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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2009

Schurken waren's allesamt

Ein schwacher Papst, ein maliziöser Feldherr und viele deutsche Landsknechte: Volker Reinhardt schreibt illusionslos über den Sacco di Roma 1527.

Von Dirk Schümer

Wer gute Augen hat, der kann in den Stanzen des Vatikan, am unteren Bildrand eines Raffaelfreskos, heute noch die direkte Spur einer der Katastrophen in Roms wechselvoller Geschichte sehen: Martin Luther wird dort von einem anonymen Landsknecht gepriesen, der sich 1527 nach der Erstürmung und Plünderung Roms eine Besichtigung der Privat- und Dienstgemächer des Papstes nicht nehmen ließ. Volker Reinhardt erwähnt in seiner Monographie über den "Sacco di Roma" noch diverse andere Graffiti auf Kunstwerken, etwa: "was soll ich der ich schreib nit lachen / wir haben den papst laufen machen." In der Tat konnte Clemens VII., der sonst immer in der Sänfte herumgetragen wurde, sich in letzter Sekunde nur zu Fuß in die Engelsburg retten, während die seinen Rückzug verteidigenden Schweizergardisten allesamt niedergemetzelt wurden.

Dass auf dem Gipfel der Hochrenaissance der päpstliche Hof brutal geplündert und gebrandschatzt werden konnte wie ein Meiergut in den Bauernkriegen, und das auch noch von den Truppen des gut katholischen und "römischen" Kaisers Karl - das war selbst für Zeitgenossen, die ein kriegerisches Dauergeschützgetöse aus ganz Europa gewohnt waren, ein starkes Stück. Reinhardt schildert die "politische Katastrophe" knapp, aber ungemein souverän mitsamt der Vorgeschichte und einem Abriss ihrer Wirkungen bei Chronisten und Historikern.

Methodologisch bereitet dem in Fribourg lehrenden Historiker die überreiche Quellenlage kein Problem. Denn alle Erlebnisberichte und Deutungen des rüden Geschehens müssen besonders nach Interesselage gewichtet werden. Wer für den unfähigen Papst Partei nahm, wer den Kaiser von Mitschuld freisprechen wollte, wer (wie manche Landsknechtshauptleute) seine eigene Kriegsgewinnlerei rechtfertigte oder wer hinter allem Leid resigniert den unerforschlichen Strafbefehl des Allmächtigen sah - Reinhardt geht niemandem auf den Leim, denn er ist mit gutem Grund überzeugt, dass diese Tragödie einzig Schurken kennt.

Schlüssig kann er die dichte Chronologie politischer, diplomatischer und ökonomischer Versäumnisse aneinanderreihen, die zum Sacco führte. Denn es musste schon eine Menge an Unfähigkeit und politischer Intrige zusammenkommen, bis die Mauern des vatikanischen Borgo von einer ausgehungerten Truppe Söldner erstürmt werden und die Stadt zehn Monate ausgeplündert und drangsaliert werden konnte. Nicht anders als die bisherige Historiographie macht Reinhardt im Medici-Papst Clemens VII. den Hauptverdächtigen dingfest. Nachdem dieser politisch wechselhafte und zögerliche Pontifex eine antihabsburgische Liga mit Frankreich und Venedig als flauen Bundesgenossen geschmiedet hatte, unterschätzte er fatal die vermeintliche Schwäche der Kaiserlichen unter dem Landsknechtsführer Georg von Frundsberg und entließ fast alle Schutztruppen der Stadt Rom.

So viel Sorglosigkeit wäre allerdings noch nicht ausreichend gewesen, hätte die päpstliche Liga von Cognac nicht einen Feind der Medici zum Feldherrn erkoren. Dieser Francesco Maria della Rovere hielt sich vom Kampfgeschehen trotz Überlegenheit maliziös fern - und damit den kaiserlichen Feinden, ohne Fourage und Sold aufs äußerste gereizt, den Weg nach Rom frei. Es zählt zu den Genüssen dieses bitterklugen Buches, dass der Autor sich mit Illusionen wie der humanen Verantwortung eines Kirchenfürsten oder irgendeiner Legitimation dieses Krieges gar nicht erst abgibt. Ausgestattet mit den ohnehin schon brillanten Analysen direkt beteiligter Diplomaten-Historiker wie Francesco Guicciardini, Niccolò Machiavelli oder des sarkastischen Florentiners Francesco Vettori, verstärkt Reinhardt nur noch das Staunen jener durchaus abgebrühten Männer über Dummheit, Lüge, Heuchelei und Gier der Herrschenden.

Und doch hat der Sacco di Roma auch für illusionslose Beobachter der Geschichte noch allerhand Pointen zu bieten. Dass der Papst, von Reinhardt in seinem Amt kurzerhand als "fatale Fehlbesetzung" abgefertigt, am Ende seine Schätze und die seiner Hauptstadt aus schierem Geiz verlor, weil er die vergleichsweise niedrigeren Summen für militärische Abwehr und am Ende für Lösegeld nicht aufwenden wollte, hat Clemens VII. in der an Raffzähnen reichen Papstgeschicht einen besonderen Unehrenplatz eingebracht.

Reinhardt verlässt die Perspektive der Mächtigen und widmet sich auch den gefolterten Bürgern, vergewaltigten Nonnen oder den in den Spitälern niedergemetzelten Kranken. Obwohl uns sogar diverse Augenzeugenberichte vorliegen, bleibt hier der Ertrag notgedrungen gering. Fast immer beschäftigen sich Soldaten lakonisch mit dem Soll und Haben ihres Geschäfts, während manche Opfer - zuvörderst der ausgeplünderte und seiner Familie beraubte Gefängnisunternehmer Marcello Alberini - eher als die päpstliche die "deutsche Barbarei" zum Thema machen. Am Ende konstruiert sich jeder seine kleine Wahrheit zurecht.

In Reinhardts kantig-lakonischer Darstellungsweise finden sich beiseite gesprochene Anspielungen wie "Rom - offene Stadt", "Der längste Tag" oder "Rom oder Tod", die das finstere Geschehen von 1527 wenigstens semantisch in welthistorische Zusammenhänge einbetten, wie sich das in Rom gehört. Pralle Details wie der Auftritt eines renitenten nackten Bußpredigers bei einer päpstlichen Predigt in Sankt Peter deutet Reinhardt ebenso wie die zielgerichtete Schändung von Sakralem als volkstümliche Bildsprache der Revolte, aber nie als bündige reformatorische Geste. Wenn Landsknechte das Kruzifix vom Altar des Petersdoms in ein buntes Soldatenkostüm einkleiden, dann herrscht hier die verkehrte Welt des Karnevals, auf die der Autor - mit dem großen russischen Kulturhistoriker Mikhail Bachtin im Gepäck - bereits im Titel anspielt. Freilich gibt bei diesem "blutigen Karneval" nichts zu lachen oder gar zu glorifizieren. Er bleibt das, als was Kriegsgeschichte sich von Babylon bis Bagdad - also bis zum heutigen Tag - immer offenbart: eine Katastrophe.

Volker Reinhardt: "Blutiger Karneval". Der Sacco di Roma 1527 - eine politische Katastrophe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009. 144 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Helden kann der Historiker Volker Reinhardt in seiner Darstellung des Sacco di Roma (Plünderung Roms) im Jahr 1527 keine erkennen, Schurken dagegen viele. Der schlimmste von allen war wohl der Medici-Papst Clemens VII., der an geistlichen Dingen wenig, an pekuniären umso stärkeres Interesse zeigte. Die "Menge an Unfähigkeit", die zusätzlich nötig war, um die Katastrophe Roms möglich zu machen, schildert Reinhardt zur Freude des Rezensenten Dirk Schümer mit größtmöglicher Gelassenheit und ohne jede Beschönigung. Neben den Mächtigen kommt überdies auch das normale Volk in den Blick, wobei die Quellenlage in diesem Fall deutlich schlechter als bei den blutigen Haupt- und Staatsaktionen ist. Es bleibt am Ende für das Buch nichts als Lob: "Ungemein souverän" findet der Rezensent Reinhardts Schilderungen.

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