Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 64,00 €
  • Gebundenes Buch

Die Studie untersucht bisher wenig beachtete Mobilisierungsformen und Bindekräfte der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft. Sie fasst das engmaschige Organisationsnetz ins Auge, das der Aktivierung von Frauen für Kriegsaufgaben diente, und entdeckt insbesondere den zivilen Luftschutz - von der Brandbekämpfung bis zum Dienst in Auffang- und Rettungsstellen zur Bewältigung von Folgen der Flächenbombardements - als weiblich dominiertes Handlungsfeld. Wie die Einbindung von Frauen in die 'kämpfende Volksgemeinschaft' wird auch das Spektrum der Hilfs- und Versorgungsleistungen analysiert, auf…mehr

Produktbeschreibung
Die Studie untersucht bisher wenig beachtete Mobilisierungsformen und Bindekräfte der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft. Sie fasst das engmaschige Organisationsnetz ins Auge, das der Aktivierung von Frauen für Kriegsaufgaben diente, und entdeckt insbesondere den zivilen Luftschutz - von der Brandbekämpfung bis zum Dienst in Auffang- und Rettungsstellen zur Bewältigung von Folgen der Flächenbombardements - als weiblich dominiertes Handlungsfeld. Wie die Einbindung von Frauen in die 'kämpfende Volksgemeinschaft' wird auch das Spektrum der Hilfs- und Versorgungsleistungen analysiert, auf die weibliche Kriegshinterbliebene, Ausgebombte und Evakuierte Anspruch hatten. Damit leistet Nicole Kramer zugleich einen markanten Beitrag zur Erforschung der NS-Sozialpolitik.
Autorenporträt
Dr. Nicole Kramer ist Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Frankfurt a.M.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2012

Mobilisierte Kameradinnen
Millionen Frauen waren in das "Dritte Reich" verstrickt - was nach 1945 wenig Beachtung fand

Lange schwankte die zeitgeschichtliche Forschung hinsichtlich der Rolle von Frauen im Nationalsozialismus zwischen Extremen. Während sie zunächst ignoriert wurden, entwarf die feministische Forschung in den siebziger Jahren das Szenario einer Frauenhölle. Erst allmählich wurde die ambivalente gesellschaftliche Realität fokussiert. Frauen rückten nun auch als Einzeltäter oder Tätergruppen in das Blickfeld. Nicole Kramer betritt mit ihrer Arbeit Neuland, indem sie erstmals versucht, die massenhafte Mobilisierung deutscher Frauen während des Zweiten Weltkriegs zu analysieren. Die Ergebnisse dieser sehr gut lesbaren Studie, die auf einer breiten Quellenbasis beruhen, sind beachtlich und weiterführend.

Die Frauen waren während des Krieges Teil der "kämpfenden Volksgemeinschaft", wobei sie sich als Mütter, Kämpferinnen und Kameradinnen gemäß des idealtypischen Frauenbilds des Nationalsozialismus engagieren sollten. Erklärtes Ziel war es, Millionen von Frauen in Organisationen zu mobilisieren. Die unter der Leitung der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink stehende "Nationalsozialistische Frauenschaft" und das "Deutsche Frauenwerk" zählten vier Millionen Mitglieder sowie weitere vier Millionen inkorporierte Mitglieder, nach 1939 stieg ihre Zahl noch um zwei Millionen an. Hinzu kam der bisher wenig beachtete "Reichsluftschutzbund" mit 12 Millionen Mitgliedern, die wiederum zu 70 Prozent weiblich waren.

Natürlich gab es personelle Überschneidungen zwischen den Organisationen, dennoch bleiben die Zahlen beachtlich. Aufgrund ihres millionenfachen Engagements als ideologisch und praktisch geschulte Luftschutzwartinnen, Melderinnen und Nachbarschaftshelferinnen trugen sie dazu bei, den nationalsozialistischen Staat und die Gesellschaft miteinander zu verschränken. Auch die erwachsenen Frauen verbrachten weit mehr Zeit in nationalsozialistischer Schulung, als bislang bekannt war, und es handelte sich nicht nur um die bekannten Mütterkurse des Frauenwerks. Natürlich blieb das Ausmaß der ideologischen Überzeugung oder der inneren Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus seitens der "Volksgenossinnen" individuell unterschiedlich. Gegen Ende des Krieges sehnten sich jedoch alle Frauen mehr oder weniger apathisch nach Frieden. Hitler war kein Gegenstand der Bewunderung mehr.

Aufgrund des Organisationsnetzes und der zahlreichen Hilfsangebote für Kriegsflüchtlinge und Ausgebombte drangen die Helferinnen bis in die Haushalte vor und trugen so zum einen dazu bei, Unmut zu kanalisieren oder abzumildern; zum anderen konnte die Gesellschaft dadurch engmaschiger kontrolliert werden. Die These von der hohen Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung wird durch Frau Kramer somit revidiert; diese rührte eher von der großen Mitgliederzahl der Organisationen und den Kommunikationsstrukturen her. Die zahlreichen Hilfsangebote für die durch den Bombenkrieg in Not Geratenen erzeugten zudem keineswegs automatisch politische Loyalität, womit abermals Götz Alys These von der "Gefälligkeitsdiktatur" widerlegt wäre.

Auch das Verhältnis der Kirchen zum Regime lässt sich nicht auf Konflikte und Konkurrenz reduzieren. Im Bereich der Hilfsmaßnahmen bestanden zahlreiche Formen der Koexistenz. Bei der Trauerarbeit um die Gefallenen waren die Kirchen mit ihren traditionellen Riten den vom Regime inszenierten Gedenkfeiern für die verstorbenen Helden haushoch überlegen. Die weibliche Überlebensarbeit an der "Heimatfront" kann nicht länger zur Privatangelegenheit stilisiert werden. Selbsthilfe, zahlreiche Angebote der NS-Organisationen und das kirchliche Engagement überlagerten sich vielfach. Millionen Frauen ließen sich vom Regime mobilisieren. In der westdeutschen Erinnerungskultur fand dieser Teil der "kämpfenden Volksgemeinschaft" wenig Beachtung. Sie konzentrierte sich auf die friedfertigen "Trümmerfrauen", die Verstrickungen in das Regime blieben ausgeblendet.

GABRIELE B. CLEMENS

Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 392 S., 54,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr beachtlich und sehr interessant findet Rezensentin Gabriele B. Clemens diese Studie der Potsdamer Historikerin Nicole Kramer über die Mobilisierung von Frauen für den Nationalsozialismus. Nicht nur Frauenschaft und Frauenwerk zählten Millionen Mitglieder, auch die 12 Millionen Mitglieder im Reichsluftschutzbund waren zu 70 Prozent Frauen, berichtet Clemens. Und dass es in diesen Organisationen nicht zuging wie im Müttergenesungswerk, sondern ideologische und praktische Schulung einherging, mache Autorin Kramer mehr als deutlich. Interessant findet die Rezensentin auch, dass über dieses System die Bespitzelung der Haushalte bestens funktionierte und dass sich sogar Selbsthilfe, Mobilisierung und auch kirchliches Engagement oft überlagerten. Für Rezensentin Clemens hat sich das Bild der "friedfertigen Trümmerfrauen" vor diesem Hintergrund etwas gewandelt.

© Perlentaucher Medien GmbH