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Der Nationalstaat ist die komplexeste Institution, die die Menschheit je hervorgebracht hat, wie Saskia Sassen in ihrer neuen historisch-theoretischen Studie darlegt. Er ist das (Zwischen-)Ergebnis einer Jahrhunderte dauernden Entwicklung von Feudalismus, Kirche und Reich. Doch seine größte Transformation steht gerade erst am Anfang - wir bezeichnen sie als Globalisierung. Sassens Hauptthese lautet: Globalisierung findet in einem weit größeren Maße, als gewöhnlich anerkannt wird, innerhalb des Nationalen statt. Gerade das Nationale ist eine der Schlüsselinstanzen, die eine Entwicklung des…mehr

Produktbeschreibung
Der Nationalstaat ist die komplexeste Institution, die die Menschheit je hervorgebracht hat, wie Saskia Sassen in ihrer neuen historisch-theoretischen Studie darlegt. Er ist das (Zwischen-)Ergebnis einer Jahrhunderte dauernden Entwicklung von Feudalismus, Kirche und Reich. Doch seine größte Transformation steht gerade erst am Anfang - wir bezeichnen sie als Globalisierung. Sassens Hauptthese lautet: Globalisierung findet in einem weit größeren Maße, als gewöhnlich anerkannt wird, innerhalb des Nationalen statt. Gerade das Nationale ist eine der Schlüsselinstanzen, die eine Entwicklung des globalen Rahmens erst möglich machen. Zugleich besteht ein Großteil der Globalisierung aus enorm vielfältigen Mikroprozessen, die zu entnationalisieren beginnen, was national konstruiert worden war: Politik, Kapital, städtische Räume, zeitliche Strukturen und vieles mehr.
Autorenporträt
Saskia Sassen ist Professorin für Soziologie an der Columbia Universität in New York und an der London School of Economics and Political Science.
Ulrich Beck ist einer der weltweit anerkannten Soziologen. Sein 1986 erstmals veröffentlichtes Buch Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne brachte ein neues Zeitalter auf den Begriff. Dieses Konzept machte ihn international und weit über akademische Kreise hinaus bekannt. Zwanzig Jahre später erneuerte und erweiterte er seine Zeitdiagnostik in Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit im Zeichen von Terrorismus, Klimakatastrophen und Finanzkrisen. Er war zwischen 1997 und 2002 Herausgeber der Reihe Edition Zweite Moderne im Suhrkamp Verlag. Zwischen 1992 und 2009 war Beck Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1999 bis 2009 fungierte Ulrich Beck als Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereichs Reflexive Modernisierung. Vom Europäischen Forschungsrat wurde Ulrich Beck 2012 ein Projekt zum Thema Methodologischer Kosmopolitismus am Beispiel des Klimawandels mit fünfjähriger Laufzeit bewilligt. Beim Weltkongress für Soziologie 2014 in Yokohama erhielt Ulrich Beck den Lifetime Achievement Award - For Most Distinguished Contribution to Futures Research der International Sociological Association.

Ulrich Beck wurde am 15. Mai 1944 in Stolp in Hinterpommern geboren. Nach seinem Studium der Soziologie, Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft in München promovierte er dort im Jahr 1972. Sieben Jahre später wurde er im Fach Soziologie habilitiert. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse galt dem Grundlagenwandel moderner Gesellschaften. Diese grundlegenden Veränderungen faßte er, neben dem Begriff des Risikos, unter anderem mit Konzepten wie Reflexiver Modernisierung, Zweite Moderne, unbeabsichtigte Nebenfolgen und Kosmopolitismus.

Ihm wurden mehrere Ehrendoktorwürden europäischer Universitäten und zahlreiche Preise verliehen.

Er starb am 1. Januar 2015.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2008

Wo stehen wir denn in dieser Welt?
Ein schlicht unentbehrliches Buch: Saskia Sassen erklärt die Globalisierung im Verhältnis zum Nationalen
Etwas ändert sich. Statt von Recht, Wirtschaft und Gesellschaft reden wir lieber gleich von Weltrecht, Weltwirtschaft und Weltgesellschaft. Um die Transformation in den Blick zu bekommen, die unter dem Etikett „Globalisierung” verhandelt wird, braucht es – vermeintlich – eine globale Perspektive. Wenn es ums Ganze geht, wen kümmert da in der großen Weltrisikogesellschaft noch das kleine soziale Risiko? Wer schaut noch zurück ins Diesseits des Nationalen, wo wir doch längst angekommen sind in der schönen neuen Welt jenseits des Staates?
In ihrem neuen Buch packt die amerikanische Soziologin Saskia Sassen die Globalisierung endlich an der Wurzel. Weil das Globale im Nationalen beginnt, hat Sassen im Inneren des Nationalstaats gegraben und dort Verschiebungen der Ordnungsmuster freigelegt, die unser Zusammenleben prägen. Sie zeigt, dass die Globalisierungsprozesse auf Transformationen innerhalb des Nationalstaats zurückgehen und dort ihre Dynamik gewinnen, ob es um den Aufstieg des globalen Kapitalmarkts geht oder um Netzwerke engagierter Menschenrechtsaktivisten.
Imperiale Geographien
„Die entscheidende Frage ist nicht, ob der Staat globalen Mächten gegenübersteht und ob er dadurch geschwächt wird oder nicht.” Es geht vielmehr um „die tiefgreifenden Vorgänge der Neuverteilung der Macht innerhalb des Staates”. Was Sassen dabei, ohne Scheu vor detailgenauer Komplexität, zutage fördert, mag einem globalbebrillten Großtheoretiker wie Ulrich Beck, der der deutschen Ausgabe des Buches ihren Titel gegeben hat, als „Paradox des Nationalen” erscheinen. Für den Leser ist es ein faszinierender Erkenntnisgewinn, der zur weiteren Blütenlese in der nationalen Wissenschaftslandschaft verlocken könnte: So beschäftigt sich mit „Transformationen des Staates” seit 2003 auch der rührige Bremer Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel”.
Saskia Sassen nutzt das analytische Mittel eines historischen Längsschnitts, um Brüche, Pfadabhängigkeiten und Umschlagpunkte in den beiden „black boxes” des Nationalen und des Globalen sichtbar zu machen und Kräfte zu identifizieren, die in gewandelter Gestalt von der Vormoderne bis zur späten Moderne der Globalisierung immer neu wirken. In der Hand der Ökonomin wird Geschichte dabei ein „natürliches Experiment, das bereits seinen unabänderlichen Lauf genommen hat und uns nun das Verständnis des Charakters von Diskontinuitäten erlaubt, die sich beim Übergang von Potentialen zu neuen Organisationslogiken einschleichen können”.
Am Anfang der „Begründung eines Weltmaßstabs” im 16. Jahrhundert standen in Europa der Aufbau nationaler politischer Ökonomien und die Entwicklung imperialer Geographien, die die Plünderung der Kolonien erleichtern und so den nationalen Reichtum mehren sollten. Kolonialmächte wie die Niederlande entwickelten globale Potentiale zum erfolgreichen Handel und Wandel, die auch nach dem Ende der kolonialen Ära nie aufgegeben wurden. In Großbritannien und Frankreich überlebte die Bourgeoisie auch die Hochphasen des Merkantilismus, die ihren Aufstieg begünstigt hatten. Sonderwege begründen Pfadabhängigkeiten. „Wenn das Nationale ein hochkomplexer Schauplatz des Globalen wird, erhält die besondere Geschichte eines Landes und ihre Tiefenstruktur eine neue – und nicht etwa geringere – Bedeutung.”
Nationales und Globales werden in die drei Komponenten „Territorium”, „Autorität” und „Rechte” (TAR) zerlegt, um deren Anordnung und Verhältnis (in Sassens zuweilen etwas gewundener Terminologie: „Assemblagen”) in verschiedenen historischen Konfigurationen zu untersuchen. Drei davon sind zentral: das vormoderne Frankreich der Kapetinger, das England der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die USA im 20. Jahrhundert. Diese Verengung auf den Westen kann man beklagen. Doch letztlich liegt hier kein Kompendium vor, sondern vor allem eine methodische Pionierleistung, die weitere Detailstudien anstößt und nicht ausschließt.
Nach der schrittweisen Zusammensetzung des Nationalstaats untersucht die Autorin dessen „Demontage” durch Internationalisierung – vor allem aber durch einen langfristigen Machtzuwachs der Exekutive, der mit einem Funktions- und Autoritätsverlust der Parlamente einhergeht und längst begonnen hatte, als noch nirgends vom „Krieg gegen den Terror” die Rede war. Sassen, die an der New Yorker Columbia-Universität und der London School of Economics lehrt, skizziert ein gewandeltes Verhältnis zwischen Öffentlichem und Privatem: Während die Exekutive zunehmend „privatissime” agiert, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, bringt der private Sektor die Standards und Normen selbst hervor, die für seine Steuerung maßgeblich sind. Sassen beschreibt „ein Kraftfeld, das ein weit größeres Aufgebot nichtstaatlicher Akteure als je zuvor und den Aufstieg neuer normativer Ordnungen jenseits der nationalstaatlichen umfasst”.
Was im Nationalstaat gebündelt war – etwa in der Staatsbürgerschaft – zerfällt in Segmente: transnationale Angehörigkeit ermöglicht Mobilität über Grenzen, während im gewandelten Innern des Nationalstaats auch Illegale „ohne Papiere” nach längerem Aufenthalt faktisch Anerkennung genießen. Sassen zeigt, dass die neue hypermobile Expertenklasse mit ihren Beamten- und Unternehmensnetzwerken keine Avantgarde eines Kosmopolitismus ist, sondern fest ins Nationale eingebettet bleibt, verortet im Netzwerk der Großstädte, die Sassen in früheren Arbeiten untersucht hat. Auch im digitalen Zeitalter mit seinen weltumspannenden Kommunikationsnetzwerken beginnt alles im Lokalen, allerdings in einer mitunter ortlosen Nähe. Denn „das grenzüberschreitende Netz strategisch entscheidender subnationaler Orte, die durch intensive Transaktionen und Expertenströme verbunden sind, ist eine Verkörperung einer entnationalisierten Räumlichkeit und Zeitlichkeit – sie sind weder national noch global.”
Saskia Sassens Analyse der Globalisierung erschöpft sich nicht im Deskriptiven. Darum ist „Das Paradox des Nationalen” trotz vieler Längen und Wiederholungen mehr als spannende Alternativgeschichte und anregende Provokation. Es ist ein schlicht unentbehrliches Buch. Sassens Anliegen ist es, „einen Zwischenbereich offenzulegen, der sich durch große Möglichkeiten für eine Veränderung der gegenwärtigen Frontlinien auszeichnet”, einen Zwischenbereich, der politisch gestaltet werden kann – und soll: „Es ist ungemein wichtig, Formen partizipatorischer Politik zu entwickeln, die das nationale politische Leben dezentrieren (. . .) und zu lernen, wie sich Demokratie über Grenzen hinweg praktizieren lässt.”
Raus aus der Passivität
Wie nötig die Demokratie diese Lernerfahrung hat, wurde unlängst wieder einmal deutlich, als der Europa-Ausschuss des Bundestages über die Ratifikation des Lissabonner Vertrages debattierte. Es sei eben alles viel zu kompliziert geworden mit Europa, beklagten die Parlamentarier sich bei den geladenen Sachverständigen. Wer solle all die Papiere aus Brüssel noch lesen? Und wann? Schlimm, schlimm. Richtig ernst zu nehmen schienen die Abgeordneten die Tragik allerdings nicht, die in ihrer achselzuckenden Selbstpreisgabe des Parlamentarismus steckte. Berlin ist schließlich nicht Brüssel, und der Wahlkreis nicht die EU. Oder doch? Sassens Buch zwingt den Leser, darüber genau nachzudenken. Es ist mit seinem Ausgangspunkt im Nationalen ein erhellender Glücksfall, auch für den Umgang mit Transnationalisierungsprozessen unterhalb der globalen Ebene. In der EU vermittelt sich demokratische Legitimation schließlich noch immer vor allem über die nationalen Parlamente, deren Position der Lissabonner Vertrag stärkt. Die Demokratie – und ihre Defizite – beginnen in Europa nicht erst jenseits des Staates, sondern in seiner Mitte, im nationalen Parlament.
Mit diesem mitunter überbordend detailreichen Buch reißt die Autorin ihre Leser aus der Passivität vermeintlicher Handlungsunfähigkeit. Und sie zieht uns zur Verantwortung – denn als Bürger eines Nationalstaats sind wir zugleich Bürger der globalisierten Welt. Saskia Sassen beschreibt globale Transformationsprozesse, Veränderungen durch Trans- und Supranationalisierung, aus einer Perspektive, die politische Handlungsräume eröffnet. Und fragt dabei mit Nachdruck nach dem Akteur, der in demokratischer Selbstbestimmung eine neue Modernität gestaltet, die die Grenzen des Nationalstaats überschreitet, ohne ihn dabei hinter sich zu lassen. ALEXANDRA KEMMERER
SASKIA SASSEN: Das Paradox des Nationalen. Territorium, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008. 735 Seiten. 36,80 Euro.
Die amerikanische Soziologin Saskia Sassen Foto: Basso Cannarsa/Opale
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein wenig hört man den Rezensenten Harry Nutt ächzen, der sich angesichts der akademischen Schwere dieses Buches etwas mehr "essayistische Frische" gewünscht hätte.Vielleicht wäre auch etwas mehr Stringenz nicht schlecht gewesen? Es geht von den Piraten vor Somalias Küste über die Papierlosen bis zur Hisbollah, und sie alle dienen Sassen offenbar als Beleg für die Transformation des Nationalen unter den Bedingungen der Globalisierung. Hier erkennt sie nicht auf eine "Aushöhlung staatlicher Macht", sondern auf eine neue Logik der Organisation. Ob Sassen ihrem Ehrgeiz gerecht geworden ist, die Globalisierungsforschung zu revolutionieren, lässt Rezensent Nutt allerdings offen.

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