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Kalle sucht eine Frau, Ulla hat ihre WG satt, Gregori begegnet seinem großen Schauspieleridol, Sinikka telefoniert ausschließlich nachts - die Helden dieser lakonisch-komischen Erzählungen der finnischen Autorin Tuuve Aro sind allesamt auf der Suche nach dem Kompaß um Chaos, auf der Suche nach dem Glück.

Produktbeschreibung
Kalle sucht eine Frau, Ulla hat ihre WG satt, Gregori begegnet seinem großen Schauspieleridol, Sinikka telefoniert ausschließlich nachts - die Helden dieser lakonisch-komischen Erzählungen der finnischen Autorin Tuuve Aro sind allesamt auf der Suche nach dem Kompaß um Chaos, auf der Suche nach dem Glück.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2004

Das Gefühl des Widerstands
Tuuve Aros Erzählungen „Ärger mit der Heizung”
Die kürzeste dieser Erzählungen füllt nicht einmal eine Seite. In wenigen Sätzen wird der Leser in den Traum eines Teenagers gezogen, in welchem sich die Mutter anders bewegt als vor jenem Tag, an dem der Baum im Garten auf sie gefallen war. Die meisten Erzählungen umfassen ein Halbdutzend Seiten, und die längste ist vierzig Seiten lang. Wovon erzählen sie noch?
Es sind keine Alltagsgeschichten, aber sie klingen manchmal so, weil Milieus halb in Klischees dargestellt werden – zur anderen Hälfte aber weicht das Verhalten der Menschen mal mehr, mal weniger stark von der Norm ab. Die Klischees von Alltag zerschellen zu bunten Scherbenhäufchen. Wirklich schöne Scherben. Und rätselhaft, wie sie vor dem Leser sich Seite für Seite auftürmen. Zum Beispiel in der Erzählung „Sinikka Tamminens seltsames Vakuum”: Die kinderlose Lehrerin Sinikka, die mit einem alten Freund ein Häuschen bewohnt, wird psychisch krank. So nennt man es wohl, wenn eine Lehrerin meint, eine Wand würde sich vor ihr verdunkeln, und wenn sie wegen der Frage eines Kindes weinen muss. Sie wirft sich während der Krankheit in immer neue Lebenslagen: ruft nachts fremde Menschen zum Plaudern an, schleppt Männer aus Diskotheken ab, vertieft sich in Seifenopern des Fernsehens und besucht die Sommeruniversität. Da stecken einige Klischees drin.
Die finnische Autorin zeigt das Innenleben von Menschen, denen die Mehrheit mit Unverständnis begegnet, die für gescheitert gehalten werden, weil sie dem zeitgemäßen Dasein nicht folgen können, weil sie in einem eigentümlichen, isolierten System zu funktionieren scheinen, über das es keine historischen Berichte gibt, weil erst in unserer Zeit viel mehr Menschen auf materiell hohem Lebensniveau vereinsamen als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Sinikka lernt nun eine Frau in ihrem Kurs an der Sommeruniversität kennen, eine aggressive Veganerin – wieder ein Klischee –, die so viel stärker von der Norm abweicht, dass Sinikka sich für fast normal hält. Die beiden Frauen kommen sich näher, ziehen zusammen, trennen sich, Sinikka gesundet und wird von heiterem Glück ergriffen. Plötzlich sind die Klischees abhanden gekommen.
Entrückte Leben
Wie kann sich Tuuve Aro so etwas nur ausdenken? Denn es ist nicht nur dieses eine Milieu. Vollkommen glaubwürdig schlüpft sie auch in die Rolle eines Bauarbeiters, einer Verkäuferin, einer jungen Lottomillionärin, einer badenden Rollstuhlfahrerin, einer Frau, die Widerstand leistet nur für das Gefühl des Widerstandes, und zwar gegen alles, eines Kindes, das dem Hund näher steht als den Eltern und so weiter, ein Ende ist gar nicht abzusehen in diesem Kabinett eigentümlicher Wesen, die dem Leser von Einkaufspassagen und Bahnhöfen bekannt vorkommen und vor denen er sich gewöhnlich ein wenig ängstigt.
Diese Erzählungen sind verträumt, sie sind gelegentlich sehr komisch, sie klingen völlig natürlich. Ein Blick auf ein technisches Detail: Tuuve Aro schreibt eine Art erster Sätze, die sich dem Leser wie eine Schlinge umlegen: „Riitta hatte auf keinem Gebiet eine besondere Begabung, kam aber mit Holzarbeiten gut zurecht.” – „Für Kalle war Liebe direkt verwandt mit Durchfall und dem Tod eines Angehörigen.” – „Ulla hatte ihr Leben in der Lesben-WG satt.” – „Als ich so neben Rita in dem Einkaufszentrum rumging, hatte ich das Gefühl, sie ist irgendwie unter meinem Niveau.” Aber unter dem technischen Blick könnten diese filigranen Texte zerbröseln. Viel schöner ist, sich dem Gefühl hinzugeben, in eine stark bebilderte Geschichte gezogen zu werden, deren Figuren ihre geheimen Leben offenbaren. Entrückte Leben, erotisch verwickelte und vor allem eben normabweichende Leben. An diesem Buch scheint auf den ersten Blick vieles aus der Beobachtung zu stammen, doch das ist nur der Ton der Selbstverständlichkeit, mit dem Aro beispielsweise den delirierenden Alkoholiker einen Filmstar an der Decke schweben sehen lässt.
Moderne Neurosen
Tuuve Aro, Jahrgang 1973, ist Schriftstellerin und wohnt in Helsinki. Ihre Erzählungen wurden in zwei Büchern veröffentlicht. Das finnische Stadtleben scheint dem deutschen zu gleichen. Aus Büchern wie diesen wird man vielleicht ferneren Tages unsere Welt verstehen, wie wir die Zeit um den Ersten Weltkrieg in den Büchern von Franz Kafka verstehen. Tuuve Aro geht es im Gegensatz zu Kafka nicht darum, dass die Menschen unter der Technologisierung der Macht zu zerfallen drohen. Sie schreibt auf andere Weise kritisch. Sie zeigt, wie sich die Menschen unter dem Anpassungsdruck Freiheiten nehmen, wie sie mit ihren modernen Neurosen leben und ihrem Dasein Gewinn abtrotzen. Die Erzählung „Ärger mit der Heizung” schließt so: „Verschiedene Wörter kamen mir in den Sinn. Biologische Uhr. Ellinoora. Naturverbundene Harmonie, glückliches Leben, letzte Chance, pluralistische Gesellschaft, zunehmender Traditionsverlust. Als ich sie eine Zeitlang im Kopf hin und her gewendet hatte, prostete ich mir zu und beschloss, alle zu verwerfen bis auf zwei.”
MARTIN Z. SCHRÖDER
TUUVE ARO: Ärger mit der Heizung. Erzählungen. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004. 176 Seiten, 8 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die finnische Erzählerin Tuuve Aro beherrscht die Kunst des ersten Satzes, der sich Martin Z. Schröder in jeder ihrer Erzählungen "wie eine Schlinge" umlegt. Der Kritiker gibt sich schnell gefangen und folgt den eher kurzen, bildstarken Erzählungen aus Helsinki gebannt. Schröder ist fasziniert davon, wie glaubwürdig die Erzählerin höchst unterschiedliche Perspektiven einnehmen kann und dabei die verschiedensten Milieus heimsucht. Mal agiere Aro als Verkäuferin, Lottomillionärin oder Busfahrer, mal schlüpfe sie in die Haut eines Kindes oder einer Rollstuhlfahrerin. Ihre Erzählungen klängen wie Alltagsgeschichten und seien doch keine, bemerkt Schröder. Diesem Irrglauben sitze der Leser nur darum zunächst auf, weil die Milieus teilweise recht klischeehaft ausstaffiert seien, die in ihnen beheimateten Menschen jedoch meist stark von der Norm abwichen. Und dann zerschellen die Klischees "zu bunten Scherbenhäufchen", schreibt Schröder beglückt, "wirklich schönen Scherben". Das finnische Stadtleben stellt sich Schröder nicht viel anders dar als das deutsche. Aros Charaktere könnten einem in jeder Einkaufspassage oder Bahnhof begegnen, meint er. Was ihm imponiert, ist die Tatsache, dass Aro Menschen der Wohlstandsgesellschaft schildert, die mit ihren Neurosen leben und lernen, ihrem Dasein trotzdem etwas abzutrotzen.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr