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Aby Warburg, passionierter Bilderforscher und Begründer der Ikonologie als eigenständiger Disziplin, war für seinen Zeitgenossen Walter Benjamin ganz der "grandseigneurale Gelehrte". Heute gibt es kaum ein Feld der Kunstwissenschaften, das durch ihn nicht maßgeblich geprägt wäre, und kaum eine kulturwissenschaftliche Debatte, die nicht entscheidende Impulse aus seinen Schriften erhielte.
Warburg überschreitet disziplinäre Grenzen und entwickelt ein besonderes Interesse an Figuren des Übergangs, der Inversion und Konversion, die er als Seismographen der eigenen Epoche nutzt. Wenn das
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Produktbeschreibung
Aby Warburg, passionierter Bilderforscher und Begründer der Ikonologie als eigenständiger Disziplin, war für seinen Zeitgenossen Walter Benjamin ganz der "grandseigneurale Gelehrte". Heute gibt es kaum ein Feld der Kunstwissenschaften, das durch ihn nicht maßgeblich geprägt wäre, und kaum eine kulturwissenschaftliche Debatte, die nicht entscheidende Impulse aus seinen Schriften erhielte.

Warburg überschreitet disziplinäre Grenzen und entwickelt ein besonderes Interesse an Figuren des Übergangs, der Inversion und Konversion, die er als Seismographen der eigenen Epoche nutzt. Wenn das Erkenntnispotential seiner Schriften dennoch nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft ist, so mag das an seinem ausgeprägten Spezialistentum liegen, vor allem aber daran, dass viele wichtige Texte nicht oder nur in geglätteten Editionen zugänglich sind. Der Band bietet daher Warburgs wichtigste Texte in einer sorgfältig kommentierten Ausgabe, für die erstmals sämtliche fremdsprachigen Zitate übersetzt wurden. Neben einer Auswahl bereits publizierter Arbeiten, die zum Teil anhand der nachgelassenen Manuskripte revidiert wurden, enthält er zwölf bisher unpublizierte Manuskripte aus dem Nachlass. Ein Grundbuch der Kulturwissenschaften und der ideale Zugang zu Warburgs faszinierenden Bild- und Wortdeutungen.
Autorenporträt
Aby Warburg (1866-1929) war Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und Begründer der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Er etablierte die Ikonologie als eigenständige Disziplin der Kunstwissenschaft.

Sigrid Weigel ist Professorin am Institut für Literaturwissenschaft der Technischen Universität Berlin und Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Mnemen sind nur Schall und Rauch

Aby Warburg bedeutet für verschiedene kunsthistorische Schulen etwas ganz Unterschiedliches. Eine Edition seiner Texte will jetzt neue Blicke ermöglichen.

Von Niklas Maak

Einen Aby Warburg gibt es nicht. Dafür ist das Werk des 1866 geborenen, 1929 gestorbenen Hamburger Kunsthistorikers zu vielschichtig; Ernst Gombrich schrieb in seiner Warburg-Biographie vom "kaleidoskopischen Charakter" seiner Schriften: Warburgs Werke oszillieren, Widersprüche eingeschlossen, und dieses Schillern seiner Methodologie, seiner Sprache bietet Anknüpfungspunkte für die unterschiedlichsten Schulen und Ideologien. Es gibt viele Aby Warburgs - Ulrich Raulff sprach einmal sogar von einer "Auflösung des Autors im Gemurmel der Diskurse". Angesichts dieses in letzter Zeit deutlich anschwellenden Gemurmels ist es verdienstvoll, was Martin Treml, Sigrid Weigel und Perdita Ladwig unternommen haben: Sie geben Warburgs wichtigste Texte in einer kommentierten Ausgabe heraus, darunter zwölf unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass. Erhellend sind vor allem die Kommentare, die Warburgs eigentümliche Sprache, die Literarizität seiner Essays - Warburg erfand Worte wie "Eindruckserbmasse", "Willkürverknüpfung" oder "Eilsiegbringitte" - beleuchten; ärgerlich ist der Mangel an Bildern zu Warburgs Schlangenritual-Texten, die ohne Abbildungen kaum nachzuvollziehen sind.

Zur Zeit gibt es ein ungewöhnlich intensives neues Interesse, einen neuen Zugriff auf Aby Warburg. Vor kurzem erschien Georges Didi-Hubermans kritische Warburg-Exegese "Das Nachleben der Bilder" (F.A.Z. vom 11. Oktober), die sich mit einem zentralen Forschungsinteresse des Hamburgers befasst, und löste auch in Frankreich eine neue Welle des Interesses an Warburg aus. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Warburgs Denken, seine Methode des suggestiven Bildvergleichs, weit über das Feld der Kunst- und Kulturwissenschaften Künstler und Kuratoren prägt und seit neuestem auch in den Neurowissenschaften auf Interesse stößt.

Wofür steht Warburg heute? Mit der Aufweitung der Kunstgeschichte zu einer weiter gefassten Bildwissenschaft avancierte Warburgs "Kulturwissenschaftliche Bibliothek" zum historischen Fluchtpunkt des Fachs. Unbestreitbar ist, dass Warburg mit seinen Schriften zu Botticelli und der Prodigienliteratur der Lutherzeit einer kritischen, soziologisch-kulturgeschichtlich orientierten Kunstgeschichte den Weg bereitete (ähnlich wie Hegel hat Warburg Schulen geprägt, die man, wäre die Unterteilung intellektueller Bewegungen in politische Lager nicht so fragwürdig, als Links- und Rechtswarburgianer bezeichnen könnte). Warburg weitete den an der Geschichte der Kunst geschulten Blick auch auf die Bildproduktion seiner Gegenwart aus: Er äußerte sich zu Hugo Lederers Bismarck-Denkmal, versuchte Verbindungslinien zu den naturwissenschaftlichen Theorien von Darwin und Haeckel zu ziehen und begeisterte sich für außerkünstlerischen Bildproduktionen, etwa für Kinderzeichnungen. Vor allem aber war es Warburgs Leistung, Kunstgeschichte mit Blick auf die wirtschaftlichen und privaten Hintergründe, auf den historisch-politischen Kontext eines Werks als Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu erzählen und so die materiellen Grundlagen und Voraussetzungen von Formproduktion ins Zentrum zu setzen: Die Kunstwissenschaft erschien hier im Licht literarischer und geschichtlicher Überlieferung. Als ein Beobachter, der freie und angewandte Kunst, Alltagsbilder, Bauernmalerei und Renaissancekunst, Testamente, Briefe von Händlern oder Wandteppiche als gleichberechtigte Dokumente ansah, war Warburg ein Vorreiter jener produktiven Verschleifung von Hoch- und Populärkultur, die erst mit der Pop-Art ihren endgültigen Durchbruch erleben sollte.

Man kann Warburgs Werk also als einen der wichtigsten Bezugspunkte einer methodischen Wende des Fachs hin zu einer soziologisch-politisch interessierten, kritischen Bildwissenschaft ausmachen. Eine andere Schule interessiert sich hingegen vor allem für seinen Mnemosyne-Atlas - ein Werk oder besser Denkwerkzeug, dessen Veröffentlichung Warburg übrigens nicht beabsichtigte. Er ist das letzte wissenschaftliche Großprojekt, an dem er 1924 die Arbeit aufgenommen hatte, ohne es je abzuschließen. In einer Zusammenstellung von Gemälden, Skulpturen, Mosaiken, Münzen, Brunnen, Fresken oder auch Alltagsszenen auf diversen Bildtafeln geht Warburg hier dem "Nachleben der Antike in der europäischen Neuzeit" nach. Wie hat man sich dieses Nachleben vorzustellen?

Hier kollidieren zwei Schulen - und in dieser Kollision zeichnet sich die wichtigste Bruchlinie der aktuellen Kunstgeschichte ab. Die eine versteht das Nachleben - Warburg sprach auch von einer "Bilderwanderung" - als eine ikonographisch nachweisbare Kette von Zitaten und weitergereichten, wiederentdeckten Formen und versucht, die Mechanismen der Übertragung und Verbreitung von Bildformeln nachzuvollziehen. Die andere - und hier fällt vor allem ein bestimmter naturwissenschaftlicher Zugriff ins Auge - läuft auf eine Psychobiologisierung und Anthropologisierung der Kunstgeschichte hinaus, in der "Pathosformeln" in der Kunst vorgestellt werden als Ausdruck von jedem Menschen ahistorisch und überkulturell innewohnenden Wesenszügen; Kunst wäre demnach nur eine Sichtbarmachung von im Kern unabänderlichen menschlichen Existentialien, der conditio humana; die Möglichkeit kulturellen Wandels wäre weitgehend ausgeblendet. Man kann sich angesichts des offensichtlichen Dissens der Interpreten nicht neutral verhalten zu der Frage, welchem Geschichts- und Menschenbild die eine wie die andere Lektüre und Interpretation des Mnemosyne-Atlas Vorschub leistet.

Hier hätte man sich von den Herausgebern des Lesebuchs ein wenig mehr thetische Schärfe zumindest in der Beschreibung eines offensichtlichen Konflikts gewünscht. Ansonsten ist diese rund tausend Seiten starke Publikation ein wichtiger Beitrag zur Diskussion eines Autors, dessen Schiften im Dickicht ihrer divergenten Interpretationen verlorenzugehen drohten.

Aby Warburg: "Werke in einem Band". Hrsg. v. Martin Treml, Sigrid Weigel und Perdita Ladwig.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 988 S., geb., 68,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Name des Kunsthistorikers Aby Warburg genießt mittlerweile weithin Bekanntheit, stellt Martin Warnke fest, doch steht dieser Ruhm noch in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Verbreitung seiner Schriften. Da kommt ihm diese Ausgabe von verschiedenen Aufsätzen und Vorlesungen Warburgs recht, die er trotz der fast tausend Seiten und eines stolzen Preises von 68 Euro "handlich" nennt. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass die Herausgeber eher Studenten und Laien als Adressaten in den Blick nehmen, als die Warburg-Forschung zu bedienen, was er daran festmacht, dass anstelle einiger wichtiger Aufsätze zum Vergleich mehrere Texte zum gleichen Thema abgedruckte. Doch nach weiterer Kritik im Einzelnen lobt er die Ausgabe im Allgemeinen als guten Einstieg in das Werk dieses "Denkarbeiters".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Insgesamt sind hier auf rund 900 Seiten 25 Texte ... kompiliert. Ein Drittel der Beiträge ist bislang un- oder kaum bekannt. Hilfreich sind die ausführlichen Einführungen zu den sieben Kapiteln allemal, selbstverständlich auch die Übersetzungen der zahlreichen fremdsprachlichen Zitate ebenso wie die Wort- und Sacherläuterungen oder das Register der Eigennamen.« Michael Diers Süddeutsche Zeitung 20100913