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Das Bild vom innerdeutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat in Europa und in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg grundlegende Veränderungen erfahren. Erstmals liegt jetzt ein Sammelband vor, in dem die Forschungsergebnisse zur Rezeption des deutschen Widerstands in mehr als 20 europäischen Staaten und den USA präsentiert werden. Mit Beiträgen von Domenico Bernabei, Carl Bethke, Alexander Boroznjak, Ruedi Brassel-Moser, Alain Colignon, Siegwald Ganglmair, Karlis Kangeris, Lothar Kettenacker, Erkki Kouri, Karl Christian Lammers, Dirk Levsen, Anna-Lena Lodenius, Hans-Christian Maner,…mehr

Produktbeschreibung
Das Bild vom innerdeutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat in Europa und in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg grundlegende Veränderungen erfahren. Erstmals liegt jetzt ein Sammelband vor, in dem die Forschungsergebnisse zur Rezeption des deutschen Widerstands in mehr als 20 europäischen Staaten und den USA präsentiert werden.
Mit Beiträgen von Domenico Bernabei, Carl Bethke, Alexander Boroznjak, Ruedi Brassel-Moser, Alain Colignon, Siegwald Ganglmair, Karlis Kangeris, Lothar Kettenacker, Erkki Kouri, Karl Christian Lammers, Dirk Levsen, Anna-Lena Lodenius, Hans-Christian Maner, Tore Pryser, Jens Petersen, Grigoris Psallidas, Ger van Roon, Krzysztof Ruchniewicz, Beate Ruhm von Oppen, Carlos Sanz Diaz, Paul Spang, Hanne Stinshoff, Joachim Tauber, Gerd R. Ueberschär, Edgar Wolfrum.
Autorenporträt
Gerd. R. Ueberschär, geboren 1943, war von 1976 - 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg und seit 1986 Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg. Seit 1996 als Historiker und Archivar am Militärarchiv Freiburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2002

Späte Anerkennung
Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus der Perspektive des Auslands

Gerd R. Ueberschär (Herausgeber): Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und den USA. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002. 301 Seiten, 49,90 Euro.

Als Repräsentanten des "anderen", "anständigen" und "besseren Deutschlands"wollten die deutschen Hitler-Gegner gelten - wenn schon nicht unter den eigenen Landsleuten, dann doch wenigstens im Ausland. Aber nach dem gescheiterten Attentat des Obersten Claus Graf Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944 blieb ihnen diese Anerkennung für lange Zeit versagt. Im Vaterland wurden sie von der nationalsozialistischen Propaganda als ganz "kleine Clique" von "heimtückischen" und "verräterischen" Offizieren diffamiert, die ihr Leben verwirkt hätten und daher mit dem Tod durch Erhängen - nicht einmal durch Erschießen - bestraft werden müßten. Und in Großbritannien machte Premierminister Winston Churchill am 2. August 1944 über den Aufstand die oft zitierte abfällige Bemerkung: "Die höchsten Repräsentanten Deutschlands bringen sich gegenseitig um oder versuchen das wenigstens."

Wie sind die Bemühungen der innerdeutschen Gegner des Nationalsozialismus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und in den Vereinigten Staaten beurteilt worden? Dieser Frage gehen dreiundzwanzig Länderstudien nach, verfaßt von internationalen Sachkennern. Im Großbritannien-Beitrag wird eine weitere Äußerung des 1945 abgewählten Churchill aus der Nachkriegszeit gegenüber einem deutschen Besucher wiedergegeben: "Ich habe den Eindruck, daß ich von meinen Mitarbeitern . . . über die Kraft der Opposition in Deutschland nicht unterrichtet worden bin. Sonst hätte ich anders gehandelt." Diesen Worten - so Autor Lothar Kettenacker - dürfe man allerdings keine allzu große Bedeutung beimessen, weil auch bei einem gelungenen Attentat einer neuen deutschen Regierung aus Hitler-Gegnern die bedingungslose Kapitulation nicht erspart geblieben wäre. Insgesamt sei das Bild vom deutschen Widerstand heutzutage sehr differenziert und nicht länger durch nationale Perspektiven verzerrt; die britischen Historiker hätten "nunmehr das relativ breite soziale Spektrum der Opposition und ihre hohe moralische Motivation voll internalisiert".

Die während des Zweiten Weltkriegs durch die nationalsozialistische Besatzungspolitik gequälten Länder tun sich ungleich schwerer als Großbritannien, den deutschen Widerstand fair zu bewerten. Eine Ausnahme ist Luxemburg. Hier waren wohl der Stadtkommandant Generalmajor Kurt Schmidt und der Leiter der "Passierscheinstelle V", Major Franz Freiherr von Hoiningen, für die Sicht der Nachwelt prägend. Hoiningens Hilfe für Flüchtlinge endete sogar mit der eigenen Verhaftung, mit Degradierung und Verurteilung zu Zwangsarbeit - aber er überlebte und starb 1973 im Alter von 86 Jahren. Paul Spang resümiert: "In Luxemburg ist der deutsche Widerstand gegen Hitler nahezu identisch mit der Opposition eines Teils der deutschen Wehrmacht geblieben, die in Luxemburg eine Militärverwaltung eingerichtet hatte. Diese Militärverwaltung hat keine allzu schlechte Erinnerung hinterlassen."

In Griechenland weigert man sich nach den Erkenntnissen von Grigoris Psallidas bis heute, den deutschen Widerstand überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, weil schon seine pure Existenz der nach wie vor verbreiteten These von der Kollektivschuld des deutschen Volkes an den nationalsozialistischen Verbrechen widerspreche. Dabei liefen Dutzende von Sozialdemokraten und Kommunisten aus deutschen Strafbataillonen zu den griechischen Partisanen über. Im Sommer 1944 entstand sogar das "Antifaschistische Komitee Deutscher Soldaten ,Freies Deutschland'" (AKDF) unter Führung von Falk Harnack. Das AKDF setzte sich - im Gegensatz zum "Nationalkomitee Freies Deutschland" in der Sowjetunion - nicht aus Kriegsgefangenen zusammen, sondern aus deutschen Regimegegnern, die aufgrund eigener, politisch begründeter Initiative fahnenflüchtig geworden waren. Das "Ignorieren des deutschen Widerstandes" hänge letztlich auch mit dem griechischen Bürgerkrieg zusammen, der bis 1949 andauerte: "In ihm unterlag die linke Gruppierung, die primär den griechischen Widerstand organisiert und die stärksten politischen und militärischen Formationen (EAM, ELAS) aufgestellt hatte."

Im ehemaligen Jugoslawien bildete sich der Mythos eines deutschen Ein-Mann-Widerstandes heraus: Gefreiter Josef Schulz aus Wuppertal soll sich als Angehöriger der 714. Infanteriedivision am 20. Juli 1941 in Smederevska Palanka geweigert haben, an einer Erschießung von 16 Partisanen durch eine Wehrmachtseinheit teilzunehmen; daraufhin sei er selbst hingerichtet worden. Schulz war jedoch bereits am Vortage bei einem Partisanenüberfall gefallen. Diese schlichte Tatsache wurde jedoch in der Folgezeit ignoriert, und 1977 wurde sogar ein Denkmal für den Gefreiten errichtet, an dem der bundesdeutsche Botschafter 1981 einen Kranz niedergelegt haben soll. Carl Bethke faßt seine Beobachtungen zusammen: "Der Fall Schulz belegt, wie sich eine Geschichte verselbständigt und als Legende verfestigt, obwohl sie mehrfach als unzutreffend dokumentiert wurde. Bislang ist in der historischen Forschung kein Fall bekannt, daß ein deutscher Soldat erschossen wurde, weil er sich weigerte, an solchen Erschießungen teilzunehmen."

Hochinteressante Beiträge bietet der von Gerd R. Ueberschär herausgegebene Sammelband - trotz unkorrekter Namensschreibweisen wie "Brunds" statt Georg Bruns (Beamter des Auswärtigen Amts) oder "Berggrau" statt Eivind Berggrav (bekannter norwegischer Bischof; im Personenregister ist nicht einmal der Vornamen ermittelt worden). Sachlich falsch ist dann die Bemerkung von Domenico Bernabei in dem Aufsatz über die Haltung des Vatikanstaats zur "deutschen Widerstandsgruppe um General Halder und Oberst Oster" im März 1940. Hier wird über Hitlers Generalstabschef eine alte Legende aufgewärmt. Halder hatte jedoch spätestens nach einem Wutausbruch Hitlers am 5. November 1939 gegen den defätistischen "Geist von Zossen", der den "Führer" vom Westfeldzug abhalten wolle, kalte Füße in den warmen Generalsstiefeln bekommen und sich aus der Staatsstreichplanung vollkommen zurückgezogen - was übrigens den Abwehr-Oberst und Widerstandskämpfer Hans Oster zu der Bemerkung veranlaßte: "Der Vorwurf der Feigheit hat die Mutigen wieder feige gemacht."

Daß eine historische Analyse von der Tagespolitik ein- und überholt werden kann, zeigt der Beitrag über Polen. Dort hat das Gut Kreisau - der ehemalige Anlaufpunkt von Hitler-Gegnern aus unterschiedlichen weltanschaulichen Lagern - als Gedenkstätte an Helmuth James Graf von Moltke und seinen Kreis sowie als internationale Jugendbegegnungsstätte zur "Popularisierung des Wissens über die deutsche Widerstandsbewegung" entscheidend beigetragen. Dennoch schlußfolgert Krzysztof Ruchniewicz, daß "das Wissen über dieses Thema noch längst nicht ausreichend" sei. Jedoch ist es bis zur politischen Spitze durchgedrungen: Bei der diesjährigen Vereidigung von 500 deutschen Rekruten im Bendlerblock am 58. Jahrestag des Attentats auf Hitler stellte der polnische Staatspräsident Kwasniewski in einer eindrucksvollen Rede fest, seine Anwesenheit in Berlin an diesem Tage sei "Ausdruck des Sieges der Werte, für die Stauffenberg und seine Kameraden ihr Leben gegeben haben".

RAINER BLASIUS

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Urteile, die das Ausland in der Nachkriegszeit deutsche Widerständler fällte, sind sehr unterschiedlich. Rezensent Rainer Blasius ist begeistert von den "hochinteressanten Beiträgen", die 23 fundierte Länderstudien zu dieser Thematik auswerten und nun in Form eines Sammelbands von Gerd R. Ueberschär herausgegeben wurden. Sowohl die Ablehnung, mit der sich der britische Premier Churchill 1945 über die "höchsten Repräsentanten Deutschlands" äußerte, die sich gegenseitig umzubringen suchten, bis hin zur nahezu wohlwollenden Haltung Luxemburgs, das sich sogar einen eigenen, gar nicht existenten Widerstandshelden schuf - zwischen diesen Extremen ist fast jede Meinung vertreten. Auch wenn der Kritiker in dem Kompendium einige kleine Schwächen ausmacht, wie Inkorrektheiten in der Schreibweise von Namen, scheinen diese dem Kritiker doch verzeihlich zu sein angesichts einer solch wertvollen und gut lesbaren Forschungslektüre.

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