiert.

Die entscheidenden Träger dieses Richtungswechsels waren freilich keine Bischöfe, sondern Mönche - also Vertreter einer Lebensform, die nur mittelbar mit dem römischen Staatsgedanken in Verbindung stand. Ursprünglich eher aus einem Impuls der "Weltflucht", aus Protestformen gegen die erotisierte Großstadt- und Weltzivilisation des Späthellenismus hervorgegangen, war das Mönchtum in der neuen Umgebung der barbarischen Staaten plötzlich mit der Aufgabe der Weltgestaltung konfrontiert. Als Glaubensboten, als Pioniere des Landesausbaues oder als Erzieher in den Königs- und Adelsklöstern des Frankenreichs fanden sich die Asketen plötzlich "mitten ins Leben" gestellt. Eine Gegenkultur wurde damit nicht bloß zur missionarischen Leitkultur, zum entscheidenden Transmissionsriemen der Christianisierung, sondern auch - und hierin dem Calvinismus vergleichbar - zum Promotor einer neuen Arbeitsethik, welche den antiken Kult des "otium" und die Verachtung der Handarbeit überwand (das geflügelte Wort vom "Müßiggang als aller Laster Anfang" stammt aus der Regula Benedicti).

Ihre schönste Blüte feierte diese Kulturarbeit unter den Iren und Angelsachsen; die insularen Klöster wurde zum Geburtsort der ältesten volkssprachlichen Literatur Europas, und es ist bezeichnend, daß von hier aus dann bereits im 7. Jahrhundert wieder kreative Impulse auf den Kontinent zurückstrahlten. Alkuin, der "spin doctor" Karls des Großen, Johannes Scotus Eriugena, die Leuchte des karolingischen Rationalismus, der Germanenapostel Bonifatius oder jene irischen "monachi peregrini", die im Oberrheingebiet dickschädeligen Alemannen das heidnische Bildungsdefizit austreiben wollten - sie alle stehen für jene überraschende "Schubumkehr", die aus Missionierten in wenigen Jahrzehnten Missionare und aus kulturellen Geberländern wieder Nehmerländer werden ließ.

Gerade weil es so schöpferische Funken schlug, würde man über Ursprung und Charakter dieses insularen Christentums gerne mehr erfahren. Obgleich Prinz einleitend verspricht, "der Selbstinterpretation des Menschen in Religion, Mythos, Hagiographie und Literatur" besondere Beachtung zu schenken, werden zum Beispiel die "Confessio" des heiligen Patrick, die Texte des Augustinus-Gegenspielers Pelagius oder die frühen "Vitae sanctorum Hibernicae" mit ihrem erstaunlichen Ich-Bewußtsein nicht einmal erwähnt.

Eindringlicher wird der geistigen Auseinandersetzung mit dem antik-heidnischen Erbe nachgegangen: der allmählichen Abschnürung von der griechischen Tradition (erläutert an den Sprachkenntnissen der Kirchenväter und den "Übersetzern" Boethius, Symmachus und Cassiodor); den ambivalenten Urteilen über die pagane Literatur, die stets ein enormes Verführungspotential bewahrte und als Entschärfungsstrategie eine "allegorische" Methode der Schriftauslegung inspirierte; der Eindampfung des antiken Kulturerbes zum enzyklopädischen Grundwortschatz bei Isidor von Sevilla und schließlich den vielfältigen Handschriften- und Überlieferungsschicksalen der klassischen Texte.

Die abendländische Klosterbibliothek war jene enge Pforte, durch die die antike Literatur hindurchmußte, um ins humanistische Gymnasium zu gelangen - von den 142 Büchern Römischer Geschichte des Titus Livius blieben dabei 107 auf der Strecke. Wenn Prinz in diesem Zusammenhang den "Spoliencharakter frühmittelalterlicher Kultur" hervorhebt, dann ist jene Dialektik von Verlusten und Rettungsaktionen gemeint, in der das antike Wissen zugleich aussortiert und neu adressiert, in wesentlicher Substanz aber bewahrt wurde. So konnte es als Kraftnahrung für die spätere Take-off-Phase der europäischen Geistesgeschichte dienen. "Gleichsam am Tropf antiker Geisteskultur hängend, kam das anfangs rezeptive Europa zu eigenen Kräften und Gedanken."

Der Muslim als Mittler

Zu den instruktivsten Teilen des Buches gehört ein Vergleich mit dem Islam und Byzanz, den beiden anderen Nachfolgekulturen des Römischen Reiches, der die Besonderheiten der europäischen Entwicklung besonders prägnant hervortreten läßt. Im Unterschied zum barbarisierten Westen (und Italien) kam es in der islamischen Welt im Frühmittelalter nicht zu einer Absenkung des Kulturniveaus, sondern "zu einer fast schlagartigen Reaktivierung und Entfaltung der entschieden angenommenen antiken Zivilisationsstandards". Allerdings mündete diese Frühblüte einer ökumenischen "Pax Islamica" nicht in eine geschlossene Gesamtkultur, und es fehlte hier auch an jener breitangelegten "Sozialisation der Bildung" durch Klöster, Domschulen und Universitäten, durch die seit der Jahrtausendwende wieder kräftige Bewegung, also horizontale und vertikale Mobilität, in die statischen Gesellschaften Europas kam. Ähnliches gilt für das Byzantinische Reich, dessen tausendjährige Stabilität auf einer verschärfenden Revitalisierung der diokletianisch-konstantinischen Militärmonarchie beruhte. "Es blieb ,Imperium Romanum', ohne die Offenheit jenes Neuanfangs zu finden, die Europa durch den ,Verlust der römischen Mitte' beschert wurde."

Man hätte sich diese Darlegungen gerne straffer gewünscht - das heißt entweder zum kürzeren Essay verdichtet oder aber in eine systematischere, rigorosere Form gegossen. Einige Partien wirken deplaziert (etwa vorlesungsartige Ausarbeitungen zu Verfassung, Gesellschaft und materieller Kultur oder katalogartige Referate zu diversen Städten), manches bleibt allusiv. Zuweilen werden Schlüsselereignisse (wie die Religionskrise der Jahre 381-387 oder der karolingische Bilderstreit) in einer so zufällig-eklektischen Weise geschildert, daß es dem Nichtfachmann schwerfällt, ein angemessenes Bild von ihrer historischen Bedeutung zu gewinnen. Gleichwohl bietet das Buch viele originelle Einsichten, Durchblicke und Überlegungen und ist eine interessante Lektüre.

MATTHIAS GRÄSSLIN

Friedrich Prinz: "Von Konstantin zu Karl dem Großen". Entfaltung und Wandel Europas. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf, Zürich 2000. 635 S., 16 Abb., geb., 68,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schwierig, schwierig, was der Autor sich da vorgenommen hat. Kurt Oesterle scheint fast Mitleid zu haben. Allein es ist nur Bewunderung, die sich da äußert. Wie souverän und mit welcher Freude in diesem Buch die "Inkubationszeit" Europas, "die Pubertät eines Kontinents" von der Spätantike bis zum frühen Mittelalter, dieser schier "unüberschaubare Stoff", verhandelt wird - Oesterle staunt nur. Staunt über das Packende dieses Vortrags "fern aller Terminologien" und ein lebendiges Panorama von Geschichten, das von politischen Entwicklungen ebenso erzählt wie von wirtschaftlichen, kirchlich-religiösen und kulturhistorischen. Und dann, findet Oesterle, gibt es hier auch eine Kontinuität zu besichtigen, die uns angeht, uns unterm blau-goldnen Sternenbanner, uns im Zeichen des Euro.

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