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Abraham B. Jehoschua erzählt in seinem meisterhaft komponierten Roman von einem erfolgreichen Leben und von dem Preis, der dafür gezahlt werden muss. Als der Regisseur Jair Moses zu einer Retrospektive seiner Filme nach Santiago de Compostela eingeladen wird, will er die Reise nach Spanien in Begleitung von Ruth, seiner langjährigen Weggefährtin, genießen. Aber dann ruft ein verstörendes Bild in seinem Hotelzimmer vergessen geglaubte Erinnerungen wach: Eine Filmszene, in der Ruth als junge Frau einem Bettler am Straßenrand die Brust geben sollte, führte zum Zerwürfnis mit dem Drehbuchautor,…mehr

Produktbeschreibung
Abraham B. Jehoschua erzählt in seinem meisterhaft komponierten Roman von einem erfolgreichen Leben und von dem Preis, der dafür gezahlt werden muss. Als der Regisseur Jair Moses zu einer Retrospektive seiner Filme nach Santiago de Compostela eingeladen wird, will er die Reise nach Spanien in Begleitung von Ruth, seiner langjährigen Weggefährtin, genießen. Aber dann ruft ein verstörendes Bild in seinem Hotelzimmer vergessen geglaubte Erinnerungen wach: Eine Filmszene, in der Ruth als junge Frau einem Bettler am Straßenrand die Brust geben sollte, führte zum Zerwürfnis mit dem Drehbuchautor, seinem engsten Freund. Wie konnte es so weit kommen? Die Konfrontation mit seinen alten Filmen, noch dazu in der fremden Sprache, lässt Moses tief in seine Vergangenheit eintauchen und ihn die Ereignisse von damals in einem neuen Licht sehen. Der überwältigende Wunsch nach Versöhnung wird für ihn zum Auslöser für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Autorenporträt
Jehoschua, Abraham B.Abraham B. Jehoschua, geboren 1936, studierte Philosophie und Hebräische Literatur. Er verbrachte drei Jahre im Kibbuz und war Generalsekretär der World Union of Jewish Students in Paris. Seit 1972 ist er Professor für Vergleichende und Hebräische Literaturwissenschaft. Abraham B. Jehoschua lebt mit seiner Familie in Haifa. Sein Debüt Der Liebhaber erschien 1977 und etablierte seinen internationalen Ruf. Jehoschua ist Autor von insgesamt neun Romanen, die in 22 Sprachen übersetzt wurden. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jakob Hessing schätzt die Romane des Schriftstellers Abraham B. Jehoschua für ihr in der israelischen Literatur seltenes historisches Bewusstsein. Und so liest er auch den neuen Roman "Spanische Barmherzigkeit" mit großem Interesse. Anhand seines Alter Egos, dem Filmregisseur Jair Moses, reise der Autor hier von Spanien nach Israel und betrachte die Geschichte der Sepharden, der "spanischen" Juden, die noch heute den Aschkenazen gegenüberstehen. Im Mittelpunkt der Erzählung stehe das Motiv der "Caritas Romana", das Bild eines alten Mannes, vor dem eine junge Frau ihre Brust enthüllt, um ihm Milch zu geben, und an dessen Deutung sich das Filmteam aus Sepharden und Aschkenazen einst entzweite, berichtet der Kritiker. Neben dem aufschlussreichen Einblick in die jüdische Geschichte liest der Rezensent hier nicht zuletzt Jehoschuas Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2014

Die Filmszene, die niemals gedreht wurde
Spanische Retrospektive: Abraham B. Jehoschuas neuer Roman blickt zurück auf die Bilder eines Lebens

Die Romane des Schriftstellers Abraham B. Jehoschua sind geprägt von einem historischen Bewusstsein, das in der israelischen Literatur selten ist. Der Judenstaat steht im Brennpunkt einer Dauerkrise und schärft den politischen Blick seiner Autoren, oft aber macht er sie auch blind für die großen Fragen, die der Zionismus zu lösen suchte. Den Siedlern in Palästina ging es darum, einen "neuen Juden" zu schaffen, und die Geschichte ihres alten Volkes geriet darüber zuweilen in Vergessenheit.

Jehoschua hat sich davon nicht beirren lassen. Für ihn ist das Exil eine Konstante dieser Geschichte, und immer bewegen sich die Protagonisten seines Werkes zwischen den Polen des In- und Auslandes. Sie reisen von Europa nach Israel ("Der Liebhaber", deutsch 1980) oder in umgekehrter Richtung nach Amerika ("Späte Scheidung", 1997), in den Fernen Osten ("Die Rückkehr aus Indien", 1996) oder nach Afrika ("Freundesfeuer", 2009), und auch sein neuer Roman hat einen ausländischen Gegenpol: Als Ort der Inquisition und der Vertreibung ist Spanien nicht nur von historischer Bedeutung, auf eine eigentümliche Weise strukturiert das Land auch das verborgene Drama des Romans.

Als im katholischen Spanien das goldene Zeitalter der Juden zu Ende ging, schuf die große Vertreibung des Jahres 1492 nicht nur eine neue Diaspora, die sich unter anderem auf Nordafrika und weite Teile des Osmanenreiches erstreckte, sondern auch eine neue Menschengruppe: die Sepharden, die "spanischen" Juden, die seither den Aschkenasen gegenüberstehen, den mittel- und osteuropäischen Juden, deren Sprache zumeist das Jiddische war. Noch heute bildet diese Unterscheidung eine Bruchlinie der israelischen Gesellschaft, an der Jehoschua seinen Roman ausrichtet, und das Motiv der Spanischen Barmherzigkeit wird zur vielschichtigen Metapher.

Jair Moses ist ein nicht mehr junger aschkenasischer Filmregisseur, den eine Akademie in Santiago de Compostela einlädt, an einer Retrospektive seiner Filme teilzunehmen. Er kommt mit Ruth, einer Schauspielerin, die sein Werk seit langem begleitet, und überrascht stellen beide fest, dass nur ihre frühen Filme gezeigt werden. Jahrzehntealt, sind sie ihnen kaum mehr gegenwärtig, und die Erinnerung wird ihnen noch durch die Tatsache erschwert, dass die Filme spanisch synchronisiert sind und sie die Dialoge nicht verstehen.

Ein dunkler Humor schwebt über ihrer Reise in die Vergangenheit und macht den Schmerz erträglicher, der hier aufbrechen muss. Denn Ruth heißt eigentlich Nechama, sie stammt aus Marokko und ist im armen Süden Israels aufgewachsen. Dem Team des Regisseurs schloss sie sich schon im Schulalter an und war einst die Geliebte von Schaul Trigano, dem Drehbuchautor der frühen Filme. Auch Trigano lebte im armen Süden, auch er stammte aus Marokko, an den ersten Werken des Regisseurs waren die beiden Lager einer gespaltenen Gesellschaft beteiligt, Aschkenasen und Sepharden - dann aber kam es zum Bruch: Der Drehbuchautor verließ das Team und seine Geliebte, Ruth dagegen setzte ihre lange Schauspielerkarriere unter der Obhut des Regisseurs fort.

Seither haben Jair Moses und Schaul Trigano keinen Kontakt mehr miteinander gehabt, und die Kluft zwischen ihnen macht Jehoschua nicht an einem sozialen, sondern an einem ästhetischen Gegensatz fest. Trigano wendet sich von Moses ab, weil er ihm zu seicht ist und nicht mutig genug. Diese Radikalität fordert indessen einen hohen Preis: Trigano schreibt nie wieder ein Drehbuch.

Ihre Zusammenarbeit ist an der Schlussszene eines Films gescheitert, in der Ruth nach der Geburt ihres unehelichen, zur Adoption freigegebenen Kindes auf offener Straße einen hungrigen Bettler stillen soll. Sie weigert sich, die Szene zu spielen, im Streit zwischen ihr und Trigano stellt der Regisseur sich auf ihre Seite, er bewirkt damit den unheilbaren Riss - und jetzt, Jahrzehnte später, ist die Szene plötzlich wieder da.

Denn an der Wand des spanischen Hotelzimmers, in dem Regisseur und Schauspielerin untergebracht sind, hängt die "Caritas Romana", das Bild eines alten Mannes, vor dem eine junge Frau ihre Brust enthüllt, um ihm Milch zu geben. Es geht auf eine Geschichte im antiken Rom zurück: Eine Tochter besucht ihren verurteilten Vater im Gefängnis, sie stillt ihn, um ihn vor dem Hungertod zu retten. Hinter der christlichen Madonna wird das Symbol einer anderen, paganischen Nächstenliebe sichtbar, und meisterhaft setzt Jehoschua die "Caritas Romana" als ein Leitmotiv seines Romans ein.

Über der unverhofften Reise in die Vergangenheit liegt nicht nur ein dunkler Humor, sondern auch die stille, ganz persönliche Selbstironie des Schriftstellers Abraham B. Jehoschua. Als Jair Moses wieder nach Israel zurückkehrt, setzt er die Retrospektive auf eigene Weise fort. Er besucht die verschiedenen Orte, an denen seine frühen Filme entstanden sind; die Wohnung seiner Eltern in Jerusalem war sein erster Drehort. "Den Wagen stellt er beim Jerusalemer Theater ab", lesen wir, "nicht weit von dem Haus, in dem er aufgewachsen ist."

Dieses Haus gibt es wirklich. In einer stillen Seitenstraße Jerusalems steht es, doch nicht der fiktive Jair Moses wuchs in ihm auf, sondern Jehoschua selbst. In den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat er hier seine Kindheit verbracht, und es ist nicht die einzige autobiographische Überblendung in diesem Roman.

Lange vorher schon sind in den Filmen der spanischen Akademie die ersten Novellen zu erkennen, die Jehoschua zu Beginn seiner Karriere geschrieben hat. Mit der Retrospektive für den Regisseur richtet er den Blick auch auf seine eigenen Anfänge, und er tut es mit einem Lächeln. Denn während der Aschkenase Jair Moses, Jehoschuas Alter Ego, sich von seinem sephardischen Gegenspieler Schaul Trigano trennt, ist Jehoschua selbst den umgekehrten Weg gegangen. Er entstammt einer alteingesessenen sephardischen Familie Jerusalems, doch seine frühen literarischen Inspirationen hat er bei den Aschkenasen gefunden, bei Samuel Josef Agnon und Kafka.

Am Ende lässt Jehoschua den alternden Regisseur Buße tun. Jair Moses fährt ein zweites Mal nach Spanien und kehrt zu den Wurzeln seines Erfinders zurück: In einem erstaunlichen Abspann stellt er die Szene nach, die er im entscheidenden Augenblick seines Lebens nicht gedreht hat.

JAKOB HESSING

Abraham B. Jehoschua: "Spanische Barmherzigkeit". Roman. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 475 S., geb., 26,95 [Euro].

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