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Im Wiener Kunsthistorischen Museum, auf der Sitzbank gegenüber von Tintorettos "Weisbärtigem Mann", bezieht jeden zweiten Vormittag - außer an den eintrittsfreien Samstagen - der Musikphilosoph Reger Stellung. Eines Tages wird die Routine unterbrochen: Reger bittet seinen Freund Atzbacher, sich ausgerechnet am Samstag mit ihm im Museum zu treffen. Doch bevor der Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten enthüllt wird, ergeht sich Reger in herrlich schwungvollen Tiraden gegen die Kunst im allgemeinen, die Maler im besonderen, verdammt Stifter ebenso wie Heidegger, beschimpft Wien und die Wiener…mehr

Produktbeschreibung
Im Wiener Kunsthistorischen Museum, auf der Sitzbank gegenüber von Tintorettos "Weisbärtigem Mann", bezieht jeden zweiten Vormittag - außer an den eintrittsfreien Samstagen - der Musikphilosoph Reger Stellung. Eines Tages wird die Routine unterbrochen: Reger bittet seinen Freund Atzbacher, sich ausgerechnet am Samstag mit ihm im Museum zu treffen. Doch bevor der Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten enthüllt wird, ergeht sich Reger in herrlich schwungvollen Tiraden gegen die Kunst im allgemeinen, die Maler im besonderen, verdammt Stifter ebenso wie Heidegger, beschimpft Wien und die Wiener - und weiß doch, daß die einzige Rettung im menschlichen Gegenüber zu finden ist, im "Lebensmenschen" in seinem Fall.
Autorenporträt
Mahler, Nicolas
Nicolas Mahler, geboren 1969, lebt und arbeitet als Comiczeichner und Illustrator in Wien. Seine Comics und Cartoons erscheinen in Zeitungen und Magazinen wie Die Zeit, NZZ am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und in der Titanic. Für sein umfangreiches Werk wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet; unter anderem erhielt er den Max-und Moritz-Preis als »Bester deutschsprachiger Comic-Künstler« und den Preis der Literaturhäuser.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011

Ein Toter hat noch lange zu leben
Der Suhrkamp Verlag startet eine neue Reihe mit illustrierten Ausgaben seiner modernen Klassiker –
den Anfang macht Thomas Bernhards „Alte Meister“, als Comic bearbeitet von Nicolas Mahler
Thomas Bernhards Spätwerk „Alte Meister“ scheint wie geschaffen für eine Bearbeitung als Comic. „Ein großes bedeutendes Kunstwerk halten wir nur dann aus, wenn wir es zur Karikatur gemacht haben“, sagt die Hauptfigur, der alte Musikkritiker Reger, der seit über dreißig Jahren jeden zweiten Tag auf der Bank vor Tintorettos „Weißhaarigen Mann“ im Wiener Kunsthistorischen Museums sitzt – womit auch schon beinahe die gesamte Handlung des 300 Seiten starken Buches, das im Untertitel eine „Komödie“ genannt wird, zusammengefasst wäre. Neben Reger treten darin auf: der nahezu profillose Atzbacher, der als Erzähler und Stichwortgeber seines Bekannten fungiert, sowie ein Museumswärter mit dem schönen Namen Irrsigler; den größten Raum in Text nimmt ein durch die Wiedergabe Atzbachers gefilterter Monolog Regers ein, eine der berüchtigten Schimpftiraden Bernhards über die österreichische Kultur und Gesellschaft, aber vor allem über die Kunst der titelgebenden „Alten Meister“. Freilich hat Regers Obsession mit dem Bordone-Saal einen tragischen Hintergrund: Hier lernte er seinen Lebensmenschen, seine Frau, kennen; und ebenso wie sie ihm aus seiner Depression half, so stellt nun nach ihrem Tod der regelmäßige Gang ins geliebt-gehasste Museum, an den Ort der ersten Begegnung, Regers „Rettung“ dar.
Anfangs hat man bei der Lektüre der schmalen Adaption, die das Original radikal kürzt, ohne dabei beim Plot Abstriche zu machen, den Eindruck, einer idealen Partnerschaft beizuwohnen: Der Wiener Nicolas Mahler, 1969 geboren, pflegt in seinen unter anderem im Satiremagazin Titanic veröffentlichten Cartoons oder in längeren Arbeiten wie „Kratochvil“ einen minimalistischen Stil, dem ein sehr schwarzer, sehr österreichischer Witz zu eigen ist. Der wortkarge Museumswärter Irrsigler wirkt da wie der kleine dicke Bruder des langen Flaschkos, einer der Helden Mahlers, der tagaus tagein unbeweglich in seiner Heizdecke verharrt und sich nur mit seiner Mutter unterhält. Herausgelöst aus dem Gesamtkontext entfalten in der Adaption Bernhards Sätze ihre volle beißende Komik.
So heißt es über Irrsiglers Wunsch, Museumswärter zu werden: „Lebenslänglich in dasselbe Gewand zu schlüpfen und dieses lebenslängliche Gewand nicht einmal selber bezahlen zu müssen, weil es der Staat zur Verfügung stellt, sei ihm als Ideal erschienen.“ Und wenn man dann unter der trockenen Bemerkung, dass der Polizeidienst im Vergleich zur Arbeit im Museum lebensgefährlich sei, den winzigen Irrsigler vor einer überdimensionalen Statue von Herkules im Kampf mit dem Löwen sieht, dann findet Mahler hier einen schönen visuellen Kontrapunkt zum Original.
Zum Problemfall wird die Bearbeitung allerdings, wenn sich Bernhards Komödie zur Tragödie wandelt. Wo Bernhards Sätze in der Beschreibung der Beziehung Regers zu seiner verstorbenen Frau plötzlich eine anrührende Tiefe bekommen, gehen Mahler die Ideen aus. Eine Weile wirkt die häufig wiederholte Rückenansicht Regers auf der Bank vor dem Gemälde Tintorettos, auf der sich nur geringfügige Veränderungen ergeben, schlüssig.
Doch dann kehrt das Bild auch an Stellen wieder, die es nicht zwingend erfordern würden, sodass es zum Platzhalter entwertet wird. Wenn Sätze wie „Die Wahrheit ist ja, dass ich mir vorkomme wie ein Toter, wie ein Toter, der noch zu leben hat“ von Irrsigler begleitet werden, der eine Absperrung vor einer leeren Wand im Museum schließt, dann ahnt man die gute Absicht – die existenzielle Erschütterung der Worte findet aber keine adäquate Entsprechung auf der bildlichen Ebene, so dass der gesamte Comic letztlich eindimensional auf der amüsant-grotesken Oberfläche der Vorlage bleibt. Bernhards Größe besteht ja gerade darin, dass er einerseits die Karikatur und das Unfertige einfordert und sich über die vermeintlich großen „Alten Meister“ mokiert, dies aber andererseits in formvollendeter Weise tut.
So fragt man sich am Ende, was der Hintergedanke bei der Entstehung dieses Buchs war; handelt es sich doch um den Auftakt einer neuen groß angelegten Comic-Reihe, die bei Suhrkamp erscheinen wird, und in der vor allem Klassiker des Verlags bebildert werden sollen, so zum Beispiel als nächstes Marcel Beyers „Flughunde“ von Ulli Lust. Vielleicht macht der „Alte Meister“-Comic dem einen oder anderen Leser Lust auf weitere Werke Bernhards oder Mahlers; vielleicht ist genau dies die Strategie: Schwellenängste vor Klassikern abzubauen. Ob damit aber der Ruf der Neunten als eigenständige und ernstzunehmende Kunst wirklich gestärkt wird, ist mehr als fraglich.
THOMAS VON STEINAECKER
Thomas Bernhard, Nicolas Mahler
Alte Meister
Komödie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 158 Seiten, 18,95 Euro.
„Ein bedeutendes Kunstwerk
halten wir nur aus, wenn wir es
zur Karikatur gemacht haben“
Reger im Wiener Kunsthistorischen Museum Abb.: aus dem bespr. Band
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"Bernhard literarisches Verfahren besteht aus solchen Spracheskalationen, einer atemlosen, rauschhaften Abfolge von Variationen, einer über viele Etappen gehenden Steigerung, die in maßloser Übertreibung mündet. ... Nicolas Mahlers sehr zurückgenommener Strich veranschaulicht dies besonders gut. ... In jedem Fall hat Mahler mit seinem Comic nicht einfach nur ... einen Klassiker illustriert, sondern eine eigenständige und weiterführende Interpretation geliefert."
Christian Schlüter, Frankfurter Rundschau 12.11.2011

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Sven Jachmann ist voll des Lobs für Nicolas Mahlers Comic-Adaption von Thomas Bernhards Roman "Alte Meister". Er würdigt den Comiczeichner und Cartoonisten als "Meister der bildpoetischen Reduktion". Von dieser Meisterschaft zeugt für ihn einmal mehr die vorliegende Adaption von Bernhards Werk über den übellaunigen Kritiker Reger, der seit dreißig Jahren jeden zweiten Vormittag im Kunsthistorischen Museum Wien verbringt: der 300-Seiten-Roman mit all seinen Abschweifungen, Wiederholungen und Schimpftiraden wird auf 150 Seiten Comic reduziert. Dass der Comic auf die Bernhard typischen Schmähungen Österreichs verzichtet, schadet ihm nach Ansicht von Jachmann dabei keineswegs. Im entscheidenden Detail scheint ihm die Adaption nämlich perfekt: in der komischen Entlarvung der Hybris der Werke der großen Meister und in der Entsprechung von Regers Wiederholungszwang im seriellen Prinzip des Comics.

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