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Arno Schmidt bemerkte einmal, er sei ein "fauler" Briefschreiber: "meine näheren Bekannten - denn ich habe deren tatsächlich - wissen das, & harren in Geduld. (Und der schönste 'Brief', den ein Autor versenden kann, ist & bleibt ja doch wohl das 'Neue Buch'. -)" Diese Selbsteinschätzung paßt zwar zu dem öffentlichen Vorurteil über den "Solipsist in der Heide", ist aber nur die halbe Wahrheit, wie der vierte Band der Arno-Schmidt-Briefausgabe beweist. Die komplett dargebotenen Korrespondenzen Schmidts mit Böll, Deschner, Döblin, Edschmid, Hesse, Jahnn, Kreuder, Rühmkorf, Stefl, Steinberg und…mehr

Produktbeschreibung
Arno Schmidt bemerkte einmal, er sei ein "fauler" Briefschreiber: "meine näheren Bekannten - denn ich habe deren tatsächlich - wissen das, & harren in Geduld. (Und der schönste 'Brief', den ein Autor versenden kann, ist & bleibt ja doch wohl das 'Neue Buch'. -)" Diese Selbsteinschätzung paßt zwar zu dem öffentlichen Vorurteil über den "Solipsist in der Heide", ist aber nur die halbe Wahrheit, wie der vierte Band der Arno-Schmidt-Briefausgabe beweist. Die komplett dargebotenen Korrespondenzen Schmidts mit Böll, Deschner, Döblin, Edschmid, Hesse, Jahnn, Kreuder, Rühmkorf, Stefl, Steinberg und Martin Walser (nebst einer Fülle von Einzelbriefen) zeigen Schmidt als einen Autor, der aus einer selbstgewählten Randposition sehr wohl die Mechanismen des Literaturbetriebs auf seine Weise zu bedienen wußte. Der ausführliche Kommentar des Kölner Literaturwissenschaftlers Gregor Strick macht den Band zu einem Kompendium bundesrepublikanischer Literaturgeschichte, das weit über den Kreis der Schmidt-Leser hinaus Beachtung finden wird.
Autorenporträt
Arno Schmidt wurde am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren. Nachdem er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, arbeitete er zunächst als Dolmetscher, von 1947 an als freier Schriftsteller. Nach Stationen in Cordingen, Kastel an der Saar und Darmstadt zog er 1958 mit seiner Frau Alice nach Bargfeld (Kreis Celle), wo er bis zu seinem Tod zurückgezogen lebte. Von 1949 an, als seine Erzählung Leviathan in Buchform erschien, entstanden Romane, Dialoge zur Literatur für den Rundfunk, Essays und biographische Arbeiten, darunter sein Hauptwerk Zettel's Traum, 1334 DIN-A3-Seiten stark und über zehn Kilo schwer. Aufgrund des komplexen Layouts konnte es 1970 nur als Faksimile des Typoskripts erscheinen; erst seit 2010 liegt es in gesetzter Form vor. Arno Schmidt starb am 3. Juni 1979 in Celle. Zwei Jahre nach seinem Tod gründeten seine Frau Alice und Jan Philipp Reemtsma die Arno Schmidt Stiftung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2007

Die fatalste Art, Zuneigung an den Tag zu legen
Grimassen der Genialität: Arno Schmidt, der kein einfacher Zeitgenosse war, im Briefwechsel mit seinen Kollegen
Vielleicht wäre es einem verstorbenen Autor, zumal einem großen, zu wünschen, dass recht schnell in Vergessenheit geriete, was er seinen Mitmenschen sein konnte. Aber wenn sich Instanzen der Nachwelt um den Fortbestand seiner Schriften kümmern, geraten unweigerlich auch diejenigen Texte in die Maschinerie der erhaltenden Fürsorge, die den Verkehr des Genies mit seinen Zeitgenossen dokumentieren. Und schon sitzt dem Werk ein fragwürdiges Stiefbrüderchen auf dem Schoß.
Dank der Arbeit der Arno-Schmidt-Stiftung wird alles, was Arno Schmidt, der nachhaltigste Prosa-Autor der alten Bundesrepublik, geschrieben hat, in der Bargfelder Ausgabe zugänglich gemacht. Jetzt liegt ein weiterer Band vor: Schmidts Korrespondenz mit insgesamt vierzig Kollegen, dreiunddreißig Männern und sieben Frauen. Der Herausgeber Gregor Strick hat 354 Briefe ausführlich kommentiert und um aufschlussreiche Dokumente ergänzt. Neben weiterhin vielgenannten Namen wie Böll oder Kempowski, Rühmkorf oder Walser, neben kanonisierten und dennoch halbvergessenen Autoren wie Döblin und Jahnn, finden sich auch eine ganze Reihe von Schriftstellern, die, zu Recht oder zu Unrecht, nur noch literaturgeschichtlich Beschlagenen ein Begriff sind.
Der älteste Brief, ein isolierter Vorläufer aus dem Jahre 1935, bietet wenige Sätze des 20-jährigen Schmidt an den damals von ihm verehrten Hermann Hesse. Im jüngsten Schreiben dankt Alice Schmidt 1979 Heinrich Böll für dessen Zeilen zum Tode ihres Mannes. Aber diese große Spanne trügt. Die meisten der Briefe und auch die interessantesten stammen aus den fünfziger Jahren. In diesem Zeitraum schafft Arno Schmidt in einem energetischen Furor einen ersten Werkblock, dessen Reichtum und Intensität bis heute bestürzen; parallel dazu verfestigt sich der eigentümliche literarische Betrieb der Bundesrepublik, das soziale Geflecht, auf das Schmidt als Autor ökonomisch angewiesen ist.
Ende Juni 1955 sind es exakt 120 Mark, die Werk und Betrieb in einem erhellenden Blitz kurzschließen. Die Schriftsteller Ernst Kreuder, Alfred Andersch, Hans Werner Richter, Eugen Kogon, Guntram Prüfer und Günther Weisenborn, sowie der Regisseur Erwin Piscator haben „an einem gutbezahlten Fernsehkurs des NWDR” (Kreuder) teilgenommen und ein geselliges Beisammensein dazu genutzt, für den bekanntermaßen armen Kollegen zu sammeln. Eingeschlagen in eine von allen Spendern signierte Serviette legt Kreuder die Geldscheine einem Brief an Schmidt bei. „Gewiß, Sie hätten noch schlimmeres tun können” murrt Arno Schmidt laut dem Tagebuch seiner Frau, und bedankt sich bei Kreuder mit einem lakonisch knappen „Vielen Dank für Brief und Geld”. Alice Schmidt notiert hingegen, es sei doch „recht nett, wenn Kollegen f. einen anderen, dem’s schlecht geht, sammeln.” Und sie vermerkt dazu, dass mit den 120 Mark ein ganzer Monat der gemeinsamen Existenz gesichert seien.
Neun Jahre darauf lädt Ingeborg Bachmann das Ehepaar brieflich zu einem Sekt-Frühstück in ihre Wohnung nach Berlin-Grunewald ein. Sie tut dies auch im Namen von Alfred Andersch, Günter Grass, Uwe Johnson, Hans Werner Richter, Klaus Roehler und Peter Rühmkorf. Anlass ist die Verleihung des Fontane-Preises, einer der wenigen Auszeichnungen, die Arno Schmidt zuteil werden. Als Rühmkorf, weitere zwölf Jahre später, den Arno-Schmidt-Preis entgegennimmt, versucht er in seiner Dankrede das in der Bachmannschen Wohnung Geschehene, das schroffe, jeden Smalltalk blockierende Verhalten Schmidts, „rückblickend, von einer humoristischen Seite” zu nehmen. Es gelingt ihm mehr schlecht als recht, denn auch nach über einem Jahrzehnt scheint ihn auf signifikante Weise zu schmerzen, wie Schmidts Verhalten den „guten Geselligkeitsgeist” im Handumdrehen in „allgemeine Beklemmung” verwandelte.
Was ergibt hier zweimal, und nicht nur diese beiden Male, einen unguten Missklang? Was führt dazu, dass die Korrespondenz mit Kollegen in mehr als einem Fall abrupt abreißt? Uwe Johnson, selbst ein nicht in jeder Hinsicht umgänglicher Charakter, urteilt kurz nach dem Berliner Zusammentreffen, Schmidt sei „unfähig zu kollegialem Verhalten, unfähig zur Verständigung, wahrscheinlich krank”. Hans Werner Richter, der Gründer und Organisator der Gruppe 47 stellt rückblickend fest, „daß er wirklich nicht zu uns gehörte.”
Sind die Briefe, die Schmidt mit Kollegen wechselte, also Dokumente einer zwar unüberbrückbaren, aber leicht erklärlichen Kluft? Steht ein extrem exzentrischer, vielleicht sogar pathologisch zwanghafter Einzelgänger einem sozialen Netz aus Kunstschaffenden gegenüber, die bei allem Individualismus durchaus in der Lage waren, gemeinsame Interessen zu erkennen und kontinuierlich zu kooperieren. Ist es also Schmidts Unkollegialität, seiner sozialen Inkompetenz geschuldet, dass er nicht eingebunden werden kann und bei der Verteilung der durch den Literaturbetrieb erschlossenen Ressourcen relativ wenig Geld, Aufmerksamkeit und Anerkennung abbekommt?
Man könnte es bei diesem Befund belassen, wenn da nicht Schmidts Werk und dessen Lektüre durch die zeitgenössischen Schriftsteller wären. Fast alle seiner Briefpartner geraten in eine eigentümliche Befangenheit, sobald sie dem, der doch bloß ihr „Kollege” ist, die Wertschätzung seiner Arbeit ausdrücken wollen. Etwas leichter haben es die deutlich älteren Autoren, denn sie können der Schockwirkung der Schmidtschen Texte das beschönigende Mäntelchen des Zukünftigen umhängen: „Sie haben noch viel vor sich und besitzen die schriftstellerischen Mittel in besonderer Weise” meint 1952 Alfred Döblin etwas onkelhaft. Und auch 1953 nach der Lektüre des Meisterwerks „Seelandschaft mit Pocahontas” sieht er Schmidt noch immer generös „auf dem richtigen Wege”. Döblin spürt wohl das unheimlich Singuläre der Schmidtschen Texte, die damit verbundene Bedrohung jedoch wird ins Futur und damit auf jüngere, erst noch kommende Kollegen verschoben: „. . .man wird sich über Sie ärgern, nämlich andere, die es nicht so können wie Sie.”
„Sie sind die Sensation”
Die Altersgenossen Schmidts hatten aber damals bereits hinreichend Gelegenheit, die eigene Produktion mit dieser Prosa zu vergleichen. „Er bleibt für mich, was er vom LEVIATHAN an, war: der größte Poet unter meinen Altersgenossen” wird Böll 1974 in seinem Beileidsschreiben an Alice Schmidt formulieren. In den elf Briefen, die er in den fünfziger Jahren an den Kollegen Schmidt richtet, ist er höflich, sachlich und sehr hilfsbereit. Die angeblich früh vorhandene superlativische Hochschätzung klingt jedoch nirgends an. Auch Bölls Besprechung von „Das steinerne Herz” ist zwar lobend, zugleich aber auf eine betuliche Weise nivellierend.
Ganz anders die Jüngeren: „Sie sind die Sensation, die Mischung aus Wucht und Feinstziselierung auf die ich seit Jahren warte” schreibt 1956 der 26-jährige Peter Rühmkorf, damals Redakteur des Hamburger Studentenkuriers. „Sie haben das gewohnte und ver-wohnte ,Kulturbewußtsein‘ zersägt” meint 1952 der ebenso junge Martin Walser. „Lieber Arno Schmidt: mein Gott sind Sie ein Meister!” So enthusiastisch ungebremst fällt 1964 Friederike Mayröckers erstes Anschreiben ins Haus.
Welchen Abkühlungen die Begeisterung im weiteren ausgesetzt war, zeigt am deutlichsten der Briefwechsel mit Walser. Gregor Strick dokumentiert und kommentiert 37 Briefe vom März 1952 bis zum Januar 1955. Martin Walser ist in dieser Zeit beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart beschäftigt und wird neben Alfred Andersch zum wichtigsten Betriebspatron des 13 Jahre älteren Schmidt. Er sorgt dafür, dass Schmidt-Texte gesendet werden und Rundfunkhonorare die chronisch knappe Haushaltskasse der Schmidts aufbessern. Aber Walsers Bedeutung beschränkt sich nicht auf diese finanzielle Patronage. Für Martin Walsers Rundfunkessay „Arno Schmidt’s Sprache” bedankt sich der Portraitierte mit: „Eine Quelle in der Wüste! – Wir sprechen noch mündlich darüber!” Fast klingt es schon wie eine Drohung. Wer die folgenden Briefe liest, muss dann auch miterleben, wie eine Schriftstellerfreundschaft nicht zustande kommt.
Schuld ist zweifellos Schmidt. Aber das Feld, auf dem er den entscheidenden Fehler macht, wird von seinem jungen Förderer und Kollegen Walser mitbereitet. Schmidts Prosawerke liegen damals wie titanisch behauene Felsbrocken im literarischen Gelände. Was tun, wenn man selber schreibt und die eigenen Texte offensichtlich keinen vergleichbaren Schatten werfen? Man schickt dem Titanen, den man hinter den ungeheueren Texten vermutet, dennoch die eigenen Kunststücklein zu! Viele Kollegen tun just dies schon mit dem ersten Brief, und bei den jüngeren ist es oft genug sogar das erste Buch, das sie an den bewunderten älteren Schriftsteller senden. „. . .so ziemlich die fatalste Art, Zuneigung an den Tag zu legen” nennt Schmidt dieses Verhalten in einem Brief an Alfred Andersch sarkastisch.
Der Kastrat
Auch der herausragend kluge und unüberlesbar sensible junge Walser kann nicht anders. Ende 1955 erreicht die Schmidts der erste Erzählband von Walser. Der lässt seine Widmung mit einem Schmidt-Zitat anheben: „Natürlich ist die Poesie, wie jede große schöne, von der entsprechenden Zahl Verschnittener umgeben.” Kann sich ein junger Autor vor dem verehrten Kollegen, seinem Sultan der Poesie, flacher auf den Bauch werfen als dadurch, dass er sich selbst zum Kastraten erklärt?
Schmidt jedoch bedenkt nicht, ob diese rhetorische Selbstentmannung eventuell eine Bitte um Schonung darstellen könnte. Und genauso wenig fasst er ins Auge, was es für einen jungen Kollegen bedeuten könnte, vom Throne anerkannter Genialität herab gerichtet zu werden. Neun Ausrufezeichen verunzieren sein knappes, zorniges Urteil über das Suhrkamp-Bändchen. Dazwischen keine Spur von Gnade. Schmidt lässt es über Walsers schmalbrüstigem Erstling blitzen und donnern wie ein heidnischer Göttervater. Walser antwortet sofort, dankt Schmidt für dessen „segensreiche Formulierungen” und gibt ihm scheinbar demütig „in allem recht”: „Ich weiß weniger denn je, bin unsicher und oft ratlos, mir ,Angst zu machen‘ ist nicht schwer und Ihnen schon vor Ihrem Brief längst durch Ihr bloßes Dasein gelungen (von Ihren Büchern ganz zu schweigen).”
Es bleibt der letzte Brief. Und wer das Werk beider Autoren schätzt, ahnt, wen er deswegen mehr bedauern muss. Der noch junge Walser kam kurz und brutal unter die Räder, aber bald hat er sich schreibend wieder aufgerappelt. Der alternde Schmidt jedoch blieb mit der steilen Einzigartigkeit seines Werks weiterhin allein. Von dessen Größe hätte er, der extrem Kurzsichtige, einen Augenblick lang absehen müssen, als ihn Walser, sein „bester Leser”, um eine Geste des Geltenlassens anging. Dem „Untier”, wie Schmidt sich in einem frühen Brief an Walser nennt, gelang diese simple menschliche Übung jedoch erneut nicht. Dreieinhalb Jahre zuvor hatte er an den werdenden Kollegen Walser geschrieben: „Sie sind der Erste (Einzige), der überhaupt erkannt und durch Beispiele bewiesen hat, was und wieviel ich vermag!” Nicht nur das abschließende Ausrufezeichen ist jener Verblendung geschuldet, in der ein Großer in schrecklicher Kurzsichtigkeit sein glühbirnenhelles Ich mit dem verwechselt, was am Nachthimmel seiner Genialität erstrahlt.GEORG KLEIN
ARNO SCHMIDT: Briefwechsel mit Kollegen. Herausgegeben von Gregor Strick. Arno Schmidt Stiftung, Bargfeld 2007. 468 Seiten, 44,80 Euro.
Sieht er nicht aus wie ein Mann, der vernichten kann? Der Schriftsteller Arno Schmidt Foto: Interpress
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007

Grüße an den Großmeister
Die Faust im Walde: Arno Schmidts Briefwechsel mit Kollegen / Von Tilman Spreckelsen

Heinrich Böll sollte ihm eine Wohnung in Irland besorgen, Walter Kempowski bat ihn, mehr zu schreiben, der Rowohlt-Verleger winkte mit einem Scheck: Arno Schmidts Briefwechsel mit Autoren erzählt die tollsten Sachen.

Sirenenklänge waren es, die der junge Martin Walser 1953 an den noch nicht gar so alten Arno Schmidt aussandte: Ob der verehrte Kollege nicht doch einmal die Tagung der Gruppe 47 besuchen wolle? "Es sind ein paar Menschen da, mit denen man nicht ohne Gewinn spricht", schreibt Walser, "ich denke da vor allem an Heinrich Böll und Ilse Aichinger, auch an Dürrenmatt." Schmidt möge doch bitte kommen, auch damit die "47er" einmal "eine Faust unter sich spüren". Kurz: "Wenn Sie lesen würden, hätte die ganze Veranstaltung mehr Sinn."

Als Schmidt ablehnte, wie er zuvor schon Alfred Anderschs Anfrage in derselben Sache abgelehnt hatte, schaltete sich als Dritter sein damaliger Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt ein und winkte dem klammen Autor förmlich mit einem Scheck: "Vertraulich gesprochen - ich habe so etwas läuten hören, als wollte man Ihnen in diesem Jahr den Gruppenpreis erteilen. Wir haben uns übrigens an diesem Preis beteiligt zusammen mit dem Südwestdeutschen Rundfunk. Da wären, falls nicht zwei Preise verliehen werden - also DM 2.000 - - zu erwarten."

Schmidt blieb aber bei seiner Ablehnung. Er eigne sich "nicht als Mannequin", schrieb er Ledig-Rowohlt zurück. "PS: Muss man bei der Gruppe 47 auch singen, oder braucht man nur nackt vorzulesen?"

Den "Briefwechsel mit Kollegen" umfasst der jüngst erschienene Band der verdienstvollen Werkausgabe, die von der Arno Schmidt Stiftung sukzessive seit zwanzig Jahren in exquisiter Gestaltung erstellt wird. Mittlerweile sind die literarischen Texte, die feuilletonistischen Brotarbeiten, die Fragmente aus dem Nachlass und selbst die wenigen Interviews und Lesungen im Druck beziehungsweise auf CD-Rom oder auf DVD erhältlich. Die Literaturwissenschaft, die sich einst gar nicht genug mit Schmidt beschäftigen konnte, scheint seiner hingegen etwas müde geworden zu sein; der ehrwürdige "Bargfelder Bote", der all die Jahre Schmidts Kosmos getreulich ausgemessen hat, ist mittlerweile bei der dreihundertsten Ausgabe angelangt - große Überraschungen, so scheint es, sind heute, knapp dreißig Jahre nach dem Tod des Autors, aus dieser Richtung nicht mehr zu erwarten.

Dass dieser Band nun doch Erstaunliches in sich birgt, ist auch nicht unbedingt Schmidts eigenen Briefen geschuldet. Denn deren Tonfall in all seinen Modulationen - von freundlich bis schroff, von werbend bis kurz vorm Verstummen - kennt man aus den bisherigen Veröffentlichungen, auch wenn sich das Spektrum der Ausflüchte, um eine persönliche Begegnung mit den Briefpartnern zu vermeiden, hier noch erweitert. Einmal trifft es Martin Walser, dem Schmidt eine faustdicke Lüge auftischt, warum er zum verabredeten Treffen nun doch nicht erschienen ist (seine Frau, schreibt er, sei ins Krankenhaus eingeliefert worden, nun drohe eine Operation). Ein anderes Mal nimmt er einen Preis entgegen und brüskiert dann die verblüffte Mit-Preisträgerin Marieluise Fleißer: "Herrn Arno Schmidt, an dem ich sprachlich sehr interessiert bin, konnte ich dort antreffen und, weil ich fast neben ihm saß, sogar verschiedene Worte mit ihm wechseln. Zu meinem Bedauern stob er, kaum war man nach der Veranstaltung aufgestanden, mit bemerkenswerter Geschwindigkeit davon, damit sich ja niemand näher mit ihm befassen konnte." In solchen Punkten also wird das bekannte, aber unzulängliche Bild des kauzigen Menschenfeindes bestätigt; neue Züge erhält es nicht. Und auch wo Schmidt etwa Martin Walser seine Prosaformen erläutert, findet sich nichts, was nicht an anderer Stelle bereits beschrieben wäre.

Ungewöhnlich, gewichtig und mitunter auch geradezu rührend aber wird das Buch durch das Panoptikum von Bewunderern, die sich an den Autor wenden, um sich mit ihm über dessen Werk oder die politische Lage, über vergessene Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts oder Fragen der Stifter-Philologie auszutauschen.

Manchmal, wenn es um Beiträge zu Periodika geht, gerät Schmidt unversehens zwischen schwer einzuschätzende Frontlinien, wenn etwa 1957 einer seiner Texte von Peter Rühmkorf für den "Studenten-Kurier" angenommen und von Claus Rainer Röhl wieder abgelehnt wurde ("Ich konnte und wollte es nicht bringen, na und - Chefredaktion geht vor Feuilletonredaktion"). Es schreiben Heinrich Böll, Alfred Döblin, Hermann Hesse und Hans Henny Jahnn, Ingeborg Bachmann und Walter Kempowski ("Lieber Herr Schmidt! Ich habe nichts mehr zu lesen, schreiben Sie nicht bald ein neues Buch? Ihr Leser W. Kempowski"); dazu Friederike Mayröcker und Alexander Kluge.

Oft ist es der schiere Mitteilungsdrang, der die Schreiber motiviert, die spürbare Begeisterung an Schmidts Werk: Hier schreiben Fans - aber was für welche! ",Hlg. Schmidt' sagen wir manchmal beim Anblick best. Türme", schreibt Sarah Kirsch 1972 auf eine Postkarte, die das "Indianer-Museum der Karl-May-Stiftung Radebeul" zeigt, und organisiert 1974 zu Schmidts sechzigstem Geburtstag einen Gruß an den "Großmeister der deutschen Prosa", unterzeichnet von "7 Schriftstellern aus der DDR", darunter Rainer Kirsch, Günter Kunert und Heinz Czechowski. Zwei rührend herzliche Briefe von James Krüss bleiben unbeantwortet; dafür nahm sich Schmidt, auch dies dokumentiert dieser prächtige Band, viel Zeit für Menschen, die ihm völlig unbekannt waren, die aber mit einer Frage nach einem seiner Hausheiligen einen Nerv trafen.

Andere werden in Schmidts Projekte eingespannt. Der Irland-Kenner Böll geht dort für den auswanderungswilligen Kollegen auf Wohnungssuche und wird 1956 tatsächlich fündig: "Das Häuschen, von dem ich Ihnen erzählte (leider nur möbliert zu haben), kostet 5 Pfund im Monat, außerdem müßten sie für Heizung (Torf) und Strom selbst aufkommen (man kann auch zum Kochen etwa dieses Flaschengas bekommen), während die Besitzerin für alle Außenreparaturen aufkommt. Wie gesagt: ein großer, mittlerer Raum (Wohnküche), zwei kleinere Räume (Bibliothek und Schlafraum), auch in der Bibl. ein Bett; nett eingerichtet das Ganze. Falls Sie anbeißen: Mrs. Thea Boyd, Keel, Achill-Island, Ireland."

Schmidt biss bekanntlich nicht an und zog lieber in die Heide. Von dem freundlichen Böll aber musste er sich in einem weiteren Brief anhören, dass der Schmidts Atheismus als "genau so dogmatisch und aggressiv" empfand "wie das Christentum der streitbaren Christen, die ich nicht mag". Das wäre eine spannende Diskussion geworden. Doch so beredt die folgenden Schreiben dann noch sind, diesen Punkt berührten beide nicht mehr.

Arno Schmidt: "Briefwechsel mit Kollegen". Herausgegeben von Gregor Strick. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 468 S., geb., 44,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

"Äußerst edel und hervorragend kommentiert" findet Rezensent Alexander Cammann diesen Band mit Briefen Arno Schmidts, der ihn wie eine "Flaschenpost aus den fünfziger Jahren" erreichte. Mit großem Interesse hat er die Korrespondenz gelesen, die Martin Walser, Peter Rühmkorf, Heinrich Böll, Alfred Döblin und viele andere umfasst, aber da der Rezensent bisher kein ausgeprochener Schmidt-Fan war, versetzen sie ihn auch nicht in Ekstase. Immerhin bekommt er Lust, mal wieder etwas von Arno Schmidt zu lesen. Er ist sich aber sicher, dass die Briefe Fans und Fachleute beglücken werden.

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