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Im Dezember 2000 zieht Rana Dasgupta nach Delhi, weil dort die Frau lebt, die er liebt - und landet in einem Moloch, der direkt der Phantasie von Zola, Brecht oder Scorsese entsprungen sein könnte. Die wirtschaftliche Öffnung Indiens im Jahr 1991 hat Kräfte entfesselt, die seither mit der Gewalt einer Naturkatastrophe über die Stadt und ihre Einwohner hinwegfegen: Kapitalistische Räuberbarone stecken aggressiv ihre Claims ab, Bargeld wird lastwagenweise durch die Straßen gekarrt, Premierminister Manmohan Singh, der einst die Liberalisierung des Landes angestoßen hat, lässt beim lokalen…mehr

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Produktbeschreibung
Im Dezember 2000 zieht Rana Dasgupta nach Delhi, weil dort die Frau lebt, die er liebt - und landet in einem Moloch, der direkt der Phantasie von Zola, Brecht oder Scorsese entsprungen sein könnte. Die wirtschaftliche Öffnung Indiens im Jahr 1991 hat Kräfte entfesselt, die seither mit der Gewalt einer Naturkatastrophe über die Stadt und ihre Einwohner hinwegfegen: Kapitalistische Räuberbarone stecken aggressiv ihre Claims ab, Bargeld wird lastwagenweise durch die Straßen gekarrt, Premierminister Manmohan Singh, der einst die Liberalisierung des Landes angestoßen hat, lässt beim lokalen Lamborghini-Händler anrufen. Er kann nicht mehr schlafen, seit die Nouveaux Riches vor seiner Residenz ihre Luxuskarossen ausfahren.

Mit dem Einfühlungsvermögen und der Sprachgewalt eines großen Erzählers schildert Dasgupta die Welt hinter den Fassaden der scheinbar endlos nach oben weisenden Wachstumsraten. Er trifft Milliardäre und Slumbewohner, Drogendealer und Metallhändler, Sozialarbeiter undGurus und stellt fest, dass in der Heimat seiner Vorfahren heute vor allem eines regiert: das Geld. Ein eindrucksvolles Portrait einer Metropole im Rausch, das zugleich einen Vorgeschmack darauf gibt, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte.
Autorenporträt
Dasgupta, Rana
Rana Dasgupta, 1971 im englischen Canterbury geboren, veröffentlichte bislang die Romane Solo und Die geschenkte Nacht. Solo wurde 2010 mit dem Commonwealth Writers' Prize für den besten Debütroman ausgezeichnet. Er lebt in Delhi.

Heller, Barbara
Barbara Heller ist Übersetzerin für englische, französische und niederländische Texte. Sie lebt in Heidelberg.

Hermstein, Rudolf
Rudolf Hermstein, geboren 1940 in Juliusburg in Niederschlesien, ist seit 1971 als freier Übersetzer aus dem Englischen tätig. Er lebt im oberbayerischen Bad Feilnbach.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fulminant findet Rezensent Michael Radunski Rana Dasguptas Buch über Delhi. Dass jemand diese Stadt fassen könnte, hätte er nicht für möglich gehalten. Und doch: Der Autor, meint er, kommt mit seiner Mischung aus Interviewmaterial und literarischer Metaphorik diesem Mikrokosmos erstaunlich nahe. Als vom Geld getriebene Stadt seelischer und moralischer Verwüstung und Gewalt beschreibt ihm der Autor Delhi und erklärt diesen Zustand historisch mit der muslimischen Invasion und der Reaktion der Hindunationalisten sowie der Teilung Indiens. Etwas zu einfach findet Radunski, der in Delhi viel mehr erkennt, als das Ergebnis von Flucht und Vertreibung. Dennoch gefällt ihm das Buch. Nicht zuletzt auch, weil der Autor sich trotz allem einen Blick für die kleinen Schönheiten der Metropole bewahrt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2014

Wo die Tränen über die Ufer treten
Rana Dasgupta spürt in seiner essayistischen Reportage „Delhi. Im Rausch des Geldes“ den Gründen nach,
warum Indiens Hauptstadt in den Bann des Kapitals und der Gewalt geraten konnte
VON THORSTEN GLOTZMANN
Glaubt man der Mythologie, ist die Yamuna, die durch Delhi strömt, aus den Tränen der Flussgöttin Yami geflossen, die um ihren Zwillingsbruder Yama, den Gott des Todes, weinte. Heute fließt sie kummervoller denn je durch Indiens Hauptstadt. Der Fluss ist ein giftiges Gebräu voll ungeklärter Abwässer – ein schwarzes und chemisch blubberndes Symbol für Regierungsversagen und Wassermangel. Tausend Jahre lang hatte Delhi ein hochentwickeltes System der Wasserversorgung, es folgte der Philosophie: Wer nimmt, muss auch zurückgeben. Heute nimmt sich jeder, was er bekommen kann, niemand gibt zurück.
  Es liegt etwas von Yamunas Melancholie in Rana Dasguptas Buch „Delhi. Im Rausch des Geldes“. Diese großangelegte essayistische Reportage des 1971 im englischen Canterbury geborenen und heute in Delhi lebenden Schriftstellers ist von einer verzweifelten Stimmung durchweht, die aus der Erfahrung des Beraubtwerdens rührt. Eine Sufi-Gelehrte lässt Dasgupta sagen: „Unsere Seele ist angegriffen. Irgendetwas ist kaputtgegangen.“ Dasgupta versucht herauszufinden, was genau und wie es kaputtgegangen ist, wie diese Stadt in den Bann des Kapitals und der Gewalt geraten konnte. In jedem Kapitel führt er die Leser an einen neuen Ort, in ein anderes Viertel, er porträtiert Aufsteiger der neuen Bourgeoisie in ihren bewachten Luxusanlagen und Shoppingmalls, und er besucht die Armen, die zwischen Müllbergen hausen.
  Nicht selten muss man dieses Buch beiseitelegen, weil dieses Delhi, in das Rana Dasgupta seine Leserschaft führt, so grauenvoll, kaltherzig und menschenverachtend erscheint, dass man es kaum ertragen kann, etwa dann, wenn Dasgupta von einem Verbrechen in der Satellitenstadt Noida, östlich von Delhi, berichtet. Dort fand man 2006 Leichenteile von Frauen und vermissten Kindern aus einem Slum. Das Haus, hinter dem der Abflussgraben verlief, wurde von einem Geschäftsmann aus einer angesehenen Punjabi-Familie mit Beziehungen zur nordindischen Elite bewohnt. Bei ihm trafen sich Politiker, Beamte und Polizisten, hier feierte er Orgien mit Callgirls. Sein Koch gab in einem umfassenden Geständnis zu, die Kinder mit Süßigkeiten angelockt, erwürgt, zerstückelt, gekocht und verzehrt zu haben.
  Dasgupta sieht in diesem Fall eine Allegorie, in der sich die extremen Auswüchse einer kranken Gesellschaft zeigen. Die Firma des Geschäftsmanns lieferte die Bulldozer, mit denen Slums zerstört und die Areale für die Wohn- und Einkaufslandschaften der oberen Zehntausend vorbereitet wurden. Mit den Einnahmen finanzierte er die sexuellen Dienste armer Frauen. Der Koch durfte bei den Orgien nur zusehen. Was er sah, erregte ihn so sehr, dass er es auch haben wollte: die Macht, die Armen zu konsumieren.
  Kaum hat man das Buch erschrocken beiseitegelegt, nimmt man es wieder zur Hand und blättert gebannt weiter. Das liegt einerseits daran, dass Rana Dasgupta ein belesener Autor ist, der mitreißend erzählen und Gegenwärtiges geistreich mit Mythologischem verknüpfen kann – auch in der deutschen Übersetzung von Barbara Heller und Rudolf Hermstein liest sich das Buch spannend und flüssig. Andererseits ist die Lektüre auch deshalb so fesselnd, weil Delhi nicht nur eine furchteinflößende, sondern auch eine faszinierende Stadt ist. Was in ihr geschieht, weist zugleich immer über sie hinaus. Wenn die Stadt weltweit auf Interesse stößt, so Dasgupta, dann nicht deswegen, weil sie auf dem Weg zur Reife, sondern weil sie bereits weit voraus ist. Eine eng zusammengedrängte arme Bevölkerung, aufstrebende Schichten, die in eine autarke Welt privater Stromversorgung und Sicherheit flüchten: „Das ist nicht irgendeine rückständige Stufe der Weltgeschichte. Das ist die Zukunft der Welt.“
  In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts waren die Künstler und Intellektuellen Delhis noch voller Hoffnung. „Das Alte ging unter, das Neue zog herauf, und wir lebten in dem Raum dazwischen, in dem nichts geklärt, alles potenziell war.“ 1991 hatte der damalige Finanzminister Manmohan Singh verkündet, sein Land werde sich die Prinzipien der Marktwirtschaft und des freien Unternehmertums zu eigen machen. Seither ist die indische Wirtschaft um bis zu zehn Prozent jährlich gewachsen. Plötzlich gab es jede Menge Arbeitsmöglichkeiten, amerikanische Unternehmen lagerten Produktionsprozesse nach Indien aus, Delhi wurde zum Zentrum indischer Publizistik.
  Doch neunzig Prozent der Bevölkerung blieben von Indiens Aufschwung ausgeschlossen. Die Zukunft sah düster aus, fortan regierte das Geld in Delhi: „Der Lebensstil, der sich um uns herum entwickelte, war ein schwacher, farbloser Abklatsch dessen, was westliche Gesellschaften hervorgebracht hatten: Bürokomplexe, Wohnblocks, Shoppingmalls, rings umgeben von Millionen Menschen, die sie niemals betreten würden, es sei denn, um die Böden zu fegen.“ Immobilienspekulationen, die Vernichtung ländlichen Lebens – besonders verheerend wirkte sich die Liberalisierung auf das Gesundheitssystem aus: In Privatkliniken richteten profitorientierte Ärzte ihre Patienten mit unnötigen Untersuchungen und teuren Medikamenten zugrunde und trieben damit ganze Familien in den Ruin.
  Die Kultur der Stadt, schreibt Dasgupta, ist eine posttraumatische, weil sie aus den Traumata der Teilung von 1947 hervorgegangen ist, als die Massaker, Vergewaltigungen und Verstümmelungen das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Hindus zerstörten. Es ist eine Kultur, in der es nicht mehr um das Innenleben und um spirituelle Werte geht, sondern um Macht, Geld und Besitz, eine Kultur, die Gewalt hervorbringt, vor allem gegen Frauen. Vergewaltigungen sind zum öffentlichen Spektakel geworden, „gepaart mit einem erschreckenden Sadismus“. Immer häufiger richtet sich die Gewalt gegen gut ausgebildete und berufstätige Frauen, die sich von der Rolle der Hausfrau und Mutter losgesagt und viele Männer damit zutiefst verunsichert haben. „Frauen hatten zu Hause zu bleiben und das Heim als eine Bastion spiritueller Reinheit zu pflegen, ein Refugium, in dem verheiratete Männer sich regenerieren konnten.“ Die Täter sind keineswegs nur ungebildete Außenseiter, sondern Männer aus dem Mainstream, die an traditionellen Werten festhalten. Sogar Polizisten, Richter und Politiker konnten kaum verhehlen, „dass sie im Grunde der Meinung waren, Frauen, die nachts auf der Straße unterwegs waren, verdienten es nicht anders“.
  So setzt Rana Dasgupta aus lauter Puzzlestücken das Bild einer Stadt zusammen, in der sich die Schichten zunehmend isolieren: Die Armen wollen Gemeinschaften bilden und ihre eigenen Straßen und Häuser bauen, die mittleren Schichten ziehen sich in ihre Mikrosysteme, ihre Gated Communities zurück, wo sie für Straßen, Parks und Sicherheit bezahlen. Und die Superreichen haben ihre Häuser in London, schicken ihre Kinder zum Studium in die Vereinigten Staaten, lassen sich in Lausanne behandeln und verwahren ihr Geld irgendwo offshore. Das sind Symptome des globalen 21. Jahrhunderts in ihrer akutesten, am weitesten fortgeschrittenen Form, so Dasgupta. Auf diese beunruhigende Realität bewegen wir uns alle zu.
  Delhi als Zukunft der Welt – Dasguptas These ist überspitzt und nicht unbedingt gut begründet. Den Beweis, dass sich die Zustände in Delhi auch auf Großstädte wie Paris, Berlin oder New York übertragen lassen, bleibt er schuldig. Er belässt es bei dem Hinweis, dass die meisten Länder etwas aus ihrer eigenen Geschichte in seiner Darstellung wiederfinden werden. Dabei leitet Rana Dasgupta seine Erkenntnisse aus der besonderen Geschichte Indiens ab. Delhi antizipiert gewiss nicht die Zukunft der Welt, und dennoch ist Dasguptas Buch gelungen und äußerst lesenswert, weil es den Blick fürs das große Ganze nie verliert und genau dort endet, wo es enden muss – an der Yamuna: „Die Stadt liegt im Kampf mit dem Fluss, aber der Fluss ist Jahrmillionen alt, und Delhi kann den Kampf nicht gewinnen.“
Grauenvoll ist diese Stadt,
aber auch faszinierend, weil sie
über sich hinausweist
Symptome der Globalisierung
zeigen sich hier in ungemilderter
Härte und Fortgeschrittenheit
Vom Aufschwung sind 90 Prozent der Bevölkerung ausgeschlossen: Schulunterricht unter freiem Himmel im Schatten einer U-Bahntrasse in Delhi.
Foto: Altaf Qadri / AP
      
            
Rana Dasgupta: Delhi. Im Rausch des Geldes. Aus
dem Englischen von
Barbara Heller und Rudolf Hermstein. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2014.
462 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2014

In dieser Stadt betreibt man Geschäfte wie Krieg

Delhi als Delirium der Gegenwart: Rana Dasgupta hat ein atemberaubendes Buch über das Leben in der indischen Metropole geschrieben. Nostalgie gestatten sich hier nur die Europäer.

Wir erleben derzeit eine fundamentale Verschiebung der weltweiten Machtverhältnisse. Der Westen verliert immer mehr an Strahlkraft und Bedeutung, während vor allem Länder in Asien stetig an Wohlstand, Macht und Einfluss hinzugewinnen. Insbesondere China als bevölkerungsreichster Staat mit der größten Volkswirtschaft der Welt steht im Mittelpunkt der Beobachtung. Doch in seinem Schatten entwickelt sich ein anderer asiatischer Riese: Indien. 2030 wird das Land China an der Spitze der Bevölkerungstabelle ablösen. Schon jetzt leben in keinem anderen Staat so viele junge Menschen wie in Indien. Seine Entwicklung wird die Welt nachhaltig prägen.

Das heutige Indien ist ein Land im Umbruch. Die größte Demokratie der Welt verändert sich in unvorstellbarer Geschwindigkeit, die dem Wandel innewohnende Radikalität ist dabei kaum zu erfassen. Rana Dasgupta hat es dennoch versucht und den "Mikrokosmos" Delhi mit seinen 12 bis 17 Millionen Einwohnern untersucht. Herausgekommen ist ein atemberaubendes Buch, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt.

Dasgupta, einundvierzig Jahre alt, wurde in Großbritannien als Kind eines Inders und einer Britin geboren, wuchs in England auf, ging zunächst nach New York und kam im Jahr 2000 nach Delhi - der Liebe wegen. Er fand eine Stadt im Aufbruch: Nach Jahrzehnten der selbstgewählten Abschottung vom internationalen Weltmarkt hatte der damalige Finanzminister Manmohan Singh die Wirtschaft 1991 ein Stück weit liberalisiert. Hohe Wachstumsraten waren die Folge, Indiens IT-Branche revolutionierte den internationalen Technologiemarkt.

Dasgupta zeigt in seinem Buch, wie die bis dato eher behäbige Beamtenstadt Delhi seitdem mehr und mehr vom Geld getrieben wird. In Indiens Kapitale finden wirtschaftliche und politische Macht zusammen. Delhi ist zu einem Ort geworden, wo Geld die Lizenz gibt, mehr Geld zu verdienen. Es ist geprägt von Immobilienspekulation und Konsumzwang, eine Stadt der seelischen und moralischen Verwüstung, wo Unternehmer Geschäfte betreiben wie einen Krieg.

Dasgupta porträtiert Delhi zudem als Stadt der Gewalt, die sich tief in die Kapitale eingeprägt hat. Dafür verwebt Dasgupta Delhis Historie mit dem Leben heutiger Protagonisten. Vor Jahrhunderten brachten muslimische Invasoren Gewalt in die Stadt, womit noch heute viele Hindunationalisten ihre ideologische Sichtweise begründen. Später, zum Zeitpunkt der indischen Unabhängigkeit, als Indien und Pakistan brutal voneinander getrennt wurden, erlebte die Region einen Exodus schier biblischen Ausmaßes.

Millionen Muslime mussten aus Indien nach Pakistan fliehen, ihnen entgegen kamen ebenso viele Hindus, die sich vor dem wütenden Mob in Pakistan retten wollten. Hunderttausende wurden damals ermordet, langjährige Nachbarn über Nacht zu erbitterten Feinden, Andersgläubige regelrecht gejagt. Delhi als Hauptstadt des neuen, unabhängigen Indiens war davon stark betroffen. Viele der Flüchtlinge aus dem grenznahen Punjab zogen nach Delhi. "Sie kamen als Flüchtlinge - und sie besaßen überhaupt nichts. Sie mussten ihre Leben wieder von neuem aufbauen. Das ist absolut zentral, um zu verstehen, welche besondere Rolle Geld und Eigentum in dieser Stadt spielen", schreibt Dasgupta. Denn seiner Meinung nach reagierten die Neuankömmlinge auf diese Bedingungen mit einer Abwehr: Sie etablierten eine Kultur des materiellen Exzesses und des Machismo, wobei gerade die Überhöhung der Männlichkeit für Dasgupta noch heute unter einer dünnen Schicht von Anstand und Ausbildung weiterlebt und zu den jüngsten Ausbrüchen sexueller Gewalt gegen Frauen führte.

Dasguptas Analyse wirkt an dieser Stelle verlockend einfach und plausibel: Vergangene Gewalt hat sich schlicht in neuer Gewalt manifestiert - einst gegen Andersgläubige, nun vor allem gegen Frauen. Allerdings verkennt er an dieser Stelle, dass Delhi mehr ist als die Flüchtlinge aus dem Punjab. In der Stadt leben unzählige andere Minderheiten, die wie kleine Mosaiksteine allesamt den Charakter der indischen Hauptstadt prägen.

Dasgupta meint auch, dass die aktuelle Entwicklung Delhis die zukünftige Entwicklung anderer Großstädte weltweit vorwegnehme. "Mir fällt auf, dass wir an einen Punkt gelangt sind - nach rund zwei Jahrhunderten, in denen der Westen bestimmt hat, wie Kapitalismus ausschaut. Jetzt gibt es neue Länder, die dieses System, dem wir alle angehören, verändern werden." Auch die Großstädte im Westen werden Ressourcenknappheit erleben, ihre Gesellschaften werden unruhiger werden, instabiler, die Eliten werden sich mehr und mehr zurückziehen, so wie sie das bereits in Delhi getan haben. Das Argument ist allerdings nicht überzeugend, hat Dasgupta doch zuvor gezeigt, dass sich Delhi aufgrund einer Reihe von Faktoren genuin anders entwickelt hat als Paris, London oder New York. Seine Einschätzung, dass nun New York und Paris dem gleichen Schicksal wie Indiens Kapitale folgen werden, ist nicht plausibel.

Nichtsdestotrotz, Dasguptas Buch ist fulminant. Immer wieder spürt man darin auch den Romancier, der Bestandsaufnahmen von schreiender Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Kälte mit bezaubernden Metaphern verwebt, Ironie und Selbstgerechtigkeit demaskiert und empfänglich bleibt für kleine Details fast verlorener Schönheit. Dasgupta hat mit zahlreichen Protagonisten des heutigen Delhis lange Interviews geführt. Allerdings entwickeln sich aus diesen Stimmen nur manchmal ausgeprägte Charaktere. Sei es der Drogendealer, der sich nach Jahren des Erfolgs zur Ruhe gesetzt hat, oder die erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich nicht in eine von ihrer arrangierten Ehe vorgezeichnete Frauenrolle zwängen lässt.

Dasgupta führt den Leser in eine Stadt, in der sich rücksichtsloser Machtzuwachs der Eliten auf Kosten anderer verstetigt. Korrektive dieser Entwicklung scheint es nicht zu geben. Und trotzdem ist Dasgupta kein Pessimist. Er erkennt etwas in den Menschen, das er schätzt: das Fehlen jedweder Nostalgie. Während der Westen immerzu zurückblicke und sich nach der glorreichen Vergangenheit sehne, herrsche in Indien keine lähmende Trauer über eine verlorene goldene Zeit. Indien und seine Menschen haben sich der Zukunft verschrieben. Mag sie sich, so wie in Delhi, auch noch so kalt und ungerecht ausnehmen.

MICHAEL RADUNSKI

Rana Dasgupta: "Delhi". Im Rausch des Geldes.

Aus dem Englischen von Barbara Heller und Rudolf Hermstein. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 462 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Seine faszinierenden, elegant ins Deutsche gebrachten Porträts ergeben ein so komplexes wie bestürzendes Bild der Elf-Millionen-Metropole; seine essayistischen Überlegungen sind so beunruhigend wie klug."
Elke Schmitter, KulturSpiegel
»Rana Dasgupta ist mit Delhi - Im Rausch des Geldes ein anregendes Porträt der Megametropole Delhi gelungen.« Katharina Granzin taz. die tageszeitung 20150207