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In diesem Band findet sich eine kommentierte Transkription des Tagebuchs, das Alice Schmidt, geborene Murawski, im Jahre 1954 geführt hat. Es ist nicht selbstverständlich, es zu veröffentlichen. Der bloße Umstand, daß es sich um das Tagebuch der Ehefrau eines der großen deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts handelt, könnte als Begründung ausreichen, aber eine solche Begründung, die der Literaturgeschichte gibt, was nach Meinung vieler der Literaturgeschichte zusteht, und alle auch noch möglichen Fragen und Rücksichten ignoriert, reicht vielleicht doch nicht aus. In einem…mehr

Produktbeschreibung
In diesem Band findet sich eine kommentierte Transkription des Tagebuchs, das Alice Schmidt, geborene Murawski, im Jahre 1954 geführt hat. Es ist nicht selbstverständlich, es zu veröffentlichen. Der bloße Umstand, daß es sich um das Tagebuch der Ehefrau eines der großen deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts handelt, könnte als Begründung ausreichen, aber eine solche Begründung, die der Literaturgeschichte gibt, was nach Meinung vieler der Literaturgeschichte zusteht, und alle auch noch möglichen Fragen und Rücksichten ignoriert, reicht vielleicht doch nicht aus.
In einem Cartoon der Peanuts-Serie kommt eine der Hauptfiguren nachdenklich aus der Schule: sie hätten im Religionsunterricht die Briefe des Apostels Paulus durchgenommen, und man fühle sich doch immer ein wenig unbehaglich, wenn man anderer Leute Post lese. Der Witz wäre noch lustiger, wenn das Diskretionsgebot sich, von denen des Apostels abgesehen, tatsächlich auf alle Arten von Briefen berühmterPersonen bezöge. Aber das tut es nicht, und die Veröffentlichung von Schriftstellerbriefen bedarf keiner speziellen Rechtfertigung, auch dann nicht, wenn sie keine unmittelbaren Informationen zum Werk enthalten.
Autorenporträt
Alice Schmidt wurde 1916 in Greiffenberg geboren. Sie arbeitete in einer Textilfabrik, als sie den Lagerbuchhalter Arno Schmidt kennenlernte und 1937 heiratete. Nach dem Krieg lebten Arno und Alice Schmidt als Flüchtlinge, ehe sie sich 1958 in Bargfeld niederließen. Als Arno Schmidt sich 1947 entschloss, als freier Schriftsteller zu leben, arbeitete Alice Schmidt für ihren Mann. Sie starb 1983 in Bargfeld.

Susanne Fischer, 1960 in Hamburg geboren, Journalistin und Schriftstellerin, arbeitet als Geschäftsführerin der Arno Schmidt Stiftung. Sie ist u.a. Mitherausgeberin der Bargfelder Ausgabe der Werke Arno Schmidts und Herausgeberin der Tagebücher von Schmidts Ehefrau Alice. 2013 wurde sie mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet. Susanne Fischer lebt in einem kleinen Dorf bei Celle.
Jan Philipp Reemtsma, geboren 1952 in Bonn, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg und geschäftsführender Vorstand der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. 1981 gründete er die Arno-Schmidt-Stiftung, deren Vorstand er bis heute ist. Er ist Mitherausgeber der »Bargfelder Ausgabe« des Gesamtwerkes von Arno Schmidt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.02.2005

Große Bücher, kleine Leute
Über Fouqué, Arno Schmidt, das steinerne Herz und den Eisschrank: Alice Schmidts „Tagebuch aus dem Jahr 1954”
Im Hause der Schmidts las man keine Zeitungen. Nur deshalb wohl konnte der Schriftsteller seine Frau Alice ermuntern: „Artikelschreiben wäre durchaus lernbar. Also weiterhin üben und üben.” Das war nicht das Einzige, was die frühere Sekretärin mit Volksschul- und Berufsabschluss aus Greiffenberg in Schlesien an der Seite ihres Mannes zu lernen hatte. Sie sollte übersetzen - James Fenimore Coopers Roman „Satanstoe” -, und wenn sie dachte „gar nicht mal so schlecht”, belehrte sie ihr strenger Herr und Meister sogleich eines anderen: „Himmel, was hab’ ich da doch für’n Mist gemacht.”
Es ist das Jahr 1954. Als 1976 Arno Schmidts „Satanstoe”-Übersetzung erschien, zwanzig Jahre nachdem 1956 sein „Historischer Roman aus dem Jahr 1954” - „Das steinerne Herz” - in die Buchhandlungen gekommen war, da besaß das Paar längst, wovon es einst in Kastel bei Saarburg nur hatte träumen können. „Ganze Zeit auf Bank an der Friedhofsmauer gesessen. Ja, so ein Stück Heide wie hier der Ehrenfriedhof ist, müsste man mindestens haben. - Und dann ’n kleines Häusel drauf.” Dieser Traum war schon 1958 wahr geworden, als Arno und Alice Schmidt nach Bargfeld bei Celle zogen.
Jetzt war auch die voluminöse Biografie des romantischen Dichters Friedrich Baron de la Motte Fouqué erschienen, die Arno Schmidt 1954 abgeschlossen hatte. Die Helferin am Werk notiert in ihr Tagebuch unter dem Datum des 13. September: „Wir kleben den Fouqué fertig.” So arbeitete man in der Zeit ohne Schreibcomputer und Fotokopiergeräte. „Arno beginnt die gz. Fouqué-Biografie noch mal durchzulesen, ob so alles klappt.” Zwei Tage später geht das Manuskript zum Verlag ab. Am 13. Oktober ist es - „O Schreck!” - wieder da. Der Autor ist enttäuscht, geknickt, lustlos - „A: Was soll aus uns werden, wie komme ich in ’nen anderen Beruf?”
Ein billiger Code Napoleon
Das Tagebuch der Alice Schmidt enthält unzählige Details zum schwierigen Überlebenskampf des Schriftstellers und seiner Frau in der beginnenden Wirtschaftswunderzeit, in der die beiden die Zeit, in der sie sich noch etwas zu essen würden kaufen können, nach Wochen abrechneten. Wieder einmal hilft die in Amerika lebende Schwägerin Lucy: „1 Care Paket: (Wird immer kleiner).” Und ein Teil davon wird nach Quedlinburg geschickt, wo des Dichters Mutter lebt. Für Bücher kann gleichwohl Geld ausgegeben werden: „Bücherkatalog v. Nosthoff, bestelle daraus für Arno zu Weihnachten sehr billigen Code Napoleon und ein Niedersachsenbuch.”
Nach Niedersachsen, ins flache Land, zog es Schmidt zurück. Aufgewachsen war er in Hamburg und Schlesien. Die erste Zeit nach dem Krieg hatte er in der Lüneburger Heide verbracht. Im Jahr 1954 war das Paar nach Hannover, Ahlden und nach Ost-Berlin gereist. Hannover blieb Episode, auf Berlin hätte der Fouqué-Biograf gern verzichtet. Aber Ahlden wurde gleich zweimal aufgesucht, auf der Hin- und der Rückreise. Alice Schmidt, die das Tagebuch auf Anweisung ihres Mannes führte und gelegentlich ausarbeitete, gibt hier die längsten erzählenden Passagen. Sie schreibt genau, anschaulich und unprätentiös. Sie schreibt, wie sie ist.
Des Lesers mag sich da ein zwiespältiges Gefühl bemächtigen. Wohl kaum einer unterzieht sich der Lektüre dieses umfangreichen Tagebuchs, der, wenn nicht das ganze Werk Arno Schmidts, so doch den Roman „Das steinerne Herz” recht gut kennt. So gibt es zunächst zweierlei Interesse an diesen Passagen der Aufzeichnungen. Die oft gestellte Frage „Herr Schriftsteller, wo haben Sie Ihre Einfälle her?” wird hier mit manchen Details beantwortet: der Milchlastwagen nach Berlin, den Arno, um des Eindrucks willen, in Ahlden unbedingt noch einmal sehen will. Dann wird einiges von der Transformationsarbeit sichtbar, die der Schriftsteller leistet: die Geschichte mit der Speiseeismaschine bei Arno Schmidt und bei Alice.
Das gilt auch für Politisches. Arno Schmidt galt lange Zeit als linker Autor. Diesen Ruf hat er sich durch gereizte Bemerkungen zur CDU und zur Politik Adenauers erworben, aber auch durch freundschaftliche Beziehungen zu Autoren und Journalisten, die sich der Linken zurechneten. Alices Tagebuch bestätigt diese Haltung, insofern oft von politischen Debatten - zumal zur Wiederbewaffnung - die Rede ist, bei denen heftige Unterstützung für die Ansichten der SPD bekundet werden. Die Furcht vor einer neuen Militarisierung des Landes ist bei den Schmidts groß.
Aber das, was gelegentlich als Beweis für die linke Gesinnung des Dichters angeführt wurde, der angeblich freundliche Blick auf die DDR im „Steinernen Herz”, entpuppt sich bei der Lektüre des Tagebuchs als - ja, als was? Über den Unterschied der Haltungen in den beiden Texten, Textsorten sollte gründlich nachgedacht werden. Unübersehbar ist: Im Tagebuch kommt Ost-Berlin schlechter weg als im Roman. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Autoren, daran wohl am wenigsten. Zurück in Kastel kommentiert Alice die „Volkswahlen” in der DDR drastisch: „Is das ’n Kintopp! Is ja schlimmer wie bei Hitler!” Auch der falsche Komparativ in diesem Satz deutet darauf hin, dass hier einmal außerhalb der gemeinsamen schriftstellerischen Existenz gedacht und geschrieben wird, als Schriftsteller wollte Arno Schmidt gewiss vor allem vermeiden, an den Klischees der westdeutschen Politik mitzuschreiben - auch da, wo diese Klischees mit der Wirklichkeit übereinstimmten.
Das Tagebuch der Alice Schmidt - für andere Jahre im Leben des Paares gibt es Tagebücher, die ihr Mann verfasste - ist zumeist ein persönliches Tagebuch. Viel ist von Katzen die Rede, die abgöttisch geliebt werden, über deren Tod Alice, tief unglücklich, lange nicht hinwegkommt. Viel ist vom täglichen Leben die Rede, in dem es sehr viel freundlicher zugeht, als es die herben Dicta vermuten lassen, die immer wieder zu den Äußerungen eben solchen täglichen Lebens rings herum geäußert werden. Die Ablehnung des Christentums wird geradezu zelebriert, aber vom Ortspfarrer, der sich, da er versetzt wird, auch von den Schmidts verabschiedet, vermerkt das Tagebuch „Hatten uns immer frdl. mit ihm gegrüßt und ab u. zu auch ein paar Worte mit ihm gesprochen.”
„Das steinerne Herz” ist einer der bedeutenden deutschen Romane des 20. Jahrhunderts. Und er ist einer der erfolgreichsten. Von den Romanen der fünfziger Jahre dürfte - trotz des Ruhms von Böll oder Koeppen - kaum einer so andauernd präsent in immer neuen Auflagen und Ausgaben sein wie dieses Ahlden-Abenteuer um alte Bücher. Der Roman hat keine Patina gewonnen, aber eine Aura gewonnen. Es ist die Aura einer Welt, in der alles gelingt - bis zu dem Eisschrank, der - 1954 - ins Haus kommt und der Liebling aller wird. Die Bildung, die Büchervernarrtheit, der glücklich gefundene Schatz antiker Münzen und der kundige Umgang mit ihnen lassen vergessen, dass dies alles im Milieu der kleinen Leute sich abspielt. Im Bericht der Alice Schmidt aus Ahlden, Hannover und Ost-Berlin vergisst man es in keiner Zeile. Bei keiner Zeile denkt der Leser an Literatur. Abends wurden laut Tagebuch in Kastel die entlegensten und schönsten Bücher vorgelesen. Bei den Schmidts auf Reisen und dort, wo sie hinkommen, merkt man kaum etwas davon.
Der Schein behaglicher Distanz
Eine Erklärung dafür könnte in Folgendem liegen: Beide, in unterschiedlicher Weise, wurden in den Jahren der Nazi-Diktatur davon abgehalten, ein Leben als Intellektuelle, als am literarischen Leben Interessierte aufzunehmen. Beide arbeiteten schlicht in einer Fabrik. Ihre Begegnung mit Büchern war und blieb radikal privat. Sie konnten es sich nicht leisten, die Welt von ihren Büchererfahrungen her anzugehen; umgekehrt ließen sie sich in ihrem Umgang mit Büchern auch nicht von den Moden der Welt da draußen und denen, die sich dort mit Literatur wichtig machten, beeinflussen. Sie lebten, auch in den fünfziger Jahren, als kleine Leute, nicht nur, weil die Not sie drückte, aber ihr Selbstbewusstsein als Lesende und Schreibende war enorm. Bei Alice: das Selbstbewusstsein einer Lernenden und Urteilsfähigen. Sie hätte gern Hörspiele geschrieben, Features. Ihr Mann redete ihr das aus. Damals konnte ein Mann einer Frau noch sagen, was sie zu tun hatte und was sie lieber lassen sollte. Alice gehorchte.
Auch dieser Zug klarer Verhältnisse zieht sich durch das ganze Tagebuch. In dem „Historischen Roman von 1954” scheint er ironisch-verspielt in dem Verhältnis der Protagonisten zueinander und untereinander zu einer heiteren Gesellschaftskomödie bei kleinen Leuten in sich erholenden Zeiten in behagliche Distanz geschoben zu sein. Das Tagebuch offenbart, dass es solche Distanz nicht gab im wirklichen Leben des Niedersachsen- respektive Königreich-Hannover-Enthusiasten und seiner Frau. Man weiß es jetzt genau. Wollte man es so genau wissen?
JÜRGEN BUSCHE
ALICE SCHMIDT: Tagebuch aus dem Jahr 1954. Herausgegeben von Susanne Fischer. Mit einem Vorwort von Jan Philipp Reemtsma. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 334 Seiten, 38 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Erfreut zeigt sich Manfred Koch über Alice Schmidts Tagebuch von 1955, in dem die Frau des exzentrischen Schriftstellers Arno Schmidt das alltägliche Leben ihres Mannes nach dessen Vorgaben dokumentiert hat. Als tägliche Grunddaten des Werks nennt Koch u.a. Wetterlage, Posteingang, Lektüre, Dauer der Schreibarbeit, Mahlzeiten, Schachpartien, Badewannennutzung, Alkoholgenuss und Geschlechtsverkehr. Fast ein wenig erstaunt scheint er darüber, dass Schmidt mit den Aufzeichnungen im allgemeinen zufrieden war, erweist er sich doch sonst als wahres "Monster der Undankbarkeit". Statt sich über "Ekel Arno" aufzuregen, sucht Koch die "eigenartige symbiotische Produktivität dieses Tandems" zu verstehen, schließlich wäre Schmidt ohne seine Frau aufgeschmissen gewesen.

© Perlentaucher Medien GmbH