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Arbeiten von Gerd Althoff haben nachhaltig dazu beigetragen, dass die Zeit des Mittelalters heute aus neuen Perspektiven gesehen wird. Die Frage, wie Herrschaft vor der Entstehung des modernen Staates funktionierte, verbindet verfassungsgeschichtliche mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen und eröffnet das Blickfeld auf Verhaltensweisen und -muster, ohne deren Kenntnis Konstitution und Ausübung von Herrschaft im Mittelalter gar nicht angemessen begriffen werden kann. Die Frage nach Darstellungsabsichten und Argumentationsstrategien der Historiographie ermöglicht z.B. Aussagen über Spielregeln…mehr

Produktbeschreibung
Arbeiten von Gerd Althoff haben nachhaltig dazu beigetragen, dass die Zeit des Mittelalters heute aus neuen Perspektiven gesehen wird. Die Frage, wie Herrschaft vor der Entstehung des modernen Staates funktionierte, verbindet verfassungsgeschichtliche mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen und eröffnet das Blickfeld auf Verhaltensweisen und -muster, ohne deren Kenntnis Konstitution und Ausübung von Herrschaft im Mittelalter gar nicht angemessen begriffen werden kann. Die Frage nach Darstellungsabsichten und Argumentationsstrategien der Historiographie ermöglicht z.B. Aussagen über Spielregeln symbolischen Handelns und Verhalten im Konflikt. Auch Anekdoten und Fiktionen offenbaren unter dieser Fragestellung viel über die Vorstellungen der Menschen. In diesem Band sind zwölf neuere und neueste wegweisende Arbeiten versammelt, die exemplarisch diese Perspektiven dokumentieren und Gerd Althoffs Sicht auf die Funktionsweisen mittelalterlicher Herrschaft repräsentieren.
Autorenporträt
Gerd Althoff, geb. 1943, ist Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Münster. Bei der WBG erschienen von ihm unter anderem die Biographie ¿Otto III.¿ (1996), ¿Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter¿ (2003) sowie zuletzt die Biographie ¿Heinrich IV.¿ (2. Aufl. 2008).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2003

Spiel um Positionen
Gerd Althoffs Studien zur inszenierten Herrschaft
Es geschieht selten, dass ein gutes Beispiel regelrecht Schule macht. Der Münsteraner Historiker Gerd Althoff hat in einer langen Liste von Aufsätzen gezeigt, wie ein Forscher noch in den meistgelesenen Texten des quellenarmen Frühmittelalters neue Blickfelder eröffnen kann, indem er ihnen neue Fragen stellt. Bei Althoff war es – um eine linguistische Wendung zu benutzen – die Frage nach Pragmatik und Performanz der verschiedensten Quellen. Mit ihr setzte er die politische Geschichte des Mittelalters neu in Szene.
Seither hat beim Stichwort „symbolische Kommunikation” seine Theorie ihren Auftritt. Sie sagt, dass die mittelalterliche Adelsgesellschaft jedem ihrer Mitglieder einen genau abgestuften Rang zuwies. Politisch zu handeln hieß unter diesen Bedingungen, die verbalen und nonverbalen Zeichen zu manipulieren, an denen Rangdifferenzen ablesbar waren. Das Spiel der Zeichen funktionierte nach ungeschriebenen Regeln, die die Akteure genau kannten, die der Forscher jedoch erst rekonstruieren muss, wenn er politisches Handeln im Mittelalter verstehen will.
Nachdem inzwischen eine ganze Generation von Historikern den Mechanismus dieses Theatrum mundi, all die Rituale der Unterwerfung, Vergebung und Friedensstiftung, freigelegt hat, ist der Beispielgeber längst dazu übergegangen, das mühsam verstandene Regelwerk wieder auseinander zu nehmen. In dem 1999 veröffentlichten Aufsatz „Spielen die Dichter mit den Spielregeln der Gesellschaft?” werden Schlüsselszenen der mittelalterlichen Dichtung – Nibelungenlied, Iwein, Reineke Fuchs – als Karikaturen oder ironisierende Verfremdung von Umgangsformen gelesen, die gezielt ad absurdum geführt werden sollten.
Die mittelalterliche Geschichtsschreibung war immer die liebste Spielwiese der Althoff’schen Theorie. In den zahllosen, scheinbar willkürlich ausgewählten Anekdoten und Legenden, die die Chronisten in ihre Berichte einfließen ließen und hinter denen der wirkliche Lauf der Geschichte zum Leidwesen der modernen Historiker nicht selten unsichtbar wurde, finden sich unzählige Beispiele, die die öffentliche Inszenierung von Herrschaft sichtbar machen.
Umgekehrt hat Althoff seine Neugier immer wieder auf die pragmatischen Anlässe und wahren causae scribendi mittelalterlicher Historiographen gerichtet, die in den Werken selten ausdrücklich genannt werden. So erklärte er zum Beispiel die Entstehung der „Lebensbeschreibung der Königin Mathilde”, mit der die Forschung lange Zeit nichts anfangen konnte, aus der Sorge der Nonnen des 961 von Mathilde gestifteten Klosters Nordhausen, beim Herrschaftsantritt Ottos II. im Jahr 972 die Gunst des Königs zu verlieren. Und in einem Aufsatz über „Genealogische und andere Fiktionen” von 1988 zeigte er, dass die rätselhafte sächsische Adelssippe der Immedinger, die Adam von Bremen in seiner Chronik erwähnt und der hochrangige Personen des 10. und 11. Jahrhunderts angehört haben sollen, mit dem berühmten Geschlecht des Sachsenherzogs Widukind identisch war. Weil Adam in der Vita des ersten Bremer Bischofs Willehad gelesen hatte, dass dessen Gefährte, der Graf Emmigo, von Männern Widukinds ermordet worden war, ernannte er kurzer Hand den Märtyrer Emmigo – alias Immed – anstelle des Heiden Widukind zum Stammvater.
Diese und andere Aufsätze Gerd Althoffs, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, sind nun in einem Band vereinigt worden. In gebündelter Form leisten sie einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über Fakten und Fiktionen in der mittelalterlichen Historiographie.
CHRISTIAN JOSTMANN
GERD ALTHOFF. Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter. WBG, Darmstadt 2003. 306 Seiten, 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Christian Jostmann bescheinigt dem Autor, er habe neue Perspektiven auf weithin bekannte Texte des Frühmittelalters, da er mit "neuen Fragen" an die Texte herantrete. Denn Gerd Althoff habe mit seinen Untersuchungen der "symbolischen Kommunikation" in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft zeigen können, dass politisches Handeln durch das subtile "Spiel der Zeichen" zwischen den Akteuren bestimmt wurde, so Jostmann beeindruckt. Althoff verfechte allerdings nicht die Vorstellung, bei diesem "Spiel der Zeichen" habe es sich um ein starres Regelwerk gehandelt. Vielmehr nehme er diese Vorstellung anhand von literarischen Beispielen ironischer Distanzierung "auseinander". Der Rezensent würdigt die mitunter historiografischen Aufsätze als "Beitrag" zur aktuellen Forschungslage.

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