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Hans Blumenberg und Carl Schmitt standen sich nicht allein in ihren publizierten Schriften als wissenschaftliche Gegner gegenüber. Die Diskussion über ihre grundsätzlich verschiedenen Auffassungen von der Grundlegung und Rechtfertigung neuzeitlicher Welt- und Wissensanprüche setzten sie darüber hinaus in einer Reihe von Briefen fort. Die Korrespondenz wie die Texte aus Blumenbergs Nachlaß dokumentieren eine unwahrscheinliche Kontroverse, an der wissenschaftliche wie biographische Weichenstellungen sichtbar werden. Latenzen, von denen die bundesrepublikanische Wissens- und Geschichtspolitik…mehr

Produktbeschreibung
Hans Blumenberg und Carl Schmitt standen sich nicht allein in ihren publizierten Schriften als wissenschaftliche Gegner gegenüber. Die Diskussion über ihre grundsätzlich verschiedenen Auffassungen von der Grundlegung und Rechtfertigung neuzeitlicher Welt- und Wissensanprüche setzten sie darüber hinaus in einer Reihe von Briefen fort. Die Korrespondenz wie die Texte aus Blumenbergs Nachlaß dokumentieren eine unwahrscheinliche Kontroverse, an der wissenschaftliche wie biographische Weichenstellungen sichtbar werden. Latenzen, von denen die bundesrepublikanische Wissens- und Geschichtspolitik geprägt waren, werden in dieser Konstellation greifbar.
Da Carl Schmitts Repliken auch sichtbare Spuren im Werk hinterlassen haben, bringt die Edition neben dem vollständigen Briefwechsel und weiteren unveröffentlichten Texten aus dem Blumenberg-Nachlaß auch Auszüge aus den bereits publizierten Schriften. Die Auseinandersetzung zwischen dem Philosophen und dem umstrittenen Juristen wird erstmals umfassend greifbar.
Autorenporträt
Hans Blumenberg wurde am 13. Juli 1920 in Lübeck geboren und starb am 28. März 1996 in Altenberge bei Münster. Nach seinem Abitur im Jahr 1939 durfte er keine reguläre Hochschule besuchen. Er galt trotz seiner katholischen Taufe als ¿Halbjude¿. Folglich studierte Blumenberg zwischen 1939 und 1947 mit Unterbrechungen Philosophie, Germanistik und klassische Philosophie in Paderborn, Frankfurt am Main, Hamburg und Kiel. 1947 wurde Blumenberg mit seiner Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Hier habilitierte er sich 1950 mit der Studie Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls. Sein Lehrer während dieser Zeit war Ludwig Landgrebe. Im Jahr 1958 wurde Blumenberg in Hamburg außerordentlicher Professor für Philosophie und 1960 in Gießen ordentlicher Professor für Philosophie. 1965 wechselte er als ordentlicher Professor für Philosophie nach Bochum und ging im Jahr 1970 an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, wo er 1985 emeritiert wurde. Blumenberg war Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (seit 1960), des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitgründer der 1963 ins Leben gerufenen Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2007

Ein Gespräch über extreme Zustände

Ist die Neuzeit denn überhaupt neu? Der Briefwechsel zwischen dem Philosophen Hans Blumenberg und dem Staatsrechtler Carl Schmitt

Zwei der scharfsichtigsten deutschen Gelehrten des 20. Jahrhunderts wechseln ein paar Briefe über eine Kontroverse, die sie miteinander haben. Etwas ganz Normales. Etwas ganz Unnormales. Der Staatsrechtler Carl Schmitt war Antisemit, Mitglied der NSDAP, hatte Hitler als "obersten Gerichtsherrn" des deutschen Volkes sowie die Nürnberger Rassengesetze als "Verfassung der Freiheit" bezeichnet und 1936 vorgeschlagen, das Zitieren jüdischer Autoren zu verbieten. Hans Blumenberg wurde, katholisch getauft, von ebenjenen Gesetzen zum "Halbjuden" erklärt, kam ins Konzentrationslager, floh von dort 1944 und überlebte in einem Versteck.

Der eine war durch Öffentlichkeit elektrisiert, suchte zeitlebens Einfluss und fand ihn auch - auf Regierungen, Gerichte, Schüler. Der andere entzog sich der Sichtbarkeit, wo er nur konnte, und bestritt sein Deputat in Münster mit Vorlesungen, weil ihm Seminare zuwider waren. Die Mitteilungsform des Juristen Schmitt waren kurze, auf Definitionen und Thesen hin geschriebene Aufsätze, diejenige des Philosophen Blumenberg waren ideengeschichtliche Wälzer, umwegreich, nicht leicht zusammenzufassen, gewaltigen Stoff verarbeitend. Das Hauptwerk des einen sind hundert Seiten über den Begriff des Politischen. Das Hauptwerk des anderen sind Tausende von Seiten über die kopernikanische Astronomie, den Prometheusmythos, die Geschichte der philosophischen Zweiweltenlehre.

Jetzt liegt der Briefwechsel zwischen beiden vor. Aber was heißt Briefwechsel? Fünfzehn Sendungen inklusive Sonderdrucken und Büchern gehen zwischen Blumenberg und Schmitt von 1971 bis 1978 hin und her. Der Staatsrechtler steht damals im neunten Lebensjahrzehnt, Blumenberg in seinen Fünfzigern. Fünfzehn Briefe, netto kaum vierzig Seiten - ein ganzer Band ist daraus erst geworden, weil die Herausgeber den Briefen über Kommentare hinaus auch all jene Textstellen beifügen, um die es in jenem Gedankenaustausch geht, außerdem einschlägige Notizen aus dem Nachlass Blumenbergs.

Dass es einen solchen Austausch überhaupt gab, versteht sich nach der Vorgeschichte nicht von selbst. Aber erstens enthielt sich Hans Blumenberg, der den Briefwechsel eröffnete, zeitlebens jeder richterlichen Einstellung. Den "wahrhaft abscheulichen Dingen", die getan zu haben er Schmitt in einem Brief an den Philosophen Jacob Taubes attestierte, stellte er seinen Widerwillen gegen öffentliche Abrechnungen gegenüber, die so tun, als seien Niedertracht und Geltungsdrang seitdem ausgestorben. Außerdem: Wo es etwas zu sehen und zu erkennen gab, mochten Blumenberg moralische Reflexe schon darum zweifelhaft erscheinen, weil das Erkennen für ihn selber eine moralische Qualität hatte, und zwar eine hohe. "Es käme mir schon darauf an zu erproben, ,was ich aushalten kann'", schreibt Blumenberg an Schmitt, "denn, verzeihen Sie, ein ,Gegner' dieser Dignität ist es, was sich ein Denkender über alle Zustimmung hinaus wünschen muß".

Zweitens aber hatten Carl Schmitt und Hans Blumenberg ein gemeinsames Thema. Es war die Frage, ob die Neuzeit eine Epoche eigenen Ranges ist, und besonders: ob ihr das Zurückdrängen christlicher Problembestände aus Recht, Wissenschaft und Politik gelingen kann. Schmitt hatte diese Frage in seiner "Politischen Theologie" von 1922 verneint. In seinen Krisenzuständen, so das Argument, zeigt auch der moderne Staat, dass seine Grundbegriffe theologischer Herkunft sind: Der Begriff "Souverän" beleiht Gott, die Maschinerie des Rechts wird auf nichttechnische Bedingungen ihres Funktionierens hin erkennbar, der Ausnahmezustand verhalte sich zur Normalität wie das Wunder zur Naturordnung. Die Neuzeit, kurz gesagt, tut nur ungeheuer immanent, aufgeklärt und rational, aber sobald es ernst wird, ist es nicht mehr weit her mit der ganzen Weltlichkeit.

In seinem ersten großen Buch, "Die Legitimität der Neuzeit" (1966), hat Hans Blumenberg diese Behauptung, das säkulare Zeitalter werde die Theologie nicht los, als Rhetorik beschrieben. Es werde suggeriert, jede Epoche habe dieselben ewigen Probleme von Herrschaftsbegründung aus metaphysischer Weltsicht, die nur ihre Gestalt wechseln, ihrer Substanz nach aber nie beiseitegelegt werden können. Tatsächlich aber, so Blumenberg, gebe es keine Kontinuität der Problemlagen zwischen den Epochen. Es gibt nur ein wiederkehrendes Bedürfnis nach militanten Beschreibungen, das durch theologische Bilder gedeckt wird, die jene Probleme überlebt haben, für die sie einst geschaffen wurden.

Nicht die Theologie also setzt sich im Ernstfall als die Sachwalterin der eigentlichen, politischen Fragen durch, sondern die Politik bedient sich nach eigenem Bedarf bei einem Vokabular letzter Gründe. Das neuzeitliche aufgeklärte Bewusstsein verdrängt nicht Probleme, die es sich eigentlich stellen müsste, es hat einfach andere. Sein Fortschrittsglaube ist keine säkularisierte Eschatologie, sein Staatsbegriff keine Verwandlung monotheistischer Allmachtsparadoxien.

Der Briefwechsel setzt ein, nachdem Carl Schmitt diese Herausforderung in seiner "Politischen Theologie II" 1970 angenommen und Blumenberg als Anhänger einer aggressiven inhumanen Selbstermächtigung des wissbegierigen, forschenden Menschen bezeichnet hatte, für den theologische Probleme unwissenschaftlich sind.

Gleich im ersten Brief an Schmitt bestätigt Blumenberg, dass für ihn die zentrale Frage an einen historischen Befund sei "Wie kann dies sich erhalten?", während Schmitt frage "Wo liegt der extreme Zustand?" - und damit unterstellt, dass sich die Neuzeit aus eigenen Leistungen gar nicht erhalten könne, sondern auf ein Ende hintreibe. Über diese Entgegensetzung kommt der höflich geführte Briefwechsel nicht hinaus. Schmitt hält Blumenberg im Grunde für einen Wissenschaftsgläubigen und findet das Bestreben absurd, etwas, das man nicht durch anderes erklären kann, nämlich die Welt, durch sich selbst zu erklären. Blumenberg seinerseits besteht darauf, dass sich eschatologischer Glaube und Geschichtsbewusstsein nicht miteinander vertragen. Einerseits den Untergang der Welt zu billigen, andererseits politischen Ordnungsmächten eine theologische Prämie zukommen zu lassen, das verträgt sich nicht. Soll die Welt untergehen, kann sie nicht zum Besten geschaffen worden sein, "weil die Schrecken des Endes die Diskriminierung des Anfangs implizieren".

Schmitt versucht, die Kombination von Weltverneinung und Politikbejahung gleichwohl durchzuhalten. Er findet etwas Göttliches an jeglicher Macht und verweist auf den "Katechon" des Thessalonicherbriefs, die Figur eines Aufhalters der weltgerichtlichen Endurteile. Der im Band abgedruckte Aufsatz über "Drei Möglichkeiten eines christlichen Geschichtsbildes" von 1950 erklärt dessen Funktion: Politische Mächte wie das Römische Reich sind für Schmitt insofern "Katechonten", als sie die Entbindung der bösen, anarchischen Kräfte im Menschen verhindern und damit, nach christlicher Mythologie, auch das Weltgericht, das erst komme, wenn zuvor die völlige Gesetzlosigkeit ausgebrochen sei.

Eben hierin aber findet Blumenberg seine rhetorischen Analysen der politischen Theologie bestätigt: "Die Christen beten statt um das Kommen des Herrn für den Aufschub des Endes, um sich schließlich selbst als die Macht darzustellen, die das Römische Reich dadurch erhält, dass sie Gott ständig in den Arm fällt." Die Beschwörung des Absoluten dient relativen Zwecken. Blumenbergs nachgelassene Skizzen zu Begriffen wie "Ernstfall", "Freund-Feind" oder "Allwissenheit" zeigen den Abstand des Aufklärers zu theopolitischen Extremismen noch deutlicher.

Und dann findet sich noch eine Glosse zu Schmitts Vorschlag, das Zitieren jüdischer Autoren unter Hitler zu verbieten. Es geniere den, der Schmitts Lebenswerk nicht zu verachten vermöge, ihn als Erfinder einer solchen Ungeheuerlichkeit nennen zu müssen. "Objektiv wogen die Folgen um so schwerer, je näher der Kurzschluss von Mordbuben lag, es werde zu existieren nicht verdienen, wer zitiert zu werden schon verwirkt habe." Blumenberg erwähnt, dass sich Schmitt vor dem Nürnberger Ankläger 1947 damit verteidigt habe, es würden ja auch nicht Leute als Kriegsverbrecher bestraft, die geschrieben hätten, der siegreiche Krieg sei das soziale Ideal. Der Autor dieses Satzes von 1911 war der Jurist Erich Kaufmann. "Er hatte einen Juden zitiert", schreibt Blumenberg lakonisch, und "nicht immer sind intellektuelle Verfehlungen von solcher Hinterhältigkeit, ihren Urheber zielsicher bei Lebzeiten zu ereilen".

JÜRGEN KAUBE

Hans Blumenberg / Carl Schmitt: "Briefwechsel". Herausgegeben von Alexander Schmitz und Marcel Lepper. Suhrkamp-Verlag, 310 Seiten, 29,80 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2007

Die Verführbarkeit des Philosophen
Im Streit um die Legitimität der Neuzeit: Der Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Carl Schmitt
Am 27. April 1976, die Korrespondenz geht inzwischen ins sechste Jahr, schreibt Hans Blumenberg aus dem Philosophischen Seminar an der Johannisstraße in Münster an Carl Schmitt. Es ist der fünfte von insgesamt sechs Briefen und der vielleicht ausdrucksvollste, gewiss aber derjenige, der den heutigen Leser am meisten frappiert. Der Bestätigung, im Dezember Schmitts Schrift „Ex Captivitate Salus” samt persönlicher Widmung erhalten zu haben, folgen in seltsam aufgewühlter Prosa Bekundungen eines tieferen Einvernehmens. Nirgendwo sonst hat sich Blumenberg dergleichen gestattet.
„Es ist das, was Sie über das theoretische Interesse an den Ideen der Ankläger sagen, über die Neugierde auf die gedanklichen Voraussetzungen des Anklägers, ich würde verschärfen: des Verfolgers. Sie haben nicht mehr zum zweiten Mal diese Grunderfahrung zu machen brauchen, als eine konformistische Öffentlichkeit sich auf den neuen Alleinschuldigen in der Gestalt des Ordinarius stürzte, um nochmals diese theoretische Verblüffung zu empfinden, die den Gedanken der anderen durch immer neue bloße Kulissen hindurch entschwinden sieht. Mir hat das déjà vu zwar die Sprache verschlagen, nicht aber die Neugierde gelähmt. Ich weiß inzwischen besser, wie die Verfolger es machen, dass sie immer recht haben.”
An keiner Stelle hat sich Blumenberg seinem Gegenüber so sehr angenähert wie in diesem offenherzigen, ja haltlosen Bekenntnis. Und wie sehr muss sich der fortwährend um seine Reputation besorgte Schmitt bestätigt, wie warm sich verstanden und sogar rehabilitiert gesehen haben! In einer krassen Reduktion stellt die hochabstrakte Formel des „Verfolgers” eine innige, durch die Vertraulichkeit vertiefte Gemeinschaft her zwischen dem „Kronjuristen des Dritten Reiches” und dem brillantesten Denker der Republik. Dabei wusste doch niemand besser als Blumenberg, über welche Abgründe hinweg er in diesem Augenblick sein Einvernehmen bekundete. Er selbst hatte Ende der dreißiger Jahre als Absolvent des Lübecker Katharineums erfahren müssen, was es damals hieß, der Sohn einer jüdischen Mutter zu sein. Als kaum Zwanzigjähriger hatte der Hochbegabte sich im Verborgenen mit Hilfsarbeit durchschlagen müssen, ohne die geringste Aussicht auf Studium und akademische Karriere.
Die schillernde Solidaritätsadresse aus dem Frühjahr 1976 ebnet die biographischen Gegensätze, die schärfer nicht sein könnten, handstreichartig ein und lässt nur die Betroffenheit des Augenblicks sprechen. Nun sollen beide gleich sein – beide Verfolgte, beide Opfer eines grassierenden Konformismus der Selbstgerechtigkeit: erst 1939, dann 1945, und jetzt 1976. Mit Schmitt hat das offensichtlich gar nichts zu tun, es geht allein um Blumenberg. Wie sehr, fragt man sich, muss dieser großartige Gelehrte unter dem hypermoralischen Geprotz der studentischen Rebellion, deren Veteranen man heute wieder die Mikrophone hinhält, seinerzeit gelitten und wie sehr sich getroffen gefühlt haben, um solche Verzerrungen persönlich erlebter Geschichte zu Papier zu bringen.
Das Dokument steht isoliert da – thematisch, stilistisch, rhetorisch. Undenkbar, dass Blumenberg sich an den Ehrfurchtsbezeigungen der Schmitt-Touristik beteiligt hätte, die jahrzehntelang Intellektuelle aus aller Herren Länder ins sauerländische Plettenberg führte, um dort dem „dangerous mind” von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. So verliert sich der augenblicksweise gestiftete Anschein der Schicksalsgemeinschaft, über das Ganze dieser (samt Kommentierung) dreiundfünfzigseitigen Korrespondenz gesehen, ebenso rasch, wie er entstanden ist. Schon das Eröffnungsschreiben Blumenbergs gibt den Tenor des knapp sieben Jahre währenden Austauschs vor, wenn es, höflich in der Form, bestimmt in der Sache, mit der Feststellung der Differenz einsetzt – der „Differenz unserer Positionen”.
In der von den Beteiligten selbst vorgenommenen, teils strategisch, teils sachlich begründeten Vermessung dieser Differenz und ihrer intellektuellen Einsätze liegt der Reiz dieses Briefwechsels, dessen Details sich allerdings ohne Kenntnis der Vorgeschichte kaum erschließen. Die beiden Herausgeber kommentieren die Briefe sachkundig und ergänzen sie um Textauszüge aus dem Vorfeld sowie aus späteren Jahren, sodass sich nun leicht überblicken lässt, was im Wortlaut der Briefe selbst Andeutung bleibt.
Das Ergebnis ist rundum überzeugend: Die sorgfältig rekonstruierte und, soweit bekannt, vollständige Chronologie eines Gedankenaustauschs, den man allerdings ein Gespräch nicht wird nennen wollen. Zu unterschiedlich sind die Ausgangspunkte, zu unterschiedlich die Voraussetzungen und Schlüsse. Dem Briefwechsel vorangegangen waren Auseinandersetzungen in Buchform, vor allem und zentral über den Begriff der Säkularisation. Unter Berufung auf begriffsgeschichtliche Befunde hatte Blumenberg 1966 gezeigt, dass Säkularisation ein Kampfbegriff ist, der, dem ursprünglichen Verwendungszusammenhang folgend, die unrechtmäßige Enteignung kirchlicher Besitztümer benenne – von Sachwerten ebenso wie von geistigen und geistlichen Gütern.
In der erweiterten Bedeutung impliziert der Säkularisationsbegriff die These, dass die vermeintliche Verweltlichung der Moderne gar nicht stattgefunden hat, sondern als die fragwürdige Usurpation und Inanspruchnahme ursprünglich christlich-religiöser Leistungen zu verstehen sei. Die behauptete Illegitimität ist eine doppelte: Illegitim ist die Aneignung fremden Ideengutes, dessen Herkunft unterschlagen wird, illegitim ist aber auch die Selbstwahrnehmung der Moderne, die ihre wahren Voraussetzungen vor sich selbst verbirgt. Es fügt sich, dass die entschiedenste Formulierung des Verdachtsmotivs von Carl Schmitt stammt: die berühmte These aus dem Jahr 1922, alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre seien säkularisierte theologische Begriffe.
Blumenberg hatte dem weit über begriffsgeschichtliche Methodenfragen hinausreichenden Grundsatz erstmals 1966 in der Erstfassung der „Legitimität der Neuzeit” widersprochen und war dann in der Neufassung, unmittelbar vor dem Briefwechsel, noch einmal darauf zurückgekommen. Die Replik zielt auf den Subtext des Illegitimitätsvorbehalts und damit auf die Unterstellung, dass ein ideeller Grundvorrat sich bis in die Gegenwart der Moderne hinein durchgehalten habe – ein epochenübergreifendes Substrat, das gleichsam bloß die Kleider wechsele, im Wesentlichen aber ein und dasselbe bleibe.
Blumenberg weist diese Kontinuitätsunterstellung zurück und stellt dem die These der Neugründung der Moderne entgegen. Sein Beispiel ist die Fortschrittsidee: Während das christliche Geschichtsmodell der Eschatologie die Vorstellung eines Einbruchs von außen nahelege und mit ihrem Vertrauen in die Macht der Vorsehung die Frage nach dem Sinn und Zweck der Geschichte immer schon beantwortet habe, sei Fortschritt ein vergleichsweise bescheidenes Konzept reiner Immanenz, das auf menschliche Aktivitäten und deren historische Rahmenbedingungen begrenzt bleibe.
Fortschritt und Eschatologie, so Blumenbergs Pointe, seien nicht nur strukturell unvereinbar, sondern einander ausschließende Darstellungsformen historischer Zeit. Schmitt erwidert darauf vorsichtig, teilweise ausweichend. Schließlich vertritt er die These, er müsse sich durch die Einwände seines Kritikers, die er offenbar genau zur Kenntnis genommen hatte, gar nicht getroffen fühlen. Sein Säkularisationsbegriff sei deskripitiv, nicht normativ oder polemisch, und er liefere als solcher hilfreiche Bestätigungen der politischen Theologie und ihrer Prämisse, dass der säkularisierte Staat auf nicht-säkularisierten Grundlagen – gemeint sind Mentalitäten, Begrifflichkeiten, Institutionen – aufruht.
Schmitt nimmt für sich in Anspruch, einen anderen, einen eigenen Begriff von Säkularisation entwickelt zu haben, der, wie er am 31. März 1971 präzisiert, zunächst und vor allem auf die frühneuzeitliche Ablösung von theologischer und staatsrechtlicher Zuständigkeit zielt, die dann die Übertragung theologischer Gedankenmotive in den Raum des Politischen überhaupt erst ermöglicht habe.
Schon diese wenigen, wenngleich zentralen Erregungspunkte der Kontroverse lassen erkennen, dass bei diesem Streit über das Konzept und Problem der Säkularisation weit mehr auf dem Spiel stand als ein Streit um Worte und ideengeschichtliche Deutungsmuster. Der wahre Einsatz der Debatte ist, was Blumenberg die „Legitimität der Neuzeit” genannt hat. Auf dem Spiel steht die nach wie vor und aktuell, in einer Zeit der „Rückkehr des Religiösen”, erneut brisante Frage nach dem Selbstverständnis der Moderne, nach ihrer Autonomie und Prägnanz. Blumenberg und Schmitt nehmen die Frage und überhaupt die Ungeheuerlichkeit des Ablösungsgeschehens, das mit der Neuzeit einsetzte, gleichermaßen ernst, spitzen sie aber vollkommen gegensätzlich zu. Schmitt stellt die Gegenwart in die grandiose Kulisse stehender Ewigkeiten, deren Präsenz durch die Macht des „Katechon” gesichert und gewahrt sei – mit dem Ergebnis, dass die Moderne, einschließlich ihres geistigen Rüstzeugs, nun klein und hässlich dasteht.
Umgekehrt Blumenberg, der die substantialistischen Formeln der politischen Theologie Schmitts als sinnentleerte Zitate reinterpretiert. Die Moderne, so seine Erwiderung, hat sich keineswegs, wie der Illlegitimitätsvorbehalt unterstellt, selbst ermächtigt oder fremdes Gut angeeignet, sondern steht vor einer spezifischen und unvergleichlichen Herausforderung, die frühere Zeiten so nicht kannten. Diese Herausforderung besteht darin, sich aus sich selbst – und nicht aus einem Absoluten – heraus begründen und behaupten zu müssen. Mit diesem Argument wehrt Blumenberg schon früh ein Deutungsmuster ab, das, weil es auch bei Heidegger durchklingt, bis weit in die Postmoderne hinein gewirkt hat. Die Moderne ist nicht, wie Schmitt und Heidegger ihr nachgesagt haben, eine Epoche der „Selbstermächtigung”, sondern die Epoche der „Selbstbehauptung”.
So verhalten wie möglich, so eindeutig wie nötig – so könnte die Sprachregel lauten, der dieses philosophische Bekenntnis zur Moderne folgt. Auch nach dem Ausklang des Briefwechsels – das letzte Schreiben stammt vom 28. Januar 1978, Schmitt starb sieben Jahre später – kommt Blumenberg gelegentlich auf den politischen Theologen zu sprechen. Der Ton wird gelassener, die Wahrnehmung schärfer. Es ist, als habe Blumenberg sich erst allmählich darauf besinnen wollen, was ihm doch keineswegs entgangen war: auf wen er sich da eingelassen hatte.
Die Miniaturen aus späterer Zeit, teilweise dem in Marbach verwahrten Nachlass entnommen und hier nun erstmals veröffentlicht, glossieren Schmitts denkerische Attitüden, seine weit ins Theoretische hineinreichende Larmoyanz, seine Realitätsblindheit und Selbstgefälligkeit. Einmal zusammengesetzt, fügen sich die Bruchstücke zu einer Porträtsskizze, die jene, gleichfalls dem Nachlass entstammenden Studien zur „Verführbarkeit des Philosophen” trefflich ergänzt: zur Physiognomie des Intellektuellen als „Verächter der Menschen”.
All dies deutet zurück auf eine frühe Schmitt-kritische Bemerkung Blumenbergs aus dem Jahre 1966, die erst im Licht dieser Nachgeschichte in ihrer vollen Brisanz hervortritt. „Die ‚Wesentlichkeit‘ der Neuzeit”, heißt es da, sei „nicht ihr gesichertes Merkmal, sondern ihr dauerndes kritisches Officium”. Die Moderne als kritikbedürftiger Verpflichtungszusammenhang: Zwanzig Jahre und mehr hat Blumenberg daran gewendet, diesen Elementarsatz nicht nur hinzuschreiben, sondern ihm durch die Themen und Gegenstände seiner großen Abhandlungen, die nach Beendigung des Briefwechsels in rascher Folge erschienen sind, Gestalt zu geben. RALF KONERSMANN
HANS BLUMENBERG, CARL SCHMITT: Briefwechsel 1971-1978 und weitere Materialien. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Marcel Lepper und Alexander Schmitz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 233 Seiten, 22,80 Euro.
„Ich weiß inzwischen besser, wie die Verfolger es machen, dass sie immer recht haben”
„Die Moderne hat sich nicht selbst ermächtigt oder fremdes Gut angeeignet”
Wie passen Fortschritt und Eschatologie zusammen? Oben: Der Philosoph Hans Blumenberg zu Schiff. Unten: Der Staatsrechtler Carl Schmitt während einer Rede im Jahr 1930. Fotos: Suhrkamp Verlag (oben); Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein umfangreicher Briefwechsel ist das nicht, der sich zwischen 1971 und 1978 zwischen Carl Schmitt, dem Kronjuristen der Nazis, und Hans Blumenberg, dem Epiker unter den deutschen Nachkriegsphilosophen, entspinnt. Fünfzehn Briefe, nicht mehr, macht fünfzig Seiten. Der Rest des mehr als 300 Seiten starken Buches ist Kontext, dessen Notwendigkeit der Rezensent Henning Ritter mit wenigen Ausnahmen bezweifelt. Im Briefwechsel geht es um das, was Blumenberg mit einem berühmt gewordenen Titel die "Legitimität der Neuzeit" genannt hat. Für illegitim, nämlich bloße uneigenständige Umbesetzung theologischer Modelle und Begrifflichkeiten in säkulare, hatte Carl Schmitt die neuzeitlichen Entwicklungen weg von der Religion gehalten. Da widerspricht Blumenberg, im Buch und in den Briefen. Diese aber zeugen, da zieht der Rezensent den Hut, von größter Genauigkeit und Höflichkeit in Sache und Ton, wenngleich sich der Widerspruch nie beseitigen lasse. Also gewiss ein "esoterischer Gedankenaustausch", an dem sich aber nicht zuletzt Blumenbergs "unübertroffene intellektuelle Grandezza" bewundern lasse.

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