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Mit dem Überraschungserfolg »Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Lenore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck« erfand Leanne Shapton auf spektakuläre Weise die Liebesgeschichte neu. »Bahnen ziehen« ist ihre Liebeserklärung an das Schwimmen. Und wieder beschreitet sie neue Wege des Erzählens - in Wort und Bild. Der Geruch von Chlor durchweht dieses Buch, die Rufe des Trainers hallen darin wider. Junge Menschen auf dem Sprung zum großen Traum: Teil des olympischen Schwimmteams zu werden. Selbst jenseits des Beckens noch ist ihr Leben, sind…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Überraschungserfolg »Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Lenore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck« erfand Leanne Shapton auf spektakuläre Weise die Liebesgeschichte neu. »Bahnen ziehen« ist ihre Liebeserklärung an das Schwimmen. Und wieder beschreitet sie neue Wege des Erzählens - in Wort und Bild. Der Geruch von Chlor durchweht dieses Buch, die Rufe des Trainers hallen darin wider. Junge Menschen auf dem Sprung zum großen Traum: Teil des olympischen Schwimmteams zu werden. Selbst jenseits des Beckens noch ist ihr Leben, sind ihre Gespräche und Träume, ihre Essgewohnheiten und Liebesbeziehungen geprägt vom Rhythmus des Trainings und ihren sportlichen Ambitionen. Doch wo hat die Faszination für das Schwimmen ihren Ursprung? In den Kinderbüchern? Den Familienausflügen ans Meer? Und was ist heute, wo ganz andere Dinge ihr Leben bestimmen, von dieser Faszination noch übrig? Leanne Shapton, damals selbst Teil der Schwimmmannschaft, geht diesen Fragen nach - Bahn um Bahn. So ist aus sehr persönlichen Momentaufnahmen zwischen Selbstdisziplin und Selbstfindung ein eindringliches, unmittelbares Panorama des Erwachsenwerdens entstanden.- Mit zahlreichen farbigen Illustrationen und Fotos
Autorenporträt
Leanne Shapton ist Künstlerin, Illustratorin und Autorin. Sie wurde in Toronto geboren und lebt in New York. Neben zahlreichen Büchern veröffentlichte sie Artikel in The New York Times, Harper's und The New Yorker. Sie unterrichtet an der Columbia University und ist eine der Gründer*innen des auf Fotografie spezialisierten Non-Profit-Verlags J&L Books. Zusammen mit Sheila Heti und Heidi Julavits gab sie das Buch Frauen und Kleider heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012

Geister schwimmen neben mir

Leanne Shaptons Gespür für Wasser: In Worten und Bildern erforscht die kanadische Autorin ihre Jugend als Leistungsschwimmerin. Herausgekommen ist "Bahnen ziehen" - eine poetische Romanreflexion über ein Leben im Training.

Von Sandra Kegel

Von ihrer Zeit als Leistungsschwimmerin wird Leanne Shapton bis heute jede Nacht verfolgt: vom Training, von den Wettkämpfen und von den Konkurrenten, die im Traum so schemenhaft an ihr vorübergleiten wie vor zwanzig Jahren im Wasser. Da kippt ein Traum rasch um in den Albtraum. Und doch kommt Leanne Shapton vom Schwimmen nicht los. Und nicht von den Schwimmbädern. Wo immer sie gerade ist, ob in Turin, Berlin oder Reykjavík, stets fragt sie sich als Erstes zum nächsten Schwimmbad durch - und dann ist es ihr egal, wie klein das Becken oder wie überchlort das Wasser ist, dann stellt sie keine Fragen mehr, sondern bewegt sich wie unter Hypnose, mit dem Verlangen vielleicht, endlich frei zu sein. Aber im Wasser fühlt es sich dann doch nur wieder an, als würde sie eine alte Narbe berühren. Auch die Bahnen, die sie in der Wirklichkeit schwimmt, sind bevölkert von den Geistern vergangener Wettkämpfe.

In Worten und Bildern hat sich Leanne Shapton, die in Kanada aufgewachsen ist und heute in New York lebt, mit ihrer Kindheit als Leistungsschwimmerin auseinandergesetzt. Entstanden ist "Bahnen ziehen", ein zauberhaftes Buch, das die Grenzen zwischen Erzählung, illustriertem Roman und Kunstbuch aufs reizvollste verschwimmen lässt: eine phantasiereiche Liebeserklärung an das Wasser und eine poetische Reflexion über ein Leben im Training; ergänzt um Aquarelle und Zeichnungen von Wasser, Schwimmern, Landschaften und Schwimmbädern, allesamt von Leanne Shapton gemalt oder gezeichnet.

Sogar einer Serie mit Abbildungen ihrer Badeanzüge ist Platz eingeräumt - von strengen Wettkampftrikots der frühen Jahre bis zu gepunkteten Vintage-Bikinis und schwarzen Designer-Objekten. Sie erzählen ihre eigene Geschichte vom Übergang der jugendlichen Leistungssportlerin zur Schwimmerin - eine Metamorphose, die der Autorin alles andere als leicht fiel. Über einen Urlaub am Meer schreibt sie lakonisch: "James bringt mir das Konzept des Badens näher."

Jeweils sechs Stunden hat Leanne Shapton, die Tochter eines Produktdesigners und einer Filipina, in ihrer Heimatstadt Mississauga, Ontario, an sechs Tagen in der Woche trainiert. Etliche Zeit verbrachte sie dabei unter Wasser, bei angehaltenem Atem, ohne fühlen, riechen, hören oder viel sehen zu können. Das Training beginnt vor der Schule, der Wecker klingelt um 4.25 Uhr. Und weil der kanadische Winter so bitterkalt ist, zieht das Mädchen sich die Trainingshose schon unter der Bettdecke an, dann fährt die Mutter ihre Tochter zur Schwimmhalle. Der Geruch von Chlor und das Schneetreiben in der Dunkelheit sind allgegenwärtig in diesem Buch. "Das Standardbild von mir selbst", schreibt Shapton, "ist dieses Foto: ich, zehn, stehe in einem blauen Badeanzug neben der Leiter im Cawthra-Park-Schwimmbad, die Knie zusammengedrückt, außer Atem."

Die Wochenenden verbringt Leanne Shapton auf Wettbewerben in der Provinz. Dort werden ihre Leistungen durch die leidenschaftslose Stoppuhr beurteilt. Von ihren Konkurrentinnen kennt die Brustschwimmerin nicht immer die Namen, aber gewiss ihre Zeiten, in absteigenden Zehntel- und Hundertstelsekunden. Zweimal schafft es Leanne Shapton bis in die Vorauswahl für das kanadische Olympiateam - und scheitert am Ende doch. Dann hört sie auf mit dem Sport und bricht auf nach New York, wo ein neues Leben beginnt. Ihre Schwimmeridentität aber kann sie nicht abschütteln.

"Bahnen ziehen" ist in seiner impressionistischen, nicht chronologischen Erzählung ein faszinierendes Experiment. Was wir hier lesen, ist mehr als der Bericht einer ehemaligen Sportlerin. Vielmehr hat die Autorin in der nichtlinearen Struktur des Buches, seinen Ellipsen, den kaleidoskopartigen Wiederholungen und Vergrößerungen, gewissermaßen das Wesen des Wassers nachempfunden. Das, was Wasser ist und was es optisch bewirken kann, hat Shapton in ihre Sprache einfließen lassen. Geschult, das lässt sich kaum verleugnen, ist sie an Vorbildern wie dem amerikanischen Autor John Jeremias Sullivan, dem kanadischen Comic-Zeichner Seth und der Britin Gabrielle Bell. Und doch beschreitet Leanne Shapton ihren eigenen Weg des Erzählens, wenn sie die textliche und die visuelle Ebene auf so eigenwillige Weise verschränkt.

Literarischen Eigensinn hatte die Kanadierin schon in dem vor zwei Jahren auf Deutsch erschienenen Vorläuferbuch bewiesen. Mit "Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Lenore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck" hatte sie das Genre des Liebesromans neu erfunden. Nicht nur der Titel, auch das Buch selbst zählt zum Originellsten der letzten Jahre. Geschrieben ist es, wie "Bahnen ziehen", nicht in fortlaufender Prosa. Stattdessen erzählt es die Geschichte einer Liebe und ihres Endes in Form eines fiktiven Auktionskatalogs. Und ist es nicht so, dass es Dinge sind, die am Ende jeder Beziehung bleiben? All die Objekte und Schriftspuren, ein verbeulter Schlüsselanhänger, ein Abendkleid und die nicht eingelösten Kinokarten von der Pinnwand, die hier zum Verkauf unter den Hammer kommen?

Dass Leanne Shapton eine besondere Beziehung zu Gegenständen hat - auch über die Bikini-Kollektion in "Bahnen ziehen" hinaus -, erzählt sie gern. Sie sammelt Bücher, alte weiße Hosen, gestreifte Handtücher und Apfelsinen aus allem möglichen Material. "Unsere Ausschweifungen sind der beste Schlüssel zu unserer Bedürftigkeit und die beste Art, sie vor uns selbst zu verbergen", zitiert sie den Psychologen Adam Phillips, und die Frage liegt auf der Hand, welche verborgenen Mängel wohl bei ihr dahinterstecken mögen: "Was erwartet mich, wenn ich aufhöre, Dinge anzuhäufen?"

Ihre Beschäftigung mit dem Schwimmen verwandelt profane Objekte tatsächlich zu Fetischen. Der Bock am Beckenrand wird zum Schrein, vor dem Hochspannung herrscht, die richtige Schwimmbrille zum Gradmesser, wie ernst es einer mit dem Schwimmen meint, und das Etobicoke Olympium gar zur Kathedrale: Das mächtige Fünfzig-Meter-Becken erzeugt Ehrfurcht, und der Sprungturm aus Beton steht da wie ein Hochaltar. Shapton hat ein Gespür für Wasser, ein Wissen über den Raum unter Wasser und dafür, was mit dem Körper im Wasser geschieht. Umso aufschlussreicher ist es, dass sie sich im Meer unwohl fühlt. Sie schätzt Grenzen und überschaubare Räume, weil die, wie sie schreibt, ihrem Kontrollzwang entgegenkommen. Und offensichtlich steht sie damit nicht allein. Die meisten Leistungsschwimmer, heißt es im Buch, mieden das offene Wasser. Wegen der Kälte, erfährt sie von früheren Kollegen, weil man aufpassen müsse, wohin man schwimmt und wegen des "Was zur Hölle ist da unten"-Faktors.

Manchmal erlaubt der von Sophie Zeitz souverän aus dem Englischen übersetzte Text faszinierende Innenansichten in die Welt des Leistungssports, dann wieder gewinnt die Sprache lyrische Dichte. Eindringlich beschreibt Shapton eine kanadische Jugend mit schlecht sitzenden Wollmänteln, Schlittschuhbörsen und Klassenzimmern, in denen Fotoporträts der jungen Queen Elizabeth hängen.

Um Einfälle ist sie nie verlegen. Im Kapitel "Vierzehn Gerüche" findet sich eine synästhetische Darstellung: "Highschool Parkplatz, 4.52 Uhr: Feuchte Ziegel, ein Hauch von Gummi, Benzin und Zigaretten" wird dargestellt als ziegelroter Fleck. "Feuchtes Mannschaftshandtuch: Starke Chlor-Kopfnote, ein Hauch von Knoblauch, Ufersteg und Schwarzbrot" in schrillem Pink. Phantasie ist nicht nur in der Kunst gefragt, so viel ist klar, sondern auch im Sport. So legt sich das Mädchen zur Vorbereitung für Wettkämpfe auf dem Bauch ins Bett, die Stoppuhr in der Hand, und atmet sich dann durch die gesamte Schwimmstrecke: "Ich spüre den Absprung, den reißenden Klang des Wassereintritts, die Stille, das Loten der Tiefe und den wiederkehrenden drängenden Lärm, wenn ich mit dem Kopf aus dem Wasser komme."

Umgekehrt hat Shapton von der harten Schule im Wasser als Künstlerin profitiert. Früher waren ihre Finger verschrumpelt, jetzt sind sie voll Tintenflecken. Sie hat die Bahnen durch Skizzenstapel ersetzt. Künstlerische wie sportliche Disziplin erfordern Qual, damit das Schwierige leicht wird, das Leichte zur Gewohnheit, und Schönheit entsteht.

Dass Tennis der einsamste Sport sei, hat André Agassi einmal gesagt, und Allan Sillitoe hat uns in seiner Erzählung "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers" spüren lassen. "Bahnen ziehen" könnte den Leser auf den Gedanken bringen, dass womöglich Schwimmer die einsamsten Wölfe sind. Auch deshalb, weil sie stets klein gehalten werden: "Wenn du Schwimmer bist", schreibt Leanne Shapton, stehen die Trainer über dir, auf einem Podest. Du schaust zu ihnen auf, stehst verwundbar, nackt und nass vor ihnen."

So liest sich "Bahnen ziehen" zuletzt auch als eine Untersuchung des Schmerzes, der Anspannung und des Scheiterns im Sport. Und so wie die Sportler bei John Cheever, Don DeLillo oder David Foster Wallace verweist auch die hier geschilderte Niederlage auf ein komplizierteres Feld. Für die Literatur ist das allemal gewinnbringend. Weil diese Wettkämpfe und Turniere, ob im Wasser oder auf dem Spielfeld, nichts Erlösendes haben und die Wege dieser Sportler auf etwas anderes als Sieg ausgerichtet sind.

An der Qual kommt man nicht vorbei. Doch anders als in der Kunst wird im Sport nicht gejammert, eher schluckt man kurzerhand achthundert Milligramm Aspirin. Und macht Scherze. Was Leanne Shapton auf dem T-Shirt eines Konkurrenten liest, ist wohl die knappste Zusammenfassung dessen, was sie unter Wasser erlebt hat: "Wenn Schwimmen leichter wäre, würde es Hockey heißen."

Leanne Shapton: "Bahnen ziehen".

Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 325 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Was ist das nur für ein Buch?, fragt sich Hans-Peter Kunisch und meint das als Kompliment. Was die ehemalige Leistungsschwimmerin Leanne Shapton über das Element Wasser und ihr Leben darin aufschreibt, scheint Kunisch auf sehr leichte Weise zu verzaubern. Doch Vorsicht, das lockere Erzählgerüst trägt laut Rezensent durchaus Schwerblütiges. Über das etwa, was das Leistungsschwimmen mit einem macht. Darüber berichtet die Autorin einfühlsam, intelligent und mitunter sehr persönlich, freut sich Kunisch, der auch die Übersetzung lobt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2013

Undine ist eine Frühaufsteherin
Die kanadische Autorin Leanne Shapton taucht ein in ihre Jugend als Leistungsschwimmerin. Ihr Buch
„Bahnen ziehen“ ist eine literarische und malerische Meditation über ein Leben im Badeanzug
VON HANS-PETER KUNISCH
Ziemlich am Anfang, wie als Abschluss einer Einleitung, formuliert Leanne Shapton das Motto unter dem „Bahnen ziehen“, einem Buch ohne Gattungsbezeichnung: „Wenn ich heute schwimme, steige ich ins Wasser, als würde ich unbewusst eine Narbe berühren.“ Das irritiert ein wenig, denn die erste Bekanntschaft mit diesem überraschenden Werk der ehemaligen kanadischen Leistungsschwimmerin und heutigen Grafikerin für die New York Times und andere Publikationen, deutet auf etwas Flockig- Spielerisches hin: Es ist ein schönes Buch, das man auch einfach anschauen kann. Also blättert man, bemerkt elegante Bikini- und Badeanzugfotos ohne Körper; unter dem Titel „Vals“ finden sich malerische Versuche, die Gegend um die bekannte Bündner Therme von Paul Zumthor in sanft aufgepopptem Kirchner eingefangen. Ein anderes Kapitel will Farben für Gerüche finden. „Kissen“ steht da als Bildlegende, und dann: „Chlor, Schimmel, schwacher Nelkengeruch und getrockneter Rotz.“
  Warum also „Wunde“? Man kann durchaus behaupten, dass das Wasser, seine Wellen, sein Sprudeln, sein bewegliches Dasein, diesem Buch das Strukturprinzip geliehen hat. Aber andererseits hat das, was Leanne Shapton vom Wasser berichtet und wie sie damit umgegangen ist, einen zutiefst andersartigen Charakter. Hier gehen ein lockeres Erzählgerüst und ein schwerblütiger Inhalt eine erstaunliche Verbindung ein. „Bahnen ziehen“, die deutsche Übersetzung von „Swimming lessons“, ist ein sehr guter Titel für dieses Buch. Es geht darin nicht ums fröhliche Baden, nicht ums Schwimmen in diversen Spielarten. Detailreich handelt es davon, wie man lernt, möglichst schnell von einem Ende eines Sport-Bassins zum anderen zu kommen, und was es mit einem macht, wenn man sich diesem Prozess unterwirft.
  Noch heute, meint Shapton, träume sie vom Leistungsschwimmen, von Trainern, Mannschaften, Schwimmbädern. Eine Welt, in der sich die 1973 Geborene mit zwölf professionell zu bewegen begann, um sie mit neunzehn wieder zu verlassen. In den sieben Jahren dazwischen habe ihr Körper immer weh getan, nur nicht beim Wettkampf. Darum müsse man Schwimmern, so sie einmal im System sind, nicht sagen, was sie zu tun hätten. Am Anfang habe sie sich gefreut, immer schneller zu werden. Fast kam sie in die Olympiaauswahl, fast, und das bei sechs Stunden täglichem Training, Aufstehen um vier Uhr dreißig. Ein relativer Misserfolg, der den Abschied erleichtert hat.
  Erstaunlicher ist, dass es in diesem Buch kaum einen Hinweis darauf gibt, warum Shapton mit dem Sport überhaupt begonnen hat: es gibt keine „Liebeserklärung“ ans Wasser, keine besonderen kindlichen Erfahrungen. Es dauert bis zur Seite 216, ehe man eine Ahnung bekommt, was es gewesen sein könnte, das sie so weit brachte. Ein Trainer sagt der Zwölfjährigen, die gerade begonnen hat, sie habe „ein Gefühl fürs Wasser“. Zuerst habe sie, so Shapton, das nicht verstanden, aber „Ich habe es immer noch. Es ist ein Wissen über den Raum unter Wasser, ein Gespür, wo mein Körper ist und was es bewirkt, das animalische Erfühlen eines anderen Elements – wie das zitternde Schaudern einer Katze, wenn man ihren Rücken berührt.“
  Es sind solche einfühlsam-intelligenten, von Sophie Zeitz in ein schönes, modernes Deutsch übersetzten Sätze, die für dieses Buch einnehmen. Und es ist seine leichte, formal offene Struktur, für die Shapton ebenfalls ein passendes Bild findet: „Der Versuch, zu definieren, was mir Schwimmen bedeutet, ist, wie eine Muschel zu betrachten, die in einem Meter Tiefe in klarem, stillem Wasser liegt. Da ist sie, scharf und konturiert, doch sobald ich nach ihr greife, die Oberfläche durchdringe, wird sie vom Kräuseln fragmentiert. Aus einer Muschel werden fünf, fünfundzwanzig Muscheln, und ich taste mich blind vor, nach dem, was ich ganz klar gesehen hatte, bevor ich versuchte, danach zu greifen.“ All ihre schriftstellerischen wie malerischen Erzählungen bleiben vorläufige Annäherungen an ein immer wieder verschwindendes Ziel.
  Viele der Näherungen haben autobiografischen Charakter. Je länger man dabei bleibt, desto persönlicher werden sie, desto klarer beginnt man, über das Buch hinauszusehen. Die Beziehung zu den Eltern wie zu Shaptons älterem Bruder, denen das Buch gewidmet ist, sind nicht spannungsfrei. Die Nähe zu Derek, auch er Schwimmer, aber von Leanne überholt, ist verloren. Die Mutter, eine Philippinin, wird zum fremden Wesen mit – für die peinlich berührte Tochter – eigenartigen Vorlieben. Der Vater, der in seinem Heim-Atelier Schneebürsten entwirft, ist ein Studebaker-Narr, bleibt jedoch das geheimnisvolle Oberhaupt dieser ansonsten kleinbürgerlichen Familie, in der für Kleidung nie mehr als zehn Dollar ausgegeben werden sollte.
  Eine wichtige Kontrastfigur bietet James, Shaptons langjähriger Freund. Er ist einer, der, verglichen mit ihr, nicht schwimmen kann, über den sie sich ärgern muss, den sie mit erzwungener Geduld ermutigt, aber auch einer, der, was sich für sie gerade in seinem lässig-langsamen Schwimmen zeigt, auf der Erde ist, um das Leben zu genießen.
  Am anderen Ende der Welt, in Napier, im Osten Neuseelands, beginnt die Bucht von Hastings, zwanzig Meilen lang, ein unglaublicher Bogen. Wer hier im Abendlicht ankommt, muss schwimmen – auch wenn kein einziger anderer Schwimmer zu sehen ist. Erst nachher wird klar, dass die Bucht lebensgefährlich ist. Unterströmung, sagen alle und schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Bloß ein alter Mann lächelt und meint: „Nur nicht schwimmen, wenn es Dich rausträgt, nur nicht schwimmen, spar Kraft, irgendwann kommst du wieder rein.“
  Leistungsschwimmern ist in freien Gewässern unwohl, erst recht in Meeren. Für ihre Art, das Element zu durchpflügen, brauchen sie keine Welt: ruhiges Wasser, die Bahnen, Boden. Sie sind Maschinen, die noch Jahrzehnte danach an Land Maschinen bleiben. Wenn Shapton nach einer Depression von ihrem Therapeuten Aufzeichnungsblätter bekommt, fragt sie, wie viele. Hundert vielleicht, meint er. Das kann ich schaffen, denkt sie. Es werden hundertfünfzig, bis es gut ist, aber das ist nicht schlimm. Wichtiger für sie ist, dass die Therapie gemessen werden kann, die Blätter sind Bahnen, Sekunden.
  Ganz anders Shaptons Bücher. Das erste, „Was she pretty?“ eine Graphic Novel über Eifersucht; das zweite, „Bedeutende Objekte“, eine Liebesgeschichte von Freunden als Auktionskatalog – ein verspieltes Rätsel, in dem schon der eigene hübsche Badeanzug aus Essaouira zu sehen ist.
Leanne Shapton: Bahnen ziehen. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 325 Seiten, 18 Euro .
Manche Welle trägt einen
weit raus, aber die Strömung
bringt jeden wieder zurück
„Wenn ich heute schwimme, steige ich ins Wasser, als würde ich unbewusst eine Narbe berühren“, lautet ein Satz in diesem Buch ohne Gattungsangabe.
FOTO: GETTY IMAGES
Leanne Shapton , geboren 1974 in Toronto, arbeitet als Autorin, Illustratorin und Verlegerin. In Deutschland sorgte sie 2010 mit ihrem Buch „Bedeutende Objekte“, einer Liebesgeschichte als Auktionskatalog, für Aufsehen.   FOTO: CORBIS
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»Ein zauberhaftes Buch. Eine phantasiereiche Liebeserklärung an das Wasser und eine poetische Reflexion über ein Leben im Training.« Sandra Kegel Frankfurter Allgemeine Zeitung 20121201
»Bahnen ziehen ist eine literarische und malerische Meditation über ein Leben im Badeanzug.«