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Sascha Seiler untersucht die Rezeption populärer Kultur in der deutschen Literatur seit den 60er Jahren. Mit der verstärkten Wahrnehmung von Popmusik, Film oder Comics als Bestandteil des Alltags und der kulturellen Artikulation entwickelte sich damals auch eine literarische Bewegung, die allgemein als "Pop-Literatur" bezeichnet wurde, und in der populäre Kunstformen rezipiert, dargestellt und auch umgedeutet wurden. Die vor allem mediale Wiedergeburt der Pop-Literatur in den 90er Jahren ist allerdings, das soll diese Studie belegen, kein punktuelles kulturhistorisches Phänomen, sondern das…mehr

Produktbeschreibung
Sascha Seiler untersucht die Rezeption populärer Kultur in der deutschen Literatur seit den 60er Jahren. Mit der verstärkten Wahrnehmung von Popmusik, Film oder Comics als Bestandteil des Alltags und der kulturellen Artikulation entwickelte sich damals auch eine literarische Bewegung, die allgemein als "Pop-Literatur" bezeichnet wurde, und in der populäre Kunstformen rezipiert, dargestellt und auch umgedeutet wurden. Die vor allem mediale Wiedergeburt der Pop-Literatur in den 90er Jahren ist allerdings, das soll diese Studie belegen, kein punktuelles kulturhistorisches Phänomen, sondern das Ende einer Entwicklung, die in den 60er Jahren bei Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann ihren Anfang nahm.
Autorenporträt
Sascha Seiler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2007

Der Muff von vierzig Jahren
Tote Pose: Sascha Seiler erzählt die Popliteratur nach

Gut gesammelt, aber akademisch "hirnvernagelt" fand Rolf Dieter Brinkmann 1971, was ein Germanist gerade über ihn und seinesgleichen unter dem Titel "Pop International" geschrieben hatte - gleichwohl empfahl er das Buch von Jost Hermand einem Freund, der ebenfalls über Popliteratur zu arbeiten gedachte. Selten war die Wechselwirkung zwischen Schriftstellern und Neuphilologen so eng und schnell wie in der Generation der damals um die Dreißigjährigen. Man traf sich in zahlreichen Debatten, die wahlweise zu Stahlbädern der Ideologiekritik oder zu Planschbecken avantgardistischer Provokationsspiele gerieten. Brinkmann war der Repräsentant einer neuen Strömung, die sich von amerikanischer Lyrik inspirieren ließ, in der es um die Mythen des Alltags und die Oberflächen der Warenwelt ging.

Bis heute ist nicht so recht entschieden, ob damit die Ästhetik des Kapitalismus affirmiert oder subversiv unterminiert wurde - mit Adorno wurde seinerzeit im Sinne der ersten These argumentiert, mit Walter Benjamin zugunsten der zweiten. Über Brinkmann, der heute im besten Rentenalter wäre, aber 1975 in London tödlich verunglückte, ist seither noch viel geschrieben worden, zumal die Popkultur auch zur Jahrtausendwende noch als attraktives Paradigma mehr oder weniger junger Literatur galt, diesmal vertreten durch Namen wie Rainald Goetz, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht.

Auch wenn Peter Chotjewitz das "Modewort Pop" schon 1968 nicht mehr hören konnte - insbesondere die Germanistik hat es in den vergangenen Jahren mit großer Lust wieder entdeckt und Arbeiten zum Motiv der absoluten Gegenwärtigkeit oder zur Popliteratur als "Archiv" vorgelegt. Eine weitere Qualifikationsschrift kommt nun aus der Mainzer Komparatistik: In seiner Dissertation verfolgt Sascha Seiler den deutschen Pop als Diskursgeflecht seit 1960 und fragt danach, wie die westlichen Trivialkulturen des Films, der Musik und des Comics Einzug erhielten in die Literatur der Bundesrepublik. Was er dabei entfaltet, ist eine ausführliche Nacherzählung der bekanntesten Texte, sortiert nach Jahrzehnten und eingebettet in ihre internationalen Rezeptionszusammenhänge. Bei der Gelegenheit fällt noch einmal der Blick auf jene wundersame Begegnung der Studentenbewegung mit der Postmoderne, als Leslie Fiedler aus Buffalo in Freiburg verkündete, die elitäre Moderne habe ausgedient und müsse einer neuen Ära im Zeichen des Populären Platz machen: statt Thomas Mann lieber Western, Sciencefiction und Pornographie.

Walser und Enzensberger betrachteten das als Vorboten eines neuen Faschismus. Seiler hingegen subsumiert diesen gerade für Brinkmann, aber auch für Handke aufschlussreichen Ansatz mit gutem Recht unter dem Stichwort der Demokratisierung, da schließlich die autoritären Grenzen zwischen Hochkultur und Unterhaltung fallen und jeden zum Künstler befähigen sollten. Doch die Romantik der poetischen Volksnähe war selbst für ihre Adepten nicht lange auszuhalten, wie ebenfalls durch Seilers Zusammenstellung deutlich wird: Mit einer klassischen Italien-Reise verschaffte sich Brinkmann bald Erholung von "Pop-Hokuspokus" und "Pop-Muff", um mit Inbrunst zu Wieland und Herder zurückzufinden und gegen die Masse vom Leder zu ziehen.

Demokratische Kunst ist nichts für schwache Nerven. Die Popliteratur der nachfolgenden Generation bevorzugte denn auch die Pose des Salondandys gegenüber dem Stadtindianer, den eigenen Plattenteller gegenüber der Jukebox, die Playmobilsammlung aus Kindheitstagen gegenüber der Strumpfhosenwerbung aus der Illustrierten. Aus der pubertären Jugendkultur war Nostalgiepflege von Frühgealterten geworden. Innovationsanspruch und Erkenntnisinteresse der Arbeit bleiben indes auch nach dreihundert Seiten im Dunkeln. Deutungen unternimmt Seiler nur als Andeutungen, wenn er beispielsweise den Authentizitätsanspruch der Popliteraten oder etwa die Faszination des "Outlawmythos" thematisiert. Dass die Schlagworte Dekonstruktion, Simulation und Differenz für die achtziger Jahre irgendeine Relevanz besitzen, mag zutreffen; aber was das dann mit dem Konzept des Absoluten bei Rainald Goetz zu tun hat, weiß vielleicht der Teufel, der Leser aber nicht.

Stattdessen darf dieser sich über das Verhältnis von Bild und Aussage bei John Ford aus Erklärungen folgender Machart informieren: "Indem die Erzeugnisse populärer Kultur durch Repetition zu einem Klischee geworden sind, können sie auf einer zweiten Ebene vom Künstler selbst unterminiert werden, um den Zuschauer über die Assoziation zur Reflexion zu bewegen und seinen Erwartungshorizont zu erweitern." Gemessen an solch verhinderter Luzidität, fällt Seilers Vermutung, die meisten Vertreter der jüngsten Pop-Bewegung seien wohl nicht in der Lage, "über ihr Vorgehen theoretisch zu reflektieren", eher überheblich aus. Auch die Eingangsthese, wonach es sich bei der Rezeption populärer Kultur in der deutschen Literaturgeschichte um ein oft übersehenes Phänomen handle, fällt auf den Autor zurück, der einiges an Forschung ausblendet. Sein Verdienst liegt in der Einschätzung, die Popliteratur habe als Erfolgsgattung ihren Zenit längst überschritten und werde bereits - wie etwa in Krachts Roman "1979" - zum Gegenstand der Historisierung. In gelegentlichen Fußnoten blitzt auf, was für die Literaturwissenschaft jetzt noch systematisch auszuwerten wäre: von Brinkmanns phantasierten Maschinengewehrsalven aufs Publikum zu Goetz' Mythisierung des RAF-Personals - dazu gehört auch eine intellektuelle Gewaltbereitschaft zum Pop. Da wird auf einmal klar: So langweilig ist das Thema eigentlich gar nicht.

ROMAN LUCKSCHEITER

Sascha Seiler: "Das einfache wahre Abschreiben der Welt". Pop-Diskurse in der deutschen Literatur nach 1960. Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Göttingen 2006. 344 S., geb., 49,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Roman Luckscheiter kann dieser Dissertation über die deutsche Pop-Literatur und ihre Rezeption seit 1960 nicht viel abgewinnen und er fragt sich, was der Autor Sascha Seiler eigentlich damit herausarbeiten wollte. Vorgelegt hat er eine ausführliche, chronologisch geordnete Vorstellung der einschlägigen Texte des Pop, und er versucht dabei zu ergründen, in wie weit populäre Kultur wie Musik, Filme oder Warenwelt darin Einzug gehalten haben, erklärt der Rezensent. Was ihm fehlt sind dezidierte Interpretationen, die über bloße "Andeutungen" hinausgehen. Die Äußerung, dass die Vertreter der jüngsten Pop-Literatur unfähig seien, ihre Kunst "theoretisch zu reflektieren", maßregelt Luckscheiter als Überheblichkeit, und er weist zudem etwas boshaft darauf hin, dass Seiler, der behauptet, die Pop-Kultur sei in der Literaturwissenschaft ein häufig "übersehenes Phänomen", einschlägige Literatur zum Thema schlicht nicht zur Kenntnis genommen hat.

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